Die Blaualge und
das Feuer des Lebens

Müll macht nur der Mensch, oder?

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Müll hinterlässt nur der Mensch. Und zwar so viel, dass Müllberge emporwachsen, ganze Täler mit unserem Abfall aufgefüllt werden, das Meer voller Plastiktüten und anderem schwimmenden Zeug ist und Müllverbrennungsanlagen und Klärwerke die anfallenden Mengen nicht mehr aufnehmen können.

in der Natur dagegen gibt es keinen Abfall! Sie recycelt sämtliche Hinterlassenschaften aller Lebewesen. Sie hat die umfassende Kreislaufwirtschaft entwickelt. Klingt gut, die Wirklichkeit sieht allerdings ganz anders aus. Kreisläufe, so wie wir sie uns wünschen, laufen zwar im Großen ab, aber sie dauern sehr lange. Auf mittlere und kleine Räume bezogen, sind sie eher selten und kaum jemals richtig geschlossen.

Das Wasser, das Tag für Tag von den Flüssen ins Meer fließt, kehrt nie direkt wieder. Ganz anderes Wasser steigt aus dem Nordatlantik auf und fällt bei uns als Regen oder Schneefall. Einen Teil dieser Feuchtigkeit trägt der Wind weit nach Asien hinein. Abgase, die wir hier freisetzen, nimmt er dabei gleich mit. Sie verursachen dann irgendwo in der russischen Taiga Schäden, während das Übermaß an Dünger aus der Landwirtschaft ins Grundwasser gerät oder mit den Flüssen in die Nord- und Ostsee verfrachtet wird. Oder mit der Donau ins Schwarze Meer gerät. Längst hat die Donau das Schwarze Meer so sehr überdüngt, dass sich in seiner Tiefe giftiger Schwefelwasserstoff gebildet hat. Er färbt, wenn er bei stürmischem Wetter ans Eisen der Schiffe gerät, dieses schwärzlich. Mit dieser Färbung hängt auch der Name »Schwarzes Meer« zusammen, was allerdings beweist, dass es dort giftigen Schwefelwasserstoff bereits gab, lange bevor landwirtschaftliche Abwässer donauabwärts befördert wurden. Und das ist durchaus kein Sonderfall.

Wir müssen nur die »grüne« Brille abnehmen und etwas genauer hinschauen. Dann sehen wir, dass unser Land, wie die ganze Erde, voll ist von Abfällen, die wir nur nicht für solche zu halten pflegen.

Jahrmillionenlang wuchsen im Meer des Erdmittelalters Korallenriffe und Kleinlebewesen, die sich mit einem winzigen Kalkpanzer umgeben hatten. Sie starben ab und sanken zu Boden. Schicht um Schicht bildete sich aus ihren Leichen, Meter um Meter wuchs diese Schicht empor, bis ihre kilometerdicke Last auf die Erdkruste drückte. Kontinente, die sich Jahr für Jahr um wenige Millimeter verschieben, fingen an, diese Ablagerungen zusammenzupressen, und so stiegen sie mit der Zeit als Hochgebirge empor. Auf solche Weise sind auch unsere Alpen entstanden – aus dem Abfall von winzigen Meerestieren. An vielen Stellen finden wir sie im Kalkfelsen noch als gut erkennbare Versteinerungen.

In noch viel größerem Umfang bildeten sich aus dem Abfall von Pflanzen Kohle und Erdöl. Dass wir Letztere gegenwärtig in Massen zur Energie- und Wärmeerzeugung verbrennen, stellt erdgeschichtlich gesehen eher so etwas wie Recycling als Raubbau dar. Schließlich führen wir Stoffe wieder zurück in den Kreislauf, die diesem ein paar Hundert Millionen Jahre entzogen waren. Ob das gut ist für unser Leben in der Gegenwart und in naher Zukunft, ist eine andere Frage. Hier geht es um die so hochgelobten Kreisläufe im Naturhaushalt.

Der größten Kreislaufkatastrophe überhaupt verdanken wir unsere Luft zum Atmen oder, genauer gesagt, den Sauerstoff darin, den wir unbedingt zum Leben brauchen. Ihn hatten schon vor mehreren Milliarden Jahren (also tausend Millionen Jahren), winzige Lebewesen, die zwar Algen ähneln, aber zu den Bakterien gehören, als Abfall aus ihrem Stoffwechsel ausgeschieden. Blaugrün-Bakterien (Cyanobakterien) gibt es immer noch in zahlreichen Gewässern sowie an feuchten Stellen von Baumrinden, Mauern oder Felsen. Als diese Blaugrün-Bakterien die chemischen Vorgänge, bei denen Sauerstoff frei wird, so intensiv nutzten, dass das Wasser ihn nicht mehr aufnehmen konnte und er das Meer verließ, vergiftete er Land und Luft. »Vergiften« ist der richtige Ausdruck, denn die damals vorhandenen anderen Bakterien lebten ohne Sauerstoff. Auch diese gibt es heute noch, und es leben sogar viele Millionen von ihnen zum Beispiel in unserem Darm. Nur in einer Umwelt ohne Sauerstoff können sie existieren und sich vermehren. Wo dieser in Konzentrationen von nur wenigen Promille auftritt, tötet er jene Lebensformen. Sauerstoff verbrennt sie regelrecht.

Die auch Blaualgen genannten Blaugrün-Bakterien aber arbeiteten und arbeiteten. Die Erde »verrostete«, weil sich die Metalle, wie das Eisen und das Kalzium, mit dem Sauerstoff verbanden. Nach gut einer Milliarde Jahre gab es in der Lufthülle der Erde erheblich mehr Sauerstoff als heute. Dieser Zustand dauerte an bis in das Zeitalter der Kohlebildung, weil inzwischen die winzigen Blaugrün-Bakterien zu Helfern in den Pflanzenzellen geworden waren, zu den sogenannten Blattgrün-Körnchen (Chloroplasten). Das Treiben der Blaugrün-Bakterien war und ist nämlich nichts anderes als die Fotosynthese.

Mit diesem chemischen Vorgang, den das Licht der Sonne antreibt, werden aus dem gegenwärtig so verteufelten Kohlendioxid CO2 und Wasser durch das Blattgrün (Chlorophyll) Zucker und Sauerstoff gebildet. Aus diesen beiden Stoffen gewinnen nun Tiere und zahlreiche andere Lebewesen ihre Energie. Vielleicht eine ganze Milliarde Jahre lang war der Sauerstoff also Müll. Erst dann bildeten sich Lebewesen, die ihn zu nutzen verstanden, ohne dass sie sich dadurch innerlich verbrannten. Wir alle gehören zu diesen Abfallverwertern der Blaugrün-Bakterien. Uns gibt der Sauerstoff das Feuer des Lebens.

Der größte existierende Abfallhaufen ist übrigens zugleich ein Gebilde, in dem das Leben im Meer geradezu phantastisch gedeiht, nämlich das Great Barrier Reef, das Große Barriere-Riff, vor der Nordostküste Australiens. Anders als die Chinesische Mauer oder andere Bauwerke des Menschen ist es auch von der Raumstation aus zu sehen, hoch über der Erde im Weltraum. Korallentiere und andere Meerestiere haben es mit ihren Kalkabscheidungen gebaut. Sie gedeihen auf ihrem eigenen Müll.

Und auch Humus ist Müll. Die Exkremente der Regenwürmer nehmen darin einen wesentlichen Teil ein. Aus unserer Sicht, die wir vom Ertrag der Böden leben, ist das natürlich kein Müll, sondern gute Erde. Ansichtssache eben.

So ganz aus der Art des Lebens schlägt der Mensch also nicht. Verbesserungsfähig ist unser Umgang mit dem selbst erzeugten Müll dennoch allemal. Soweit sich dieser durch Lebewesen abbauen und wiederverwerten lässt, stellt er kein grundsätzliches Problem wie der Atommüll dar. Für diesen gäbe es eine ganz andere Möglichkeit der Entsorgung als die bisher angedachten oder praktizierten. Nicht gelagert sollte er werden für alle Zeiten, sondern eingeschmolzen ins flüssige Magma. Es gibt rund um den Pazifik ausgedehnte Stellen in Tiefseegräben, in denen Erdkruste »verschlungen« und wieder eingeschmolzen wird. Unter den Kontinentalblöcken verschwindet die Masse. Selbst wenn sie in Millionen von Jahren in der Zukunft wieder in Form von Lava bei einem Vulkanausbruch an anderer Stelle emporkommen sollte, wäre die Radioaktivität abgeklungen und zur natürlichen Hintergrundstrahlung geworden.

Bei radioaktivem Müll geht es um die sichere Langzeitentsorgung. Eine »Endlagerung« in unterirdischen Salzstöcken oder tiefen Bergwerksstollen bleibt ein Zwischenlager. Kohle und Erdöl lehren uns, was Langzeitmüll ist und wie die Kräfte der Natur damit umgingen.

Naturgeschichte
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