Bruno und der böse Wolf

Warum sind manche Wildtiere
nicht willkommen?

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Der Biber ist kein Einzelfall, auch wenn seine Wiedereinbürgerung mit Abstand am erfolgreichsten verlief. Auch andere, zwischenzeitlich ausgerottete Säugetiere rücken wieder nach, ganz ohne Einwirkung von menschlicher Seite. »Elche stehen invasionsbereit an den Grenzen«, hieß es. Sie haben inzwischen die Oder überschritten und von Tschechien her auch Bayern erreicht. Bären zogen von Slowenien aus nach Österreich, wo ein kleiner Bestand geduldet wird. »Bruno« ereilte das politische Schicksal eines »Problembären« in Bayern, seinen Bruder später in der Schweiz. Luchse streifen durch die Grenzwälder im Osten wie im Westen, und dann kamen auch noch die Wölfe. Italienische von Süden her, wo man sie aber nicht dulden will, und polnische von Osten. Ihnen geht es besser. Doch wie kommt es eigentlich zu diesen Wanderungen? Warum kehren scheinbar ausgerottete Tierarten nach Deutschland zurück?

Zur Ausbreitung zahlreicher Großtiere kommt es aus drei Hauptgründen. Sie werden nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt gejagt. Die Kulturlandschaft eignet sich als Lebensraum außerdem recht gut für die meisten der früher hier ausgerotteten Arten, und die Haltung großer Teile der Bevölkerung hat sich zu ihren Gunsten geändert.

Die Ausrottung der Raubtiere gelang im 19. Jahrhundert weniger durch die Bejagung als hauptsächlich durch Vergiftung und das Aufstellen von Fallen. Die Jäger früherer Jahrhunderte hatten auch nicht mehr Zeit als die heutigen, und so war die Kugel nicht effektiv genug, um all das aus jagdlicher und landwirtschaftlicher Sicht so benannte »Raubwild« und »Raubzeug« (mit dieser Bezeichnung waren Raben, Krähen und Greifvögel gemeint) bis zur Ausrottung vernichten zu können.

Gift tötete die Tiere, die ihrer Natur gemäß von Fleisch leben müssen, zuverlässig. Mit beköderten Fallen wurden auch Bären und Wölfe gefangen. Als Gift verboten und der Fallenfang stark eingeschränkt wurde, begannen sich die Bestände allmählich wieder zu erholen. Ausgangspunkte waren die letzten Refugien dieser Arten in den großen Wäldern des Ostens und in dünn besiedelten Gebirgsregionen. Die reichen Regionen Mitteleuropas leisteten sich keine Mitesser am Naturfleisch des Wildes oder an den Haustieren – die armen dagegen schon.

Daher kommen die »Invasionen« auch aus dem Osten, Südosten und Süden. Wölfe, Bären und Luchse überlebten, wo es den Menschen schlecht ging. Das ist weltweit so.

Die enorme Steigerung der Agrarproduktion erzeugte schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg dauerhaft Überschüsse. Sie hießen »Weizenberge«, »Butterberge«, »Milchseen« und später »Schnäppchen«, die man billigst im Supermarkt kaufen kann. Längst ist nicht mehr zu wenig Produktion das Problem, sondern das »Zuviel«. Für das Wild, das an diesem Überfluss teilhaben kann, brachen außerordentlich günstige Zeiten an. Der Bestand der Rehe überstieg trotz millionenfachen Abschusses auch die höchsten Werte, die jemals aufgezeichnet wurden.

Bei den Hirschen wäre es genauso der Fall, dürften sie aus den für sie verordneten Rotwildgebieten herauskommen. Die Wildschweine hielten sich ohnehin an nichts außer an die eigene Nase und betrachten das angebaute Schweinefutter, den Mais, als für sie bestimmt. Mit der Folge einer gewaltigen Zunahme, wie schon ausgeführt. Beutetiere gäbe es für Wolf, Luchs und Bär also genug. Die Jäger kommen ohnehin nicht nach, ihr Abschusssoll zu erfüllen. Sie wollen trotzdem keine vierfüßigen Konkurrenten. Lieber zahlen sie den Wildschaden. Punkt 2 wäre also auch klar.

Nicht so eindeutig liegen die Verhältnisse bei Punkt 3. Da wirken die alten Schauergeschichten von Rotkäppchen und dem bösen Wolf nach. Zur näheren Beurteilung müssten Volksbefragungen durchgeführt werden. Sicherlich gibt es eine starke Fraktion der Ängstlichen. Im Wald ein Luchs – da geh ich nicht mehr hinein, und mit meinen Kindern schon gar nicht. Dass es im Wald Füchse gibt, ist schon schlimm genug, von den Zecken ganz zu schweigen. Und Wölfe – niemals! Diese Ängstlichen sind so gut informiert, dass sie fest an ihr Wissen glauben, auch wenn sie gar nicht wissen, woher es stammt. Ihnen stehen die Freunde aller Tiere und von Wolf, Bär und Luchs im Besonderen gegenüber. Die Übereifrigen machten Bruno zum tollpatschigen Schmusebär, indem sie ihm den Namen Bruno zuteilten, schworen Rache und hatten irgendwie damit auch Erfolg. Nicht etwa für die Duldung weiterer Bären, sondern im Hinblick auf die Abdankung der in ihren Augen Schuldigen.

Es sind Suggestivfragen wie »Meinen Sie auch, dass wir in unserem Land keine Menschenfresser wie Wölfe dulden können?« oder »Wölfe sind weniger gefährlich als Hunde. Sollten sie nicht auch bei uns in bestimmten Gebieten leben dürfen? Wie in anderen kultivierten EU-Ländern auch?« und jahrzehntelange »Pro-Wildtier-Berichte« im Fernsehen, die die Lager spalten. Die wirklichen Gegner dieser Tiere machen sich das zunutze.

Tatsache ist, dass Haushunde in unserem Land immer wieder Menschen töten und alljährlich Zehntausende verletzen. Dennoch fordert niemand ernstlich die Abschaffung der Millionen Hunde, die bei uns leben. Hunde reißen auch Schafe; die Schafhaltung wird aus Steuermitteln subventioniert und doch geht kein Aufschrei durch die deutsche Bevölkerung. In Ländern mit Wolfsvorkommen, in Italien reichen diese bis in die Außenbezirke von Rom, leben die Menschen mit den Wölfen, ohne großes Aufhebens darum zu machen. Spezialisiert sich dort ein Wolf zu sehr auf Haustiere, wird er ebenfalls ohne großes öffentliches Palaver zur Strecke gebracht.

In Rumänien erhielten die Bewohner von Orten, in denen Bären die Mülltonnen leerten und nach Genießbarem durchsuchten, bärensichere Tonnen. (Sie tauschten diese gegen die alten zurück. Weil es attraktiver ist, an den Touristen Geld zu verdienen, die die Bären sehen und fotografieren wollen.)

Mit »Zivilisation« hat das alles recht wenig zu tun. Umso mehr mit der Einstellung der Bevölkerung. Unsere hier in Deutschland nimmt nach wie vor den zigtausendfachen Abschuss von Hauskatzen hin, die draußen auf der Flur am Mauseloch sitzen, aber als »streunend« eingestuft werden. Auch viele Hunde werden erschossen, weil sie hätten wildern können. Da wird es schwer, seitens der Bevölkerung genügend Druck aufzubauen, den sofortigen Abschuss von Wölfen zu verhindern, obgleich es sich um eine EU-weit geschützte Art handelt. Umso bewundernswerter ist es, dass in Ostdeutschland tatsächlich einige Wolfsrudel leben dürfen. Eine solche Entscheidung hat viel mit »Kultur«, aber wenig mit »Zivilisation« zu tun. In dieser Hinsicht sind längst nicht alle Regionen in Deutschland gleichgeschaltet.

Naturgeschichte
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