Das Maultier
und der Blumenkohl

Ist eigentlich alles
»genetisch verändert«?

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Gentechnisch veränderter Mais ist in Deutschland verboten worden. Mit der Gentechnik greift der Mensch in die Evolution ein. Schließlich werden mit der Einschleusung fremder Gene die Artgrenzen überschritten. Drohen uns neuartige Monster? Mischwesen der neuen Art, die zwar nicht den Schrecken des Werwolfs verbreiten, aber doch äußerst skeptisch stimmen?

Was gegenwärtig in der Landwirtschaft passiert, ist in der Tat gefährlich, aber in ganz anderer Hinsicht als etwa der wilde Minotaurus. Die Landwirtschaft verursacht die mit Abstand bedeutendsten Veränderungen in der Natur der Erde. Auf ihr Konto geht die großflächige Vernichtung der Tropenwälder, die Überdüngung der Böden mit Folgen für die Pflanzen- und Tierwelt, die Belastung des Trinkwassers mit Rückständen aus Düngestoffen und Pflanzenschutzmitteln, und sie ist zudem die Hauptquelle für Treibhausgase. Die schlimmsten Infektionskrankheiten, die den Menschen heimsuchen, entstanden in den Massentierhaltungen. Die heftigen Diskussionen um gentechnisch veränderte Pflanzen lenken geradezu perfekt von den wirklichen Problemen ab.

Der große Rest der Welt stellt bei der sogenannten Grünen Gentechnik die Vorteile den Risiken gegenüber und urteilt vernünftiger. Würde das »Genetische«, das hierzulande so umstritten ist, den Diskutierenden überhaupt klar sein, müssten sie als Erstes den Mais komplett aus unserem Land verbannen. Denn er ist keine Naturpflanze, sondern die Verbindung unterschiedlicher Gene aus zwei verschiedenen Ausgangspflanzenarten, von denen die eine, Teosinte, sicher ausreichend bekannt ist. Mais ist ein Kunstprodukt, dessen Zustandekommen allerdings Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende lang gedauert hatte. Er ist ein Fremdling aus Mittelamerika und gehörte also, um der gestrengen Ansicht von Naturschützern zu folgen, die so sehr gegen die Grüne Gentechnik aufbegehren, auch nicht hierher nach Europa.

Allerdings trifft das auch für den Weizen und die anderen bei uns angebauten Getreidesorten zu. Sie alle sind genetisch verändert – züchterisch, nur nicht »technisch« –, und sie stammen nicht von unserer Flur, sondern aus einer Region, die vor Kurzem noch »Reich des Bösen« genannt worden war. Eigentlich müssten wir uns mit Kohl und Rüben zufrieden geben; allerdings mit den einfachen Formen und nicht mit solchen genetischen Missbildungen wie Blumenkohl. Und die Hunde in ihrer züchterischen Vielfalt sollten wieder zurück in den alten Wolfspelz, von dem sie abstammen? Der Hochleistungsmilchkuh (»Turbokuh«), die mit ihrem Rieseneuter kaum noch gehen kann, käme es als Akt der tierschutzgerechten Menschlichkeit zugute, wenn sie wieder normal Milch geben und ihr Kälbchen versorgen dürfte. Die Gene für die exorbitant gesteigerte Milchleistung gehören einfach raus aus der Kuh.

Der Einwand, dass die züchterische Veränderung ja nur innerhalb der Art geschehen sei, hört sich fürs Erste zwar gut an, trifft aber, wie schon beim Mais ausgeführt, keineswegs so selbstverständlich zu, wie der Anschein erweckt wird. Aus Kreuzungen verschiedener Arten gingen manche der sehr geschätzten Zitrusfrüchte hervor. Die meisten Apfelsorten stammen von Klonen, Maultiere, von denen es mehrere Millionen gibt, die vor allem in schwierigem Gebirgsgelände den Menschen gute Dienste leisten und unter anderem auch in der Schweizer Armee eingesetzt werden, verdanken ihre Existenz (und Unfruchtbarkeit) Vater Esel und Mutter Pferd. Was ja nun fraglos eine »Überschreitung der Artgrenzen« darstellt. Was beim Maultier und der anderen möglichen Kombination, dem Maulesel (Mutter Esel), dazu geführt hat, dass die Bastarde steril sind (nicht ausnahmslos, aber fast immer), ist bei vielen Pflanzen Methode. Ein Großteil unserer in Feld und Flur wachsenden Pflanzen erweist sich bei genetischen Untersuchungen als gar nicht artrein. Die Botaniker verwenden daher den Begriff »Art« zurückhaltender als die Zoologen. Sie bezeichnen Zugehörige einer Gruppe von Pflanzen, die untereinander in freiem Austausch ihrer Gene stehen, lieber als »Sippe«. Und wie auch bei Sippen in der Menschenwelt kommt da mitunter so manches hinein, was vorher nicht vorhanden war.

All das ist noch längst nicht alles, sondern nur der äußerlich noch mehr oder weniger gut sichtbare Anfang. Blicken wir tiefer hinein ins Erbgut, auch in unseres, so werden Gene entdeckt, die wahrlich nicht hineingehörten. Solche von Viren und Bakterien vor allem, die sich einfach eingenistet haben. Wir schleppen sie mit wie die meisten anderen größeren Tiere auch. Manchmal stellen sie eine »genetische Last« dar, oft tun sie nichts, und selten einmal verhalten sie sich günstig.

Die große Zeit der genetischen Eindringlinge ist vorüber. Wer es geschafft hat, in die Zellen und hinein ins Genom zu kommen, betreibt Besitzstandswahrung. Ganz egoistisch, könnte man sagen. Zustande kommt der Anschein, dass alles zum Besten stehe, weil und wenn »die Art rein« ist. Nun, das mit der Art- oder Rassereinheit sollte als schlimme Ideologie längst entlarvt und verworfen sein. Wer sich für besonders rein hält, sollte vermeiden, Nachwuchs in die Welt zu setzen, dessen Aussehen die Reinheit blamiert, mit ihren Abweichungen aber vielleicht lebenstüchtiger ist.

Schieben wir daher hier zwei knallharte Fakten der Biologie ein: Die erste Feststellung besagt, dass genetische Vielfalt das entscheidende Überlebensprinzip ist. Arten oder Sippen, die zu einheitlich werden oder darauf hingezüchtet wurden, droht das vorzeitige Aus. Die zweite geht noch tiefer. Alles höhere Leben entstand aus der genetischen Kombination von vordem unabhängigen Kleinstlebewesen. Den eingedrungenen Fremdlingen ist es zu verdanken, dass Tiere (und damit auch wir Menschen) entstanden, weil sich winzige Bakterien mit besonderen Eigenschaften einnisteten. Die Biologen nennen diese längst fest zum Inventar der Zelle gehörenden Eindringlinge Mitochondrien. Sie sind die Mini-Kraftwerke unserer Zellen.

Ein anderer Typ, winzige kugelige Bakterien mit einem intensiv blaugrünen Farbstoff, gab den Anstoß für die eigenständige Entwicklung der Pflanzen. Und wer sich immer noch für einen genetisch reinen Menschen hält, sollte sich allmählich mit der Tatsache anfreunden, dass wir zu fast 99 Prozent Schimpansen, also Menschenaffen, sind. Mit diesen zusammen sind wir Affen (Primaten) und mit Ratte, Maus und allen anderen Säugetieren Zugehörige dieser Klasse von Wirbeltieren – und so fort bis »hinab« zu den Bakterien, von denen wir nach wie vor sehr viele Gene in unserem Erbgut tragen. Manches von dem, was in uns steckt, löst Erbkrankheiten aus oder begünstigt den Ausbruch von Krankheiten wie Krebs. Schlussendlich macht uns der genetische Mischmasch aber fit fürs Überleben.

Übrigens: Mit allem, was wir essen, nehmen wir Gene in uns auf. Mit allem, ausnahmslos. Bei Rohkost sogar eine ganze Menge noch »lebendiger« Gene. Vegetarier sind die bedeutendsten Verzehrer unzerstörter Gene unter uns Menschen. Es sieht nicht so aus, als ob ihnen das schadete; nicht einmal, wenn die Pflanzenprodukte ganz exotisch aus dem fernen Südostasien oder aus der Südsee kommen.

Naturgeschichte
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