Dienstag, 29. Mai 1962

Wir haben alles gut geplant. Jeder hat seine Aufgabe. Nico ist das Opfer, Karim der Fotograf, Ahmed der Bedroher, und ich bin derjenige, der nicht angezeigt werden kann.

Vier kleine Bastarde gegen einen großen. Das wird reichen.

Nach dem Unterricht teilt Nico Don Eugenio mit, dass er für die Beichte bereit ist.

Wir wissen, wo der Priester mit ihm hingehen wird. Nach Sant’Anselmo, ganz in der Nähe. Ins Pfarrhaus, in das Zimmer im ersten Stock, das Don Eugenio für seine Nachhilfestunden nutzt. Dort steht auch ein kleiner Beichtstuhl.

Als sie ankommen, sind wir längst da. Gut versteckt.

Er lässt ihn eintreten und schließt die Tür ab. Dann setzt er sich in den Beichtstuhl. Nico kniet sich davor und beginnt unverzüglich mit seinem Sermon, mit gelispeltem S.

»Wir haben uns angefasst. Mike, Ahmed, Karim und ich.«

»In welcher Weise, Nico? Ich muss alles wissen, sonst kann ich dir keine Buße auferlegen.«

»Wir haben alle unsere Unterhose heruntergezogen und uns da unten verglichen.«

Das S zischt auf bemerkenswerte Weise. Ahmed, Karim und ich müssen in unserem Versteck unter dem Schreibtisch ausharren, ohne in Gelächter auszubrechen.

»Zeig mir, wie, Nico. Steh auf.«

Der Priester tritt aus dem Beichtstuhl. Seine himmelblauen Augen fixieren Nico. Don Eugenios mildes Lächeln gleicht einer obszönen Fratze.

»Wie weit habt ihr eure Unterhosen denn heruntergezogen? Zeig doch mal.«

Nico zittert. Er weiß, dass wir dort versteckt sind. Warum schreiten wir denn nicht ein?

Weil das nicht reichen würde, Nico. Wir müssen weiter gehen. Du musst weiter gehen.

Mit geschlossenen Augen tut Nico, was er verlangt, und lässt die kurze Hose und die Unterhose bis zu den Kniekehlen hinabrutschen. Zum Schießen! Sein Hintern ist genauso behaart wie seine Waden, und das schon mit zwölf.

Im Rücken des Priesters kriecht Karim unter dem Schreibtisch hervor. Das Klicken der alten Kodak schreckt Don Eugenio auf. Er dreht sich um und blickt Karim und Nico entsetzt an.

»Wie kannst du es wagen, Nico? Ich lasse dich und deine ganze Familie exkommunizieren! Und was dich angeht, Bürschchen …«

Schließlich krabbele auch ich unter dem Schreibtisch hervor, und Don Eugenio verstummt. Ich bin ein großes Problem für ihn. Was soll er meinem Vater sagen?

Aber wir wissen, dass das noch nicht reicht. Ahmed zeigt sich ebenfalls und stellt sich zwischen Nico und den Priester. Er hält das Schweizer Messer in der Hand, das von unserem Blutspakt, das Messer, mit dem er Skorpione aufspießt und tollwütigen Hündinnen die Kehle durchtrennt.

Don Eugenio wird blass. Er kann sich nicht entscheiden, ob er uns eine Ohrfeige verpassen oder erst einmal abwarten soll.

Ahmed nimmt ihm jeden Zweifel, indem er ihm die Klinge des Taschenmessers gegen den Adamsapfel drückt. Ein Tropfen Blut tritt aus.

Der erste Tropfen von so viel Blut.

Wer weiß, warum ich das denke.

»Wir verraten nichts. Aber wir haben die Fotos«, sage ich zu dem Priester.

Ahmed reicht diese Drohung nicht.

»Wenn du noch einmal einen meiner Freunde anfasst, schneide ich dir die Kehle durch, jawad2. Hast du verstanden?«

Und nun weiß ich, warum ich das gedacht habe.

Weil Ahmed es wirklich tun würde.

Seit ein paar Monaten bringt Marlene Laura das Fotografieren bei. In einem Abstellraum der Villa haben sie eine Dunkelkammer eingerichtet, und Laura hat schon gelernt, wie man Filme entwickelt. Weil wir ihre Hilfe brauchen, weihen wir sie in die Sache mit den Fotos ein. Dass wir Don Eugenio das Messer an die Kehle gesetzt haben, erwähnen wir nicht.

Ich hatte schon befürchtet, dass sie nicht gutheißen würde, was wir getan haben.

»Hast du etwa auch mitgemacht, Karim?«

Als wären wir drei skrupellose Schurken und Karim ein Heiliger.

Karim wendet den Blick ab.

Ich komme auf den Punkt. »Jetzt müssen wir die Fotos entwickeln.«

Sie schneidet eine amüsierte Grimasse.

»Ach, wirklich? Und wo wollt ihr das tun? Vielleicht bei dem Fotografen an der Kathedrale?«

»Wir mussten Nico doch helfen!«, sagt Karim.

Sie denkt nach. Karim vertraut sie mehr als uns.

»Habt ihr Don Eugenio geschlagen?«, fragt sie.

»Nein, nein!«, antwortet Karim eilig.

»Nein, gewiss nicht, das schwöre ich«, bestätigt Nico und kreuzt die Finger hinter dem Rücken.

Dann schlägt er ein Kreuzzeichen. Laura muss über das gelispelte S lachen. Es rührt sie und stimmt sie nachgiebig.

Sie sieht mich an. »Wenn du Ahmed folgst, wirst du wie er, Mike.«

Ihre Stimme klingt traurig, sie macht sich Sorgen um mich. Mir ist klar, was sie meint.

Ein Verbrecher, ein Gangster.

Ahmed sieht sie kühl an und schweigt. Dann trifft Laura eine Entscheidung. Ich weiß, dass sie es für Nico tut.

»Na gut, ich helfe euch. Gib mir den Film, Mike. Ich entwickle die Fotos.«

Ahmed schüttelt den Kopf.

»Glaub ihr nicht, Mike. Sie ist ein Mädchen. Und sie ist crazy

Laura will gehen. Ich halte sie am Arm fest, aber sie schüttelt meine Hand heftig ab. Eine Haarsträhne verdeckt ihre hellen Augen, die Augen ihres Vaters. Sie ist wütend.

»Du bist ein Idiot, Michele Balistreri. Hör nur auf deinen Freund Ahmed, dann wirst du ein Gangster wie die in deinen geliebten Cowboyfilmen.«

Ich überreiche ihr den Film mit den Fotos. Niemand sagt ein Wort. Sie geht.

2 Schwuchtel

Costantini R.,Die Saat des Bösen
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