ACHTZEHN

 

Ihr Hund befand sich an ihrer Seite, sah allerdings ganz anders aus als der Höllenhund, also Snarly Yow oder Black Shuck, an den ich mich erinnerte.

Dieser Hund war winzig.

Und nervös.

Er gehörte zu der Art Hunde, die ständig kläfften und ihre Pfoten nie stillhalten konnten.

Während wir Buttercup gesucht hatten, hatte ich mein Bestes gegeben, um Bodhi in alles einzuweihen, was ich über Rebecca erfahren hatte. Ich hatte versucht, ihm klarzumachen, wie schlecht und böse sie war, aber ein Blick auf sein Gesicht reichte, um zu erkennen, dass er sich nicht sicher war, ob er mir glauben sollte.

Er war hin- und hergerissen.

Trotz allem, was ich ihm erzählt hatte, ließ er sich so sehr von ihrem zuckersüßen Aussehen in ihrem mit Schleifen besetzten Kleid beeinflussen. Er bezweifelte ernsthaft, dass jemand, der so harmlos und sanft wirkte, dazu fähig war, eine solche Höllenblase zu erschaffen.

Jungs.

Sie sind alle gleich.

Alle lassen sich so leicht von einem strahlenden, glänzenden, zuckersüßen Auftreten beeinflussen.

Mein Körper verkrampfte sich, als sie auf uns zukam. Ich beobachtete, wie sie den Boden unter ihren Füßen in einen blühenden, federnden, dichten Teppich aus grünem Gras mit gelben Blüten verwandelte, die genau zu der großen Schleife an ihrem Kleid passten. Ihr Lächeln wirkte ein wenig steif, aber trotzdem strahlend, und ihre Augen verbargen eine Welt voller Geheimnisse, die ich nicht einmal ansatzweise erraten konnte. Sie streckte ihre Hand aus und bot uns ein großes, beschlagenes Glas mit irgendeiner eiskalten, trüben Flüssigkeit an.

»Durstig?«, fragte sie. Ihre Stimme klang so hoch und honigsüß, dass ich bei dem Klang das gleiche Gefühl hatte, wie an Halloween, wenn ich zu viele Süßigkeiten in mich hineingestopft hatte. Schnell griff ich nach Buttercup. Ich wollte ihn nah an meiner Seite haben und war fest entschlossen, ihn nicht in die Nähe ihres kleinen Köters zu lassen, der sich jederzeit wieder in ein grässliches Höllenvieh verwandeln konnte.

Ich warf Bodhi einen Blick zu, um zu überprüfen, auf welche Weise er sie anschaute. Ich beobachtete ihn genau, so als würde ich eine Art Mittelweg zwischen all den Dingen, die ich ihm erzählt hatte, und dem, was seine Augen ihm sagten, finden wollen. Er machte ein finsteres Gesicht, und sein Strohhalm, der normalerweise zwischen seinen Lippen auf und ab hüpfte, war komplett zum Stillstand gekommen.

»Warum gönnst du dir nicht eine kleine Pause mit einem köstlichen Getränk? Nach allem, was du durchgemacht hast, hast du dir das verdient.« Sie hielt ihm das Glas entgegen und sah ihm tief in die Augen, aber Bodhi blieb unbeweglich stehen und musterte sie. Er kniff seine Augen so fest zusammen, dass ich nicht in ihnen lesen konnte und keine Möglichkeit hatte herauszufinden, was er denken mochte.

»Du solltest nicht so hart mit dir ins Gericht gehen, weißt du. Du solltest mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich dir nicht mehr böse bin, weil du dich so feige verhalten hast und so sehr in deiner schwachen Persönlichkeit gefangen warst, dass du keine Anstalten gemacht hast, mir zu helfen.«

Ich starrte beide an, und obwohl ich immer noch nicht genau erkennen konnte, was Bodhi sah, wurde mir klar, dass sich irgendetwas geändert hatte.

Es war die Art und Weise, wie die Luft um sie herum sich bewegte und schimmerte. Für mich war sie nur noch unscharf zu sehen, kaum mehr zu erkennen, aber vor seinen Augen erschien sie kristallklar. In diesem Moment begriff ich, dass sie, zumindest für Bodhi, wieder aussah wie Nicole.

Ich griff nach seiner Hand. Ich hatte Angst, ihn abermals an seine ureigenen Seelenqualen zu verlieren, aber er entfernte sich von mir und trat auf sie zu. Er griff unbeirrt und mit festem Blick nach dem Getränk. Doch ich durfte nicht zulassen, dass er es trank.

Ich streckte meine Hand aus, fest entschlossen, Bodhi davon abzuhalten. Meine abrupte Bewegung alarmierte ihren Hund. Er senkte den Kopf, machte den Rücken krumm, wandte sich mir zu und stieß ein tiefes, bedrohliches Knurren aus.

Doch Bodhi hatte bereits zugegriffen.

Er hatte seine Finger um das Glas gelegt und starrte Rebecca an. »Du verschwendest deine Zeit«, sagte er. Er riss ihr das Glas aus der Hand und schleuderte es zwischen die Bäume. »Dein Zauber wirkt auf mich nicht mehr. Du bist nicht Nicole. Tatsächlich bist du ihr nicht einmal ähnlich. Und nur damit du es weißt: Ich habe losgelassen. Ich habe mir selbst verziehen. Und das bedeutet, dass du keine Macht mehr über mich hast, denn ich bin nicht länger zornig.«

Sie gab sich große Mühe, ihre Reaktion zu verbergen. Das muss ich ihr zugestehen. Aber die Art, wie sie ihren Kopf zur Seite neigte und ihr Kinn hob, und die Weise, wie ihre Lider flatterten, als sie ihn musterte, verriet, dass sie das nicht erwartet hatte.

»Wie du willst.« Sie zog ihre zarten Schultern nach oben und ließ den Schimmer verschwinden, bis sie wieder zu ihrem übertrieben ausstaffierten Selbst zurückgekehrt war. Ihr Blick huschte zu mir herüber. »Wie steht’s mit dir, Riley?«, fügte sie hinzu. »Möchtest du einen Schluck?« Ihr Blick wurde düster und unergründlich, während sie ein neues Teeglas in ihrer Hand manifestierte. »Ich verspreche dir, das hat nichts mit diesem falschen Erinnerungstee zu tun, den der Prinz dir angeboten hat.« Sie verdrehte die Augen und schüttelte anmutig ihren Kopf. »Du hast hoffentlich begriffen, dass er verrückt ist, oder? Ich meine, du glaubst doch nicht wirklich, dass er ein Prinz ist?« Sie schürzte die Lippen und lächelte geziert, während sie eine Augenbraue auf eine hochmütige, arrogante Art nach oben zog.

»Zunächst war er einer der Arbeiter meines Vaters – und kein sehr guter, möchte ich hinzufügen. Und außerdem war er ein Mörder.« Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein, damit ihre Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. »Aber niemals ein Prinz, das kann ich dir versichern. Du weißt, dass er dafür verantwortlich ist, was mir zugestoßen ist, richtig? Er war ein Mitglied dieser Gruppe von Rebellen, die einen Aufstand planten. Das ist wahr!«, sagte sie eindringlich, als sie meine Miene sah und zu Recht daraus schloss, dass ich ihr kein einziges Wort glaubte. »Und du bist eine Närrin, wenn du ihm glaubst und Mitleid für ihn empfindest. Ganz zu schweigen davon, dass auch du eine Heuchlerin bist.«

Ich wartete neugierig ab, worauf sie hinauswollte. Sie ließ sich nicht lange bitten, es mir zu erklären.

»Alle Mörder landen irgendwann im Gefängnis, also wo liegt der Unterschied?«

»Weil es etwas ganz anderes ist«, verteidigte Bodhi mich sofort, obwohl das nicht wirklich nötig war. »Es ist ganz und gar nicht das Gleiche. Du hast kein Recht, dich in die Reise irgendwelcher Seelen einzumischen – überhaupt kein Recht! Und ich spüre tief in meinem Inneren, dass du das weißt – sonst würdest du keine solche Abwehrhaltung an den Tag legen.«

Sie wurde zornig. Ihre Augen glühten beinahe so, wie die ihres Höllenhundes es getan hatten. »Du glaubst, so viel zu wissen. Ihr beide glaubt, ihr könnt einfach in mein Gebiet eindringen und mich herumschubsen, nur weil euch ein komisches Glühen umgibt.« Sie umklammerte das Glas so fest, dass ich sicher war, es würde gleich in ihrer Hand zerspringen. Die Art, wie sie uns anstarrte, verriet uns, wie aufgebracht sie war. Es war, als würde all die Hässlichkeit in ihrem Inneren an die Oberfläche dringen. Ihr Haar stellte sich auf, wurde wirr und struppig, und ihr Hass strahlte so gleißend, dass ich alle meine Kraft zusammennehmen musste, um nicht wegzuschauen.

Und ich fragte mich unwillkürlich, ob sie tatsächlich glaubte, was sie über den Prinzen gesagt hatte. Und über ihre Gründe, ihn und all die anderen Sklaven hier festzuhalten und einzusperren, oder ob sie sich diese Geschichte nur selbst vorsagte, um eine Entschuldigung für ihr Handeln zu haben.

Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

»Ihr wisst nichts!«, schrie sie uns an, während ihr Gesicht sich vollkommen verwandelte. »Ihr wisst nichts – rein gar nichts

Sie fuhr fort zu toben und zu kreischen, und es war kein Ende in Sicht. Ich hatte allmählich die Nase voll von diesen Drohungen und ihrem theatralischen Gehabe, und außerdem war ich erpicht darauf, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich sah sie an und sagte: »Also gut. Ich werde mir das selbst anschauen. Gib schon her.« Ich war zwar fest davon überzeugt, dass sie eine bösartige, total verzogene Göre war, aber ich wusste auch, dass jede Geschichte zwei Seiten hatte. Und um sie zu verstehen, musste ich mir ihren Standpunkt anschauen.

Sie hielt inne, ihre Augen weiteten sich. Offensichtlich fragte sie sich, ob es sich um irgendeinen Trick handelte.

Aber es war kein Trick. Ich meinte es ganz ernst. Und obwohl Bodhi keine Zeit verschwendete und warnend nach meinem Arm griff, war es bereits zu spät.

Ich griff schon nach dem Glas.

Zupfte bereits ein Glitzersteinchen von ihrem Kleid und warf es hinein.

Setzte das Glas an meine Lippen.

Verpflichtete mich zu dieser Reise, ganz gleich, welches Szenario ich dort vorfinden würde.

Bodhis Stimme war nur noch ein leises Echo, als er mich bat, es zu lassen, mich anflehte, das nicht durchzuziehen.

Aber das änderte nichts mehr.

Ich hatte ihre Welt längst betreten.

Riley - Im Schein der Finsternis -
titlepage.xhtml
dummy_split_000.html
dummy_split_001.html
dummy_split_002.html
dummy_split_003.html
dummy_split_004.html
dummy_split_005.html
dummy_split_006.html
dummy_split_007.html
dummy_split_008.html
dummy_split_009.html
dummy_split_010.html
dummy_split_011.html
dummy_split_012.html
dummy_split_013.html
dummy_split_014.html
dummy_split_015.html
dummy_split_016.html
dummy_split_017.html
dummy_split_018.html
dummy_split_019.html
dummy_split_020.html
dummy_split_021.html
dummy_split_022.html
dummy_split_023.html
dummy_split_024.html
dummy_split_025.html
dummy_split_026.html
dummy_split_027.html
dummy_split_028.html
dummy_split_029.html
dummy_split_030.html
dummy_split_031.html
dummy_split_032.html
dummy_split_033.html
dummy_split_034.html
dummy_split_035.html
dummy_split_036.html
dummy_split_037.html
dummy_split_038.html
dummy_split_039.html
dummy_split_040.html
dummy_split_041.html
dummy_split_042.html
dummy_split_043.html
dummy_split_044.html
dummy_split_045.html
dummy_split_046.html
dummy_split_047.html
dummy_split_048.html
dummy_split_049.html
dummy_split_050.html
dummy_split_051.html
dummy_split_052.html
dummy_split_053.html
dummy_split_054.html
dummy_split_055.html
dummy_split_056.html
dummy_split_057.html
dummy_split_058.html
dummy_split_059.html
dummy_split_060.html
dummy_split_061.html
dummy_split_062.html
dummy_split_063.html
dummy_split_064.html
dummy_split_065.html
dummy_split_066.html
dummy_split_067.html
dummy_split_068.html
dummy_split_069.html