FÜNFZEHN

 

Ich sank auf die Knie, warf mich in die Asche, die meine Kleidung sofort schwärzte, und weinte, schrie, fluchte und jammerte genauso, wie ich es auch damals getan hatte.

Aber das brachte meine Familie nicht zurück.

Und es verwandelte mich auch nicht zurück in die Person, die ich einmal war.

Trotzdem konnte ich nicht aufhören. Ich schaffte es einfach nicht, mich von dieser Szene loszureißen.

Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren als auf diesen unendlichen Kreis der Wut und des Zorns, der mich zu verschlingen drohte.

Falls ihr wissen wollt, wie lange das ging – tja, ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Ich schätze, der Zeitraum lag irgendwo zwischen einer Ewigkeit und einigen Sekunden. Auf jeden Fall dauerte es viel zu lange, um so weiterzumachen.

Aber dann, während ich noch schrie und einen Wutanfall nach dem anderen hatte, trat plötzlich eine Pause ein. Eine kurze Atempause, die bestenfalls einen Sekundenbruchteil andauerte.

Ein kleiner Aufschub, währenddessen – ich kann es nicht anders formulieren – ein Moment der Stille auftauchte.

Ein kleiner, heller Punkt, an dem Zorn nicht existieren konnte.

Und obwohl es nur einen Augenblick anhielt, war ein Teil von mir von diesem Moment an nur noch darauf konzentriert, dass es noch einmal geschah.

Und beim nächsten Mal schien es ein wenig länger anzudauern, danach sogar noch länger.

Bis sich schließlich diese winzige, strahlende Lücke der Stille ausdehnte und wuchs, bis sie sich so weit ausgebreitet hatte, dass ich es gerade schaffte hindurchzuschlüpfen.

Mein Zorn verebbte, meine Wut verflog. Das machte es mir möglich, meine Situation ganz klar zu sehen. Es war nicht mehr zu leugnen, dass ich mich in keiner Weise von all den anderen unterschied, die an diesem Ort festsaßen.

Wir waren alle ebenso zornig und unversöhnlich, wie Rebecca uns gern sehen wollte.

Ich war mit Sicherheit mit all diesen verlorenen und einsamen Seelen ebenso verbunden, wie sie mit mir.

In diesem Bruchteil einer Sekunde hatte ich die Wahrheit von allem sehen können – und das war alles, was nötig war, um mich zu befreien.

Das genügte, um mir klarzumachen, dass ich nicht allein war, und es auch niemals gewesen war. Ich hatte nichts zu befürchten. Es gab nichts, worüber ich wütend sein sollte. Natürlich hatte ich mir niemals vorstellen können, dass mein Leben so enden würde, aber ich konnte auch nicht abstreiten, dass es auf die eine oder andere Weise besser geendet hatte, als ich mir das jemals hätte ausmalen können.

Ich stand auf und beobachtete verblüfft, wie das versengte Feld verschwand und den Blick auf die Seifenblase freigab, wie sie tatsächlich war – ganz anders, als die Sicht, die Rebecca mir hatte vermitteln wollen.

Es gab keine fallende Asche oder verbrannten Bäume mehr, die sich in Vorschulklassenzimmer verwandelten. Keine weiten, öden Felder mehr, und keine Familienausflüge, die abrupt endeten. Es gab nur noch einen dunklen, trüben See, in dem sich zutiefst unglückliche, sich windende Seelen drängten, jede in ihrer eigenen Hölle gefangen und gequält.

Ich ging zwischen ihnen hindurch und fragte mich, was aus dem Prinzen geworden war, während ich Ausschau nach Bodhi und Buttercup hielt. Ich konnte es kaum erwarten, sie auf die gleiche Weise zu befreien, wie ich befreit worden war. Ich schob mich durch das Gedränge, vorbei an einem endlosen Kreislauf von Schmerz und Elend und jahrhundertealtem Leid, während ich mich verzweifelt bemühte, mich auf das zu konzentrieren, was ich gerade gelernt hatte und was ich jetzt nicht vergessen durfte. Währenddessen versuchte ich, meine aufsteigende Panik zu unterdrücken und gegen meine eigenen düsteren Impulse anzukämpfen.

Und dann blieb ich plötzlich stehen. Direkt in diesem Chaos, inmitten von all diesem unaufhörlichen Schmerz. Ich überlegte mir, dass ich, wenn wir wirklich alle miteinander verbunden waren, nicht weit laufen musste. Wenn ich überhaupt noch weitergehen musste. Ich sollte eigentlich einfach dort bleiben, wo ich mich befand, die Ruhe bewahren und mich in aller Stille auf diese Seifenblase der verlorenen Seelen einstimmen. Und, wie der Prinz gesagt hatte, deren Geschichten auf mich zukommen lassen.

Also schloss ich meine Augen und versuchte, den Nebel aus fieberhafter Energie zu durchblicken, um meinen Hund und meinen Führer ausfindig zu machen.

Glücklicherweise kann ich berichten, dass es nicht allzu lang dauerte, Bodhi zu finden – zu ihm vorzudringen war jedoch eine ganz andere Sache.

Riley - Im Schein der Finsternis -
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