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SIEBZEHN
 
Wie sich herausstellte, hatte Bodhi, mein Führer, Lehrer, Trainer, Berater und Boss, offensichtlich selbst einen Führer, Lehrer, Trainer, Berater und Boss. Und dieser war, wie sich ebenfalls herausstellte, nicht wirklich begeistert von Bodhis bisherigen Leistungen.
Obwohl sein heutiger Tag damit begonnen hatte, dass er wegen einer Art Abschlussfeier auf die Bühne geholt worden war, wie ich von ihm erfuhr, gab es noch einiges für ihn zu tun.
Viele Anforderungen, denen er noch gerecht werden musste – sozusagen.
Das war zumindest das Wesentliche, was ich seiner weitschweifigen Litanei von unbestimmten, vagen, bewusst mehrdeutigen gemurmelten Bemerkungen entnehmen konnte. Er achtete sorgfältig darauf, mir keine Details zu verraten.
Und, glaubt mir, ich musste mich schon glücklich schätzen, überhaupt so viel zu erfahren. Ich fing an, ihn zu piesacken, um mehr zu erfahren. Ich wollte wissen, wer genau sein Führer war, ob es sich vielleicht um ein Mitglied des großen Rats handelte oder um jemand anderen, und was genau sein Aufgabenbereich war. Was genau von einem Führer erwartet wurde, und mit welchen Konsequenzen man rechnen musste, wenn man seine Aufgaben nicht erfüllte. Was ihm passieren würde, wenn es ihm nicht gelang, mir zu helfen, alles zu lernen, mich weiterzuentwickeln und mich zu bessern. Doch da machte er sofort dicht.
Und als ich weiter nachbohrte, um zu erfahren, was ich wirklich wissen wollte – warum er bei dem bloßen Gedanken an die Aufgabe, die ihn erwartete, so ängstlich dreinschaute und beinahe ausflippte -, drehte er sich einfach um.
Er schaltete ab, weigerte sich, mit mir zu reden und wandte mir den Rücken zu.
Er krümmte die Schultern und schwieg beharrlich.
Und weigerte sich, noch irgendetwas preiszugeben.
Als ich schließlich aufhörte, ihn mit Fragen zu bombardieren, und ihm stattdessen meine Hilfe anbot (ich hätte alles getan, um bei Tagesanbruch in London zu sein), schüttelte er nur den Kopf. »Das ist meine Sache. Es ist unbedingt erforderlich, dass ich das allein erledige.«
Großartig. Ich verzog mürrisch das Gesicht und warf einen verstohlenen Blick auf die Großvateruhr im Flur. Sollte diese Aufgabe auch nur annähernd so viel Zeit in Anspruch nehmen wie meine, dann würde ich erst bei Anbruch der Nacht in London sein. Wenn überhaupt.
»Hör zu.« Ich lächelte ihn an. Meine Beweggründe waren nicht wirklich uneigennützig, das war mir bewusst. Ich verhielt mich viel zu selbstsüchtig, als dass irgendjemand mein Verhalten für selbstlos halten würde, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. »Ich bin eine Auszubildende, richtig? Und es ist dein Job, mir … na ja … etwas beizubringen, oder?«
Er nickte auf seine übliche zurückhaltende Art und neigte den Kopf nur ganz leicht nach vorne, so dass ich das als Zustimmung deuten konnte – wenn auch nur, weil mir das die Sache erleichterte und ich ein Stück vorankam.
Ich schlich mich an ihn heran und beobachtete, wie er weiter auf diesem zerdrückten Strohhalm herumkaute. »Wenn wir das berücksichtigen, dann gibt es doch keinen besseren Weg, mich etwas zu lehren, als mir zu gestatten, dem Meister bei der Arbeit zuzuschauen. Damit meine ich dich. Welche Methode wäre besser, etwas Neues zu lernen, als zuzusehen, wie etwas gemacht wird? Aus erster Hand. Und vielleicht – nur vielleicht – könnte ich dabei Erfahrungen sammeln, indem ich mich aktiv beteilige. Selbstverständlich nur, wenn du mir die Erlaubnis dazu erteilst«, fügte ich rasch hinzu, als ich sah, wie sich seine Mundwinkel bei meinem letzten Satz nach unten zogen. »Also, was hältst du davon? Dein Führer wird dich sicher nicht dafür tadeln, wenn du mich zuschauen lässt, wie du deine Aufgabe erfüllst.«
Bodhi sah mich an und wog offensichtlich die Vor-und Nachteile in Gedanken ab. Dann spähte er in den langen Flur und seufzte. »Also gut. Aber vergiss nicht, dass du darum gebeten hast.«