DREIZEHN
Das Erste, was ich sah, als ich den Raum betrat, war
…
Nein, streicht das.
Lasst mich zuerst erzählen, was ich nicht gesehen
habe.
Ich habe den Radiant
Boy nicht gesehen.
Und das war auch
kein blaues Zimmer.
Tatsächlich befand
sich in diesem Raum nichts in einer Farbe, die man nur annähernd
als Blau hätte bezeichnen können.
Wenn überhaupt, dann
war das ein gelbes Zimmer, das ich betreten hatte.
Ein Raum so
unglaublich hell und gelb, dass meine Augen bei dem Anblick
schmerzten.
»So schnell
zurück?«, rief Bodhi mir zu. Er lehnte in seiner nachlässigen Art
am Treppengeländer und kaute auf einem grünen Strohhalm – eines
dieser Dinger, die man bei Starbucks bekommt – anstatt auf seiner
Unterlippe, wie er es noch vor wenigen Minuten getan hatte. Er
schien kein bisschen überrascht zu sein, dass ich so früh klein
beigegeben hatte.
Aber ich hatte nicht
aufgegeben.
Davon war ich weit
entfernt.
Im Gegenteil – ich
war ihm auf die Schliche gekommen.
Er versuchte immer
noch, Psychospielchen mit mir zu treiben. Und ging dabei so weit,
dass er mich in ein falsches Zimmer schickte.
Ein toller
Führer!
Aber das war kein
Problem für mich. Eigentlich brauchte ich Bodhis Hilfe ohnehin
nicht. Ich meine, wie sollte er mir wohl helfen, wenn er mich ganz
offensichtlich in Wahrheit zu sabotieren versuchte?
Er hatte große Angst
davor, dass ich in der Sache, bei der er kläglich versagt hatte,
erfolgreich sein könnte, und würde deshalb nichts unversucht
lassen, damit ich scheiterte.
Mir reichte es.
Sobald ich zurückgekehrt war, würde ich sofort Aurora aufsuchen.
Oder eines der anderen Mitglieder des großen Rats, wenn sie keine
Zeit hatte. Und dann würde ich einen anderen Führer anfordern. Oder
noch besser – ich würde Bodhis Führer werden. Und ganz oben auf
meiner Liste für ihn würde ein Umstyling von Kopf bis Fuß stehen.
Ich würde darauf bestehen, dass er diese Brille wegwarf, ebenso
seine Klamotten, und würde mit seinem Haarschnitt beginnen – und
das wäre nur der Anfang. Wenn das erledigt war, und man sich nicht
mehr in Grund und Boden schämen musste, wenn man mit ihm gesehen
wurde, konnte man weitersehen …
»Rühr dich nicht von
der Stelle. Wir sind hier noch nicht fertig!«, rief ich ihm über
die Schulter zu, während Buttercup und ich dem Gang folgten. »Du
hast mich in das falsche Zimmer geschickt, aber das weißt du ja, da
bin ich mir sicher. Aber mach dir keine Mühe. Du brauchst all deine
Energie für den Flug nach London, also bleib, wo du bist. Es wird
nicht mehr lange dauern, bis ich diesen Furcht erregenden
Zehnjährigen gefunden und ihn in das süße Jenseits befördert habe.
Und sobald er im Hier gelandet ist, können wir uns auf den Weg
machen.«
Ich steckte meinen
Kopf in einige der Türen in dem Gang, und nachdem ich ein grünes,
ein weißes und ein rosa Zimmer entdeckt hatte, fand ich den Raum
endlich.
Von dem Radiant Boy
fehlte allerdings jede Spur. Aber die Farbe Blau war im Übermaß
vorhanden. Und damit meine ich, es gab jede Menge Blau. Wie im
Meer. Unzählige Meter blauen Stoffs waren zu Vorhängen, Kissen und
Decken verarbeitet worden, und selbst die kleine antike Couch und
der dazu passende Stuhl – ich glaube, man nennt das Sitzgarnitur –
waren damit bezogen. Die Wände waren in einem darauf abgestimmten
Farbton gestrichen.
Überall Blau – ich
ertrank beinahe in Blau. Und als ich zu Buttercup hinübersah, der
eifrig alle vier Ecken des Raums und dann den Rest beschnüffelte,
fragte ich mich, wie er die vorherigen Zimmer wahrgenommen hatte.
Vielleicht hatte ihn der Tod irgendwie davon geheilt, dass er wie
alle Hunde die meisten Farben des Spektrums nicht sehen
konnte.
Und obwohl wir uns
eindeutig im richtigen Raum befanden, war kein zehnjähriger Radiant
Boy in Sicht. Und es gab hier auch nichts, was ihm nur im
Entferntesten ähnelte.
Außer mir und
Buttercup war in diesem Zimmer nichts Erdgebundenes
vorhanden.
Aber so ist das mit
Geistern. Sie bleiben nicht immer an einem Ort, wie die meisten
Leute glauben. Natürlich haben sie ihre Vorlieben und eine
gleichbleibende Routine. An manchen Orten halten sie sich öfter auf
als an anderen, und dort führen sie ihr Theater immer wieder und
wieder auf die gleiche Weise auf. Aber meistens halten sie sich
nicht an Grenzen. Sie können gehen, wohin auch immer es sie zieht.
Und wann sie wollen. Sie können es sich aussuchen und müssen
lediglich ihre Wahl treffen. Und ich weiß das, denn ich gehörte
selbst mal zu ihnen.
Das hieß allerdings
nicht, dass ich mich jetzt auf die Jagd nach ihm machen würde,
denn, soweit ich das einschätzen konnte, gab es in diesem Gebäude
noch mindestens einhundert weitere Zimmer. Und da es schon beinahe
Nacht war und Bodhi irgendetwas davon gesagt hatte, dass der Junge
gerne anderen einen Mordsschrecken einjagte, fand ich, dass ich am
besten warten sollte, bis die Sonne unterging, der Himmel dunkel
wurde und er mit seiner nächtlichen Horrorshow anfing.
Eines wusste ich mit
Sicherheit – alle zehnjährigen Jungs waren gleich. Tot oder
lebendig, das machte keinen Unterschied. Sie waren alle lästig und
zum Kotzen – unglaubliche Nervensägen, die es genossen, ihre Umwelt
zu schikanieren. Und nach allem, was ich bis jetzt gehört hatte,
war dieser Junge keine Ausnahme.
Ich kletterte auf
das riesige Himmelbett. Es war so hoch, dass tatsächlich ein
kleiner Tritthocker daneben stand, damit man hinaufkam. Ich legte
mir die Kissen so zurecht, wie es mir gefiel, und klopfte dann auf
die Überdecke, um Buttercup aufzufordern, heraufzuspringen und mir
Gesellschaft zu leisten. Dann lehnten wir uns zurück und warteten.
Wir warteten so lange, dass wir beide in einen angenehmen, tiefen,
geräuschlosen Schlaf fielen.
Bis jemand die
Frechheit besaß, sich heimlich neben uns zu legen.
Als ich spürte, wie
sich die Matratze neben mir senkte, sich verschob und wackelte, war
ich noch so tief in meinen Träumen, dass ich mir nicht viel dabei
dachte. Doch dann, als die Schnarchgeräusche von beiden Seiten an
meine Ohren drangen, riss ich die Augen auf und wandte meinen Kopf
nach rechts. Neben mir lag ein großer Mann mit buschigen
Augenbrauen, der durch sein eigenes Schnarchen praktisch vibrierte.
Und als ich nach links schaute, fiel mein Blick auf eine Frau,
deren Augenbrauen nicht ganz so buschig waren (aber viel fehlte
nicht dazu) und die ebenfalls schnarchte.
Ich war zwischen
ihnen eingeklemmt.
Eingezwängt zwischen
zwei ziemlich großen, laut schnarchenden Menschen, die ich noch nie
zuvor gesehen hatte.
Und ich war so
durcheinander, dass ich nicht anders konnte, als meinen Mund
aufzureißen und einen langen Schrei auszustoßen. Damit weckte ich
sofort Buttercup, der seine Nase zur Decke hob und begann, wie ein
Verrückter zu heulen und zu bellen. Er stellte die Ohren auf,
schaute mich aufmerksam an und wedelte wie wild mit dem Schwanz.
Offensichtlich dachte er, es ginge um ein Spiel, und wartete auf
ein weiteres Kommando.
Aber das war kein
Spiel.
Ganz und gar
nicht.
Ich war unsanft
aufgeweckt und beinahe zu Tode erschreckt worden, aber, was noch
wichtiger war, ich hatte so laut losgeschrien, dass ich Bodhi
förmlich im Gang vor mir stehen sah. Er führte einen lahmen
Siegestanz auf, und der Strohhalm hüpfte zwischen seinen Lippen wie
verrückt auf und ab, während er dabei in die Hände
klatschte.
»Großartig«,
murmelte ich, tätschelte Buttercups Kopf und versuchte, ihn zu
beruhigen, obwohl ich wusste, dass uns das schlafende Pärchen nicht
hören konnte, solange wir das nicht wollten. Und, um die Wahrheit
zu sagen, selbst dann meistens nicht. Nur wenige Menschen konnten
sich auf Tote richtig einstellen, obwohl es einige gab, da war ich
mir sicher. »Das ist ja echt toll.« Ich schüttelte den Kopf und
schob mich zwischen dem schnarchenden Pärchen hindurch Richtung
Bettkante. Ich wünschte, dieses strahlende Kind würde endlich
auftauchen und sich zeigen, damit ich ihn über die Brücke führen
und diese ganze Sache hinter mich bringen konnte.
Ich ging zu der
Frisierkommode hinüber und warf einen Blick auf ihre Sachen, um
einen Hinweis darauf zu bekommen, was genau sie hier machten. Ich
schraubte den Verschluss von einer Flasche mit Kölnisch Wasser ab,
das nach vertrockneten Piniennadeln roch (igitt), bevor ich an dem
Parfumflakon daneben schnüffelte und eine widerwärtige Mischung aus
Mottenkugeln und alten, verdorrten Zweigen in meine Nase stieg
(doppelt igitt). Der Gestank war so grässlich, dass mir die Flasche
versehentlich aus den Fingern glitt und mit einem ohrenbetäubenden
Knall auf dem Boden landete.
Na ja, eigentlich
ertönte eine ganze Reihe von lauten Geräuschen, während ich, vor
Panik erstarrt, zusah, wie die Flasche über den Boden rollte und
Buttercup ihr hinterherjagte.
Ich starrte auf das
schlafende Pärchen. Obwohl ich wusste, dass sie uns nicht hören
oder sehen konnten, solange wir das nicht wollten und wir nicht
ihre eigene Energiequelle anzapften, um uns vor ihnen zu
manifestieren, konnte ich sie nicht daran hindern, das Geräusch
eines unbelebten Objekts zu hören, das auf dem Boden zerschellte.
Und ich sah, dass sie beide ein wenig zitterten und sich leicht
bewegten. Also wusste ich, dass sie den Krach wohl unterbewusst
gehört, allerdings beschlossen hatten, sich davon nicht in ihrem
Schlaf stören zu lassen.
Ich ging zu ihren
überquellenden Koffern hinüber, gespannt darauf, was sie für ihren
Wochenendausflug in einem Spukschloss eingepackt hatten. Buttercup
beschäftigte sich immer noch begeistert mit der Parfumflasche und
schlug mit seiner Pfote so fest dagegen, dass sie durch den Raum
geschleudert wurde und gegen eine Wand prallte. Sie zerbrach in
eine Million winziger, übel riechender Scherben.
»Prima, Buttercup.«
Ich rollte die Augen und sah ihn kopfschüttelnd an. »Gut gemacht!«
Ich seufzte, während er seinen Schwanz einzog und den Kopf senkte.
Er wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte, und wollte mir daher
nicht zu nahe kommen. Und ich dachte darüber nach, eine neue Leine
für ihn zu manifestieren. Er würde sie hassen, das wusste ich, aber
anscheinend war sie nötig. Doch dann hörte ich ein
Klicken.
Gefolgt von einem
leisen, surrenden Geräusch.
Und dann folgte ein
nervöses Geflüster.
»Hast du es drauf?«
Ich warf einen Blick
über meine Schulter und krallte meine Finger in ein weißes T-Shirt
mit einem Abbild der britischen Flagge darauf. Mir gegenüber, von
Angesicht zu Angesicht, stand dieses dynamische Duo, das Team
bestehend aus Ehemann und Ehefrau, das mich vorher eingequetscht
hatte. Die beiden trugen aufeinander abgestimmte waldgrüne
Sweatshirts mit der Aufschrift Pennsylvanias
internationale Geisterjäger, die quer über die Brust in
großen, geschwungenen Buchstaben in Weiß aufgedruckt
war.
Der Mann hielt
irgendein Aufnahmegerät in der Hand, das ihn offensichtlich in
Erregung versetzte, und seine Frau hatte eine Kamera in ihrer
unübersehbar zitternden Hand. Sie kroch auf mich zu und war
anscheinend wild entschlossen, Aufnahmen zu machen. Aufnahmen von
…
Tja …
Von mir.
Ich duckte mich. Das
T-Shirt baumelte immer noch zwischen meinen Fingerspitzen. Mir war
klar, dass ich gerade dabei erwischt worden war, wie ich
peinlicherweise in ihren Habseligkeiten herumgeschnüffelt
hatte.
Ich sah mich
verzweifelt in dem Raum um, als mir die ganze Tragweite des
Geschehens bewusst wurde. Ich war nicht nur beim Spionieren ertappt
worden, sondern auch dabei, wie ich in einem Raum herumspukte, der
heimgesucht wurde und den ich eigentlich hatte, ähm, entspuken wollen.
Und ich konnte
nichts dagegen unternehmen. Es gab keine Möglichkeit, abzuhauen.
Ich steckte in diesem blauen Zimmer fest, bis ich einen Weg fand,
meinen Auftrag zu erfüllen. Ansonsten würde Bodhi mich niemals nach
London fliegen lassen. Und er würde mir das ewig
vorhalten.
»Buttercup!«,
zischte ich. Ich ließ das T-Shirt fallen und hörte, wie sie beide
nach Luft schnappten, als sie beobachteten, wie es scheinbar aus
eigenem Antrieb durch die Luft schwebte. Ich war fest entschlossen,
nur zu flüstern, aber aus der Art, wie sie auf ihr Aufnahmegerät
starrten und die kleinen Kringel und Linien beobachteten, die über
den Monitor flimmerten, schloss ich, dass sie mich zwar nicht sehen
oder hören konnten, aber mit ihrer Ausrüstung jede meiner
Bewegungen aufzeichneten. »Hierher, sofort!«, stieß ich mit
zusammengepressten Zähnen hervor. Es nervte mich, dass er zwischen
ihnen hin- und herlief, sie abschnüffelte und ihre Hände leckte, so
als wären sie längst verloren geglaubte Freunde, die plötzlich
wiederaufgetaucht waren.
Dann kam er mit
eingezogenem Schwanz zu mir geschlichen und sah mich aus seinen
braunen Augen an. »So ist es besser«, sagte ich schmeichelnd und
kraulte seinen Kopf, um ihm zu zeigen, dass ich mich nur geärgert
hatte und nicht verrückt geworden war. Das Pärchen hob seine Hände
und betrachtete die Finger, die Buttercup gerade überall
angesabbert hatte. Dann wandten sich die beiden einander zu, zogen
ihre buschigen Augenbrauen nach oben, als würden sie fragen wollen:
»Hast du das gespürt?«
»Du musst an meiner
Seite bleiben, nicht bei ihnen. Egal, was jetzt geschehen wird. Ich
brauche dich, okay? Wir dürfen kein Risiko eingehen. Ich muss nur
noch herausfinden, was wir jetzt tun sollen, bevor sie
…«
Die Frau kam auf
mich zu. Sie tapste wie ein Kleinkind mit winzigen Schritten über
den Boden. Ihre riesigen nackten Füße waren von Hühneraugen
übersät, und ihre Fußballen waren entzündet. Der Nagellack an ihren
Zehennägeln war abgeplatzt – dagegen sahen meine Nägel so aus, als
wäre ich gerade aus dem Nagelstudio gekommen. Sie stellte sich auf
die Zehenspitzen und tappte über den Teppich. Dabei hielt sie die
Videokamera vor sich, und das leise Surren war das einzige Geräusch
im Raum. Ich nahm an, dass sie nur eine Reihe von weißlich
glühenden, verwackelten Bildern eines winzigen Lichtkleckses auf
die Linse bekam. Bei all den Sendungen über Geister und Spuk und so
hatten diese Geräte selten mehr als das aufzeichnen
können.
»Er ist nicht
allein«, wisperte sie und winkte ihrem Mann über die Schulter zu.
»Da ist jemand bei ihm. Jemand, der kleiner ist als er. Sieht so
aus, als säßen sie beide in der Hocke.«
Er?
Ich kniff die Augen
zusammen, runzelte die Stirn und zog Buttercup noch näher an mich
heran. Ich zupfte meinen Rock zurecht und fuhr mir mit den Fingern
durch das Haar, um ein bisschen netter auszusehen. Die Tatsache,
dass man mich gerade für einen zehnjährigen Jungen gehalten hatte,
kränkte mich sehr.
»Ist er es? Ist es
tatsächlich der Radiant Boy?«, rief ihr Ehemann, und am Ende des
Satzes lag eine gewaltige Mischung aus Aufregung und Angst in
seiner Stimme.
»Ja«, antwortete
sie. Ihre Stimme klang fest, aber der Ausdruck in ihren Augen
zeigte, dass sie nicht wirklich davon überzeugt war. »Zumindest
scheint er es mit ziemlicher Sicherheit zu sein. Und jemand ist bei
ihm. Jemand, der kleiner ist als er. Hier gibt es zwei Radiant Boys!«
Meine Güte.
Ich schüttelte den
Kopf und setzte mich auf meine Fersen, während sie sich immer näher
an mich heranschlich.
Das war ja eine
tolle Geisterjägerin! Sie hielt doch tatsächlich ein hübsches
blondes Mädchen und ihren süßen gelben Labrador für zwei ätzende,
herumspukende Jungs.
Grundgütiger!
»Versuch, mit ihnen
zu sprechen – Kontakt mit ihnen aufzunehmen«, drängte sie ihr Mann.
Er richtete seinen Blick auf den Bildschirm seines kleinen
tragbaren Geräts und beobachtete aufgeregt, wie sich die Linien
bewegten. »Frag ihn, warum sie hier sind, und was sie hier wollen.
Und frag sie, ob es irgendwelche Botschaften gibt, die sie
weitergeben möchten.« Er sagte das alles so, als könne ich diese
Worte nur verstehen, wenn sie sie
aussprechen würde. Als hätte sie ein Patent darauf, mit den teuren
Verblichenen zu kommunizieren.
Der Mann trat hinter
sie, packte die Kamera, die sie ihm über ihre Schulter reichte und
hob sie mit einer Hand hoch, während er mit der anderen den
Voicerekorder festhielt. Seine Frau kam noch näher auf ihn zu,
strich mit den Händen über ihr verknittertes grünes Sweatshirt,
dachte aber nicht daran, ihr vom Schlaf zerzaustes Haar zu glätten,
was mich wiederum viel mehr gestört hätte.
»Gibt es eine
Nachricht, die du uns überbringen möchtest? Können wir irgendetwas
für dich tun?«, fragte die Frau. Als sie sich hinhockte, krachten
ihre Knie so laut und heftig, dass ich erschrocken zusammenzuckte.
Ich drückte mich gegen die Wand, als sie ihr Gesicht noch weiter
vorschob, bis es gefährlich nahe an Buttercups und meines
herankam.
»Ja«, antwortete
ich, als ich endlich meine Stimme wiedergefunden hatte und nickte
ernst. »Ich würde Sie bitten, Ihre Sachen zu packen und von hier zu
verschwinden, damit ich mich allein mit diesem Radiant Boy befassen
kann. Sie wissen schon, dem Jungen, wegen dem Sie hier sind. Im
Ernst, verschwinden Sie von hier, damit ich meinen Job erledigen
kann.«
Ich blickte finster
drein. Mir war klar, dass sie nicht vorhatte, von hier wegzugehen.
Nicht, solange Buttercup und ich ihr, ohne es zu wollen, den
größten Kick in ihrem Geisterjägerleben gaben, obwohl wir genau
genommen beide nicht mehr wirklich als erdgebundene Wesen angesehen
werden konnten. Schließlich befanden wir uns nur auf einer Mission
und hatten nicht vor, hierzubleiben – eine kleine, aber doch
wesentliche Tatsache, die ihr vollkommen entgangen
war.
Ich lehnte mich
zurück und seufzte, ohne weiter auf sie zu achten. Sie drehte sich
zu ihrem Ehemann um, riss die Augen auf und nickte heftig. »Hast du
das gespürt?«, fragte sie. »Gerade eben? Diesen kalten
Luftstrom?«
Er nickte ebenfalls.
Sein Blick schweifte zwischen dem Display der Kamera, dem
Voicerekorder und den irr blickenden Augen seiner Frau hin und
her.
»Hast du das alles
drauf?«, fragte sie und erhob sich, wobei ihre Knie wieder auf
diese Art knackten, die Buttercup zusammenzucken und mich
zurückschrecken ließ.
»Alles«, murmelte
er. »Jedes kleine Detail.« Er grinste, und seine Augen
glitzerten.
»Fantastisch!«, rief
sie. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ihre Wangen waren vor
Aufregung gerötet, und ihre Haare, die sie immer noch nicht
frisiert hatte, seit sie aus dem Bett gesprungen war, standen ihr
zu Berge.
Das alles zu
beobachten war einfach zu viel für mich.
Ich war aufgenommen
und gefilmt worden, um für eine elend langweilige, selbst
zusammengebastelte, schäbige Website von Geisterjägern herzuhalten,
während ich nach wie vor auf der Suche nach dem Radiant Boy war.
Und solange die beiden hier so weitermachten, würde es mir sicher
nicht gelingen, ihn zu finden.
Ich ließ mich gegen
die Wand sinken und starrte das Pärchen vor mir an, in der
Hoffnung, dass sie davon eine gute Aufnahme bekamen und sie dem
Rest ihres Filmmaterials hinzufügen konnten. Ich beobachtete die
beiden, wie sie uns umzingelten und dann plötzlich zurückwichen,
als Buttercup eine geduckte Haltung annahm, sich mit einem Mal wie
ein gut trainierter Wachhund verhielt und ein tiefes, bedrohliches
Knurren ausstieß.
»Ach, hast du
plötzlich entschieden, dass du sie doch nicht magst?« Ich sah ihn
kopfschüttelnd an. »Und warum hast du ihr kurz zuvor noch die Hände
abgeschleckt? Kannst du mir das erklären?«
Doch in dem Moment,
in dem ich den Satz beendet hatte, wurde mir klar, dass er nicht
sie anknurrte.
Jemand stand hinter
ihr.
Jemand schlich sich
hinter ihr und hinter ihrem Mann heran.
Jemand, der so stark
glühte, dass der ganze Raum davon erhellt wurde.
Jemand, der nur als
… leuchtend beschrieben werden
konnte.