ZWEI
Das Merkwürdigste am Sterben ist, dass sich nichts
wirklich ändert.
Ich meine, man würde
doch eine riesige Veränderung erwarten, oder? Denn Sterben – na ja,
machen wir uns nichts vor, das ist eine ziemlich dramatische
Angelegenheit. Lieder werden darüber geschrieben, Bücher und
Drehbücher. Himmel, sogar in den Zeichentrickfilmen am
Samstagmorgen ist es ein Hauptthema. Aber die Sache ist die, dass
es überhaupt nicht so ist, wie es im Fernsehen gezeigt
wird.
Ganz und gar
nicht.
Nehmt mich zum
Beispiel. Ich bin der lebende – äh, wohl eher tote – Beweis dafür,
dass es danach nicht sehr viel anders ist. Zumindest nicht am
Anfang. Und auch nicht auf eine schlimme Art und Weise, wie ihr
vielleicht glaubt.
Die Wahrheit ist,
dass ich mich von dem Augenblick an, in dem ich starb, viel
lebendiger fühlte als je zuvor. Ich konnte höher springen,
schneller laufen und sogar durch Wände gehen, wenn ich wollte. Und
das war es eigentlich, was es mir verraten hat.
Das Gehen durch
Wände.
Da mir so etwas
vorher nicht möglich gewesen war, wusste ich, dass irgendetwas
passiert war.
Etwas
Schwerwiegendes.
Aber bis zu diesem
Zeitpunkt kam mir alles vor wie ein wirklich cooler Abstecher. So
wie mein Dad gerade beschlossen hatte, plötzlich die Richtung zu
ändern, was keiner von uns erwartet hatte.
Gerade fuhr er noch
einen kurvenreichen Highway entlang, während ich zu den Songs auf
meinem iPod sang. Mein Hund Buttercup hatte seinen Kopf auf meinen
Schoß gelegt, und ich gab mein Bestes, um die Stimme meiner
rechthaberischen, älteren Schwester Ever auszublenden, die
eigentlich nur am Leben war, um mich zu quälen.
Und bevor ich mich’s
versah, waren wir an einem ganz anderen Ort.
Nicht mehr auf dem
Highway, nicht mehr in Oregon. Irgendwie waren wir mitten in diesem
wunderschönen, schimmernden Feld mit zitternden Bäumen und
pulsierenden Blumen gelandet. Und als meine Eltern in die eine
Richtung gingen, und sich meine Schwester auf den Weg in die andere
machte, blieb ich einfach nur stehen und drehte den Kopf wie
verrückt hin und her, weil ich nicht wusste, wem ich folgen
sollte.
Ein Teil von mir
forderte: »Überquere die Brücke mit Mom und Dad und Buttercup – sie
wissen, was am besten ist!«
Aber der andere Teil
sagte eindringlich: »Benimm dich doch nicht wie ein Musterkind –
wenn Ever etwas Tolles entdeckt und du es verpasst, wirst du es für
immer bereuen!«
Und als ich
schließlich beschlossen hatte, meiner Schwester zu folgen, hatte
ich mir so viel Zeit gelassen, dass sie schon weg war.
Einfach
verschwunden.
Direkt in dem
schimmernden Nebel.
Geradewegs zurück
auf die Erdebene.
Und so kam es, dass
ich stecken geblieben bin. Zwischen den Welten.
Bis ich meinen Weg
in das Hier gefunden habe.
So nennen sie es –
»das Hier«.
Und wenn man blöd
genug ist, um zu fragen, wie spät es ist, bekommt man zur Antwort:
»Jetzt.«
Wahrscheinlich
deshalb, weil es hier keine Zeit gibt. Im Hier geschieht alles in
dem Moment, in dem es geschieht – und das ist immer jetzt.
Ich schätze, ich
könnte also sagen, ich lebe im Hier und Jetzt.
Erstaunlicherweise
unterscheidet sich das nicht sehr von meinem früheren Leben in
Eugene, Oregon.
Außer, dass es keine
Zeit gibt. Und natürlich, dass ich jetzt durch Wände gehen kann und
so.
Und außer der
Tatsache, dass ich alles manifestieren kann, was ich will – Sachen
wie Häuser und Autos und Kleidung, sogar Tiere und Strände, nur
indem ich sie mir vorstelle -, ist eigentlich alles fast genauso
wie vorher.
Meine Eltern sind im
Hier. Meine Großeltern auch. Sogar mein süßer, gelber Labrador
Buttercup hat es geschafft. Und obwohl wir an jedem Ort leben
könnten, den es in unserer Vorstellung gibt, in jedem Haus unserer
Wünsche, ist mein neues Zuhause eine ziemlich genaue Kopie meiner
alten Umgebung in Oregon.
Alles identisch, bis
hin zu den Kleidern, die in meinem Schrank hängen, den Socken, die
in meine Schubladen gestopft sind, und den Postern, die an den
Wänden kleben. Es gibt jedoch einen Unterschied, und das ist das
Einzige, was mich nervt. Alle anderen Häuser um uns herum sind
leer. Das liegt hauptsächlich daran, dass alle meine alten Nachbarn
und Freunde noch am Leben und wohlauf sind und sich auf der
Erdebene befinden (na ja, zumindest vorerst!). Aber davon abgesehen
ist alles so, wie ich es in Erinnerung habe.
Genau so, wie ich es
mir gewünscht habe.
Ich wünschte nur,
ich hätte einige Freunde, mit denen ich das genießen
könnte.