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Pünktlich um achtzehn Uhr fünfundzwanzig landete die Maschine. Die Stewardess schenkte ihm ein letztes Lächeln. Als er sein Handgepäck aus dem oberen Fach nahm, sagte sein Nachbar leise zu ihm:
„Da unten inmitten der schillernden Unterwasserwelt tobt ein erbarmungsloser Kampf ums Überleben - jeder Jäger ist auch ein Gejagter ...”
„Larry, nicht nur da unten, glauben Sie mir“, sagte Shane und sah zu, dass er sich beim Hinausgehen rasch von Larry entfernte. Er war sicher, Larry hätte ihn in eine stundenlange Diskussion verwickelt.
Die feuchte Luft in den Ausgangsröhren nahm ihm den Atem. Innerhalb von Sekunden hatte sich auf seiner Haut ein Schweißfilm gebildet. Die Kleidung klebte ihm am Körper und sein Kopf begann zu dröhnen . Verbotsschilder, Androhungen von Geldstrafen: Wegen der Verbreitung der Papayafliege durfte kein Obst und Gemüse ein ge führ t werd en.
Wie ein Schwarm hungriger Fische drängten sich die Wartenden an der Absperrung. Mitten unter ihnen erkannte er Kim in einem zitronengelben, ärmellosen Kleid. Dass sie lächelte, erleichterte ihn.
“Dad!” Die junge Frau neben Kim, sogar ein wenig größer als sie, schlüpfte unter dem Geländer durch und schlang ihm die Arme um den Hals. Sie roch nach Meer und Salz. Die Sonne hatte ihre Haut golden getönt. Sie trug Shorts, und ihr dunkles, glattes Haar wehten ihr die Ventilatoren in die Stirn. Pam strahlte.
„Ich dachte, du hast aufgehört zu trinken“, bemerkte Kim nachdem er sie dummerweise auf die Wange geküsst hatte.
„He, Kim, fangen wir nicht damit an, ja?“
Sie zuckte die Schultern. War sie schon immer so mager gewesen? Sie ging dreimal die Woche ins Fitnessstudio, hatte sie ihm einmal erzählt. Daran erinnerte er sich jetzt.
„Dad!” Pamela strahlte ihn an. „Du musst unbedingt zum Tauchen mitkommen! Es ist gigantisch!” Sie hatte sich bei ihm eingehängt und folgte ihrer Mutter, die mit schnellen Schritten voraus durch die Halle zum Parkplatz ging .
„ Ich glaube, Tauchen ist nichts für mich”, meint e er .
„Sie hat sich mehr auf dich gefreut als auf den Urlaub”, sagte Kim zu ihm und öffnete die Ladeklappe des gemieteten Civics.
„ Stört dich das ?”, knurrte er und stellte seine Tasche hinein.
„Nein. Ich will nur nicht, dass du sie enttäuschst.”
Mit einem Knall warf sie die Heckklappe zu.
Auf der Fahrt plauderte Pam vom Tauchen und von ihren Tenniserfolgen, während Kim sich schweigend auf die Straße konzentrierte, was ihm ganz recht war, denn Kim war schon immer eine miserable Fahrerin gewesen. Er betrachtete die dicht bewaldete Bergkette, die gelblich grünen Zuckerrohrfelder, die im Wind wogten. Das Blauorange des Abendhimmels war postkartengleich.
I m neunzehnten Jahrhundert, hatte er im Flugzeug-Magazin gelesen, baute man eine Eisenbahnlinie von Cairns in den Westen, zu den Goldfeldern am Palmer - und Hodgkinson River . Jetzt gab es hier überall flache Gebäude, Firmenhallen und Motels. Je näher sie der City kamen, desto enger drängten sich Internet-Cafés, Reisebüros, Autovermietungen, C offeeshops , Motels und Restaurants. Vor allem junge Touristen mit Rucksäcken und Shorts sah man hierund Pamela redete von Ozonlöchern, Korallenbleiche und davon, dass sie sie beide heute zum Shrimpsessen ins Big Crab einladen würde.
Kim bog in eine Seitenstraße der Esplanade ein. Hier reihte sich ein Motel an das andere. Manche warben mit special rates, mit besonderen Preisen für Gäste, die länger bleiben wollten, oder mit Family Rooms oder wandten sich gleich an preisbewusste Rucksacktouristen. Sie parkte vor einem Motel, auf dessen flackerndem Neonschild neben einer gebogenen Palme der Name “Pacific Inn” mit vier Sternen prangte.
„Eine halbe Stunde wird dir ja reichen, oder?“, sagte Kim und er nickte.
Sein Zimmer lag zu ebener Erde auf der anderen Seite des nierenförmigen Pools, um den herum die Räume in zwei Geschossen hufeisenförmig angelegt waren. Vor seiner Tür stand ein Liegestuhl, und eine Palme wuchs kerzengerade in den orangefarbenen Himmel. Im glitzernden Abendrot, das sich im Becken spiegelte, schwamm eine Luftmatratze. Er schaltete die Klimaanlage höher, schlug die dunkelgrüne Tagesdecke zurück, nahm einen Chivas aus der Minibar. Da es kein Eis gab, goss er einen Schuss kaltes Wasser ins Glas und legte sich angezogen aufs Bett. Die durchgeschnittene Kehle des Ermordeten tauchte plötzlich wieder vor ihm auf. Er nippte a m Whisky, und allmählich vermischte sich das Blut Markus Auers mit dem vom Abendrot gefärbten Wasser im Swimmingpool, und er schlief ein .