6
Um acht Uhr morgens leuchtete der Himmel über Brisbane königsblau. Er parkte seinen Corolla in der Garage des Police Headquarters in der Roma Street, ging am Pförtner vorbei durch die elektronische Sperre, fuhr mit dem Aufzug hinauf und öffnete die Tür zu seinem Büro.
„Morgen“, brummte Jack ohne Aufzusehen. Sein Schinken-Käse-Sandwich lag angebissen neben ihm auf der Tüte.
„Was ist, keinen Spruch parat heute?“, erwiderte Shane, worauf Jack müde abwinkte.
„Neuigkeiten?”
„Moment ...“ Jack blätterte in seinen Zetteln, die er stets sorgfältig an den Computerbildschirm und auf die Schreibtischunterlage klebte. Dennoch fand er nie auf Anhieb die Informationen, nach denen er suchte. „Das Immigration Office hat sich noch nicht gemeldet, aber die Fotoabteilung ist dabei, den Fotoschnipsel zu analysieren. Sie meinen, es wäre ´ne Wiese oder so was, Aber wie so bist du nicht schon auf dem Flughafen?“
„Ich hab noch einen Tag Galgenfrist“, bemerkte Shane als gerade das Telefon klingelte.
„Shane?” Elizas Stimme klang müde. „Ich sag’s dir kurz mündlich durch, die Mail kommt. Bei der Mordwaffe handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Messer mit einer glatten, fünfundzwanzig Zentimeter langen Schneide, so eines, das Fischer zum Ausnehmen der Fische benutzen. Ansonsten habe ich bei dem Toten keine Hinweise auf Drogen, Krankheiten oder Medikamente gefunden. Die Todeszeit liegt bei etwa zweiundzwanzig Uhr. Er hatte circa eine Stunde vorher ein Abendessen zu sich genommen, bestehend aus Fleisch, Zwiebeln, Tomaten, Jogurt. Am rechten Oberschenkel hat er eine siebeneinhalb Zentimeter lange Narbe. Und eine fünf mal achteinhalb Zentimeter große auf der Innenseite des linken Oberarms. Eventuell von einer Entfernung einer Tätowierung. Alle weiteren Details kommen schriftlich.”
„Danke –ich wollte dir nur sagen, ich verreise morgen.“
Es gab eine kurze Pause bevor sie „Ach“ sagte. „Ja, nach Cairns. Meine Tochter will mich mal wieder sehen.“
„Ja, dann gute Reise“, sagte sie und murmelte noch etwas wie auf Wiedersehen. Warum hatte er ihr das sagen müssen?, ärgerte er sich.
„Hat sie dir einen schönen Urlaub gewünscht?“, fragte Jack schadenfroh.
„Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß“, knurrte Shane.
„Weißt du, was seltsam ist?”, sagte Jack und biss mit Appetit in sein Sandwich.
„Was ist, warum bist du plötzlich so gutgelaunt?“
„Bin ich gut gelaunt? Wie kommst du auf so was? Ich hab Hunger, das ist alles.“ Er grinste. „Du hast sie gekränkt, stimmt’s? Dr. Lee mag das nicht.“
„Halt deine Klappe, Jack – also, was ist jetzt seltsam an diesem verdammten Foto?“ Shane ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken. Ja, er hatte eine Scheißlaune ... „Wenn du nicht gleich mit deinem dämlichen Grinsen aufhörst ...“
Jack lachte. „Ach Shane – gönn mir doch die kleine Freude ... aber zu deiner Frage: Was soll dieser Fotoschnipsel, auf dem man nichts als irgendwelche Pflanzen sieht, he? Wenn es ein Zeichen oder so was ist, warum lässt der Typ nicht das ganze Foto da?”
„Keine Ahnung, sag du’s mir doch.“
„Vielleicht ist ihm ja auch nur ein Fetzen aus der Hosentasche gefallen”, redete Jack weiter, „und der Schnipsel hat mit dem Mord gar nichts zu tun.”
Shane sah auf. „Hi Al!“
Al Marlowe hielt sich mit der Hand eine Wange. „Ich sag euch, diese verdammten Zähne! Ich hätte es so lassen sollen, wie es war. Wen hat die Zahnlücke da hinten schon gestört? Eine Brücke!” Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und starrte einen Moment ins Leere.
„Warum nimmst du keine Schmerztabletten?“, fragte Shane.
„Ich hab diese Scheißdinger schon eingeworfen, die weichen einem das Hirn auf.“ Al stöhnte. „Mann, Jungs ... also, mal raus mit der Sprache, habt ihr was über den Toten rausgefunden?“
„Markus Auer“, fing Jack beflissen an, „hielt sich seit November letzten Jahres illegal hier auf. Sein Touristenvisum vom August war nur für drei Monate gültig. Er war acht Jahre Berufssoldat in der deutschen Armee. Das Auto ist zugelassen auf einen John Palmer, arbeitet bei Nigel Hurst`s Yachting, einer Werft für Yachten, unten am Fluss. Er hat wegen Autodiebstahls gesessen. Vielleicht sollte ja John Palmer ermordet werden? Immerhin war es ja sein Auto. So ein Typ hat sicher jede Menge Feinde.”
Al seufzte. „Und weiter?“
„Der Fotoschnipsel zeigt irgendwas Grünes. Pflanzen oder ´ne Wiese.“
„Und was noch?“
Shane reichte ihm den Ausdruck von Elizas Bericht. Stöhnend erhob sich Al und ging zur Tür.
Er hatte schon den Türknauf in der Hand, als er sich noch einmal umdrehte. „Ach, übrigens, wir kriegen Verstärkung. Detective Thompson aus Maryborough. Sehr ehrgeizig. Tja, so geht es uns allen mal. Kaum sind wir weg, steht ein anderer an unserer Stelle.” Er hob bedeutungsvoll die Brauen und ging.
„Oh Mann, ihm geht seine Pensionierung ja ganz schön an die Nieren!“, sagte Jack, „was macht so einer wie Al ohne Job?“
„Warum soll’s ihm besser gehen als uns?“, sagte Shane.
„Hm, wenigstens hat er keine Frau zu Hause“, sagte Jack mit einem Seufzen, um dann gleich einen gutgelaunten Ton anzuschlagen.
„Also, Shane, du kannst getrost in Urlaub fahren, ich krieg ehrgeizige Unterstützung! Ich sag dir, wir haben den Fall gelöst, bevor du wieder da bist!“
Insgeheim war Jack froh, mal aus Shanes Schatten zu treten, wusste er. Dann konnte er mal Ann beweisen, was für ein fähiger Cop er doch war.
„Dann viel Glück dabei, Jack! Ich hab nichts dagegen!“