KAPITEL LXVI
Fulminacci und de la Fleur machten sich auf den Weg. Azzolini wartete, bis die beiden ein Stück weiter gegangen waren, und hielt dann den Bischof, der sich ebenfalls entfernen wollte, sachte zurück.
»Wie es scheint, wird diese Angelegenheit bald abgeschlossen sein«, murmelte er. »Vielleicht fassen Eure Männer den Skorpion, vielleicht auch nicht. Das ist jetzt von zweitrangiger Bedeutung. Eines sollten wir uns jedoch klarmachen…«
Der Bischof sah ihn fragend an.
»Der Maler…«, sagte der Kardinal und deutete mit dem Kopf in Fulminaccis Richtung. »Der Maler«, wiederholte er fester, »und Eure Agentin Beatrice. Und auch dieser sogenannte Großmeister Melchiorri. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese drei in Rom herumlaufen und ausplaudern, was sich in den vergangenen Tagen ereignet hat, und vor allem, was in den kommenden Wochen in Europa passieren könnte…«
»Was wollt Ihr damit sagen, Eminenz? In Bezug auf Beatrice kann ich Euch versichern, dass sie absolut zuverlässig ist. Ihre Verschwiegenheit kann ich persönlich garantieren…«
Der Kardinal unterbrach kopfschüttelnd die Fürsprache seines Kollegen.
»Wir dürfen dieses Risiko nicht eingehen. Ein einziges Wort zu viel wäre eine Katastrophe… Ihr versteht… Wir können unmöglich mit einem solchen Damoklesschwert über uns leben.«
Azzolinis Blick war streng und entschieden.
»Ihr denkt doch hoffentlich nicht daran…«, flüsterte de Simara.
»Um Gottes willen, was glaubt Ihr? Aber diese drei müssen Rom verlassen. Wir haben den Thronerben und damit genug Zeit, um weitere Schritte in die Wege zu leiten. Mehr brauchen wir nicht. Niemand darf die Macht haben, uns einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Die drei müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Möglichst noch heute Nacht.«
»Beatrice ist mir treu ergeben und wird gehorchen, wenn ich ihr befehle, die Stadt zu verlassen. Aber die anderen beiden… Wie wollt Ihr sie dazu bringen?«
»Was den Maler angeht, hätte ich da schon eine Idee. Das Problem ist Melchiorri. Der Ehrwürdige Großmeister hat hier einen Meisterstreich vollbracht, und es wird nicht leicht sein, ihn zu überreden, Christines Hof zu verlassen, wo er großes Ansehen genießt. Aber es muss einen Weg geben…«
»Die Königin scheint große Stücke auf ihn zu halten. Sie macht keinen Schritt, ohne ihn zu befragen, und wird sich seiner Verbannung gewiss widersetzen.«
»Nicht, wenn die Gefahr eines Skandals droht. Christine ist eine willensstarke, eigensinnige Frau, aber sie weiß genau, was ihr guter Ruf wert ist. Sie hat die Hoffnung, den schwedischen Thron zurückzugewinnen, noch nicht ganz aufgegeben, und ihr ist sehr wohl bewusst, welche Bedeutung ihre Landsleute den Gerüchten über ihr Privatleben beimessen. Wenn es uns gelingt, etwas einzufädeln, das zwingend genug ist, wird sie – wenn auch widerstrebend – einwilligen. Aber was könnte das sein?«
»Ich weiß, dass Melchiorris Geschäft mit geheimem Glücksspiel blüht. Vielleicht wäre das…«
»Nein, nein«, wehrte Azzolini ab, »daran sind fast alle wichtigen Persönlichkeiten der Stadt beteiligt. Wie sollten wir Melchiorri einen Strick daraus drehen, ohne einen Großteil der römischen Gesellschaft mit hineinzuziehen? Wir müssen etwas anderes finden, in seiner Vergangenheit stöbern…«
»Euer Mitarbeiter, dieser Bellariva, scheint ziemlich tüchtig zu sein«, sagte de Simara. »Möglicherweise gelingt es ihm, etwas aufzutreiben, das man gegen Melchiorri verwenden könnte…«
»Gute Idee! Ich werde ihn sofort in die Archive der apostolischen Signatur schicken. Wenn es etwas zu finden gibt, findet er es bestimmt. Es wird mir schwerfallen, mich von einem so wertvollen Mitarbeiter zu trennen«, seufzte Azzolini.
»Wie meint Ihr das, Eminenz?«
»Nun, auch Bellariva ist offenbar dahintergekommen, was auf politischer Ebene ausgeheckt wird. Er ist ein helles Köpfchen, aber auch sehr ehrgeizig, und wer weiß, ob er sein Wissen nicht irgendwann dazu verwenden wird, seine Karriere voranzutreiben? Auch er stellt ein Risiko dar, und deshalb wird bereits ein Posten als Sekretär bei der päpstlichen Nuntiatur in Havanna, in der Neuen Welt, für ihn bereitgehalten.«
»Ihr seid ein unbeugsamer Mann«, bemerkte der Bischof.
»Denkt nicht, dass ich Gefallen an der Sache finde, Monsignore. Aber ich frage Euch: Haben wir eine andere Wahl?«
De Simara schien einen Augenblick nachzudenken.
Dann schüttelte er den Kopf.
Sergeant Bruyère sah sich forschend im Saal um und versuchte, die dunklen Ecken mit seinen Blicken zu durchdringen und irgendeine Bewegung zu erhaschen, aber die wenigen, schwachen Lampen schufen mehr Schatten als helle Bereiche, die wie Inseln in einem großen, dunklen Meer lagen.
Der Unteroffizier wusste, dass es möglich war, die Beleuchtung zu verstärken, aber er hatte am Nachmittag kaum darauf geachtet, wo genau Melchiorri und sein Gefolge von Assistenten bei den letzten Feineinstellungen herumhantiert hatten, und kannte die Vorrichtungen nicht, mit denen man das Licht heller stellen konnte. Der Großmeister hatte wochenlang an einem Beleuchtungssystem gearbeitet, das sich zentral regulieren ließ, ein Zauber, der den Verstand eines armen Sergeanten der königlich-französischen Musketiere überstieg.
Zum Teufel mit den Komplikationen dieser künstlichen, frivolen Welt!
Bruyère konnte es kaum erwarten, in sein ruhiges Burgund zurückzukehren, in sein Heimatdorf, wo er Karten spielen, in den klaren Bächen angeln, guten Wein trinken und einfaches, unverfälschtes Essen fern aller Komplotte genießen würde.
Ich werde langsam zu alt für diesen Beruf, dachte er, während er die dämmerigen Winkel des Saals absuchte, in dem es zu viele Säulen, zu viele Nischen, zu viele Vertiefungen, zu viele schwere Möbel gab. Alles mögliche Verstecke, aus denen man jemanden schwer hervorlocken konnte, wenn man nicht direkt mit ihm zusammenstoßen wollte.
Renard folgte dicht hinter ihm, während die anderen beiden Musketiere sich an den Seiten hielten, bereit, jederzeit einzugreifen.
Bruyère verfluchte die Nachgiebigkeit seines Vorgesetzten, der ihnen die verlässlichen Degen verboten und nur die kurzen Schwerter erlaubt hatte, welche zwar leichter unter den Mänteln zu verbergen, aber weniger schlagkräftig waren. Ihm selbst war das Tragen einer Pistole gestattet worden, jedoch nicht der seiner Wahl. Der Capitaine hatte ihm nicht die übliche Dienstpistole zugestanden, die fast einen halben Meter lang und von beträchtlichem Kaliber war, da sie als zu auffällig galt und nicht unter der Kleidung getragen werden konnte. Stattdessen musste er sich mit einem kleinen Spielzeug von einer Waffe begnügen, die vielleicht für einen Hinterhalt und kurze Distanzen geeignet war, aber praktisch nutzlos bei einem richtigen Duell.
Und irgendwo, ganz in der Nähe, trieb sich der Skorpion herum.
»Hoffen wir, dass sich Brissière beeilt«, murmelte Renard leise. »Ich hab kein gutes Gefühl, solange die Verstärkung nicht da ist.«
Bruyère legte einen Finger an den Mund.
Plötzlich bemerkten die vier eine hastige Bewegung unter einem der schmalen Durchgänge zwischen zwei Säulen am anderen Ende des Saals.
»Jetzt geht’s los«, flüsterte Renard. »Gott steh uns bei!«
Der Sergeant griff sein Schwert fester und deutete mit der linken Hand seinen Männern, sich zu verteilen und dem Eindringling die Fluchtwege abzuschneiden. Die vier Musketiere schlichen sich langsam an, gespannt auf die kleinste Bewegung achtend, als ein lautes Rascheln zu ihrer Linken sie zusammenfahren ließ.
Bruyère blieb abrupt stehen und zeigte Renard zwei Finger.
Der verstand sofort: Es waren zwei Eindringlinge im Saal.
Renard deutete mit dem Kopf nach links und ging in die Richtung, gefolgt von einem der Soldaten, während Bruyère sich mit dem zweiten langsam vorwärtsbewegte.
Eine neue, diesmal kaum wahrnehmbare Bewegung hinter den Säulen veranlasste den Sergeanten zu handeln. Er lief mit großen Sätzen auf die Stelle zu, das Schwert gezückt und mit der anderen Hand den Hahn der Pistole spannend.
Zusammen mit seinem Gefolgsmann rannte er um die Säulen herum und machte einen Ausfall, fand aber nur ein Stück Stoff, das nachlässig um den Tragbügel einer gelöschten Lampe gebunden war und in dem leichten Lufzug aus einem halb geöffneten Fensterchen über ihren Köpfen wehte.
»Hierher, Sergeant!«, rief Renard von der anderen Seite. »Wir haben ihn gesehen!«
Bruyère und sein Musketier eilten ihren Kameraden zu Hilfe; das Klappern ihrer Stiefel auf dem kostbaren Boden erfüllte den großen Raum mit lautem Hall.
»Dorthin, Sergeant«, schrie Renard, »zum Ausgang.«
Bruyère legte noch einen Zahn zu und folgte ihm auf den Fersen.
»Er entwischt uns«, sagte Renard, »ich habe gesehen, wie er zur Tür rannte!«
»Schnell, wenn wir uns beeilen, schnappen wir ihn noch!«, befahl der Sergeant.
Hals über Kopf nahmen die vier die Verfolgung auf, fest entschlossen, sich diese Beute nicht entgehen zu lassen. Die Angst von vorhin war Jagdfieber und Erregung über das bevorstehende Aufeinandertreffen gewichen.
»Da ist er, Sergeant!« Eine Gestalt in einem dunklen Domino huschte gerade durch das große Portal, das in den Park führte.
»Mir nach!«, brüllte Bruyère. »Fünf Gulden für den, der ihn als Erster fasst!«
Die Musketiere stürmten durch die Tür und versetzten sich dabei gegenseitig Rippenstöße.
Die verhüllte Gestalt lief direkt vor ihnen her und hielt einen Vorsprung von ein paar Dutzend Schritten, wobei der schwarze Umhang um ihre Schultern flatterte. Bruyère versuchte, schneller zu werden, aber sein Atem ging bereits keuchend. Renard dagegen, der mindestens fünfzehn Jahre jünger war, hatte keine Schwierigkeiten, sein Tempo zu beschleunigen, und verringerte bald den Abstand zu dem Flüchtigen.
Der rannte auf das Zentrum des Festes zu, offenbar mit der Absicht, in der Menge unterzutauchen.
»Marchand«, wandte sich Bruyère keuchend an einen der beiden Soldaten, die ihm folgten, »lauf zurück und bewach das Schmuckstück.«
In der Hitze des Gefechts hatte Bruyère nicht daran gedacht, den Saal weiter unter Beobachtung zu stellen, doch jetzt, da das lange Postenstehen sich offenbar einem dramatischen Abschluss näherte, fiel ihm ein, dass er den Bernstein nicht länger unbewacht lassen durfte. Falls jemand das Schmuckstück entwendete, würde ihm Capitaine de la Fleur persönlich das Fell über die Ohren ziehen, Stück für Stück.
Renard war dem Flüchtigen inzwischen dicht auf den Fersen, als der plötzlich nach links ausscherte und in eine Gruppe ordentlich beschnittener Büsche eindrang, um kurz darauf wieder die Richtung zu wechseln und auf den äußeren Bereich des Parks zuzulaufen.
Renard verlor durch dieses jähe Hakenschlagen an Schwung, rutschte auf dem Kies aus und brauchte ein paar Sekunden, um die Verfolgung wieder aufzunehmen. Dieser Zeitverlust ermöglichte es dem anderen, beinahe seinen gesamten verlorenen Vorsprung zurückzugewinnen. »Bleib an ihm dran, Renard«, rief der Sergeant völlig außer Atem.
Der Musketier hörte den anfeuernden Zuruf, beschleunigte noch einmal, obwohl er selbst der Erschöpfung nahe war, und gewann wieder an Terrain.
Der Domino des Flüchtigen flatterte nur noch wenige Spannen vor seiner ausgestreckten Hand, sosehr dieser auch weiter Haken schlug und ihn abzuhängen versuchte.
Renard mobilisierte seine letzten Kräfte, legte noch einen Spurt ein, bekam den Mantel zu fassen und riss grob daran.
Der Verfolgte, der gerade wieder einen Ausfall nach links machen wollte, wurde durch den Ruck abrupt gebremst und fiel der Länge nach hin.
Mit einem Satz war der stattliche Renard über ihm und packte ihn an den Armen, während er noch über den Kies des Pfades schlitterte.
»Ich habe ihn, Sergeant«, schrie er. »Ich hab ihn geschnappt!«