KAPITEL XIII

 

Hintereinander und mit gesenktem Kopf betraten die Männer den Raum, obgleich diese Befangenheit in offensichtlichem Widerspruch zu ihrem Charakter stand.

Das Zimmer war groß, leer und kalt und wurde nur von zwei Kerzenleuchtern an den Schmalseiten eines langen Eichentisches erhellt, der die einzige Einrichtung darstellte. Aber es waren weder das Schummerlicht noch die Trostlosigkeit der kahlen Wände noch die durchdringende Kälte, was sie vor Furcht verstummen ließ, sondern diese bohrenden Augen, die sie musterten, während sie im Gänsemarsch in eine der geheimsten Kammern im Palast des Heiligen Offiziums Einzug hielten.

Die kalten Augen schienen den trüben Grund ihrer Seelen zu erforschen und im Unrat ihres frevelhaften Lebens zu stöbern.

Bei genauer Betrachtung waren die Augen das einzig Auffällige an diesem kleinen, knochigen, nervösen Mann, den ein inneres Leiden oder vielleicht auch eine Obsession aufzuzehren schien und der jetzt wortlos zusah, wie sie sich setzten. Ein Mann in einer einfachen weißen Kutte, über der er einen schwarzen Umhang mit Kapuze trug. Ein schlichtes Holzkreuz lag auf seiner eingefallenen Brust.

Sein Gesicht war ausgemergelt, ein Totenschädel, der von einer dünnen, pergamentartigen Hautschicht überzogen war. Die lange, gekrümmte Nase dagegen verlieh ihm Ähnlichkeit mit einem Raubvogel.

Es waren jedoch nicht diese Äußerlichkeiten, die in den Männern ein Gefühl der Befangenheit, der Beklemmung, ja beinahe kopfloser Angst auslösten.

Keiner von ihnen hätte den Mönch eines zweiten Blickes gewürdigt, wenn diese magnetisierenden, fiebrigen, pechschwarzen Augen nicht gewesen wären.

Die Augen Bernardo Mutis.

Die Augen der heiligen Inquisition.

Allein beim Klang seines Namens wurden sämtliche Römer, Männer und Frauen, Junge und Alte, Juden und Getaufte von einer unüberwindlichen Furcht erfasst.

Der Mönch nahm hinter dem Tisch Platz und musterte die Männer, die er unter größter Geheimhaltung hier versammelt hatte. Spitzel, Kuppler, Diebe und Mörder der schlimmsten Sorte, Gestalten, die im Schutz der Dunkelheit ihr Unwesen trieben und für eine Handvoll Geld zu jeder Ruchlosigkeit bereit waren. Das waren die Leute, die er im Moment brauchte.

Muti fixierte ihre finsteren Mienen eine nach der anderen, als suchte er nach einem äußeren Anzeichen für die Bereitschaft zum Verrat, durch die sich solche Individuen auszeichneten.

Er spürte, dass sein Blick in diesen abgebrühten Schurken eine fast übernatürliche Scheu hervorrief, wie eine Vorahnung von unsagbaren Schmerzen und Qualen.

Unnachgiebig setzte er seine Musterung fort, eine schweigende Ermahnung. Die Männer konnten seinem Blick nicht standhalten. Ihre Augen wanderten durch den kahlen Raum, richteten sich auf die Schimmelflecken an den Wänden oder, häufiger noch, auf die eigenen Schuhe, die über den nackten, kalten Fußboden scharrten.

Als die Spannung unerträglich wurde, erhob sich Muti von seinem Stuhl. Die Bewegung wirkte wie das Losschnellen einer Feder oder der Knall einer neunschwänzigen Katze, und die Versammelten zuckten erschrocken zusammen.

Der Inquisitor stützte die skelettartigen Hände auf den Tisch, deren lange Finger an Raubtierkrallen erinnerten, und begann zu sprechen.

Im Gegensatz zu seinem Aussehen war seine Stimme sanft, beinahe samtig, auch wenn man durch die milden Töne die stählerne Entschlossenheit hindurchhörte, die in jeder Faser seines mageren Leibes vibrierte.

Es wurde keine lange Rede.

Die Männer wussten genau, was der Inquisitor von ihnen erwartete, und umgekehrt konnte dieser davon ausgehen, dass sie in der Lage waren, seinen Auftrag zu verstehen und mit größter Gründlichkeit auszuführen.

Es war nicht das erste Mal, dass der Mönch ihre Dienste in Anspruch nahm, und bei allen früheren Gelegenheiten waren seine Anweisungen mit Eifer und Gehorsam befolgt worden.

Auch diesmal würde es so sein, daran zweifelte Muti nicht.

So heillos verdorben ihre Seelen auch waren, würde es doch keiner von ihnen wagen, sich den Befehlen des Heiligen Offiziums zu widersetzen.

Der Inquisitor kannte diese Sorte Halunken gut, er las in ihnen wie in einem offenen Buch. Die Bosheit geht immer Hand in Hand mit der Angst, und je größer die Bosheit ist, die im Herzen eines Sünders wohnt, desto größer ist auch seine Angst.

Darüber hinaus war es nicht besonders schwierig, Menschen zu manipulieren – man musste nur an den verborgenen Strängen ziehen, die ihre Herzen zum Klopfen brachten. Und er, Bernardo Muti, kannte diese Stränge in- und auswendig. Er hatte sie bei zahllosen Verhören erforschen können, zuerst im Norden als junger Mann und dann in Rom, wohin er berufen worden war, um seinem hohen und heiligen Amt als Verteidiger des Glaubens nachzukommen. Während er den Torturen beiwohnte, die den Ketzern, den Abtrünnigen, den Teufelsanbetern zugefügt wurden, hatte er gelernt, dass das wichtigste Mittel zur Läuterung der menschlichen Seele die Angst war. So war die Angst zu seinem Werkzeug geworden, zu seiner Verbündeten, seiner Überzeugung.

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle waren es weniger die Schmerzen, welche die verstockten Herzen erzittern ließen, als vielmehr die Androhung von Schmerzen. Wie oft hatten scheinbar mutige Männer und Frauen angefangen zu zittern wie verängstigte Tiere, wenn ihnen die Folterinstrumente zur Erzwingung eines Geständnisses gezeigt wurden! Wie viele unverbesserliche Prediger von Lügen und Verbreiter von Ketzereien waren beim Anblick der glühenden Zangen, der Daumenschrauben und der Folterbänke schleunigst in die Arme der heiligen Mutter Kirche zurückgekehrt!

Für die Männer vor ihm galt das Gleiche.

Sie würden ohne Zögern und Schwanken gehorchen, weil sie wussten, dass jedes Versagen, jeder Fehler verhängnisvoll für sie wäre.

Aus Bösem konnte manchmal Gutes hervorgehen, vor allem wenn eine feste und unnachgiebige Hand das Böse leitete.

Diese Männer waren der Abschaum der Christenheit, der Unrat der Welt. Und doch würden sie dem Inquisitor zur größeren Ehre Gottes gehorchen!

Der Mönch lud die Versammelten ein, niederzuknien und ein Gebet an den Höchsten zu richten, damit er in seiner unendlichen Güte das Unternehmen segne und für ein gutes Gelingen sorge.

Die Männer leisteten der Aufforderung bereitwillig und beinahe gleichzeitig Folge.

Nur in der Miene von Bastiano, dem Anführer der Bande, hätte ein aufmerksamer Beobachter eine Spur von Hohn für diese perfide Komödie, die sie da aufführten, erkennen können. Bastiano mochte der niederträchtigste und gemeinste aller Verbrecher der Stadt sein, aber er war nicht dumm, und die Ironie der Situation entging ihm nicht. Dieses Gesindel von Vergewaltigern, Gotteslästerern, Dieben und Mördern war dabei, den Segen und die Hilfe des allmächtigen Gottes für ein Unterfangen zu erbitten, das eine große Zahl von Unschuldigen in die düsteren Verliese der Inquisition treiben würde!

Amüsant, keine Frage.

Er sah sich um und bemerkte erst da eine weitere vergnügliche Einzelheit.

Wenn man den schrecklichen Mönch nicht mitrechnete, betrug die Zahl der in diesem Saal anwesenden Männer zwölf.

Wie die zwölf Apostel.

Die zwölf Apostel der Apokalypse.

Es war schon tiefe Nacht, als die zwölf in aller Stille das Gebäude des Heiligen Offiziums verließen.

In der Nähe warteten ihre Komplizen auf sie, die während ihrer Abwesenheit alles Nötige vorbereitet hatten.

Die Anführer teilten die Männer in Gruppen zu je drei oder vier ein, die sich nach kurzer Absprache in den verlassenen, stillen Straßen verstreuten.

Verstohlen schlichen sie durch die Gassen, in denen das einfache Volk wohnte. Jeder achtete darauf, nicht das kleinste Geräusch zu machen und vor den Wachen auf der Hut zu sein, die lustlos ihre Runden drehten.

Niemand durfte sie sehen. Niemand durfte sie hören.

Unter ihren Umhängen trugen sie dicke Bündel, und trotz des milden römischen Frühlings hatten sie ihre Kapuzen und anderen Kopfbedeckungen tief ins Gesicht gezogen.

Hier und dort, scheinbar zufällig, hielten die Gruppen an: vor einem kleinen, der Heiligen Jungfrau gewidmeten Altar, in der Eingangshalle eines Klosters, bei den schlichten Pfarrkirchen, die von den kleinen Leuten besucht wurden.

Doch ihr Tun hatte nichts Beliebiges. Sie blieben nur so lange stehen, wie sie brauchten, um einige seltsame Gegenstände zu verteilen und die Türen und Mauern mit einer zähen Flüssigkeit zu beschmieren. Anschließend eilten sie weiter zur nächsten Etappe ihrer verwerflichen Pilgerwanderung.

Ein paar von ihnen bildeten die Vorhut, um sicherzustellen, dass kein menschliches Wesen ihnen in die Quere kam. Aber die Nacht war dunkel, der Mond ging gerade erst als schmale Sichel über dem Horizont auf, und die braven Bürger Roms verschanzten sich in ihren Häusern und genossen die wohlverdiente Ruhe nach einem arbeitsreichen, mühevollen Tag. Nur die eine oder andere Katze huschte auf der Suche nach einer nächtlichen Mahlzeit um die Ecken.

Aus den geschlossenen Fenstern drang kein Licht. Die Bewohner schliefen friedlich und wussten nichts davon, dass andere wach waren und ihren zwielichtigen Geschäften nachgingen.

Die Männer arbeiteten schnell und emsig, ohne Unterbrechung. Sie hinterlegten ihre Päckchen, verschwanden wieder und eilten sogleich zum nächsten Ort.

Ihre Wege kreuzten sich häufig, überschnitten sich aber nie. Sie zeigten keinerlei Unsicherheit, was die Richtung anging, und schienen genau zu wissen, wohin sie mussten.

Die Stadt war noch stiller und verlassener als sonst bei Dunkelheit. Keine Betrunkenen torkelten durch die Gassen, keine Einbrecher spürten irgendeiner armseligen Beute nach, keine Liebespaare strebten ihren geheimen Treffpunkten zu.

Diese Nacht war keine beliebige Nacht, keine Nacht wie die anderen.

In dieser Nacht ließ der lange Arm der heiligen Inquisition seinen unheilvollen Schatten über die Ewige Stadt fallen.