Kapitel XXIV

 

Wie… Wie bist du hierhergekommen?« Beatrice war die Erleichterung anzuhören, den Maler gesund und wohlbehalten vor sich zu sehen.

»Durch einen glücklichen Zufall«, antwortete Fulminacci. »Ich habe einen alten Freund getroffen, der mir aus diesem Irrenhaus herausgeholfen hat.«

»Einen Freund?«

»Allerdings, und was für einen! Keinen Geringeren als den Ehrwürdigen Großmeister Baldassarre Melchiorri, Leibarzt und Astrologe der Königin von Schweden.«

»Woher kennst du Melchiorri? Er ist einer der angesehensten Männer der Stadt, der Liebling der adeligen Salons. Ich wusste gar nicht, dass du in solchen Kreisen verkehrst.«

»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Fulminacci und streckte die Beine unterm Tisch aus. »Nebenbei bemerkt, er heißt nicht wirklich Melchiorri.«

»Erzähl, wir sind gespannt«, forderte Beatrice ihn auf, als sie sich zu ihm setzte. Es war spät, und sie waren alle sehr müde, aber für eine gute Geschichte lohnte es sich, auf ein paar Minuten Schlaf zu verzichten.

»Wir haben uns vor sieben oder acht Jahren in Mailand kennengelernt«, hob Fulminacci an. »Ich malte damals Porträts für neureiche Bürgerfamilien, während ich versuchte, an einen größeren Auftrag von der Kirche heranzukommen. Um ehrlich zu sein, ging es mir nicht besonders gut. Wir begegneten uns in einer Osteria im Kanalviertel Navigli, wo ich wie so oft mein bisschen Geld beim Würfeln und Kartenspielen durchbrachte. Ich merkte erst, dass er ein Falschspieler war, als er mich bis aufs Hemd ausgezogen hatte. Glaubt mir, er war höllisch raffiniert. Als wir uns an den Tisch setzten, haben meine Mitspieler und ich ihn für einen unbedarften Kaufmann mit vollem Geldbeutel gehalten. Also ein Huhn, das man rupfen konnte, wie es uns das Glück manchmal bescherte. Während des ganzen Spiels hielt er die Rolle des Einfaltspinsels durch, lachte, wenn er ein gutes Blatt hatte, schaute betrübt drein, wenn er schlechte Karten bekam, jubelte, wenn er gewann, und fluchte, wenn er verlor. Kurzum, er benahm sich wie ein unerfahrener Neuling. Dabei gewann er haushoch – wir konnten es nicht glauben, dass ein solcher Tölpel so ein unverschämtes Glück hatte. Von wegen Glück, von wegen Tölpel! Er brauchte nur eine knappe Stunde, um uns allen die Taschen zu leeren.

Als die letzte Partie zu Ende war, löste sich die Runde auf, aber er blieb am Tisch sitzen und lud mich ein, mit ihm zu trinken. Aus irgendeinem Grund mochte er mich anscheinend.

Wir tranken ziemlich viel, und als wir uns angefreundet hatten, erklärte er mir haarklein, wie er uns ausgenommen hatte. Er holte einen Stoß Karten aus der Tasche und zeigte mir Tricks, bei denen sich mir der Kopf drehte. Die Asse kamen und verschwanden wie durch Zauber, es war nicht zu fassen!

In den Tagen darauf trafen wir uns wieder und ließen es uns richtig gut gehen. Wir waren Freunde geworden.

Er hatte immer einen vollen Geldbeutel und ließ es an nichts fehlen, was gut und teuer war. Dabei verstand ich nach wie vor nicht, woher seine Wohlhabenheit kam.

Melchiorri führte mich in gesellschaftliche Kreise ein, zu denen ich sonst nie Zugang gehabt hätte. Gute Tavernen, Luxusbordelle, Spieltische, über die schwindelerregende Summen gingen.

Damals nannte er sich Arduino Ponzani, aber ich weiß bis heute nicht, ob das sein richtiger Name ist.

Er hatte in Padua studiert, war Arzt, aber auch Alchimist und Astrologe. Abends dazu Falschspieler. Und noch vieles mehr.

Wir verkehrten in den Häusern der reichen bürgerlichen Kaufleute der Stadt; in seiner Gesellschaft ging ich in den Adelspalästen ein und aus, als wäre ich dort zu Hause.

So trieben wir es ein paar Monate, und ihr könnt mir glauben, in dieser Zeit ging es mir so gut wie selten. Dank seiner Verbindungen bekam ich lohnende Aufträge, verkaufte Bilder an die teuersten Galerien und wurde mit Leuten bekannt gemacht, die mir zu meinem Glück hätten verhelfen können.

Dann, ganz ohne Vorwarnung, passierte das Malheur.

Ich weiß über die Einzelheiten der Affäre damals nicht Bescheid und habe nur mitbekommen, dass es um irgendwelche landwirtschaftlichen Güter ging, Einnahmequellen aus einem Alleinerbe, so etwas in der Art. Jedenfalls war der Abt der Kartause von Pavia darin verwickelt, denn er zeigte meinen Freund am Ende bei der Obrigkeit an.

Ponzani konnte den Schergen um Haaresbreite entkommen.

Ich brachte ihn für ein paar Tage im Haus einer alten Tante von mir in Pavia unter. Doch er musste sich wirklich ein dickes Ding geleistet haben, denn wir hörten, dass er landauf, landab gesucht wurde, und obwohl sein Versteck ziemlich sicher war, hätten sie ihn früher oder später geschnappt. Also entschied mein Freund, dass es Zeit für eine Luftveränderung sei, und plante, sich ins Herzogtum Parma und Piacenza abzusetzen, bis die Wogen sich geglättet hätten.

Kurz vor seiner Abreise, in einer stürmischen Nacht, fragte ich ihn, warum er diesen Streich gewagt hätte, den er doch eigentlich nicht nötig hatte. Er war ein gefragter Arzt mit einem wohlhabenden Patientenstamm, und seine anderen Aktivitäten verschafften ihm ein Zusatzeinkommen.

›Wegen des Abenteuers, Giovanni, nur wegen des Abenteuers‹, hat er geantwortet, als er sein Pferd bestieg. ›Was wäre das für ein Leben ohne das Prickeln des Abenteuers?‹

Er hat mir noch ein paarmal geschrieben in den folgenden Jahren, dann habe ich den Kontakt zu ihm verloren, auch weil ich inzwischen nach Rom gegangen war. Erst heute Abend habe ich ihn wiedergesehen, in einem kleinen Nebenraum des Theaters.

In der Kutsche hat er mir erzählt, dass er sich hier und dort herumgetrieben hat, in Piacenza, Parma, Ferrara, Venedig. Bis er vor ein paar Jahren durch einen glücklichen Zufall die Bekanntschaft Christines von Schweden machte, die am Hof der Gonzagas zu Besuch weilte.

Die Königin hatte an einem großen Bankett teilgenommen, einem von diesen endlosen Festessen mit Dutzenden von Gängen und Heerscharen von livrierten Dienern.

Wie mein Freund sagt, macht sich Christine nicht besonders viel aus Essen, hat aber eine leidenschaftliche Vorliebe für kunstvolles Zuckerwerk. An jenem Abend war die Zubereitung der Speisen Bartolomeo Stefani anvertraut worden, der angeblich der beste Koch Europas sein soll. Der Küchenchef übertraf sich selbst und schuf wahre Kathedralen aus Zucker, denen die Königin nicht widerstehen konnte. Um es kurz zu machen, Christine übertrieb es mit dem Naschwerk und wurde krank. Ponzani war es kurz zuvor gelungen, sich in die Schar der Hofärzte der Gonzagas aufnehmen zu lassen, und nachdem alle anderen versagt hatten, schaffte er es, die Königin gesund zu machen. Bei dieser Gelegenheit setzte er ihr auch lauter Flausen über Astrologie und Horoskope und all solches Zeug in den Kopf, weil er wusste, dass sie verrückt nach solchen Dingen ist.

Christine nahm ihn in ihre Dienste, er begleitete sie nach Rom und lebt seitdem wie ein großer Herr.«

»Eine interessante Persönlichkeit, keine Frage«, bemerkte Beatrice. »Aber jetzt musst du uns noch erzählen, wie er dich aus dem Theater herausgebracht hat.«

Der Maler berichtete in allen Einzelheiten, wie es ihm ergangen war und wie er es geschafft hatte zu entkommen. Am Ende zeigte er ihnen die Porträtskizze des Bettlers.

Beatrice betrachtete sie lange und aufmerksam, als wolle sie sich diese hageren, grausamen Züge genau einprägen.

»Die behalte ich besser«, sagte sie dann, »es gibt Leute, denen sehr daran gelegen sein wird. Gleich morgen früh lasse ich ihnen die Zeichnung zukommen. Du solltest vorläufig nicht das Haus verlassen, Nanni. Nach dem neuen Mord wird man die Überwachung der Straßen noch verschärfen – Rom wird buchstäblich von Schergen überschwemmt werden. Und jetzt gehen wir schlafen, ich bin todmüde.«

Kardinal Azzolini nahm das Blatt Papier von seinem Schreibtisch und überflog die in Schönschrift erstellte Auflistung.

Vor ihm wartete ein Mann in einem einfachen geistlichen Gewand. Er war noch jung, kaum über zwanzig, schien aber nicht besonders beeindruckt davon, dem mächtigsten Vertreter der katholischen Kirche gleich nach dem Papst gegenüberzustehen. Gelassen, beinahe amüsiert über den Luxus und Prunk des Gemachs sah er sich um und betrachtete die Einrichtung, die Fresken, die Gobelins, die Dekorationen und die Möbel mit den feinen Intarsien, als interessiere er sich gerade für nichts anderes.

»Ihr habt gute Arbeit geleistet, Bellariva«, sagte Azzolini und sah von der Liste auf. »Ein solches Ergebnis hätte ich in so kurzer Zeit nicht erwartet. Ich bin angenehm überrascht von Eurer Tüchtigkeit.«

Der junge Mann nahm das Lob beinahe gleichgültig entgegen.

»Ich habe Glück gehabt, Eminenz«, sagte er, »und ich wusste, wo ich suchen musste. Die Archive der Gesellschaft Jesu sind zwar ausufernd, aber sehr zweckmäßig geordnet.«

»Ich weiß Eure Bescheidenheit zu schätzen«, erwiderte der Kardinal. »Euer Eifer wird nicht vergessen werden, und die heilige Mutter Kirche wird sich gewiss erkenntlich zeigen. Ich sage Euch eine glänzende Zukunft voraus, wenn Ihr Euch weiter mit solchem Einsatz Euren Aufgaben widmet.«

»Mein Lohn ist das Wissen, Eurer Eminenz und dem Stellvertreter Christi auf Erden, Seiner Heiligkeit Alexander VII., gedient zu haben. Ich verlange nichts anderes, als mich nützlich machen zu können.«

»Nehmt die Abschrift dieser Liste und begebt Euch zum vatikanischen Archiv. Wir müssen feststellen, wie viele von diesen Männern noch leben, und vor allem, wer von ihnen sich zur Zeit in Rom aufhält. Ihr könnt gehen.«

»Eminenz, wenn Ihr gestattet…«

»Sprecht nur, Bellariva.«

»Da die Suche im Collegium Romanum unerwartet schnell vonstattengegangen ist, habe ich mir erlaubt, Euren Wünschen zuvorzukommen, und die Überprüfung bereits durchgeführt. Hier ist die Namensliste.«

Der junge Geistliche überreichte ihm ein weiteres Blatt mit derselben leserlichen, schönen Handschrift.

»Ihr überrascht mich stets aufs Neue, Bellariva. Woher wusstet Ihr…?«

»Es schien mir der nächste logische Schritt zu sein, Eminenz. Da mir nicht entgangen ist, dass die ermordeten Mönche alle Jesuiten waren, habe ich es für notwendig erachtet…«

»Genug, kein Wort mehr«, unterbrach ihn Azzolini. »Eure Tatkraft in allen Ehren, aber seht Euch vor, dass sie nicht in eine übermäßige Neugier mündet. Die einzige Eigenschaft, die ich noch mehr achte als Tatkraft, ist Besonnenheit, und ich hoffe, dass Ihr Euch der zweiten nicht weniger befleißigt als der ersten. Und da Ihr Euch als so vorausschauend erwiesen habt, brauche ich Euch wohl nicht zu sagen, dass dieses Gespräch nie stattgefunden hat.«

»Stets zu Euren Diensten, Eminenz.«

Der Kardinal wartete, bis der junge Geistliche das Zimmer verlassen hatte, stand dann von seinem Schreibtisch auf und ging mit entschiedenen Schritten zu einer kleinen Tür in dem großen Bücherschrank aus Mahagoni, der die ganze Wand bedeckte.

Durch sie gelangte er in einen mehrere Dutzend Schritte langen Raum, in dem viele junge Männer in Talaren sich über ihre kleinen Schreibpulte beugten und genaue Abschriften von amtlichen Dokumenten und päpstlichen Bullen verfassten.

Der Kardinal durchschritt das Zimmer, ohne einen der vielen Schreiber eines Blickes zu würdigen, die bei seinem Vorübergehen ehrerbietig murmelten.

Kaum war er wieder hinausgegangen, erhob sich ein gedämpftes Raunen unter den Kopisten, denn es kam nicht oft vor, dass der Kardinal das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls über diese Abkürzung verließ. Es musste etwas Ernstes und Dringliches vorgefallen sein.

Azzolini hörte dieses Geflüster nicht. Er eilte fast im Laufschritt zu einer schmalen Treppe, die in die dicke Mauer eingelassen war, und stieg in einen Bogengang um einen großen, gepflasterten Innenhof hinunter. Dort wartete eine dunkle Kutsche ohne Wappen oder sonstige Kennzeichnung seit dem ersten Morgengrauen auf ihn.

Der Kutscher saß abfahrbereit auf dem Bock, und die Pferde schnaubten ungeduldig wegen des langen Wartens.

»Zur französischen Gesandtschaft«, befahl der Kardinal knapp und zog die Vorhänge zu.