KAPITEL LXII
Pater Wiedenmann fiel plötzlich um. Das Gesicht des Jesuiten war aschfahl geworden, und aus seinem Mund drang ein leises Röcheln, begleitet von gelblichem Schaum.
Die umstehenden Gäste waren im ersten Augenblick wie erstarrt über den jähen Zwischenfall und unfähig, etwas zu tun.
Der Erste, der sich regte, war Fulminacci. Er kniete sich neben den Mönch und stützte seinen Kopf, um ihm das Atmen zu erleichtern.
Gleich darauf war Beatrice an seiner Seite.
»Beatrice«, sagte er, »was… warum… Herr im Himmel, tu doch etwas! Du müsstest mehr davon verstehen als ich!«
Beatrice besah sich die verdrehten Augen und das Zittern, das den Körper des Jesuiten schüttelte. Dann nahm sie ein Taschentuch, wischte etwas von dem schaumigen Speichel ab und führte es an ihre Nase.
»Was… was…?«, stammelte Fulminacci hilflos.
»Gift«, murmelte die Wahrsagerin kaum hörbar.
»Kannst du etwas dagegen tun?«
Sie schüttelte den Kopf und rückte ein Stück von Pater Wiedenmanns verzerrtem Gesicht ab.
»Es tut mir leid«, sagte sie, »das ist nicht mein Gebiet. In so etwas habe ich nicht genug Erfahrung. Ich fürchte, da ist nichts zu machen…«
»Melchiorri! Er ist doch Arzt!«, rief Fulminacci. »Er kann ihm bestimmt helfen. Schnell, sucht den Großmeister! Es geht um Leben und Tod!«
Doch der Rest der Runde war immer noch vor Schreck und Überraschung wie gelähmt. Von der ursprünglichen Gruppe waren nur noch der andere Jesuit namens Pater Pfotenhauer und die vier Musketiere übrig geblieben, die mit dem Schutz der beiden Mönche beauftragt waren. Von dem kleinen, rundlichen Pater war keine Hilfe zu erwarten. Er starrte mit entsetzter Miene auf die Zuckungen des Gefährten, und nicht einmal ein Kanonenschuss hätte ihn vermutlich aus seinem Schockzustand reißen können.
»Steht nicht herum und haltet Maulaffen feil!«, brüllte der Maler. »Bewegt Euch!«
Diese zweite Aufforderung riss wenigstens die Musketiere aus ihrer Lähmung. Ein hochgewachsener Mann, offenbar der Anführer, bellte ein paar knappe Befehle in seiner Muttersprache, worauf zwei der Soldaten sich in Bewegung setzten.
Derweil lockerten der Maler und die Wahrsagerin Pater Wiedenmanns Kleidung in dem vergeblichen Versuch, seine Atmung anzuregen.
Einige endlos scheinende Minuten vergingen, in denen die Zuckungen des Jesuiten immer schwächer wurden.
Das Auftauchen des Großmeisters wurde von allen mit Erleichterung begrüßt. Er wechselte einen schnellen Blick mit Beatrice, die lautlos ein Wort mit ihren Lippen formte. Melchiorri verstand sofort: Gift!
»Helft mir«, sagte er, nachdem er den Sterbenden kurz gemustert hatte. »Wir müssen ihn in mein Laboratorium tragen. Vielleicht können wir noch etwas tun!«
Zwei der Musketiere hoben den schon fast leblosen Geistlichen an und trugen ihn durch die Menschenmenge auf das Gästehaus zu, in dem der Großmeister logierte.
Das ging nicht unbemerkt vonstatten, und viele Schaulustige drängten sich um den kleinen Zug.
»Keine Aufregung, keine Aufregung«, wiederholte der Großmeister mit einem aufgesetzten Lächeln. »Nur eine kleine Ohnmacht aufgrund der Hitze. Ein wenig Magnesiumsalz, und alles ist wieder in Ordnung. Keine Sorge, es ist nichts. Nur eine kleine Unpässlichkeit. Macht bitte Platz, kein Grund zur Aufregung.« Er fand es immer wieder erstaunlich, wie schnell jeder das glaubte, was er glauben wollte. All diese vornehmen Damen und Herren waren auf dem Fest, um sich zu amüsieren, um die außergewöhnlichen Vergnügungen zu genießen, die für sie inszeniert wurden, und niemand wollte sich die sorglose Feierstimmung verderben lassen. Deshalb wurden Melchiorris beruhigende Flunkereien mit Erleichterung aufgenommen. Viele erwiderten sein Lächeln sogar augenzwinkernd, als wollten sie sagen, dass sie als Leute von Welt volles Verständnis für die manchmal unangenehmen Folgen hatten, die allzu herzhaftes Speisen und Zechen mit sich brachte.
Endlich gelang es der Gruppe, das Gedränge hinter sich zu lassen und das Laboratorium zu erreichen.
Pater Wiedenmanns regloser Körper wurde auf einen eilig freigeräumten Tisch gebettet.
Melchiorri beugte sich über den Pater und drückte ein Ohr auf dessen Brust.
»Der Herzschlag ist sehr schwach, aber er lebt noch, Gott sei Dank.«
»Wisst Ihr, um welches Gift es sich handelt?«, fragte Beatrice.
»Ich glaube ja, kann es aber nicht mit Gewissheit sagen. Gott möge uns beistehen, es ist die einzige Chance!«
Der Großmeister ging zu einem seiner Regale, ließ den Blick über die darin aufbewahrten Gefäße gleiten und griff nach einer Ampulle aus dunklem Glas.
»Geht mir zur Hand«, sagte er, »wir müssen ihn das Gegengift schlucken lassen.«
Das war leichter gesagt als getan.
Pater Wiedenmann hatte aufgehört zu geifern und presste nun seine Kiefer wie bei einer vorzeitigen Leichenstarre fest aufeinander. Indem Fulminacci und einer der Musketiere auf seinen Unterkiefer drückten, schafften sie es, dass der schwächer werdende Mönch seine Zähne einen kleinen Spalt breit öffnete, aber sie brauchten ihre ganze Kraft dazu. Melchiorri beeilte sich, ihm den Inhalt des Fläschchens einzuflößen. »Das dürfte genügen«, sagte er schließlich. »Ihr könnt ihn loslassen. Giovanni, halt ihm die Nase zu, damit er schlucken muss.«
Der Maler gehorchte. »Und jetzt?«, fragte er dann.
»Jetzt müssen wir abwarten und hoffen, dass ich mich nicht geirrt habe. Und dass es nicht zu spät war. Und dass sein Organismus die Belastung verkraftet.«
Der Großmeister, Fulminacci, Beatrice und die vier Musketiere verteilten sich um den großen Tisch und warteten darauf, dass der Trank seine Wirkung tat, während der übrig gebliebene Jesuit, Pater Pfotenhauer, in einen Sessel gesetzt wurde.
Es wurde ein langes, banges Warten.
Zuerst schien es, als reagierte der Mönch überhaupt nicht auf das Medikament oder wäre sogar in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen.
Nach einigen Minuten jedoch wurde er von neuen Krämpfen geschüttelt, die eine Weile andauerten, bis er sich plötzlich mit großen Augen aufrichtete und den Mund aufriss.
Schnell schob Melchiorri mit ausgebreiteten Armen alle zurück, die vor dem vergifteten Jesuiten standen.
Gerade noch rechtzeitig, denn gleich darauf erbrach sich der Pater in hohem Bogen über den Tisch und noch ein paar Meter darüber hinaus. Auf dieses erste gewaltige Speien folgten noch weitere, schwächere Ausbrüche, aber von nicht geringerer Reichweite.
Die Umstehenden wichen rasch noch weiter zurück. Nur Pater Pfotenhauer rührte zunächst kein Glied und starrte mit weit geöffneten Augen ins Leere, doch als eine Fontäne von Erbrochenem die nächste jagte, zeigte auch er eine Reaktion.
Ein beängstigender Schwall brach aus dem Mund des kleinen Mönchs hervor und kreuzte sich mit dem, den Pater Wiedenmann gerade ausstieß, sodass sich eine gewaltige Lache auf dem Fußboden ausbreitete.
»Großer Gott!«, rief Fulminacci, »so etwas habe ich noch nie gesehen, noch nicht mal in den übelsten Kaschemmen.« »Sehr gut«, bemerkte der Großmeister gelassen angesichts dieser apokalyptischen Szene, »das Brechmittel hat gewirkt. Wenn sein Herz durchhält, ist Pater Wiedenmann höchstwahrscheinlich außer Gefahr. Jetzt sollte ich wohl besser einen Diener rufen, der diese Schweinerei hier aufwischt.«
»Oh Gott, den beneide ich nicht«, flüsterte Beatrice.
»Pater Wiedenmann wäre gerettet«, fuhr der königliche Arzt und Astrologe fort, »aber damit ist die Angelegenheit noch lange nicht erledigt. Wie es aussieht, hat der Skorpion uns einen bösen Streich gespielt. Alles hätte ich erwartet, nur nicht, dass dieser grausame Mörder auf eine so wenig männliche Waffe wie Gift zurückgreift.«
»Vielleicht war es gar nicht der Skorpion«, murmelte Fulminacci gedankenverloren.
»Was sagst du da?«
»Ich meine, es besteht doch die Möglichkeit, dass es nicht der Skorpion war, der ihn vergiftet hat. Ich habe keine männliche Person in der Nähe unserer Gruppe bemerkt, bevor der Pater zusammenbrach. Pater Santini, Pater Ricci, Bellori und Fontana sind weitergegangen, während ein paar andere auf uns zukamen, aber niemand war dicht genug heran, um das Gift zu verabreichen, mit Ausnahme einer recht korpulenten Dame. Wenn ich nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, einer gewissen Wahrsagerin meiner Bekanntschaft Vernunft einzutrichtern« – hier durchbohrte der Maler Beatrice mit einem Blick so scharf wie ein Stilett –, »hätte ich vielleicht einschreiten können, obwohl ich offen gestanden nicht weiß, ob ich erkannt hätte, dass da jemand vergiftet werden soll. Muss das verwendete Gift notwendigerweise geschluckt werden?«
»Ja, absolut«, antwortete Melchiorri, »anders kann man es nicht verabreichen. Bist du ganz sicher, dass es eine Frau war? Könnte es nicht auch ein verkleideter Mann gewesen sein?«
»In letzter Zeit bin ich mir über gar nichts mehr sicher, aber eine Frau werde ich wohl noch erkennen. Die Person war weiblich, daran besteht kein Zweifel.« »Sergeant«, wandte sich Melchiorri an den befehlshabenden Musketier, »Ihr wart nur eine Spanne von Pater Wiedenmann entfernt. Ist Euch nichts aufgefallen?«
Der kräftige Mann schüttelte den Kopf, sichtlich niedergeschlagen, weil er seinen Auftrag nicht erfüllt hatte.
»Ich erinnere mich, dass einige Damen vorbeigingen, als die Gruppe sich auflöste, aber sie schienen sich nicht besonders für uns zu interessieren.«
»Habt Ihr nicht bemerkt, dass der Pater einen Kelch zum Mund geführt hat?«
Die beschämte Miene des Unteroffiziers wurde plötzlich aufgebracht.
»Pater Wiedenmann«, antwortete er langsam und deutlich, damit er trotz seines französischen Akzents gut zu verstehen war, »hat den ganzen Abend pausenlos einen Kelch nach dem anderen zum Mund geführt, und der andere Pater hat es ihm gleichgetan und ihn manchmal sogar noch übertroffen. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie zwei Männer in so kurzer Zeit so viel trinken sehen!«
»Schon gut, schon gut, echauffiert Euch nicht«, beschwichtigte ihn der Großmeister. »Auch mir ist aufgefallen, dass die beiden guten Mönche es sich heute Abend an nichts fehlen ließen. Signori, ich glaube, wir haben unseren Gegner unterschätzt. Wir dachten, er würde wie üblich auf eigene Faust handeln, doch stattdessen hat der Skorpion mindestens einen Komplizen dabei. Und während dieser Komplize – oder die Komplizin – die Tat beging…«
»Der Bernsteinanhänger!«, rief Fulminacci.
»Genau das befürchte ich, Giovanni. Während wir uns um Pater Wiedenmann gekümmert haben, hat der Skorpion…«
»Nichts wie hin, schnell!«, unterbrach ihn der Maler. »Vielleicht kommen wir noch rechtzeitig.«