KAPITEL LIV

 

Nanni, wir wollen gehen, bist du denn immer noch nicht fertig?«, rief Beatrice entnervt.

»Einen Augenblick noch«, antwortete Fulminacci hinter dem Paravent. »Dräng mich nicht zur Eile.«

»Eile?«, murmelte die Freundin. »Eile ist gut. Du bist dort schon seit einer Ewigkeit zugange. In der Zeit hättest du dich fünfzigmal aus- und wieder anziehen können!«

»Immer mit der Ruhe. Schließlich kommt es auf die Feinheiten an. Außerdem habe ich leider keinen großen Spiegel zur Verfügung und muss mich abschnittsweise begutachten, zuerst unten und dann oben.«

»Mein Gott, Nanni, nicht einmal die Lieblingsfrau des Sultans braucht so viel Zeit, um sich fertig zu machen. Ich wusste gar nicht, dass du so selbstverliebt bist.«

»Bin ich gar nicht, ich will nur keinen schlechten Eindruck machen. Die wichtigsten Persönlichkeiten der Christenheit werden bei diesem Fest zugegen sein, ist dir das klar? Ich will nicht, dass jemand glaubt, es mit einem Gernegroß zu tun zu haben.«

»Aber du bist ein Gernegroß. Außerdem wird dich niemand eines zweiten Blickes würdigen, da kannst du beruhigt sein. Die Mächtigen interessieren sich ausschließlich für ihresgleichen. Und du bist nur ein armer Hungerleider von einem Maler, ein Nichts.«

»Schließ nicht von dir auf andere. Das hier ist meine große Chance. Vielleicht gelingt es mir ja, an einen wirklich guten Auftrag heranzukommen! Die Kirche, die sie da im Trevi-Viertel bauen, für die Bernini die Pläne gezeichnet hat… Ich habe gehört, dass sie die Kuppel mit einem Jüngsten Gericht ausmalen lassen wollen, meiner Spezialität. Jüngste Gerichte sind meine Stärke.«

»Mach dir keine Illusionen, Nanni. Sie werden dich nicht einmal bemerken. Und jetzt beeil dich.«

»Bin fast fertig. Nur noch einen Moment.«

Beatrice setzte sich seufzend wieder auf den niedrigen Diwan.

»Und, wie findest du mich?«

Sie betrachtete den Maler eingehend, der in der Pose eines Schmierenkomödianten hinter dem Paravent hervorgetreten war.

Trotz ihrer Ungehaltenheit über das lange Warten musste sie zugeben, dass er ausgesprochen gut aussah. Das mit dunklen Federn bestickte Wams streckte seinen kräftigen Rumpf und ließ ihn größer und schlanker wirken, wozu noch die hohe Kopfbedeckung mit der Maske beitrug. Auch die weichen Stiefel, die knapp über dem Knie umgeschlagen waren, und die dunkle, schillernde Seide des langen Dominos verliehen ihm ein geheimnisvoll-elegantes Aussehen.

Gar nicht mal übel, alles in allem, dachte sie.

Plötzlich fiel ihr etwas auf, und sie ging auf ihn zu und beschnupperte ihn.

»Großer Gott, Nanni, mit was hast du dich denn zugeschüttet?« Sie zog eine Grimasse. »Du stinkst wie eine Nutte!«

»Nur zwei Tropfen Parfum, das ist alles.«

»Zwei Tropfen? Mir scheint, du hast darin gebadet. So kannst du nicht unter die Leute. Du wirst noch alle Katzen des Viertels anlocken. Besser, ich schrubbe dich erst einmal gründlich ab.«

»Du meinst, ich habe es übertrieben?«, murmelte der Maler.

»Allerdings.«

»Dann muss ich also noch mal ganz von vorn anfangen…«

»Halt dich ran, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«

»Seid ihr immer noch nicht fertig?«, wollte Melchiorri wissen, als er ins Zimmer trat.

»Ich bin schon seit Stunden fertig«, sagte Beatrice. »Nur Nanni kann sich nicht entschließen, hinter diesem Paravent hervorzukommen.« »Giovanni, ich bitte dich, beweg dich! Wir können nicht länger warten. Bischof de Simara hat den Wunsch geäußert, dich kennenzulernen, ehe die Gäste im Palazzo eintreffen.«

Fulminacci verließ erneut den Schutz des Wandschirms und zupfte seinen Umhang zurecht.

»Bin ich so präsentabel?«

»Aber ja, wen zum Teufel kümmert das schon? Lass uns gehen. Denk daran: Sprich nur, wenn du gefragt wirst, und lass deine üblichen Aufschneidereien. Solchen Herrschaften reißt schnell der Geduldsfaden.«

Die drei eilten aus dem Pavillon und überquerten den großen gepflasterten Hof.

Die große Vorhalle wurde bereits von zahlreichen Kerzenleuchtern erhellt, obwohl es bis zum Sonnenuntergang noch ein paar Stunden hin waren.

Fulminacci, der seit zwei Tagen Gast seines Freundes Melchiorri war, hatte nun zum ersten Mal Gelegenheit, den eigentlichen Palast zu betreten.

Auch wenn er in den letzten Tagen öfter den Degen als den Zeichenstift in der Hand gehalten hatte, besaß er doch immer noch das Auge eines Künstlers, und so traten die Sorgen um sein Äußeres recht bald hinter dem Staunen über die Einrichtung dieses Paradebeispiels der Renaissancearchitektur zurück.

Der erste Saal, durch den sie kamen, war eine Hommage an die klassische Antike: Sechzehn Säulen aus gelbem Marmor und zwei aus Alabaster trugen die hohe Kuppeldecke, die mit mythologisch inspirierten Fresken ausgemalt war. Zwischen den Säulen standen meisterhaft gestaltete Skulpturengruppen, Werke von Künstlern, deren Namen vergessen waren, während ihre wunderbare Kunstfertigkeit sich erhalten hatte: eine Venus aus Marmor, eine Gruppe, die Castor und Pollux mit ihrer Mutter Leda darstellte, ein Bacchusaltar und ein von acht Musen umgebener Apoll, der aus der Hadriansvilla in Tivoli stammte. In der Mitte der großen Halle erhob sich ein Thron aus vergoldetem Holz, der für das königliche Gesäß der schwedischen Herrscherin vorgesehen war, und darüber ein monumentaler Baldachin aus grünen und goldfarbenen Draperien.

Fulminacci hatte schon viel von diesen Wunderwerken gehört, die dem Zahn der Zeit widerstanden hatten, und als er sie jetzt mit eigenen Augen sah, wurde er von Erstaunen und Ehrfurcht vor diesem fast übermenschlichen Können erfüllt. Melchiorri musste ihn mehrmals zur Eile antreiben. Der Maler folgte seinen Auforderungen schweren Herzens, weil er sich in der Betrachtung dieser Bildhauerwerke verlieren wollte, die auf der Welt nicht ihresgleichen hatten.

Nach der Säulenhalle gelangte das Trio in einen mindestens hundertfünfzig Fuß langen Salon, prächtig mit Möbeln eingerichtet, die auf verschiedene Weise die Farben der skandinavischen Dynastie wieder aufnahmen. Doch es waren nicht diese kostbaren Möbelstücke, von denen die Aufmerksamkeit des verblüfften lombardischen Künstlers gefesselt wurde. Die hohen Wände waren buchstäblich mit Meisterwerken der Malerei übersät, die zu bewundern schon immer sein Traum gewesen war, auch wenn er nie zu hoffen gewagt hätte, sie tatsächlich einmal zu sehen.

Raffael, Paolo Veronese, Correggio, Tizian: Die unvergleichlichen Schöpfungen von vier Generationen der größten Künstler der letzten hundertfünfzig Jahre waren hier in all ihrem Glanz ausgestellt.

Der ergriffene Blick des Malers schnellte von einem Werk zum anderen und wusste vor so viel Schönheit nicht, wo er verweilen sollte.

Seine Schritte wurden immer langsamer, sodass Melchiorri sich gezwungen sah, ihn erneut anzutreiben.

Überwältigt und beschämt von der Kunst dieser unsterblichen Meister bemerkte Fulminacci die Gruppe von Personen zunächst nicht, die am anderen Ende des Salons ins Gespräch vertieft war. Erst die volltönende Stimme des Großmeisters, der ihn vorstellen wollte, riss ihn aus seiner Trance.

Als Erstes musste er dem französischen Bischof die Ehre erweisen, von dem er schon einiges gehört hatte, dem er aber noch nie persönlich begegnet war.

»Monsignor de Simara, darf ich Euch Maestro Giovanni Battista Sacchi vorstellen, Maler, Bildhauer und Kupferstecher«, sagte Melchiorri.

»Und ein hervorragender Fechter, wie ich selbst zu sehen Gelegenheit hatte«, fügte der Geistliche mit einem leicht ironischen Lächeln hinzu.

»Monsieur ist zu freundlich«, murmelte der Maler.

Das Lächeln des Bischofs wurde um den Bruchteil eines Millimeters breiter.

»Mademoiselle Beatrice, welche Freude, Euch gesund wiederzusehen.« Der Bischof wandte sich der jungen Kartenlegerin zu, die sich respektvoll etwas abseits gehalten hatte. »Ich habe von Eurem unglücklichen Abenteuer gehört und stelle zufrieden fest, dass es Eurer strahlenden Schönheit nichts anhaben konnte.«

Beatrice machte einen anmutigen Knicks und errötete tief über das Kompliment, enthielt sich jedoch einer Antwort.

Bei all dem Trubel um die Kostümierung und seinem Staunen über die Anhäufung von Kunstwerken, die er nur flüchtig hatte bewundern können, hatte Fulminacci nicht besonders auf das Aussehen seiner jungen Freundin geachtet, doch nun, da es keine Ablenkung mehr gab, schnappte er nach Luft.

Die Zigeunerinnenlumpen, die Bänder in den wirren Haaren, das geflickte Mieder und der bunt gemusterte Rock waren verschwunden und durch ein Kleid in einem hellen Türkis ersetzt worden, das im flackernden Kerzenlicht changierte und hier und da in ein transparentes Wassergrün überging. Ihre kupferrote Lockenmähne hatte – offensichtlich unter den Händen eines guten Frisörs – endlich eine vollendete Fasson angenommen, die das perfekte Oval ihres Gesichts mit der im Kerker der Inquisition erworbenen feinen Blässe gut zur Geltung brachte. Ihre großen grünen Augen, die genau im richtigen Abstand zueinander lagen, leuchteten wie zwei Smaragde daraus hervor.

Die aufbrausende, kratzbürstige Wahrsagerin, die in einer verfallenen Hütte lebte und am Tiberufer Kräuterbündel sammelte, hatte sich wie im Märchen in eine wunderschöne Prinzessin verwandelt.

Fulminacci spürte, wie sein Magen sich zusammenkrampfte, sein Herz klopfte und sein Atem sich beschleunigte, als wäre er meilenweit gerannt.

Mochten ihn in den vergangenen Tagen auch manchmal Zweifel und Verwirrung heimgesucht haben, so wusste er jetzt mit absoluter Sicherheit, dass er nicht mehr ohne dieses wunderbare Wesen leben konnte, nicht einmal für kurze Zeit.

»Giovanni«, riss ihn Melchiorri aus seinen Tagträumen, »darf ich dir Gian Pietro Bellori vorstellen, den renommiertesten Kunsthändler der Stadt?«

Der Blick des Malers löste sich widerstrebend von Beatrices tiefgrünen Augen und richtete sich auf die korpulente Gestalt eines Mannes im mittleren Alter mit einem runden, übermäßig geröteten Gesicht, der ihn wohlwollend anlächelte.

»Ich habe schon viel von Euch gehört, Maestro Sacchi«, sagte Bellori, »obwohl ich noch keine Gelegenheit hatte, eines Eurer Werke zu sehen. Wenn es Eure Zeit erlaubt, erweist Ihr mir hoffentlich einmal die Freundlichkeit, mit einer Eurer neuesten Arbeiten in meinem bescheidenen Geschäft vorbeizuschauen.«

»Mit Freuden, Signore. Ich habe vor kurzem eine Serie von Kupferstichen nach dem Alten Testament fertiggestellt, die Euch vielleicht interessieren könnten«, antwortete Fulminacci, hocherfreut über die Begegnung mit diesem Händler, der in den wichtigsten Kreisen verkehrte. Es bedeutete viel, von dem mächtigen Bellori unter die Fittiche genommen zu werden, denn ein Mann wie er konnte mit einem einzigen Wort das Glück eines Malers machen.

»Pater Michelangelo Ricci«, fuhr Melchiorri mit dem Vorstellen fort, »der Lieblingsschüler des großen Torricelli. Sein Ruhm als Himmelsforscher ist gewiss auch an deine Ohren gedrungen.«

»Sehr erfreut, Pater Ricci«, sagte der Maler höflich. »Pater Kircher hat mir viel von Euch erzählt. Er hält Euch für eine Leuchte der Wissenschaft unseres Jahrhunderts.«

Der kleine Augustinermönch errötete über das Kompliment und lächelte.

»Athanasius ist zu großzügig. Ich bin nur ein bescheidener Forscher.« An den französischen Bischof gewandt sagte er: »Ich hoffe, Pater Kircher wird uns heute Abend die Ehre seiner Gegenwart erweisen.«

»Er wird in Kürze im Palast eintreffen. Wie Ihr wisst, hat mein Mitbruder in Christo sich aktiv an der Gestaltung des Festes beteiligt und viele technische Effekte zur Unterhaltung der Gäste konstruiert.«

Die Anspielung auf den Mitbruder wunderte Fulminacci, worauf er den Bischof genauer ansah und an seinem Hals das Kreuz der Jesuiten erkannte, das er zuvor nicht bemerkt hatte.

Die Jesuiten schienen in diesem Palast das Sagen zu haben.

Immerhin war der Übertritt der schwedischen Königin zum Katholizismus im Wesentlichen ihr Werk gewesen. In Frankreich dagegen hatte die Gesellschaft Jesu, nach allem was er wusste, mit nicht geringen Schwierigkeiten zu kämpfen, besonders seit Ludwig XIV. den Thron bestiegen hatte. Dieser Bischof mit dem gebieterischen Auftreten und dem Wohnsitz in der französischen Gesandtschaft bildete offenbar eine Ausnahme. Die einzige Erklärung dafür war, dass der Jesuit eine Rolle in einer Verschwörung oder irgendwelchen Machtintrigen in Rom spielte, wobei die Auswirkungen dieser Intrigen vermutlich weit über die Stadtgrenzen hinaus reichten.

Die Morde an den Jesuiten, der französische Bischof, der grausame Meuchelmörder, der sich in den Straßen Roms herumtrieb – all das deutete darauf hin, dass mächtige Kräfte am Werk waren.

Gott sei Dank gingen ihn diese Angelegenheiten nichts an.

Ihn interessierte nur, unbeschadet aus diesen Scherereien, in die er hineingestolpert war, wieder herauszukommen, um sich ganz der Eroberung von Beatrices Herz widmen zu können.

Ein Mann soll sich Ziele setzen, die er auch erreichen kann – das hatte ihm sein Großvater Guido beigebracht, ein tüchtiger Kaufmann und kluger Mensch.

Politische Verwicklungen waren nichts für ihn. Sollten die Mächtigen doch auf ihre Weise damit zurechtkommen, er hatte einfachere und naheliegendere Dinge im Sinn.

Die Unterhaltung hatte sich derweil auf höfisch-gesellschaftliche Ereignisse verlagert, bei denen der Maler nicht mitreden konnte, da er über den neuesten Klatsch kaum informiert war.

Auch Monsieur de Simara schien sich an dem Geplauder nicht zu beteiligen und mit eigenen Gedanken beschäftigt zu sein.

Unauffällig näherte er sich dem Maler, nahm ihn sachte beim Arm und führte ihn ein paar Schritte von der Gruppe weg.

Fulminacci war nicht wenig überrascht von diesem Verhalten des reservierten Geistlichen.

»Auf ein Wort, Maestro Sacchi«, murmelte der Bischof und überzeugte sich aus dem Augenwinkel davon, dass niemand ihr Gespräch unter vier Augen mitbekam.

»Ganz wie es Euch beliebt, Monsignore«, antwortete Fulminacci prompt.

»Ich habe erfahren, dass Ihr in den vergangenen Tagen mehrfach in die Lage geraten seid, die Klinge mit dem Skorpion zu kreuzen«, begann de Simara. »Die Tatsache, dass Ihr diese Begegnungen überlebt habt, ist an sich schon ein Grund zur Verwunderung, und ich würde Euch lieber nicht mit dem Gefallen belasten, um den ich Euch bitten möchte…«

Als Fulminacci den Namen des Skorpions hörte, brach ihm sogleich der kalte Schweiß aus.

»… doch wie Ihr sicher gehört habt, ist diese üble Geschichte alles andere als erledigt. Der Skorpion wird heute Abend hier sein.«

»Und das, verzeiht mir meine Kühnheit, ist wahrlich keine gute Nachricht«, erwiderte Fulminacci, »zumal ich von dieser Geschichte, die Ihr da erwähnt, immer noch so gut wie nichts verstanden habe. Wenn ich tatsächlich schon wieder mein Leben aufs Spiel setzen soll, dann will ich nicht weiter im Dunkeln tappen.« »Ich bin nicht sicher, ob ich Euch so weit vertrauen kann«, sagte de Simara nachdenklich.

Derweil drehte sich das Gespräch zwischen Melchiorri, Bellori und Pater Ricci um die Technik der Wachsmalerei, die der Großmeister seit einiger Zeit intensiv studierte. Sowohl der Augustiner als auch der Kunsthändler hatten einiges dazu zu sagen, wodurch Beatrice sich von ihnen entfernen und diskret zu den beiden abseits sprechenden Männern treten konnte.

»Erlaubt mir, mich einzumischen, Monsignore. Ich glaube, Maestro Sacchi hat in letzter Zeit hinlänglich bewiesen, dass er Eures Vertrauens würdig ist. Darüber hinaus ist Euer großes Geheimnis gar nicht mehr so geheim, da inzwischen mehrere Personen davon Kenntnis haben.«

Der Bischof musterte die Kartenlegerin und wog offensichtlich das Für und Wider ihres Einwands ab.

»Nun gut«, sagte er schließlich. »Aber Ihr müsst mir versprechen, mit keiner Menschenseele darüber zu reden.«