KAPITEL XIV

 

Es wurde kein angenehmes Erwachen für den Maler. Die Fechtkämpfe und die atemlose Flucht der vergangenen Nacht hatten ihre Spuren hinterlassen.

Nur mit Mühe konnte er sich von seinem Lager erheben. Von Kopf bis Fuß hatte er stechende Schmerzen. Die vielen Schrammen, die er bei dem Kampf davongetragen hatte, brannten wie die Hölle, obwohl eine mitleidige Hand während seiner Bewusstlosigkeit wieder diese stinkende Salbe daraufgestrichen hatte, damit sie sich nicht entzündeten.

Er hob den Kopf vom Kissen und blinzelte durch die angelehnten Fensterläden, um festzustellen, dass es schon heller Tag war.

Er musste viele Stunden geschlafen haben, aber sein Geist war alles andere als erfrischt.

Auf einen Ellbogen gestützt rollte er sich von dem strohgefüllten kleinen Bett und tastete mit halb geschlossenen Augen nach seinen Stiefeln.

Ein paar der zahlreichen Katzen, die sich im Haus herumtrieben, strichen ihm lautlos um die Beine, wobei er sein gerade errungenes wackeliges Gleichgewicht wieder verlor und stolperte. Er versuchte dem Tier, das ihm am nächsten war, einen Tritt zu versetzen, aber es war zu flink und er zu benommen, als dass er getroffen hätte.

Ächzend richtete er sich wieder auf und brauchte ein paar Augenblicke, um sich zurechtzufinden. Seine Erinnerungen an die letzte Nacht waren wirr und verschwommen wie ein komplizierter Traum, der bei Tagesanbruch nur noch vage Bilder hinterlässt. Er massierte seine steifen Arme und sagte sich, dass Träume wenigstens keine Schnittwunden hinterließen.

Ein heftiger Harndrang veranlasste ihn, schnell zum Hinterausgang zu gehen und die Latrine aufzusuchen, die sich wenige Schritte von der Hütte entfernt am Flussufer befand.

Fulminacci hatte Beatrices Weigerung, Nachttöpfe im Haus zu dulden, nie ganz begriffen. Eine merkwürdige Angewohnheit, ja geradezu eine lästige Manie, besonders im Winter, wenn man es mit Kälte und Regen aufnehmen musste, um dringende Bedürfnisse zu verrichten, die man viel schneller und bequemer mit einem entsprechenden Gefäß erledigen konnte.

Beatrice jedoch nahm es äußerst genau mit der Hygiene und erlaubte unter keinen Umständen, dass irgendjemand von dieser Vorschrift abwich.

In einer Ecke ihres Zimmers, verborgen hinter einem Vorhang, stand sogar eine Wanne aus Marmor, die sie Gott weiß woher hatte und in der sie mit befremdlicher Häufigkeit Vollbäder zu nehmen pflegte. Noch nicht einmal die Aristokraten mit ihren feinen Näschen trieben einen solchen Aufwand und überdeckten unangenehme Körpergerüche lieber durch großzügige Verwendung von Parfum.

Beatrice hatte ihm schon öfter Vorträge darüber gehalten, wie wichtig es sei, den Körper und die Kleidung sauber zu halten, um keine Krankheiten zu bekommen, aber der Maler konnte einfach keinen logischen Zusammenhang zwischen Körperhygiene und Gesundheit erkennen.

Er hatte sich sogar bei einigen der vielen Ärzte und Wanderheiler erkundigt, die in der Stadt praktizierten, und alle hatten einhellig ein Ursache-Wirkung-Verhältnis zwischen diesen beiden Dingen ausgeschlossen. Das Auftreten von Krankheiten hing, wie jedermann wusste und wie die zurate gezogenen Doktoren nachdrücklich betonten, mit einem Ungleichgewicht der verschiedenen Körpersäfte zusammen. Auf diesen Einwand hin hatte Beatrice die gelehrten Mediziner bloß als einen Haufen herausgeputzter Dummköpfe bezeichnet.

Diese Gedanken gingen dem Maler durch den Kopf, als er von der Latrine kam und in der Hoffnung auf ein Frühstück ins Haus zurückkehrte.

Die Wahrsagerin bemerkte sein Kommen nicht gleich oder tat möglicherweise auch nur so. Fulminacci ging zur Feuerstelle, wo er ein Stück frisches Brot fand, das er hungrig verschlang.

Nach diesem bescheidenen Frühstück setzte er sich zu Beatrice, die wie üblich mit ihren Tarotkarten beschäftigt war. Er hoffte, dass sie ihm eine Erklärung für die Geschehnisse der vergangenen Nacht geben konnte und etwas über den stummen Riesen wusste, dessen Einschreiten ihn davor bewahrt hatte, sich frühzeitig zu seinen Vorfahren im Jenseits zu gesellen.

Doch Beatrice schien nicht geneigt, ein Gespräch zu beginnen, und konzentrierte sich ganz auf ihre Karten. Sie hatte sie auf dem wackeligen Tischchen ausgebreitet und zu einem geheimnisvollen Muster angeordnet.

Als sie die letzten abgelegt hatte, betrachtete sie forschend die Verteilung der Bilder. Ihr Gesichtsausdruck war ernst und besorgt, und der Maler beobachtete sie schweigend, ohne dass sie sich davon irritieren ließ.

So ging es eine Weile weiter, bis sie die Karten zusammenschob und ihre Anordnung zerstörte.

Beatrice sah ihn an und griff dann wortlos wieder nach dem Stapel, den sie fächerartig vor ihm ausbreitete.

»Zieh eine Karte«, forderte sie ihn auf.

Nach kurzem Zögern wählte Fulminacci eine Tarotkarte und drehte sie um.

»Der Tod!«, rief er aus und warf die Karte auf den Tisch, als hätte ihn ein giftiges Insekt gestochen.

Die Wahrsagerin nahm sie, steckte sie zurück in den Stapel und mischte sorgfältig. Anschließend legte sie die Karten erneut zu einem Fächer aus und ließ ihn ziehen.

Zum zweiten Mal fischte er die Karte heraus, die den Tod darstellte.

Das wiederholte sich noch ein drittes und ein viertes Mal.

Mit einer uralten, Unheil abwehrenden Geste legte der Maler die Hände an den Schritt seiner Hose und versäumte es auch nicht, einen wirkungsvollen Abwehrzauber herzusagen.

Beatrice lachte über seine erschrockene Reaktion.

»Keine Sorge, Nanni«, versuchte sie ihn zu beruhigen, »die Karte des Todes darf man nicht wörtlich auslegen. Ihre eigentliche Bedeutung ist Wandlung und Veränderung. Dein Leben wird eine vollkommen neue Wendung nehmen.«

Abgesehen von seiner Mutter, die schon seit vielen Jahren tot war, nannte nur Beatrice ihn Nanni. Fulminacci wusste nicht, ob ihm das gefiel oder nicht.

Wieder verteilte sie die Karten halbkreisförmig auf dem Tisch.

Dann bat sie ihn, drei Tarotkarten aus dem verbliebenen Stapel zu ziehen, legte sie unter den Halbkreisbogen und zog schließlich selbst drei heraus, die sie neben seinen Karten ablegte.

Sie nickte, als sähe sie sich in einer Vermutung bestätigt.

Danach nahm sie eine der Karten zur Hand und zeigte sie Fulminacci, der trotz seiner Vorbehalte gegenüber den Wahrsagekünsten seiner Freundin doch langsam neugierig wurde.

Es handelte sich um das Arkanum des Narren.

»Der Narr stellt in Verbindung mit dem Tod einen Auslöser für Veränderungen dar«, erklärte die junge Frau und zeigte auf das Kartentrio, das er gezogen hatte: der Tod, der Narr und die Päpstin.

»Alles dreht sich um diese Arkana«, sagte sie. Anschließend wies sie auf die drei von ihr gezogenen Karten: der brennende Turm, der Bettler und der Mönch.

»Und diese drei symbolisieren die Dinge, vor denen du dich hüten musst, drei Zeichen, die auf Gefahr und Verrat hindeuten.«

Gegen seinen Willen fasziniert betrachtete der Maler die Karten eine Weile. Dann gewann die ihm eigene Skepsis wieder die Oberhand, und er wischte das Tarot mit einem etwas zu lauten Lachen durcheinander.

»Die Karten haben mir noch nie Glück gebracht«, sagte er, »und mit den Würfeln ist es mir auch nicht besser ergangen.«

Beatrice schüttelte den Kopf, wirkte aber nicht verärgert über seine ablehnende Haltung.

»Mich interessiert vielmehr zu erfahren, was gestern Nacht passiert ist«, begann Fulminacci. »Wer ist der Riese, der mich vor diesen Meuchelmördern, Gott strafe sie, gerettet hat?«

»Er heißt Zane«, antwortete sie, »und ist Slawonier, ein Slawe. Er ist ein guter Freund von mir, und ich habe ihn gebeten, dir zu folgen. Nach dem Hinterhalt von neulich war ich in Sorge, dass du wieder angegriffen werden könntest, und wie man sieht, habe ich mich nicht geirrt.«

»Ein tüchtiger Kerl«, bemerkte der Maler, »und stark wie ein Ochse. Er redet nur nicht viel.«

»Das ist eine lange Geschichte. Zane stammt wie gesagt aus Slawonien, aus der Stadt Zara an der Adria. Bei einer Seeschlacht wurde er von den Türken gefangen genommen und hat fünf Jahre als Rudersklave auf osmanischen Schiffen zugebracht. Während eines Sturms konnte er sich von seinen Ketten befreien und zusammen mit ein paar Kameraden fliehen. Sie haben sich eines Bootes bemächtigt und sind auf Italien zugerudert. Sie sind lange auf See geblieben, ein Spielball der Wellen, bis das Boot endlich an die italienische Küste getrieben wurde. Zane hat als Einziger überlebt. Danach ist er lange durchs Land gezogen, hat sich notdürftig durchgeschlagen und sich schließlich einer Gruppe von Bettlern angeschlossen, mit der er vor zwei Jahren in Rom angekommen ist. Giovanni, den du auf dem Campo dei Fiori kennengelernt hast, hat ihn zu mir gebracht. Er war sehr krank, mehr tot als lebendig, um genau zu sein. Ich habe ihn gepflegt, und er ist wieder gesund geworden, auch wenn ich mehr als einmal befürchten musste, dass er nicht durchkommt. Das Tertianafieber ist schwer zu heilen. Jedenfalls ist er seitdem zu einer Art Leibwächter für mich geworden. Warum er nicht spricht, weiß ich nicht. Ich habe ihn gründlich untersucht – mit seiner Zunge ist alles in Ordnung, allem Anschein nach fehlt ihm nichts. Doch er gibt kein einziges Wort von sich. Versteht zwar alles, spricht aber nicht. Ich habe keine Ahnung, woran es liegt.«

»Vielleicht hat er einen Schlag auf den Kopf bekommen. Ich habe mal von einem gehört, der bei einer Schlägerei einen Knüppelhieb abgekriegt hat und seitdem nicht mehr spricht. Er ist allerdings auch auf der gesamten rechten Seite gelähmt. Aber wer weiß…«

»Möglich wär’s«, sagte Beatrice, »obwohl ich nicht glaube, dass das der Grund ist. Jetzt zu einem anderen Thema. Du warst neulich abends nicht ehrlich zu mir, Nanni.«

Die Wahrsagerin sah ihn forschend an, bis er verlegen den Blick senkte.

»Wieso, von was redest du…«, versuchte er auszuweichen.

»Du hast mir nicht die ganze Geschichte erzählt. Wenn ich alles gewusst hätte, hätte ich dir diesen zweiten Überfall wahrscheinlich ersparen können.«

Aus einer Tasche ihres Rocks zog sie den Bernsteinanhänger hervor und ließ ihn vor seinen Augen baumeln. Reflexartig legte er die Hand auf den Beutel, in dem sich das Schmuckstück befinden sollte.

Der Beutel war natürlich leer.

»Das ist der Grund, weshalb du in Gefahr bist, verstehst du nicht? Wo hast du das gefunden?«

Seufzend gab Fulminacci nach und erzählte ihr der Reihe nach, wie er an den Anhänger gekommen war. Da er jetzt nichts mehr zu verheimlichen brauchte, beschrieb er auch den Bettler und erzählte, dass derselbe Mann die Mörderbande im Ghetto angeführt hatte.

»Heilige Muttergottes, Nanni! Weißt du denn nicht, wen du da vor dir hattest?«

»Nein, wieso? Kennst du den Kerl?«

»Nicht persönlich, aber ganz Europa hat von ihm gehört. Niemand weiß, wie er aussieht, denn wer je sein Gesicht erblickt hat, hat das nicht überlebt. Konntest du ihn deutlich sehen? Würdest du ihn wiedererkennen?«

»Ich verstehe ja, dass es sich um ein wertvolles Schmuckstück handelt«, murmelte der Maler, »aber deswegen gleich jemanden umzubringen, bei der Madonna! Ich kann es ja immer noch zurückgeben…«

»So einfach ist das nicht, Nanni. Es geht nicht mehr allein um den Bernstein. Du hast seinen Besitzer von Angesicht zu Angesicht gesehen, verstehst du? Und das auch noch zweimal. Er wird keine Ruhe geben, bis er dich aus dem Weg geräumt hat. Du steckst bis zum Hals in Schwierigkeiten. Am besten arbeitest du mit der Obrigkeit zusammen. Man kennt weder den Namen noch die Herkunft dieses Mannes, aber er wird von allen der Skorpion genannt und ist vermutlich der gefährlichste Auftragsmörder Europas. Es gibt hochgestellte Persönlichkeiten, mächtige Männer, die ein großes Interesse daran haben, ihm das Handwerk zu legen. Könntest du ihn beschreiben?«

»Na klar! Außerdem habe ich in der Kirche eine ganz gute Zeichnung von ihm gemacht. Warte mal, ich muss sie hier irgendwo haben…«

Fulminacci kramte in der kleinen Tasche an seinem Gürtel herum.

»Herrgott, sie ist nicht mehr da! Wo zum Teufel kann sie sein?«

»Sag nicht, dass du sie verloren hast!« Beatrice schien höchst verärgert. »Such weiter, Nanni. Es ist wichtig!«

»Wenn sie weg ist, ist sie weg. Diese Tasche ist ja kein Schrank. Da braucht man nicht lange zu suchen, sieh selbst.« Er leerte den Inhalt des Lederbeutels auf den Tisch.

»Kann sein, dass sie gestern Abend bei der Verfolgungsjagd herausgefallen ist. Oder während des Kampfes oder bei der Flucht. Ich weiß es nicht. Aber eben war die Tasche noch zu. Guck mal, der Verschluss kommt mir ziemlich sicher vor, und ansonsten fehlt nichts. Nachdem ich das Porträt in Santa Maria Maggiore gezeichnet hatte, habe ich sie nicht mehr aufgemacht, es sei denn…«

»Es sei denn…«, drängte ihn die Freundin. »Streng dich an, Nanni, versuch dich zu erinnern.«

»Es sei denn bei meinem Besuch bei Valocchi, dem flämischen Maler, von dem ich dir erzählt habe. Na ja, wir hatten ein bisschen getrunken, du weißt ja, wie das ist. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, scheint mir tatsächlich, dass ich ihm die Zeichnung gezeigt habe. Ich wollte seine Meinung hören, ob ich sie als Vorlage für das Fresko in Santa Reparata verwenden kann. Gut möglich, dass ich sie bei ihm vergessen habe. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte sein. Falls die Skizze sich noch bei Valocchi befindet, ist es jedenfalls kein Problem, sie zurückzuholen.«

Beatrice schüttelte den Kopf.

»Du solltest dich bei Tag erst mal nicht mehr im Viertel blicken lassen. Dich kennen hier zu viele, und der Skorpion wird sicher seine Komplizen nach Trastevere schicken, um dich zu suchen. Ich werde mich um die Zeichnung kümmern, und du gehst besser nicht vor die Tür. Könntest du das Porträt nachzeichnen?«

»Puh, so aus dem Gedächtnis ist das schwierig. In groben Zügen vielleicht, aber es wäre nicht sehr ähnlich. Dieser Mann hat ein ziemlich eigentümliches Gesicht…«

»Verstehe. Ich werde Zane hinschicken, und du bleibst schön hier.«

»Ich habe aber keine Lust, mich in deiner Hütte zu verkriechen«, protestierte der Maler, dem seine Freiheit über alles ging. »Außerdem müsste ich Verschiedenes erledigen. Ich könnte…«

»Kommt überhaupt nicht infrage«, unterbrach ihn die Freundin entschieden. »Du rührst dich nicht vom Fleck. Nur über meine Leiche!«