Üsküdar

Spaziergang

Vorbei am Kız Kulesi steuern die Bosporusfähren Üsküdar an. Einem Amphitheater gleich steigen um den Hafen in einem weiten Halbrund die Häuser des Stadtteils empor, durchsetzt von Kuppeln und Minaretten. In der Abendsonne glänzen die Fassaden seit eh und je golden – vielleicht ein Grund dafür, weshalb Üsküdar in vorchristlicher Zeit Chrysopolis, „Stadt des Goldes“, genannt wurde.

Kurz bevor das Fährschiff anlegt, fällt rechter Hand (südwestlich der Fähranlegestelle) die malerische, unmittelbar am Bosporus gelegene Șemsi-Pascha-Moschee (Şemsi Paşa Camii) ins Auge. 1580 entwarf Sinan, bereits in hohem Alter, die zierliche Einkuppelmoschee aus hellem Marmor für den Wesir und Dichter Şemsi Ahmed Pascha. Die Türbe des Stifters steht daneben.

Imposanter ist die Hafenmoschee (İskele Camii) auf einer terrassenförmigen Anhöhe direkt bei den Fähranlegern. Der Weg dahin führt vorbei an einem großen, reizvollen Barockbrunnen mit arabischen Inschriften. Es handelt sich um Verse berühmter osmanischer Dichter. Auch die Hafenmoschee aus dem Jahr 1547 schuf Sinan, dieses Mal für Mihrimah, die Lieblingstochter Sultan Süleymans. So stattlich ihr Äußeres mit der weit ausladenden Vorhalle auch erscheinen mag, ihr Inneres enttäuscht: Die Raumaufteilung ist unausgewogen, und Licht fällt nur spärlich hinein.

Der davor liegende Platz, der Üsküdar Meydanı, ist nicht so berauschend wie der Verkehr drum herum. Vielleicht ändert sich das einmal, wenn hier der U-Bahnhof Üsküdar entstanden ist, der zur neuen, unter dem Bosporus verlaufenden Metrolinie Marmaray gehören wird. Bis dahin ist er eine einzige Baustelle.

Kız Kulesi – ein Turm wie für Legenden geschaffen

Aus den dunklen Fluten des Bosporus ragt eines der lieblichsten Wahrzeichen İstanbuls hervor, der kleine, festungsartige Kız Kulesi („Mädchenturm“), wie die Türken ihn nennen. Einer Legende zufolge wurde einem König einst prophezeit, dass seine Tochter jung an einem Schlangenbiss sterben werde. Zu ihrer Sicherheit errichtete der König den Turm im Bosporus – fernab aller Schlangen. Umsonst: In einem Obstkorb, der dem Mädchen gesandt wurde, hatte sich eine Natter versteckt, und die Prophezeiung wurde wahr. Die Legende hört man in der Türkei übrigens nahezu überall, wo es eine kleine küstennahe Insel mit einem Turm bzw. einer Burg darauf gibt.

Auf eine andere Legende geht die überwiegend von Ausländern verwendete Bezeichnung „Leanderturm“ zurück. Sie handelt von dem sagenumwobenen Liebespaar Hero und Leander, das sich nur nächtens sehen konnte, da die Liebe geheim gehalten werden musste. So durchschwamm Leander stets in der Dunkelheit das Meer, um zu Hero zu gelangen. Zur Orientierung stellte sie ihm eine Kerze in eines der Turmfenster. In einer stürmischen Winternacht ging die Kerze aus, Leander ertrank, und Hero stürzte sich aus dem Fenster. Leider Humbug: Das traurige Schicksal von Hero und Leander, das u. a. Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) überlieferte, soll sich nicht am Bosporus, sondern an den Dardanellen zugetragen haben.

Seit einigen Jahren könnte der Turm auch „Elektraturm“ genannt werden, denn er ist um eine Geschichte reicher geworden. Diese handelt von der bösen Elektra, die ihn als Versteck nutzt – alles weitere im James-Bond-Film The World is not enough. Tatsache ist, dass das gegenwärtige Türmchen aus dem 18. Jh. stammt und u. a. als Leuchtturm und Zollstation diente. Heute beherbergt es ein Café und Restaurant.

Rund um den Platz findet man weitere Moscheen. Die bedeutendste steht an seiner Südflanke, die Yeni-Valide-Moschee (Yeni Valide Camii) mit zwei auffälligen Minaretten. Ahmet III. ließ sie im klassischen Stil zwischen 1708 und 1710 für seine Mutter Gülnuş Emetullah (was für ein Name: „Rosentrunk Zeitferne Gottes“) errichten. Der Innenraum wirkt freundlich, die Fayencen sind jedoch blass und einfallslos.

Schräg gegenüber der Moschee (östlich der Hakimiyeti Milliye Caddesi) erstrecken sich das kleine Marktviertel und das Geschäftszentrum Üsküdars. Die Hakimiyeti Milliye Caddesi, auf welcher der Verkehr meist stockt, ist eine der zentralen Achsen Üsküdars und führt vom Hafen landeinwärts. An ihr liegt auch ein von einem kleinen Park umgebener alter Hamam, heute der Mimar Sinan Çarşısı, eine Markthalle mit Ramschläden.

Der Spaziergang verläuft weiter auf der Hakimiyeti Milliye Caddesi landeinwärts, vorbei an Telefonläden, Goldhändlern und einfachen Bekleidungsge schäften. Beim Restaurant Niyazibey Iskender folgt man fortan der Dr. Fahri Atabey Caddesi, bis es nach dem Regierungsgebäude Hükümet Konağı, einem interessanten Neubau mit Anklängen an die traditionelle Architektur, nach links in die Eski Toptaşı Caddesi und kurz drauf in die Hayrettin Çavuş Sokak abgeht. Durch nun eher langweilige Straßenzüge – vorbei an tristen Wohnblocks, Haushaltswarenverkäufern, Berbern und Minimarkets – gelangt man bergauf zur Fayencenmoschee (Çinili Camii), die von einem kleinen Garten umgeben ist. In ihrem Innern begeistert feinste İznik-Keramik. Türkise und zartblaue Töne überwiegen. Gestiftet wurde die Moschee 1640 von Valide Mahpeyker („Mondgesicht“) Kösem, der Mutter der zwei Sultane İbrahim der Verrückte und Murat IV. Zur Moschee gehört auch der etwas tiefer gelegene, gleichnamige Hamam.

Geht man den Weg, den man gekommen ist, wieder etwas zurück und zweigt dann links ab in die Çinili Camii Sokak, gelangt man zur Atik-Valide-Moschee (Atik Valide Camii). Sie ist eines der letzten Meisterwerke des großen Architekten Sinan, 1583 im Auftrag Nur Banus („Lichtgemahl“), der Gattin Sultan Selims II., errichtet. Ihr Inneres ist sehenswert. Die Apsis schmücken auch hier feinste İznik-Fayencen. Die Unterseiten der Emporen zieren Arabesken in Schwarz, Rot und Gold. Mihrab und Minbar sind kunstvolle Marmorarbeiten. Der Weg in die Moschee führt durch einen herrlichen baumbestandenen und nach Rosen duftenden Vorhof, einen der schönsten İstanbuls.

Folgt man der Çinili Camii Sokak und deren Fortsetzungen weiter Richtung Süden, stößt man automatisch auf den Karaca-Ahmed-Friedhof (Karaca Ahmet Kabristanı), ein Meer aus Grabstelen, das von mehreren Straßen durchschnitten wird. Auch ein Nichtmuslim hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden: In einer säulengetragenen Kuppeltürbe wartet das Lieblingspferd Sultan Mahmuts I. (1730–54) auf den Tag der Auferstehung.

Wer sich für Architektur und Design interessiert, kann nun einen kleinen Abstecher nach links in die Nuh Kuyusu Caddesi unternehmen. An der breiten Straße ragt, einem Raumschiff gleich, die modernste Moschee der Türkei in den Himmel, die 2009 fertiggestellte Şakirin-Moschee (Şakirin Camii). Für die Innendekoration war erstmals in der Moscheengeschichte des Landes eine Frau zuständig – die İstanbuler Innenarchitektin Zeynep Fadıllıoğlu, die auch Szenebars designt.

Wer den Abstecher auslässt, folgt für ein paar Meter der breiten Straße zwischen den Gräberfeldern hindurch (Richtung Harem). Dann führt der Weg über die Selimiye Kışla Caddesi, die Selimiye Hamamı Sokak, die Selimiye İskele Caddesi und die Karlık Bayırı Sok. zum İsmail Hakkı Tonguç Parkı, einer kleinen Grünanlage mit ein paar Bänken. Am Abend sieht man von hier Europa am anderen Ufer im Licht der untergehenden Sonne verglühen.

Von dort gelangt man über Treppen hinab zum Busbahnhof Harem (Fähre nach Eminönü). Entlang dem Ufer – egal ob zu Fuß oder per Dolmuş – geht es, vorbei an zig Cafés und dem Kız Kulesi, zurück nach Üsküdar.

Istanbul
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