Taksim und Beyoğlu
Jugendstil und gestylte Jugendliche. Glas und Stahl zwischen Ziergiebeln und brüchigen Säulen. Dazwischen Bars und Stars. Nördlich des Goldenen Horns schlägt İstanbuls unbändiges Herz.
Taksim, ein nie zur Ruhe kommender Stadtteil, gilt als der Nabel des modernen İstanbul. Er besteht aus nicht viel mehr als dem gleichnamigen weiten Platz, dem Taksim Meydanı. Bedeutung kommt diesem insbesondere als zentraler Verkehrsknotenpunkt zu, viel Flair besitzt er nicht. Von ihm führt die Cumhuriyet Caddesi, ein breiter Boulevard und Sitz fast aller Fluggesellschaften, in den nördlich von Taksim gelegenen Stadtteil Harbiye.
Im Südwesten schließt sich Beyoğlu an. In den schluchtartigen Gassen und Straßen des Stadtteils verbergen sich die ausgefallensten Clubs und Restaurants, viele Kunstgalerien, die alles zwischen türkischer Landschaftsmalerei und surrealen Videoinstallationen präsentieren, Multiplexkinos, Theater und Einkaufspassagen mit einem Angebot zwischen internationalen Streetwear-Labels und schrägen Secondhand-Klamotten. Am pulsierendsten ist das Leben auf der İstiklal Caddesi, der „Straße der Unabhängigkeit“, ein langer, enger Schlauch. Am Wochenende spaziert hier – gefühlt – halb İstanbul auf und ab und es kann entsprechend eng werden. Ruhiger geht es im Viertel Cihangir südwestlich von Beyoğlu zu, eine der beliebtesten und teuersten zentralen Wohngegenden der Stadt mit netten Boutiquen, Cafés und Restaurants. Zur intellektuellen Elite des Landes, die hier zu Hause ist, gehört auch Orhan Pamuk.
Westliche Großstadtmoral bestimmt das Bild und
die Menschen Beyoğlus. Viele Bewohner verlassen ihren Stadtteil
nie, und von den strengen anatolischen Sitten anderer Viertel will
hier kaum jemand etwas wissen. Nirgendwo kann man besser den Trends
und Gegensätzen der modernen Türkei nachspüren als in Beyoğlu.
Schon immer war die Atmosphäre hier freier als anderswo in
İstanbul. Jahrhundertelang galt Pera, so der alte Name Beyoğlus,
als der kosmopolitische Mittelpunkt des Osmanischen Reiches, als
bevorzugtes Botschafts- und Wohnviertel der Europäer und
nichtmuslimischen Minderheiten. Elektrischen Strom und
Wasserklosetts gab es hier schon, als man jenseits des Goldenen
Horns noch nicht einmal davon gehört hatte. Mit der
Republikgründung zogen die Botschaften nach Ankara. Mit ihnen
gingen die Ausländer, die den Stadtteil geprägt hatten.
Zurück blieben ihre grandiosen Gesandtschaften, die teils noch
heute als Konsulate genutzt werden, ihre versteckt gelegenen
Kirchen, ihre Art-nouveau-Bauten und der westliche Lebens-stil. Es
gibt viel zu entdecken, kunsthistorische Besonderheiten sind jedoch
keine darunter. Der internationale Hype um den Stadtteil als
Aushängeschild der „Trendcity İstanbul“ hat Beyoğlu auch bei
Touristen sehr populär gemacht.