Galata und Karaköy

Spaziergang



Der Tünel Meydanı ist ein kleiner, von Cafés gesäumter Platz an der oberen Station der Tünel-Bahn, einer der ältesten Metros der Welt (gebaut 1875). Zugleich ist der Platz Start- und Endpunkt der nostalgischen Straßenbahn durch die İstiklal Caddesi. Von ihm zweigt die steil bergab führende Galipdede Caddesi ab.

Hinweis: Zwar hat man sonntagvormittags die besten Chancen, das Gros der hier aufgeführten Kirchen offen vorzufinden, jedoch herrscht dann in den sonst äußerst geschäftigen Stadtvierteln wenig Leben.

Musikalienhandlungen und Studios säumen sie, dazu Cafés und Fruchtsaftverkäufer. Noch bis in die 1980er war die Straße eine für Galata typische Treppengasse, dann wurde sie zugunsten des Autoverkehrs gepflastert. Benannt ist sie nach Galip Dede, einem Hofdichter aus dem 17. Jh. Sein Grab befindet sich im Garten des Mevlevi-Klosters (Galata Mevlevihane), das heute ein Museum beherbergt. Etwas weiter die Straße bergab präsentiert das Goethe-Institut im Teutonia-Gebäude (Galipdede Cad. 65) gelegentlich wechselnde Ausstellungen. 1933 hatten die Nazis darin übrigens ein Propagandazentrum eingerichtet.

Kurz darauf führt linker Hand die Gassenschlucht Serdar-i Ekrem Caddesi zwischen alten Stadtpalästen in neuem Glanz und einigen Boutiquen zur schönsten protestantischen Kirche am Bosporus. Die neogotische Crimean Memorial Church (Kırım Kilisesi) der englischen Gemeinde İstanbuls entstand nach dem Krimkrieg (1854–56, nur zur Messe So um 10 Uhr geöffnet).

Der steil bergab verlaufende Kumbaracı Yokuşu ist benannt nach einem französischen Offizier, der im 18. Jh. zum Islam konvertierte und den martialischen Beinamen „der Bombardier“ (Kumbaracı) annahm. Zum Glück prägt der Name einer Straße nicht seine Anwohner, die hier spielenden Kinder lachen einen eher schüchtern an. Die Straße wird vom Alltagsleben der kleinen Leute beherrscht – nur wie lange noch? Ihre Altbauwohnungen sind begehrt, v. a. die oberen Etagen mit ihrem Traumblick über die Stadt sind kaum mehr erschwinglich.

Weiter führt der Weg entlang der Lüleci Hendek Caddesi, an welcher ergraute Zweckbauten zerfressenen oder erst jüngst restaurierten Jugendstilfassaden die Hand geben. Kleine Handwerksbetriebe und Geschäfte säumen die Straße, Gasflaschen kann man hier kaufen oder sein Auto waschen lassen. In einem aufgegebenen Tabaklager haben sich die Galerien Rodeo und Depo niedergelassen, die oft recht provokante Ausstellungen zeigen.

Eine Dominante im hiesigen Stadtbild ist der Galataturm (Galata Kulesi), ein imposantes, 62 m hohes Befestigungswerk. Von seiner Aussichtsplattform genießt man einen grandiosen Panoramablick. Dabei fällt ein weiterer Turm, dieses Mal mit Jugendstilornamenten, ca. 100 m weiter südlich ins Auge. Er gehört zum Beyoğlu-Krankenhaus (Beyoğlu Hastanesi). Den Platz vor dem Galataturm umringen gemütliche Touristenlokale.

Südwestlich von ihm führt die gewundene Galata Kulesi Sokak steil hinab zum Goldenen Horn. An ihr liegt linker Hand das alte englische Gefängnis (Eski İngiliz Karakolu, Hausnr. 15). In spätosmanischer Zeit besaßen manche Kolonien europäischer Nationen in İstanbul das Privileg eines eigenen Strafvollzugs. Heute ist hier das charmante Restaurant Galata Evi untergebracht. Schräg gegenüber wurde im 15. Jh. ein Dominikanerkloster gegründet. Dessen Gotteshaus, die hinter einem unscheinbaren Eingang in Hausnummer 28 verborgene Peter-und-Paul-Kirche (Sen Piyer Kilisesi), stammt jedoch aus der Mitte des 19. Jh. Sie wird heute von der italienischen Gemeinde genutzt (geöffnet Mo–Fr 7–8 Uhr, Sa 15.30–17.30 Uhr, So 10–12 Uhr).

Auf den einst wichtigsten genuesischen Palast stößt man etwas weiter an der Kartçınar Sokak. Es ist der 1316 errichtete Palazzo del Comune, auch „Podestat“ genannt, einst der Sitz des genuesischen Gouverneurs. Jeden Tag verfällt der grau-rosafarbene Bau ein bisschen mehr.

Vorbei am österreichischen St.-Georgs-Kolleg, einem angesehenen Gymnasium, erreicht man die Kamondo-Stufen, eine eigenartige, fast kubistisch anmutende Treppe. Ihr Name erinnert an jene jüdische Bankiersfamilie, die sie einst als Abkürzung zu ihrem Wohnhaus bauen ließ. Die Stufen führen hinab zur Bankalar Caddesi (auch: Voyvoda Caddesi), der İstanbuler Wallstreet des 19. Jh. Die feudalen Bankgebäude werden nach und nach restauriert. Zuletzt war das Gebäude der ehemaligen Osmanischen Bank an der Reihe (Hausnr. 11), in dem die Garanti Bankası ein Kunst- und Kulturzentrum einrichten wird. Auch wird darin nach der Restaurierung wieder das Osmanlı Bankası Müzesi über die einst wichtigste Bank des Landes informieren.

Durch ein Gassenwirrwarr, mal links, mal rechts, geht es zur Arabischen Moschee (Arap Camii). Unterwegs stapelt sich vor kleinen Läden das vereinte Sortiment aller Baumärkte der Welt. Halten Sie dazwischen nach einem roten Backsteinbau mit Holzdach Ausschau – die Moschee gehört zu den außergewöhnlichsten der Stadt.

Bevor man den Verkehrsknotenpunkt nördlich der Galatabrücke erreicht, heißt es aufpassen. Linker Hand, in der schmalen Perçemli Sokak, versteckt sich das Museum der türkischen Juden (Türk Musevileri Müzesi). Es ist untergebracht in der schön restaurierten Zülfaris-Synagoge, deren Ursprünge bis ins 17. Jh. zurückreichen.

Prostitution – das geduldete Tabu

Prostitution ist in der Türkei in staatlich genehmigten Bordellen legal. Landesweite Berühmtheit haben die Bordelle von Karaköy. Hier gehen die Prostituierten nicht hinter diskreten Eingängen irgendwelcher Gebäude ihrem Gewerbe nach, sondern in engen Gassen, ähnlich wie in Amsterdam. Der Zugang zu solchen Gassen wird von der Polizei kontrolliert. Wer keinen Personalausweis vorweisen kann oder als Schüler in Uniform erscheint, wird abgewiesen. Einen Sturm der Entrüstung löste übrigens Anfang der 1990er-Jahre die Armenierin Matild Manukyan aus. Manukyan, damals Besitzerin von 14 lizenzierten Bordellen in Karaköy, erhielt über mehrere Jahre hinweg staatliche Auszeichnungen – als Zahlerin der höchsten Steuern des Landes. Ihre Gewinne aus dem Sex-Business investierte sie geschickt im Immobilienmarkt. Schwerreich verstarb die gute Dame im Jahr 2001.

Fisch und Bier im Unterbau der Galatabrücke

Durch eine von Elektrohändlern in Beschlag genommene Unterführung gelangt man zum Hafen Karaköys. Die Uferpromenade wird von Fischlokalen gesäumt. Ein ständiges An- und Ablegen der Fähren bestimmt das Bild. Etwas weiter den Bosporus hinauf machen für gewöhnlich Kreuzfahrtschiffe fest. Früher lagen dort Handelsschiffe vor Anker. Von den Zeiten, als Matrosen aus aller Herren Länder hier das Vergnügen suchten, zeugen noch heute Bordelle in den landeinwärts gelegenen, engen Gassen. Das türkische Gesetz, nach dem Freudenhäuser mindestens 200 m von religiösen Stätten, Schulen und Fußballplätzen entfernt sein müssen, wird in Karaköy schlichtweg ignoriert.

Gleich in der ersten Parallelstraße hinter der Uferfront stößt man auf die Unterirdische Moschee (Yeraltı Camii), ein düsterer, fast unheimlicher Ort. Und noch etwas weiter landeinwärts, an der verkehrsreichen Kemeraltı Caddesi, steht das älteste christliche Gotteshaus des Viertels, die rot-weiße Kirche des Hl. Benedikt (St. Benoit Kilisesi). 1427 wurde sie gebaut. Leider ist sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Falls Sie jedoch Glück haben, ist es gerade Sonntagvormittag, und Sie können als Entschädigung die kleine, versteckt gelegene Panagia-Kirche (Aya Yani Kilisesi) in der Vekilharç Sokak besichtigen. Dort wird der Besucher von einem Türklopfer in Form einer gruseligen gusseisernen Hand begrüßt. Die Kirche ist in Besitz der türkisch-orthodoxen Gemeinde, die sich 1922 vom Griechisch-Orthodoxen Patriarchat abspaltete und von diesem bis heute ignoriert wird. Nur noch etwa 50 Mitglieder gehören ihr an.

Vorbei an der armenischen Kirche des Hl. Gregor des Erleuchters (Surp Krikor Lusaroviç Kilisesi) aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. – ihr prächtiger Vorgängerbau musste einer Straßenverbreiterung weichen – gelangt man zur alten osmanischen Kanonengießerei (Tophane), ein unübersehbarer, großer Backsteinbau. Heute finden darin gelegentlich Kunstausstellungen statt. Der elegante marmorne Tophane-Brunnen (Tophane Çeşmesi) mit einem weit überhängenden Dach auf der anderen Straßenseite zählt zu den schönsten Barockbrunnen İstanbuls.

Zwischen der Kılıç-Ali-Pascha-Moschee (Kılıç Ali Paşa Camii) und der Nusretiye-Moschee (Nusretiye Camii) – Erstere ein eher zweitklassiges Werk Sinans, Letztere eine verschnörkelt-zierliche Barockmoschee aus dem 19. Jh. – laden gemütliche Wasserpfeifencafés auf eine Pause ein. Dem Bosporus zugewandt liegt ein paar Schritte hinter der Nusretiye-Moschee das Kunstmuseum İstanbul Modern. Deutlich weniger Zulauf hat der benachbarte Sanat Limanı („Kunsthafen“) – zu Unrecht: In der ehemaligen Lagerhalle werden oft spannende Ausstellungen zeitgenössischer Kunst präsentiert.

Von Tophane bzw. Fındıklı gelangen Sie bequem mit der Straßenbahn nach Karaköy (und weiter mit der Tünel-Bahn nach Beyoğlu) bzw. Eminönü/Sultanahmet. Von Kabataş, der nächsten Straßenbahnhaltestelle gen Norden, bringt Sie die „Kurzmetro“ (Fünikuler) hinauf nach Taksim.

Man kann aber auch über die bergauf führende Boğazkesen Caddesi wieder zurück nach Beyoğlu spazieren und dabei einen Blick in die eine oder andere Galerie des Viertels Tophane werfen. Die neuen Galerien samt zugezogener Kreativszene sind den konservativen Bewohnern des Viertels ein Dorn im Auge. Als im Herbst 2010 mehrere Galerien gleichzeitig Vernissagen veranstalteten und sich die Gassen mit Wein trinkenden Hipstern füllten, kam es zum Aufruhr – mehrere Verletzte und Festnahmen waren die Folge.

Istanbul
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