30. Kapitel




Ayala stand auf einem kleinen Plateau vor einer Höhle und blickte über die Schlucht, in der die wenigen, trockenen Grasbüschel die rauhe und zerklüftete Umgebung noch trostloser erscheinen ließen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es ihr wohl gelingen würde, hier Blüten tragende Pflanzen anzusiedeln. Sie musste dann selbst darüber lachen, dass ihre Leidenschaft für die Gärtnerei sich offensichtlich nie ganz verdrängen ließ, nicht einmal im Angesicht einer Schlacht. Aber die berührte sie auch kaum. Sie würde genauso kurz und leicht wie endgültig sein. Fast glaubte sie schon, die erhabene Macht der Unsterblichkeit zu spüren, die jetzt zum Greifen nah war. Zufrieden sog sie die frische Bergluft in ihre Lungen.

Dann sah sie sich lächelnd zu Rhonan um, der in schwere Hand- und Fußketten gelegt, ein Stück hinter ihr stand. Auf die Ketten hatte sie nur bestanden, weil er damit auch nach außen hin sichtbar ihr Gefangener war. Sie wusste, dass er sie nicht angreifen würde, und sie bezweifelte, dass er dazu zurzeit überhaupt in der Lage wäre.

Allein auf dem Weg von der Festung zum Gebirge war er ein paar Mal beinahe gestürzt. Das enge Verlies und die fehlende Ernährung hatten Spuren hinterlassen. Sein Gesicht wirkte ausgezehrt, und immer wieder zuckte sein Körper unter Muskelkrämpfen. Sie wäre durchaus bereit gewesen, ihm bei ihrer Rast gnädig etwas zu essen zu geben, wenn er sie nur darum gebeten hätte. Aber er hatte es nicht getan. Seine Miene war bei ihrem ausgedehnten und üppigen Mahl genauso ausdruckslos geblieben wie bei ihrem Gang durch die da’Kandar-Festung und über den Burghof, dabei war sie absichtlich über den Platz gegangen, auf dem der Scheiterhaufen seinerzeit gebrannt hatte. Aber er hatte sich nicht ein einziges Mal umgesehen.

Was immer man über den da’Kandar-Bengel sagen konnte, er hatte sich gut im Griff. Doch auch das würde ihm letztendlich nichts einbringen. Beherrscht oder unbeherrscht – sterben würde er trotzdem nach getaner Arbeit.

Das Lächeln der Nebelkönigin vertiefte sich unwillkürlich bei diesem Gedanken.

»Wir haben eine sehr schöne Aussicht hier, nicht wahr? Wenn wir Junas Angaben trauen dürfen – und davon gehe ich aus –, ist das tapfere Befreiungsheer bald hier. Ach, habe ich Euch eigentlich schon gesagt, dass die Siegel endlich auf der Nebelinsel eingetroffen sind. Martha macht sich noch heute mit ihnen auf den Weg. Ich sage es ja immer: Dem, der warten kann, erfüllen sich am Ende alle Wünsche fast von selbst.«

In hilflosem Zorn ballte er die Hände zu Fäusten und presste die Lippen zusammen.

Er hatte bereits einer Demonstration der Macht Ayalas beiwohnen dürfen. Um die Schwarze Quelle zu schützen, hatte Maluch etliche Schattenkrieger am Eingang zum Wolkengebirge zurückgelassen. Doch für die Nebelfrauen waren sie keine Gegner gewesen. Die schwarzen Hünen waren einfach tonlos zusammengebrochen. Rhonan hätte noch nicht einmal sagen können, aus welchem Grund. Erst, als sie die Leichname passiert hatten, war ihm aufgefallen, dass aus allen Rüstungsspalten Blut geflossen war.

»Sie sind zerplatzt«, hatte die Königin ihm kalt lächelnd erklärt. »Trügen sie nicht ihre schweren Rüstungen, wären ihre Körperteile jetzt wohl überall verstreut. So ist es angenehmer, nicht wahr?«

Mit Grauen dachte er jetzt an Derea, der üblicherweise nicht einmal eine Lederrüstung trug.

Die Königin seufzte vor Entzücken. »Ihr wirkt ein wenig angespannt, mein Guter. Soll ich Euch vielleicht einen Wein bringen lassen?«

»Wollt Ihr Eure Unsterblichkeit wirklich mit so viel Blut an den Händen erkaufen?«, begann er einen letzten Versuch. »Ihr habt schon drei Siegel, und ich werde Euch den Weg zur Quelle öffnen. Lasst mich nur mit Canon sprechen. Sie werden wieder abziehen. Warum sollen Unschuldige sterben?«

Ihr Lachen hallte von den Bergwänden wider. »Unschuldige Krieger? Kann es die denn überhaupt geben? Und ausgerechnet Ihr sprecht zu mir von Blut an den Händen? Die Blutspur, die Ihr hinterlasst, wo immer Ihr auch auftaucht, dürfte kaum zu überbieten sein.«

Ihre Augen verengten sich ein wenig. Nebel drang in dicken Schwaden in die Schlucht. Das war hier nicht weiter ungewöhnlich, denn das Wolkengebirge hatte seinen Namen daher, dass es sehr oft in tiefhängende Wolken oder in Nebel getaucht war. Aber Ayala empfand es als Ärgernis, dass sie so dem großen Sterben nicht richtig zusehen konnte. Außerdem hätte sie doch ganz gern zumindest einen einzigen Blick auf ihre Söhne geworfen. Marlena hatte schließlich erzählt, der jüngere wäre ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.

Eine Priesterin unterbrach ihre Gedanken, denn sie kam in diesem Augenblick mit gerafften Röcken den schmalen, steilen Pfad zum Plateau hochgeeilt. »Es zieht ein Unwetter auf, meine Königin«, erklärte sie, kaum, dass sie oben war. »Und wir haben das Heer gesichtet. Es sind vielleicht achtzig Mann, und sie kommen zu Fuß und haben gerade den Fluss überquert.«

»In der Luft ist nichts zu sehen?«

Die jüngere Frau schüttelte den Kopf. »Nur dunkle Wolken, aber die kommen dafür schnell näher.« Ein dumpfes Grollen erfüllte in diesem Augenblick schon die Luft. Ein erster Blitz zuckte am Horizont.

»Gut, meine Liebe. Berichte mir weiter, was Dora sehen kann.«

Sie blickte erneut den Prinzen an. »Ist es nicht seltsam, dass ausgerechnet ich Schwierigkeiten habe, geistige Verbindungen länger aufrechtzuhalten? Aber jeder hat wohl einen kleinen Makel, nicht wahr? Eure Trunksucht habt Ihr in der Zwischenzeit irgendwie abgelegt, aber, wie mir gestern auffiel, hinkt Ihr wieder.«

Rhonan schenkte ihr gar keine Beachtung, sondern starrte mit leerem Blick in die Schlucht, in der der Nebel immer dichter wurde und stetig weiter anstieg. Eine Eiseskälte hielt ihn gefangen, denn gleich sollte er erneut zusehen, wie Freunde und Wegbegleiter starben.

Ayala genoss ihre Überlegenheit sichtlich und strahlte übers ganze Gesicht. »Habe ich Euch eigentlich schon mitgeteilt, dass Eure Echsenfreunde den Kampf abgelehnt haben. Sie wollen nicht gegen uns kämpfen, weil sie uns vertrauen. Daher werden sie in ihre Sümpfe zurückkehren können, während Eure Begleiter hier ihr heißes Grab finden werden. Kommt es mir eigentlich nur so vor, oder sterben tatsächlich alle Menschen, die Euren Weg kreuzen, unweigerlich früher oder später?«

Er erwiderte nichts, aber sein gequälter Blick entging ihr nicht, auch wenn er nur sehr kurz zu sehen war, und entlockte ihr ein zufriedenes Lächeln.

Unendlich langsam verging die Zeit, während die junge Priesterin weiter berichtete.

Das Heer war mittlerweile im Nebel verschwunden, aber die Schritte waren für das feine Gehör der Priesterinnen nach wie vor gut zu hören. Jeden Augenblick würden die Krieger die Schlucht betreten, und die Nebelfrauen waren bereit.

Auch die Gewitterwolken hatten jetzt die Berge erreicht, und schweres, dunkles Blau vermischte sich mit fedrigem Weiß. Dumpfes Donnergrollen rollte von den Bergen, einzelne Blitze jagten durch die Schlucht.

»Sie sind da«, flüsterte die Berichterstatterin. Anscheinend hatte sie ihre Stimme unwillkürlich der nahezu gespenstischen Umgebung angepasst.

Rhonan versuchte vergeblich, im dicken Nebel irgendetwas zu erkennen, flüsterte kaum hörbar: »Vergib mir, Caitlin!«, und brüllte dann, so laut er konnte: »Es ist eine Falle, Canon! Flieht aus der Schlucht! Schnell!«

Seine Worte, vielfach zurückgeworfen von den steilen Wänden, schienen Signal für vieles zu sein.

Ayala gab wutentbrannt das Zeichen zum Angriff, und die Schlucht verwandelte sich augenblicklich in ein gewaltiges Feuermeer. Wild züngelnde Flammen rasten durch den Nebel, fraßen ihn auf oder färbten ihn rot.

Ein hohes Kreischen schien über ihnen aus den Wolken zu kommen, Priesterinnen schrien schmerzerfüllt, Blitze zuckten und deckten zusammen mit Pfeilen die Berghänge ein. Der Himmel schien zum Leben zu erwachen, aber aus der Senke drang kein einziger Laut, bis auf das Knistern des Feuers.

Die junge Frau neben Rhonan stürzte schreiend auf die Knie und hielt sich die Ohren zu. Blut lief in einem dünnen Rinnsal über ihren Hals. Auch Ayala schwankte und stöhnte.

Rhonan nutzte die sich bietende Gelegenheit, hatte bereits Kahandar in den Händen und ließ knisternde, blaue Blitze aus der Klinge zucken. Die Priesterin brach mit einem letzten Schrei tot zusammen, aber Ayala lenkte den Zauber mit lautem Ächzen ab. Ihr Kleid wies einige kleine Brandlöcher auf, ihr linker Ärmel war völlig zerfetzt, und blutig und quer über ihre linke Wange verlief eine schwarzrote Brandspur.

Rhonan machte zwei wegen der Ketten recht kleine Schritte und holte aus, aber eine Druckwelle schleuderte ihn zurück gegen die Felswand, nagelte ihn förmlich daran fest.

»Du armselige Missgeburt wagst es, mich anzugreifen? Das wirst du schnell und tief bedauern«, zischte Ayala mit zornblitzenden Augen.

Ziemlich benommen versuchte er erneut einen Zauber, erstarrte aber mitten in der Bewegung. Er fühlte sich wie gelähmt, das Schwert entglitt seinen völlig gefühllosen Händen. Während er bewegungsunfähig an der rauhen Felswand herunterrutschte, hörte er immer noch das hohe Kreischen und das Schreien der Nebelfrauen.


Die Echse ging noch in der dichten Wolkendecke in den Sturzflug über, Hylia schrie vor Schreck laut auf, und Canon, der hinter ihr saß, schlang die Arme um sie. Feuerfunken sprühten ihnen entgegen, sobald sie klare Sicht hatten, prallten aber an Hylias Schutzzauber ab.

Unmittelbar vor einer Höhle breitete die Echse ihre Flügel aus. Canon war schon mit einem Satz auf einem Vorsprung und reichte der Priesterin die Hand. »Los, schnell, komm!«

Sie sprang sofort in seine Arme.

»Gutes Mädchen«, lobte er. »Wie viele?«

Auf ihren verständnislosen Blick hin zerrte er sie in die Höhle und entfernte die Wachsstöpsel aus ihren Ohren. »Wie viele?«, wiederholte er.

»Wenn wir in der richtigen Höhle sind, zwei«, erwiderte sie kurzatmig. »Aber ich hab mittendrin die Richtung verloren.«

»Es ist die richtige. Geht es, Liebling?«

Sie lächelte dünn, nickte aber: »Lass mich jetzt vorgehen! Ich webe einen Schutz, du schießt.«

Canon schüttelte grinsend den Kopf und griff sich Pfeil und Bogen. »Ich habe ganz sicher die richtige Wahl getroffen. Meine Zukünftige beschützt mich.«

Sie eilten in den schummrigen, feuchtkalten Gang. Eine Feuerkugel von der Größe eines Weinfasses raste ihnen schon entgegen.

Canon sah überhaupt nichts, schickte aber auf gut Glück einen Pfeil in die Richtung, aus der das Feuer kam, und hörte erfreut einen heiseren Aufschrei.

Die züngelnde Kugel prallte auf eine unsichtbare Wand, Hylia ächzte kurz auf, und das Feuer erlosch.

Sie hasteten an einer Priesterin vorbei, aus deren Brust ein Pfeilschaft ragte, und sahen vor sich gerade noch einen Schatten. Erneut verließ ein Pfeil den Bogen. Kurz darauf ein weiterer. Der Schatten verschwand. Sie erreichten eine kleine Höhle und damit das Ende des Ganges. Wegen der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen.

Hylia ließ sofort eine Lichtkugel schweben, und Canon schaute sich genauso hektisch wie ratlos um. »Wo ist sie hin? Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.«

Seine Begleiterin zuckte die Achseln und schluckte unbehaglich.

Er sah an der Wand vor sich einen dunklen Fleck auf dem Boden, glaubte einen Tropfen zu sehen, der den Fleck vergrößerte, verzog zweifelnd das Gesicht und schoss auf den Felsen. Er erkannte gerade noch, dass der Pfeil tatsächlich nicht abprallte, sondern stecken blieb, als eine Druckwelle ihn und Hylia auch schon ungeheuer kraftvoll gegen die Höhlenwand krachen ließ.

Hylia schrie schmerzerfüllt auf, und Canon rappelte sich hoch, sah sich erneut um, versuchte dabei gleichzeitig, sie mit seinem Körper zu decken.

Aber niemand griff sie mehr an. Ein grauenhaftes Röcheln erklang, die Wand ihnen gegenüber schien sich zu bewegen, Stein löste sich in nichts auf, und langsam erschienen die Umrisse einer Priesterin. Die taumelte in die Höhle, starrte die beiden aus brechenden Augen an, hauchte: »Verräterin!«, und sackte tot zusammen.

Canon schüttelte ungläubig den Kopf, half der stöhnenden Hylia auf die Füße und fragte besorgt: »Bist du verletzt?«

»Nur in meiner Ehre!«

Sie rieb sich ihr schmerzendes Hinterteil, und er grinste sie verschmitzt an. »Da sitzt bei euch Frauen also die Ehre? Das hätte ich nicht vermutet.«

»Noch solch eine dumme Bemerkung, und du kannst in der nächsten Höhle auf meinen Schutz verzichten«, erklärte sie mit funkelnden Augen.

»Dann musst du aber allein fliegen.«

Sofort klammerte sie sich an ihn. »Bitte, nicht! Ich sterbe vor Angst, wenn ich allein auf diesen Dingern sitzen soll. Tu mir das nicht an!«

Sie bemerkte seinen belustigten Ausdruck und boxte ihn in den Magen. »Schuft! Das wolltest du nur hören, nicht wahr?«

»Ja, aber sei nicht beleidigt, kleine Nebelfrau. Ich möchte um nichts in der Welt auf deinen Schutz verzichten müssen. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass wir heute Priesterinnen an unserer Seite haben. Allein könnten wir es ganz sicher nie schaffen.«

Hylia lächelte ihn warmherzig an, warf dann einen scheuen Blick auf die tote Priesterin und erschauerte heftig.

»Beringare«, flüsterte sie fast tonlos. »Oh, Canon, das ist alles so furchtbar. Ich weiß ja, dass wir es tun müssen, aber mit den Frauen, die ich jetzt töte, habe ich fast mein gesamtes Leben verbracht. Beringare hat uns so oft mit ihrem leckeren Beerenkuchen und ihren lustigen Geschichten beglückt … und jetzt habe ich sie getötet.« Ihre Stimme war immer kläglicher geworden, und sie kämpfte mit den Tränen.

Er zog sie zärtlich an sich. »Ich habe sie getötet, du hast mich geschützt. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, müsstest du dir keinerlei Vorwürfe machen. Du hast dich von den Priesterinnen abgewandt, als dir klarwurde, dass ihre Ziele die falschen sind. Beringare hätte das auch tun können, aber sie hat es nicht getan. Hätte heute auch nur ein Krieger die Schlucht zu Fuß betreten, wäre er jetzt zu Asche verbrannt. Das hätten die Nebelhexen dann vielleicht auch mit Beerenkuchen und lustigen Geschichten gefeiert.«

Er wischte mit dem Daumen eine Träne fort. »Nicht weinen, Liebste! Diesen Frauen bist du nichts schuldig. Alles, was euch einmal heilig war, haben sie verraten. Komm, die Schlacht ist leider noch nicht vorbei. Denk immer daran, dass du das Richtige tust, und vergiss die Ohrstöpsel nicht.«


Derea und Juna rannten in diesem Augenblick durch einen Wasserfall in einen Gang ins Berginnere. Wasser spritzte bei jedem ihrer Schritte.

»Wenn es tiefer wird, trage ich Euch selbstverständlich«, erklärte der Hauptmann zuvorkommend.

»Wenn es gefährlich wird, schütze ich Euch selbstverständlich«, gab sie zurück.

»Das ist nett. Wir passen gut zusammen, oder?«

»Nein, tun wir nicht. Seid endlich still!«

»Tun wir doch.«

Vor ihnen bröckelte die Decke. Juna blieb wie angewachsen stehen und brüllte mit höhnischer Stimme in den Gang: »Ist es das, was du willst, du dämliche Kuh? Soll ich dich unter Geröll begraben? Das kannst du haben. Nichts leichter als das!«

Sie warf ihre Hände nach vorn, und der Berg schien umgehend zu beben. Gesteinsbrocken krachten in den Gang, Staub wirbelte ihnen entgegen. Sie hörten einen Schrei, der unvermittelt abbrach, und Juna lachte hell.

»Hört schon auf! Ihr bringt den ganzen Berg zum Einsturz!«, brüllte Derea.

Sie lachte erneut und wandte sich strahlend zu ihm um. »Angst, Prinz? Ich kann noch ganz andere Sachen. So lebt es sich an der Seite von Hexen.«

Der Hauptmann beruhigte sich im selben Maße, wie das Poltern vor ihnen schwächer wurde. Den Gang gab es nicht mehr. Vor ihnen war nur noch Geröll.

»Blitz und Donner!«, entfuhr es ihm unwillkürlich.

»Zerstören konnte ich schon immer gut«, erklärte sie mit funkelnden Augen. »Und töten auch.«

Ihr Blick wanderte über seine Schulter und änderte sich. Ihre Augen wurden groß, und er wirbelte herum und schleuderte sein Schwert. Aus dem Wasserfall kippte ihnen mit einem kleinen Ächzen eine weitere Priesterin entgegen.

»Danke für den Hinweis! Ich bleib dabei, Hexentochter, wir passen gut zusammen. Wir ergänzen uns geradezu traumhaft. Habt Ihr das eben gesehen? Wir verstehen uns auch ohne Worte.«

»Merkt Euch das gefälligst! Ich hätte doch mit Marga gehen sollen. Die hätte mich zumindest nicht so zugeredet.«

»Die will sich auch nicht mit Euch verbinden«, gab er zu bedenken.

Sie nickte ihm fröhlich zu. »Ich hatte schon immer den Eindruck, dass sie die Klügere von Euch beiden ist. Außerdem besitzt sie mehr Menschenkenntnis … Und jetzt bewegt Euch endlich! Ich hab es eilig. Auf mich wartet die Erfüllung meines Traums.«

»Der da wäre?«, wollte er wissen.

Sie warf ihm einen Blick aus strahlenden Augen zu. »Meine eigene Unendlichkeit!«, erwiderte sie kokett und drängte sich an ihm vorbei, um einen grünen Blitz in den Himmel zu schicken. Ihr Signal an die Flugechsen, abgeholt zu werden.

Draußen war die Schlacht noch in vollem Gange. Blitzte zuckten durch die Luft, und Feuer regnete vom Himmel. Die Flammenreiter deckten auch weiterhin in rasanten Flügen die Berghänge mit Pfeilen ein. Die Echsen waren derart schnell unterwegs, dass die Zauber der Priesterinnen oft ins Leere gingen. Aber immer wieder sah man auch Angreifer vorm Sturm gepeitscht gegen die Felsen krachen oder brennend zu Boden stürzen. Die Nebelfrauen waren offensichtlich nicht bereit, das Feld den Kriegern kampflos zu überlassen. So unheimlich ruhig, wie es kurz zuvor noch gewesen war, so laut war es jetzt.

Pthameni setzte Caitlin und Marga auf einem Felsplateau ab.

»Dein Gatte war hier«, erklärte er. »Ich kann es riechen. Sende deinen blauen Blitz. Ich werde kommen, wenn du mich rufst.«

»Danke!«

Bevor er sich wieder in die Lüfte erhob, ergriff sie kurz seinen Arm. »Lass uns nach der Schlacht noch einmal über Freundschaft reden, Echsenmann!«

»Gern, Menschenfrau! Jetzt rette deinen Mann. Er ist es wert.«

Er entschwand, und Caitlin spürte ihre wachsende Anspannung. In dieser Höhle war Rhonan, aber vermutlich auch ihre Mutter.

Marga legte ihr besorgt die Hand auf den Arm. »Willst du nicht auf Hylia warten?«

»Nein, eine von uns muss hier bleiben, auch für den Fall, dass sich Priesterinnen vielleicht doch ergeben wollen. So war es abgesprochen.«

Sie ergriff Margas Arm. »Du bleibst gleich in Deckung. Bestimmt kannst du mehr ausrichten, wenn meine Mutter dich nicht sieht. Beobachte die Höhle gut. Ayala hält vielleicht Überraschungen bereit.«

Die Hauptmännin nickte. »Ich werde versuchen, dir den Rücken freizuhalten, aber kannst du wirklich gegen deine Mutter antreten?«

Sie sah unglücklich drein. »Ich meine nicht, dass du vielleicht zu schwach bist … aber sie ist immerhin … also …«

Die Prinzessin schüttelte wild den Kopf. »Meine sogenannte Mutter hat ihre eigenen Söhne wie Plunder verschenkt. Ihre Töchter hat sie von Priesterinnen erziehen lassen, bis sie ihr nützlich sein konnten. Sie wollte mich schon von Söldnern töten lassen und hat Ligurius auf uns gehetzt, der Rhonan um ein Haar getötet hätte. Sie hat mich im Wasserverlies fast verrecken lassen, und jetzt hält sie meinen Mann gefangen, um ihn nach erfüllter Aufgabe zu töten. Solange sie am Leben ist, gibt es für Rhonan, unser Kind und mich keine Sicherheit. Welche Gefühle ich ihr gegenüber auch immer hege, ich kann dir sagen, es sind keine freundlichen.«

Marga nickte verstehend. Die Frauen umarmten sich kurz, holten tief Luft und betraten langsam und vorsichtig den Höhlengang.

Modrige Luft schlug ihnen entgegen. Die Geräusche aus der Schlucht waren plötzlich nicht mehr zu hören, und als wäre ein Vorhang gefallen, umgab sie von einem Augenblick zum nächsten völlige Dunkelheit. Marga erschauerte unwillkürlich. Waffen waren eins, Magie etwas ganz anderes, etwas Unsichtbares, etwas Unfassbares, etwas Furchteinflößendes!

Caitlin ließ einen Lichtball schweben, der den Gang in schummriges Dämmerlicht tauchte. Eine riesige Spinnwebe versperrte ihnen den Weg. Marga hob schon ihr Schwert, um sie zu zerteilen, spürte jedoch die Hand der Prinzessin auf ihrer Schulter und verharrte mitten in der Bewegung. Sie sah sich um, und Caitlin schüttelte den Kopf. Dann warf sie die Hand nach vorn, und ein kleines Feuer traf das Spinnennetz, das aufzischte, grün glitzerte und schließlich in grünroten Flammen verglühte.

Die Hauptmännin starrte erschrocken auf das seltsame Schauspiel, und ihre Begleiterin flüsterte ihr zu. »Gift! Pass auf, dass du nicht mit den Resten in Berührung kommst. Es dringt durch die Haut.«

Marga fuhr sich mit der Hand über den Mund und nickte.

Noch langsamer gingen sie weiter, die Prinzessin wirkte bis zum äußersten angespannt. Nicht sehr weit vor ihnen war der Widerschein eines Feuers an den Wänden zu sehen. Sie näherten sich offensichtlich ihrem Ziel.

»Caitlin, meine Liebe, bist du das?«, hörten sie laut Ayalas fast fröhliche Stimme.

Ein tiefer, grauenhafter Schrei und furchtbares, schmerzerfülltes Stöhnen folgten der Frage. Marga gefror das Blut in den Adern. Sie blieb wie angewurzelt stehen und warf ihrer Freundin einen gehetzten Blick zu.

»Das war nicht Rhonan«, erklärte die sehr leise, aber mit großer Bestimmtheit. »Niemals würde er so schreien und stöhnen, schon gar nicht, wenn er mich in der Nähe wüsste. Eher würde er sich die Zunge abbeißen. Ayala will mich nur dazu bringen, etwas Unüberlegtes zu tun.«

Sie wies auf einen Felsvorsprung. »Bleib dort in Deckung. Sie wird Rhonan vermutlich in irgendeinem Zauberbann haben. Wenn ich ihn schützen muss, kann ich sie nicht gleichzeitig angreifen. Auf mein Zeichen komm und schieß sie ab, aber sei bloß vorsichtig.«

Die Hauptmännin nickte, und Caitlin ging vorsichtig weiter und betrat eine große, von mehreren Feuern erhellte Höhle. Ayala stand mitten im Raum und sah ihr in offensichtlich freudiger Erwartung entgegen. Caitlins Blick blieb an ihrem Mann hängen, der neben ihr auf einer Art steinernem Altar angekettet lag. Unzählige glitzernde Klingen schwebten über ihm in der Luft.

Ihre Blicke trafen sich, und in den Augen beider spiegelte sich nur Besorgnis.

Leise fragte sie: »Geht es dir gut, Liebster?«

»Ja! Caitlin, geh wieder! Du kannst hier nichts ausrichten. Bitte, bring dich in Sicherheit«, bat er mit heiserer Stimme.

Sie schenkte ihm ein verzerrtes Lächeln. »Ich bin in Sicherheit.«

Dann wanderte ihr Blick zu Ayala und verdüsterte sich sofort. »Noch ist Zeit aufzugeben, Nebelfrau. Die Priesterinnen werden ihren Kampf verlieren. Nicht einmal die Hälfte von ihnen ist noch am Leben. Du solltest ein Ende machen, bevor es endgültig zu spät ist.«

Die Königin lachte laut auf. »Ist das nicht etwas kühn gesprochen, meine Liebe? Willst du mich vielleicht angreifen? Weißt du, es ist nicht einfach, die vielen Klingen zu halten. Selbst mir fällt es sehr, sehr schwer. Du solltest mich also besser nicht ablenken, sonst könnte mir die eine oder andere entgleiten.«

Wie zur Bestärkung ihrer Worte sauste eine Schneide nach unten und klirrte unmittelbar neben Rhonans Gesicht auf den Stein.

»Da hat er ja noch einmal Glück gehabt«, erklärte Ayala vergnügt und musterte ihre bleiche Tochter. »Wenn du mich angreifst, ist er unweigerlich verloren. Du könntest natürlich auch versuchen, die Klingen zu entfernen, aber während du dich damit beschäftigst, würde ich dich töten. Zumindest einer von euch beiden wird hier sein Leben lassen müssen. Was wirst du tun? Eine schwierige Entscheidung, nicht wahr? Wenn du euch beiden einen Gefallen tun willst, gehst du jetzt, wie dein Mann es dir geraten hat. Gewinnen kannst du nämlich nicht.«

Erneut sauste eine Schneide nach unten und streifte diesmal Rhonans Arm. Blut tropfte auf den Stein.

Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern bat erneut: »Geh! Bitte, geh endlich!«

Caitlin schluckte, schüttelte den Kopf und warf ihrer Mutter einen hasserfüllten Blick zu. »Macht dir das Spaß, Nebelhexe? Dann genieße jetzt, denn bald wirst du nichts mehr haben, woran du dich erfreuen kannst.«

Während sie farbenprächtig berichtete, wie elend die Priesterinnen in der Schlucht zugrunde gingen und was die Königin noch von ihrer kurzen Zukunft erwarten konnte, versuchte sie, die Messer zu fassen, aber der Zauber ihrer Mutter war schwer zu durchbrechen. Sie spürte die Klingen, konnte sie aber nicht beherrschen.

Ayala bot ein gutes Ziel, und Caitlin betete, dass Marga nicht ohne Signal schießen würde. Denn das würde unweigerlich auch Rhonans Ende sein.

Im Gang hatte Marga bereits den Bogen angelegt und zielte. Ayala bewegte sich nicht: ein perfektes Ziel!

Die Sehne wurde gespannt. Nur noch ein Wimpernschlag trennte sie von Ayalas Tod und dem endgültigen Frieden. Sie hörte Caitlin reden und Ayala lachen. Der Pfeil zeigte auf Ayalas Herz.

Margas Hände verkrampften sich. Sollte sie auf das vereinbarte Stichwort der Prinzessin warten? Die Gelegenheit war da.

Plötzlich wurde ihr Bogen glühend heiß und ging in Flammen auf. Mit einem Aufschrei ließ sie ihn fallen und wurde schon im nächsten Augenblick von einer unsichtbaren Hand zu Boden gerissen. Verzweifelt versuchte sie, an ihr Schwert zu kommen, aber mitten in der Bewegung versagten ihre Hände ihren Dienst und blieben wie zu Eis erstarrt in der Luft hängen.

Eine ältere Priesterin, die aus dem Nichts gekommen zu sein schien, lächelte genussvoll auf sie herunter und rief: »Ich habe einen Eindringling erwischt, meine Königin. Soll ich ihn töten oder zu Euch bringen?«

»Ich empfange heute keinen weiteren Besuch. Schaff ihn uns vom Hals und komm dann zu mir. Dieses Gerede geht mir allmählich auf die Nerven«, kam aus der Höhle.

Das Lächeln der Nebelfrau wurde noch breiter, als sie Marga wieder ansah. »Ja, meine Liebe, ich bedaure, aber …«

Sie brach ab und griff sich mit einem Ächzen an den Hals.

Die Hauptmännin sah erleichtert und ungläubig zugleich in Junas Gesicht.

Die flüsterte ihrem sich windenden und schnell rot und blau anlaufenden Opfer gerade zu: »Ihr seht sehr ungesund aus, aber im Alter hat man hin und wieder Schwierigkeiten mit der Luft, nicht wahr?«

Die Priesterin brach zusammen, und die Hexe erklärte: »Das ging unerwartet schnell. Ziemlich zartbesaitet, diese Nebelfrauen!«

»Redet nicht, helft endlich Marga«, forderte Derea, der mit gezücktem Schwert hinter ihr auftauchte, im Flüsterton.

Juna strich nur kurz über Margas Gesicht, und deren Starre verschwand.

»Hallo, Hauptmann«, flötete Juna leise und zwinkerte ihr zu.

»Hallo«, würgte die benommen hervor und rappelte sich mühsam hoch.

Derea packte die Hexentochter am Arm und wollte etwas sagen, aber die nickte ihm schon ungeduldig zu. »Ist ja gut, ich geh ja schon. Ihr beide bleibt besser hier. Wir können nicht auf noch mehr Leute aufpassen. Und lasst Euch nicht von Nebelfrauen umbringen.« Ein leises Glucksen, und sie schritt schnell, aber würdevoll in die Höhle.

Caitlin hatte trotz angestrengten Lauschens nicht ergründen können, was gerade im Gang vor sich gegangen war, aber sie ahnte Fürchterliches, sah jetzt Ayalas Strahlen, und ihr Herz wurde schwer.

»Dieser Tag bringt allerlei Überraschungen, meine Tochter der Nacht«, bemerkte die hocherfreut.

Dann wurde ihre Stimme leicht vorwurfsvoll. »Juna, ich bin ein bisschen enttäuscht von dir. Die Schlacht verlief ein wenig anders, als von dir geschildert, aber du wirst sicherlich gute Gründe für dein Versagen haben. So hatte ich es zwar nicht geplant, aber du darfst jetzt deinen Zauber über Caitlin anwenden. Ich bin das Warten leid.«

Während Caitlin fassungslos von der einen zur anderen sah und nur noch an elenden Verrat denken konnte, zog Juna die Achseln hoch und erklärte mit einem Lächeln: »Also, das ist mir jetzt tatsächlich unangenehm, aber ich habe gar keinen Zauber über sie gelegt. Hab ich wohl vergessen.«

»Dann töte sie eben so!«, forderte Ayala ungehalten.

Die Prinzessin warf ihrem Mann einen entsetzten Blick zu, weil ihr sofort klarwurde, dass sie nicht gegen beide kämpfen und ihn schützen konnte, und er schüttelte nur den Kopf und bat tonlos: »Bitte, Caitlin, flieh! Flieh, bevor es zu spät ist!«

Die Nebelkönigin lachte auf. »Dummkopf! Es ist bereits zu spät. Juna, jetzt mach doch! Ich kann dieses Gewinsel nicht mehr hören.«

»Ich betrübe dich so ungern, Patentante, aber du kennst mich ja. Ich ändere dauernd meine Meinung, und ich habe sie schon wieder geändert. Ich fürchte, ich kann dir nicht zu Diensten sein.«

Sie sah die wie erstarrt wirkende Prinzessin an. »Vertraut mir, Caitlin, und handelt! Ich habe die Klingen.«

Alle drei starrten die Hexentochter ungläubig und verblüfft an.

Die zog nur mit einem halb verlegenen, halb belustigten Lächeln die Schultern hoch. »So bin ich nun einmal.«

»Du willst mich verraten?«, keuchte Ayala fassungslos. »Du willst auf ihre Seite wechseln?«

Juna lachte kehlig. »Nein! Ich habe nie die Seiten gewechselt, ich stand immer nur auf meiner Seite.«

»Solltest du etwas gefunden haben, das kostbarer als Unsterblichkeit ist?«, wollte Ayala wissen.

»Ich glaube: Ja!« Sie wandte sich zu Caitlin um. »Macht schon, Prinzessin! Die Dinger sind schwer, wie Ihr wisst.«

Die warf Rhonan einen hektischen Blick zu und leckte sich die trocknen Lippen. Konnte sie sein Leben wirklich in die Hände der Hexentochter geben?

Er glaubte Juna kein Wort, aber er nickte seiner Frau entschlossen zu. »Vertrau ihr!«

Ihr blieb gar keine Wahl, denn in die Enge getrieben, handelte Ayala. Blitze zuckten aus ihren Fingerspitzen. Mit einer Handbewegung lenkte ihre Tochter sie ab. Knisternd und Funken sprühend schlugen sie in die Höhlenwände ein, und Steinsplitter lösten sich und stoben nach allen Seiten. Fast gleichzeitig stöhnte die Königin auf, weil ein Eispanzer sich um sie legte. Ihre Gesichtszüge froren ein, eine dünne Eisschicht umhüllte sie. Sie stöhnte und ächzte, und der Panzer zersprang in abertausend Kristalle, die jetzt ebenfalls durch die Höhle spritzten.

»Ich bin beeindruckt, Caitlin«, erklärte sie leicht atemlos. »Für deine Jugend sind deine Zauber wirklich sehr stark, aber, wie du weißt, reift wahre Magie erst mit den Jahren.«

»Bis sie fault«, gab die gepresst zurück.

Während Mutter und Tochter keuchend und ächzend weiter mit Feuer- und Eiszaubern aufeinander losgingen, versuchte Juna, die Klingen zu vereisen, und wirkte wie erstarrt.

Rhonan drückte sich immer wieder gegen die Ketten, wusste natürlich, dass es sinnlos war, verfluchte seine Unfähigkeit, auch nur irgendwie helfen zu können, und sah vor Angst fast gelähmt Caitlin plötzlich in einem Feuerkreis stehen. Während die Schneiden über ihm eine nach der anderen wie Eis zu glitzern begannen, brach ihm der kalte Schweiß aus allen Poren. Sein verzweifelter Blick suchte Juna, seine Stimme klang flehend. »Bei allen Göttern! Lasst die verdammten Klingen los! So helft ihr doch!«

Die Hexentochter beachtete ihn gar nicht.

Die Flammen erstarben. Die Prinzessin atmete schwer, und Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Rhonans Augen suchten ihren Körper ab. Keine Wunde und kein einziges Brandloch waren zu sehen, nur ihre Kleider rauchten leicht.

Ayala wurde in diesem Augenblick in die Luft gehoben und wirbelte mit unglaublicher Geschwindigkeit im Kreis herum. Sie kreischte in schrillsten Tönen, aber aus dem Boden um Caitlin herum wuchsen schon rasend schnell Steinranken heran, die sich um die Beine der jungen Priesterin wickelten.

Juna wurde fast zeitgleich von einer unsichtbaren Faust getroffen und taumelte stöhnend rückwärts. Die Schneiden sausten auf Rhonan zu und blieben kaum eine Handbreit über ihm in der Luft hängen.

Er stieß unwillkürlich die Luft aus, und die Hexentochter ächzte und brüllte laut: »Jetzt macht endlich, Caitlin!«

»Ihr Zauberschild ist zu stark«, gab die keuchend zurück.

Ayala lachte höhnisch und wurde im selben Augenblick gegen die Felswand geworfen. Kleine Silberdolche surrten zu Hunderten auf sie zu. Ihr Lachen klang wie irre, aber mit einer Handbewegung lenkte sie die Dolche ab.

Die ganze Höhle erzitterte jetzt. Es klang wie Donnergrollen, und Gesteinsbrocken purzelten von der Decke. Juna schrie auf, als ein großer Stein ihre Schulter traf.

Ayala griff sich an den Hals und stöhnte grauenerregend.

Caitlin war mittlerweile in Schweiß gebadet, atmete immer schwerer, achtete aber nicht auf die umherfliegenden Steine und löste ihre Umklammerung nicht.

Über Rhonan zerbarsten endlich die Klingen und fielen wie ein sanfter Sprühregen auf ihn herunter.

Juna atmete tief durch und wollte gerade Caitlins Zauber verstärken, als ein Schwert an ihr vorüberzischte und zitternd in Ayalas Bauch stecken blieb. Dereas zweites Schwert folgte fast unmittelbar und traf die Brust der Nebelkönigin.

Ungläubig starrte die von Caitlin zu Derea. »Und ausgerechnet ihr wart mir am ähnlichsten«, erklärte sie, schrie noch einmal wie wahnsinnig auf und sackte zu Boden.

Der Hauptmann war schon mit wenigen Schritten bei ihr und zog seine Waffen aus den Wunden.

»Sie ist tot«, erklärte er nüchtern und war selbst ein wenig überrascht, dass er tatsächlich nur maßlose Erleichterung empfand.

Caitlin tropfte der Schweiß von der Stirn. Sie stützte sich schwer atmend auf den Knien ab, warf kurz einen dankbaren Blick auf die auf ihren Fersen hockende Juna, auf Derea und Marga und eilte dann mit unsicheren Schritten zum Prinzen.

Sie löste mit bebenden Händen die Ketten, und er setzte sich auf und zog sie sofort in die Arme. »Bei allen Göttern, Caitlin! Geht es dir gut, mein Herz?«

»Halt mich fest!« Wild schluchzend presste sie sich an ihn und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Er hielt sie fest im Arm, strich zärtlich über ihre Haare, sah über ihren Kopf hinweg auf den Leichnam Ayalas und wiegte sie sanft.

Juna hielt sich den Kopf und schüttelte sich wie ein nasser Hund.

»Kann ich Euch helfen, Hexentochter?«, fragte der Hauptmann und reichte ihr seine Hand. Sie strahlte ihn mit leuchtenden Augen an und ergriff sie.

Sie standen einander gegenüber und sahen sich an. Er wischte mit dem Finger eine kleine Blutspur aus ihrem Gesicht. »Alles in Ordnung?«

»Ihr hättet gern etwas früher kommen können.«

»Wir hatten noch Besuch von einer bitterbösen Priesterin. Aber wir haben sie selbstverständlich besiegt.«

Ihre Augen blitzten genauso vergnügt wie seine. »Selbstverständlich! Ihr seid so unglaublich tüchtig, Hauptmann.«

»Das gefällt Euch, nicht wahr? Hab ich Euch eigentlich schon von meinem Landgut erzählt, Fürstin?«

Ein unterdrücktes Lachen ließ ihren Körper erzittern. »Nur ganz beiläufig, mein Prinz. Habt Ihr auch einen See? Ich würde so furchtbar gern schwimmen lernen.«

»Hab ich. Auch einen Wald mit Beeren und Pilzen und Ziegen und Tannen. Wir könnten nur so zum Spaß tagelang darin herumirren.«

»Das klingt sehr verlockend, zumindest, wenn ich Euch nicht noch einmal tragen muss.«

»Ich bin verwöhnt, wie Ihr wisst. Wir werden also selbstverständlich von Dienern begleitet werden, die ich nur zu rufen brauche, wenn wir irgendetwas benötigen.«

Jetzt wurden ihre Augen dunkler, und ihre Zunge fuhr über ihre Lippen. Mit samtweicher Stimme fragte sie: »Auf ein Wort von Euch entfernen sie sich aber auch wieder weit genug, ja?«

Sofort blitzten seine Augen. »Vielleicht lasse ich sie doch besser zu Hause und vertraue ganz auf Eure Führung.« Er zog sie an sich, und sie ließ es widerstandslos geschehen. »Juna, …«

»Trefft Ihr heute Abend an der Pferdetränke.« Sie schenkte ihm noch ein Strahlen, sah dann vielsagend um sich herum und erwiderte den Druck seiner Finger.


Ayala war tot, und mit ihr fünfzehn ihrer Priesterinnen. Nur fünf hatten sich Hylia letztendlich ergeben. Die Verluste der Flammenreiter und der Echsenkrieger hielten sich erfreulicherweise in engen Grenzen, auch wenn die meisten Reiter nach den rasanten Flugeinlagen ihrer Begleiter über leichte bis mittelschwere Übelkeit klagten.

Remo erörterte schon begeistert die Vorzüge einer fliegenden Truppeneinheit.

Rhonan und Pthameni tauschten einen freundschaftlichen Händedruck.

»Solltest du mich einladen, besuche ich dich vielleicht doch einmal in deiner Burg«, erklärte der Echsenführer.

»Sei mir willkommen! Solltest du mich einladen, überwinde ich vielleicht meine Abneigung gegen die Sümpfe auch einmal.«

»Du sagst das jetzt nicht nur so?«

»Ich werde dir Nachricht schicken, wenn ich Vater geworden bin. Solltest du kommen, um dir den Nachwuchs anzusehen, werde ich wissen, dass dir etwas an Freundschaft liegt. Dann werden wir sehen.«

Pthameni nickte. »Ich werde kommen. Dann werden wir sehen.«

Die Männer tauschten erneut einen Händedruck, und Caitlin strahlte den Kalla an. »Ich werde mich jederzeit über deinen Besuch freuen. Solltest du irgendwann einmal meine Hilfe benötigen, gib uns nur Bescheid.«

»Du würdest auch als Heilerin zu uns kommen?«

»Nein, ich würde als heilende Freundin zu euch kommen.«

Rhonan konnte kaum sein Lachen zurückhalten, als der Echsenführer die kleine Priesterin in seine Arme schloss und die in der festen Umklammerung unwillkürlich nach Luft schnappte.

Sehr schnell rüstete man zum Aufbruch.

Ein Blick in die Schlucht, in der nach dem Feuerangriff der Nebelfrauen kein Grashalm mehr wuchs, hatte alle Krieger unwillkürlich schlucken lassen. Heute hatten in erster Linie drei junge Frauen ihr aller Leben gerettet. Hylia mit ihrem wunderbaren Nebel, Caitlin mit ihren dunklen Wolken und dem Geräusch einer marschierenden Truppe und Juna mit ihrem lustig laut gebrüllten »Blitz und Donner!«.

Niemand wusste so genau, aus welchen Gründen sich die Echsenkrieger doch noch entschlossen hatten, in die Schlacht zu ziehen, aber in zweiter Linie war ihnen der Erfolg zu verdanken.

Die Reiter gaben sich gern mit ihrer untergeordneten Rolle zufrieden, und mit einem Gefühl unendlicher Dankbarkeit machte man sich gemeinsam auf den Heimweg.

Derea sah sich noch einmal um und erschauerte unwillkürlich. »Das hätte dem Begriff Flammenreiter heute eine ganz andere Bedeutung geben können. Gut, dass einige Krieger so tüchtige Frauen haben.«

»Das hat er jetzt sehr schön und sehr treffend gesagt«, erklärte Canon und zog eine durchaus willige Hylia eng an sich.

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
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