14. Kapitel
Die Siegelerben und ihre Begleiter hatten den Wagen wegen der oft zu engen Wege zurücklassen müssen, waren seit nunmehr zwanzig Tagen unterwegs, hatten Schnee und Eis längst hinter sich gelassen und folgten seit dem Morgen dem Verlauf des riesigen Weststroms. Reißend und wild schäumend ergoss er sich aus dem Gebirge hinunter in die Ebene. Die Kraft des kristallklaren Wassers riss dabei nicht selten ufernahe, schon unterspülte Bäume oder sogar ganze Böschungen mit.
Gideon genoss die einzigartigen Naturschauspiele, wenn die tosenden Fluten sich an Felsen mitten im Strom brachen und die Gischt unendlich hoch spritzte, wenn Stromschnellen Baumstämme wie Stöckchen durch die Luft wirbelten, oder, wenn der Fluss mit ohrenbetäubendem Lärm in die nächste Ebene stürzte und dabei in seinen glitzernden Wasserwolken wunderschöne Regenbogen entstehen ließ. So hingerissen war er von den Bildern der ungezügelten Gewalt des Wassers, dass seine Begleiter ihn hin und wieder zurückholen mussten, wenn er dem gefährdeten Ufer zu nah kam. Schnell wurde dem Gelehrten klar, dass seine Begeisterung eine Art Flucht aus der Wirklichkeit war. Sie lenkte ein wenig von Sorgen und Ängsten und von Erschöpfung und schmerzenden Gliedern ab.
Von früh bis spät waren sie unterwegs gewesen, oft hatten sie dabei ihre Pferde führen müssen. Fünfmal waren sie auf kleinere Gruppen von Hordenkriegern gestoßen, die ihnen allerdings keine größeren Schwierigkeiten bereitet hatten. Caitlin und Hylia trugen mit ihren Zaubern nicht unerheblich dazu bei, dass es nur selten zu Verletzungen der Kämpfer kam. Hordenkrieger, die von Stürmen gegen Bäume geschleudert wurden oder vom Blitz getroffen zu Boden gingen, gehörten schnell genauso zum Kampfgeschehen wie Schwertkämpfe.
Für Gideon war es besonders beeindruckend, Rhonan mit Kahandar kämpfen zu sehen. Der war schon vorher ein begnadeter Kämpfer gewesen, ungeheuer kraftvoll, schnell und geschmeidig, aber mit der Eisklinge in der Hand schien er unbesiegbar. Trotzdem begann er, sich Gedanken um ihn zu machen, denn Rhonan wirkte immer häufiger abwesend, manchmal sogar ausgesprochen unwirsch. Jede Frage nach dem Grund dafür hatte der Prinz stets als Unsinn abgetan. Allerdings hatte er in den letzten Tagen nur noch wenig Zeit für seine seltsamen Stimmungsschwankungen gehabt, da Caitlin immer müder und unwilliger wurde und ihn pausenlos beanspruchte. Wenn sie reiten konnten, saß sie zusammengesunken mit auf seinem Pferd, mussten sie gehen, durfte er sie mehr oder weniger tragen.
Gideon selbst konnte ihnen nicht helfen, da er schon froh war, sich überhaupt noch allein auf den Füßen zu halten, Derea kümmerte sich weitgehend um die gleichfalls sehr mitgenommene Hylia. Marga und Juna klagten zwar nie, wären einer zusätzlichen Belastung aber kaum gewachsen gewesen, und der General war so einsichtig, seine Hilfe erst gar nicht anzubieten. Keiner von ihnen hätte etwas gegen eine etwas längere Rast gehabt, und die Zeit dafür wäre auch vorhanden gewesen, aber wer wollte schon gern länger im Zelt verweilen.
Grund zur größeren Eile bestand eigentlich nicht, denn von Derea hatten sie erfahren, wann mit der Entscheidungsschlacht zu rechnen war. Der Schwarze Fürst war so zuvorkommend gewesen, seinen Feinden mitzuteilen, dass er sie am Göttertag vor der Zitadelle der Träume erwartete. Seine Überheblichkeit war schon immer riesengroß gewesen, aber dass er den Gegnern jetzt ganz offen die Möglichkeit bot, sich zu vereinen und ihre Truppen zu sammeln, konnte nur noch als Hohn und Spott aufgefasst werden. Mit dem Schattenheer im Rücken konnte er sich diese Geringschätzung allerdings auch leisten.
Gideon bekam eine Gänsehaut, wann immer er nur an diese Armee dachte. Seine Gedankengänge wurden jäh unterbrochen.
»Weiß jemand, was das ist?«, fragte Rhonan nämlich gerade und wies auf ein Anwesen, das nicht weit vor ihnen auftauchte.
»Borka, das Landgut des Fürsten Marcos. Der war einst Regent in Kambala«, erklärte Derea.
Da er mittlerweile herausgefunden hatte, dass sein Schwager nicht viel über die unterschiedlichen Fürstenhäuser wusste, fügte er hinzu: »Er ist ein Feigling, aber kein Anhänger Camoras. Hat dem Schwarzen Fürsten Kambala kampflos übergeben und durfte sich zum Dank dafür hierher zurückziehen, hängt sein Fähnchen eben gern in den Wind. Ich vertraue ihm nicht unbedingt, aber unsere Pferde benötigen nach dem schwierigen Gelände Ruhe und wir auch. Wäre eine gute Gelegenheit, eine Rast einzulegen.«
»Oh, ja, bitte«, erklärte Caitlin sofort mit leuchtenden Augen. »Ich jedenfalls benötige dringend Ruhe und würde schrecklich gern ein Bad nehmen.«
»Ich weiß nicht so recht.« Ihr Gatte rieb sich gedankenverloren übers Kinn, was sie dazu veranlasste, sofort heftig zu nicken. »Ja, genau! Rasieren müsstest du dich auch endlich einmal wieder.«
»Margas Pferd lahmt, und Gideons macht auch keinen guten Eindruck mehr«, gab General Raoul nüchtern zu bedenken. »Zumindest sollte man einen Pferdewechsel in Erwägung ziehen.« Er gab sich in letzter Zeit große Mühe, alles, was er sagte, nur noch als Vorschlag klingen zu lassen, nachdem er mehrere Male hart mit Rhonan aneinandergeraten war.
»Ich kenne den Fürsten«, mischte sich jetzt auch Marga ein. »Im Kampf würde ich ihn ungern als Rückendeckung haben, und der Blick, mit dem er Frauen ansieht, verursacht mir Übelkeit, aber zumindest war er stets ein zuvorkommender Gastgeber.«
Caitlin zupfte wild am Arm des Prinzen herum. »Wir sind doch alle ziemlich erschöpft. Rhonan, bitte!«
»Die Aussicht auf ein Bad und saubere Kleidung verursacht mir ein Schwindelgefühl«, fügte Hylia träumerisch hinzu und bedachte den Prinzen nun ebenfalls mit einem flehenden Blick.
Der sah langsam von einem erschöpften Gesicht ins andere. »Also gut«, stimmte er schließlich widerwillig zu. »Aber morgen machen wir uns wieder auf den Weg. Wer weiß, ob wir immer so gut im Zeitplan bleiben.«
Borka lag von Wäldern umgeben auf einer sanften Anhöhe nahe dem Fluss. Ein großes Steinhaus wurde von mehreren Holzhäusern und Scheunen flankiert. Es herrschte ein munteres Treiben im Hof zwischen den Häusern. Wäsche wurde gewaschen, Pferde wurden gestriegelt, es wurde gehämmert und geschmiedet. Ein Dutzend Krieger übte sich im Schwertkampf, und lachende Kinder trieben mit Stöcken ein prallgefülltes Ledersäckchen vor sich her und versuchten jeder für sich, es in einen Steinkreis zu bugsieren.
Aber augenblicklich wurde das Spiel abgebrochen. Während die Mädchen schüchtern knicksten, eilten die Jungen auf Patras zu.
»Ein feines Ross«, lobte einer von ihnen.
Derea nickte. »Ein feines Schlachtross. Kommt ihm nicht zu nahe!«
Die Jungen schienen noch beeindruckter und liefen neben dem Pferd her. Wäscherinnen tuschelten, und Stallburschen hielten mit ihrer Arbeit inne. Auch die Krieger musterten neugierig die Gäste.
Derea und Marga führten den kleinen Tross an, Rhonan ritt als Letzter.
Der General hatte sich vor dem Gehöft von ihnen getrennt, da er angeblich in der Nähe einen seiner Verbündeten aufsuchen wollte, um Neuigkeiten zu erfahren. Mehr hatte er nicht gesagt, und nach mehr war er auch nicht gefragt worden.
Nur Marga hatte Bedauern empfunden, als sie ihn hatte davonreiten sehen, da sie nicht davon ausging, dass er sich wieder zu ihnen gesellen würde. Es hatte ihr schon bei ihrer gemeinsamen Reise weh getan zu sehen, wie alle übrigen seine Nähe gemieden hatten. Schließlich hatten sie alle, letztlich sogar Rhonan, ihm viel zu verdanken. Doch selbst Derea hatte auf ihre Frage, ob er denn seinem Vater gar keine Gefühle entgegenbrächte, lediglich erklärt, er könne den Ohren einer Frau nicht zumuten, welche ihm dabei in den Sinn kämen.
Sie hatte sogar versucht, einmal mit Raoul darüber zu sprechen, doch der hatte lachend abgewinkt und erklärt: »Wie man sich bettet, so liegt man, Mädel. Nichts kann ungeschehen machen, was ich getan habe, und es gibt auch keine Entschuldigung dafür. Ich war lange Zeit noch stolz darauf, da’Kandar restlos entvölkert zu haben. Verrenn dich also nicht! Wenn du unbedingt Mitgefühl loswerden willst, schenke es dem Großkönig. Der wäre ein würdiger Empfänger.«
In Erinnerung daran seufzte sie auf. Gleichgültig, was er getan hatte, sie hatte ihm ihr Leben zu verdanken und brachte es nicht über sich, nur schlecht über ihn zu denken.
Der Hofmeister, der offensichtlich mitbekommen hatte, dass Gäste gekommen waren, trat aus der Schmiede. Er erkannte Morwenas Sohn und Darius’ Tochter sofort, eilte ihnen entgegen und überschlug sich vor Ehrerbietung und Höflichkeit.
Derea konnte sich kaum ein Grinsen verkneifen, denn die blaue Livree zu grauen Kniehosen hatte zwar zur Fürstenresidenz gepasst, in dieser ländlichen Umgebung wirkte sie eher komisch.
Stallburschen wurden herangewinkt, Befehle gegeben und die Gäste vom Hofmeister unter vielen Verbeugungen ins Haupthaus eskortiert.
Eine edel ausgestattete Halle erwartete sie. Die Wände waren von gestickten Teppichen verdeckt, die langen Tafeln und die hochlehnigen Stühle aus dem Holz der Blutbuche waren auf Hochglanz poliert. Auf einer kleinen Empore standen vier gepolsterte, mit Schnitzereien reich verzierte Stühle, die dem Fürstenpaar und seinen Söhnen vorbehalten waren.
Der Hofmeister bat sie, doch Platz zu nehmen, und überließ sie sich selbst, um dem Fürsten Bescheid zu geben.
»Schlicht, aber nett«, bemerkte Caitlin. Sie sah, dass Rhonan seine Hand auf dem Schwertgriff liegen hatte, und flüsterte ihm zu: »Entspanne dich. Was soll uns hier denn schon geschehen?«
Er warf ihr nur einen kurzen Blick zu und wandte sich an Derea. »Was meinst du? Fünfzig?«
Der machte eine vage Handbewegung. »Eher weniger! Einen halben Tagesmarsch entfernt hat er noch ein Haus. Dort könnte er vielleicht auch noch einmal so um die hundert Krieger unterbringen. Aber wer wie Marcos nicht bereit ist zu kämpfen, wird sich kaum mit den Kosten für Krieger belasten.«
»Rechnet ihr ernsthaft damit, der Fürst könnte uns angreifen? Warum sollte er das tun?«, fragte Gideon verwundert.
Rhonan sah ihn mitleidig an und erwiderte trocken: »Allein für meinen Kopf kann er sich vermutlich Kambala zurückkaufen. Mit euch als Draufgabe schenkt Camora ihm vielleicht noch ein anderes, kleines Reich dazu. Was meinst du? Grund genug?«
Den Verianer beschlich augenblicklich ein ungutes Gefühl, und er begriff plötzlich, was es bedeutete, ewig auf der Flucht zu sein.
»Ach was«, schimpfte Caitlin demgegenüber ungehalten. »Du und dein Misstrauen! Außerdem wird er gar nicht wissen, wer wir sind. Ich freu mich jedenfalls auf mein Bad. Du darfst mich dabei gern bewachen, wenn du meinst, dass das nötig sein könnte.«
Er verdrehte die Augen und wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick kam schon der Hausherr mit schnellen Schritten und ausgebreiteten Armen in die Halle geeilt. »Marga, Derea, welche Freude, Euch zu sehen. Ich hoffe, Ihr bringt gute Nachrichten. Seit ich nicht mehr Reichsfürst von Kambala bin, erreichen mich ja keine Botenvögel mehr. Man hat mich ausgestoßen aus dem Verbund der Freien Reiche, wofür ich selbstverständlich niemandem gegenüber jemals einen Vorwurf erheben könnte und würde, aber umso größer ist natürlich meine Freude, Euch willkommen heißen zu dürfen. Doch was führt Euch zu mir in die Einöde?« Bei seinen Worten hatte er beiden bereits warm die Hände gedrückt.
Während emsige Diener Wein, Selbstgebrautes, Brot, Käse und Obst sowie Schüsseln mit Wasser und Tücher hereintrugen, konnte Caitlin den Fürsten ausgiebig mustern. Groß und schlank, mit grauen Augen, kunstvoll in Wellen gelegten dunklen Haaren und einem sorgfältig gestutzten Bart war er trotz seiner Jahre noch als gutaussehender Mann zu bezeichnen. Die grauen Schläfen ließen ihn auch eher vornehm als alt erscheinen. Seine zartgelbe, reich bestickte Tunika und ein hoher und steifer Hemdkragen, der es ihm kaum noch erlaubte, seinen Kopf zu senken, ließen seine staubigen Besucher wie Bettler aussehen.
Gideon stieß sie sanft an, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass ein Diener seit geraumer Zeit bereitstand, ihren Umhang entgegenzunehmen.
»Wir sind auf der Durchreise nach Mar’Elch. Gern würden wir hier die Nacht verbringen, wenn es Euch möglich ist, uns und unsere Begleiter unterzubringen«, erklärte Derea, während er den Waffengürtel abschnallte. Er tat es ungern, aber es wäre eine unverzeihliche Beleidigung des Gastgebers gewesen, ihn nicht abzugeben.
»Herzlich gern! Betrachtet mein bescheidenes Heim als das Eure.« Fürst Marcos musterte die Schar, wohl in erster Linie, um erkennen zu können, wen er im Gästehaus und wen er vielleicht nur im Gesindehaus unterbringen musste.
Marga hatte Umhang und Waffe bereits abgegeben, wusch sich die Hände und kam ihm zu Hilfe, indem sie ihre Begleiter vorstellte. Den Prinzen gab sie als einen ihrer Heerführer aus, Gideon als Heiler, und Caitlin wurde genau wie Hylia und Juna zwar als Priesterin, aber nicht als Prinzessin vorgestellt. So hatte man es zuvor besprochen, um den Fürsten nicht unnötig in Versuchung zu führen.
Der Hausherr nickte allen mehr oder weniger freundlich zu, wobei sein Blick lange und beifällig auf Caitlin und Juna ruhte, und verwarf umgehend den Gedanken an das Gesindehaus. »Ihr seht reisemüde aus. Ich will daher meine Euch sicherlich verständliche Neugier bis zum Abendmahl zügeln. Die wenigen Nachrichten, die ich hier von Fahrensleuten erhalte, sind in der Regel längst überholt und nur selten aus gut unterrichteten Quellen. Höchstwahrscheinlich werde ich der Letzte sein, der vom Ende des Krieges erfährt, aber ich habe es nicht besser verdient. Daher will ich nicht klagen. Ich habe bereits Anweisungen gegeben, die Bäder vorzubereiten. Bis es so weit ist, nehmt bitte einen kleinen Imbiss zu Euch.«
Während eifrige Bedienstete sich kurze Zeit später um die Kleidung der Besucher kümmerten, nahmen die schließlich ihr wohlverdientes Bad. Die Damen ließen sich dabei von Dienerinnen verwöhnen und schwatzten lustig und vergnügt. Die Herren hatten die jungen, durchaus willigen Frauen entlassen und bedienten sich lieber selbst.
Gideon war aufgefallen, dass die Abgewiesenen durchweg enttäuscht gewirkt hatten. Er gab sich allerdings nicht dem Irrglauben hin, dass diese Gefühle ihm gegolten haben könnten. Zwischen dem gutgebauten Prinzen und dem gutaussehenden Heerführer würde er niemals auch nur die geringste Aufmerksamkeit erregen.
Bei den Männern herrschte auch eher eine gedrückte Stimmung. Es gelang den Kriegern offensichtlich nicht, sich in dieser Umgebung zu entspannen.
Beim anschließenden Mahl erfuhren die Gäste, dass Gemahlin und Söhne des Fürsten sich nach der Übergabe Kambalas von ihm zurückgezogen hatten, da sie mit der Schmach, von den übrigen großen Häusern geschnitten zu werden, nicht leben konnten. Der Hausherr schien das allerdings nicht sonderlich zu bedauern und wollte lieber etwas von der Lage der Reiche hören.
Es war mehr als auffällig, wie seine Blicke, während Derea von der Entwicklung des Krieges erzählte, immer wieder zwischen Caitlin und Juna hin und her wanderten.
Gideon hoffte nur, dass Rhonans geballte Faust und die immer wieder blitzenden Augen die einzigen Zeichen seines aufwallenden Zorns bleiben würden.
Seinem untergeordneten Rang entsprechend hatte man den Prinzen am unteren Ende des Tisches untergebracht, wo er während des Essens weitgehend vor sich hin zu dämmern schien.
Der Gelehrte wusste, dass seinem Begleiter nicht die winzigste Kleinigkeit entging, da die Farbe seiner Augen aber nun einmal ungewöhnlich war, vermied er es, wenn irgend möglich, fremde Menschen offen anzusehen.
Der Fürst schien ihn in der Tat auch kaum zu bemerken. Selbst Dereas Erzählung vom Krieg hörte er offensichtlich nur mit halbem Ohr zu. Als er dann im Laufe des Abends durch zum Teil recht plumpe Bemerkungen über die Schönheit anwesender Damen versuchte, Caitlin und Juna immer mehr ins Gespräch zu ziehen, wurde Rhonan zusehends unruhiger.
Gideon war mehr als froh, als man sich nach dem Essen zurückzog, um endlich die wohlverdiente Ruhe zu genießen.
»Schläfst du schon?« Caitlin huschte im Nachtgewand ins Zimmer und hörte Rhonan leise lachen.
»Nein, aber glaubst du nicht, du könntest dem Ruf der Priesterinnen schaden, wenn du dich nachts ins Zimmer eines Heerführers schleichst?«
»Mir ist so furchtbar kalt.« Bei diesen Worten schlüpfte sie schon ins Bett und kuschelte sich an ihn.
Er rieb ihren Rücken, und sie schnurrte wie eine zufriedene Katze. »Ich bin wirklich gern deine Ehefrau, du bist nämlich viel besser als jeder heiße Stein.«
»Das ist ja auch schon etwas.«
»Nicht wahr?« Sie gähnte wohlig, räkelte sich und schlief zu seiner Enttäuschung umgehend zufrieden ein.
Mitten in der Nacht wurde sie unsanft geweckt. Jemand hatte sie grob an den Armen gepackt und in den engen Spalt zwischen Bett und Wand geschubst. Erschrocken schrie sie auf, hörte laute Stimmen, Klappern und Waffenklirren und versuchte verzweifelt, sich aus der völlig verhedderten Decke zu befreien.
»Bleib, wo du bist!«, hörte sie Rhonan brüllen.
Sie steckte fest, konnte sich kaum bewegen und verrenkte sich fast beim Versuch, übers Bett zu schauen. Doch endlich gelang ihr zumindest das.
Das Glühen Kahandars verbreitete ein trübes, fast geisterhaftes blaues Licht, in dem ihr Mann gegen fünf Krieger kämpfte. Sie versuchte, ihre bleierne Müdigkeit zu verdrängen, und strampelte wie wild gegen die Decke, die sie wie ein Sack gefangen hielt. Zwei Krieger lagen jetzt schon auf der Erde. Einer von ihnen stöhnte grauenerregend, während die verbliebenen Kämpfer immer wieder über ihn hinwegstolperten. Hocker wurden umgestoßen, die Waschschüssel klirrte zu Boden.
»Versuch, hinter ihn zu kommen!«, schrie einer der Fremden. Das Keuchen der Kämpfenden wurde lauter. Ein Krieger tauchte plötzlich vor ihr auf und langte übers Bett. Caitlin kreischte laut den Namen ihres Mannes, versuchte unterdessen fieberhaft, sich auf irgendeinen Zauber zu konzentrieren, aber da brach der Fremde auch schon mit einem heiseren Aufschrei über dem Bett zusammen. Rhonan holte erneut aus, der Kopf des Eindringlings kullerte ihr entgegen, und Blut spritzte ihr ins Gesicht, floss übers Bett und über ihre Decke. Entsetzt starrte sie in die gebrochenen Augen direkt vor ihr. Bittere Übelkeit stieg in ihr hoch, und sie atmete immer schneller.
»Bleib unten!«, hörte sie erneut Rhonans Stimme. Ein weiterer Krieger knallte gegen die Wand und rutschte lautlos daran herunter. Fast unmittelbar danach brach auch der Letzte mit einem Röcheln zusammen.
Vom Flur her drangen jetzt ebenfalls laute Geräusche in den Raum, und der Prinz rannte schon zur Tür.
»Rhonan, zieh dir was an und hol mich hier raus!«, brüllte Caitlin ihm hinterher.
Er wirbelte herum, sprang fast in seine Hosen und griff sich sein Hemd.
»Hol mich hier raus!«, kreischte sie erneut.
Doch er riss lediglich den Toten vom Bett, rammte dem immer noch stöhnenden Feind auf dem Boden das Schwert in den Leib und warf ihr einen wilden Blick zu. »Bleib schön in Deckung, mein Herz.«
Ohne auf ihre wütenden Flüche zu achten, hetzte er hinaus.
Im Nebenzimmer waren zwei Krieger gerade damit beschäftigt, den Gelehrten zu fesseln. Der lag noch im Bett und hatte offensichtlich Mühe, überhaupt wach zu werden.
Blaue Blitze fegten über ihn hinweg, und brüllend und stöhnend gingen die Krieger zu Boden. Der Prinz riss einem Sterbenden das Schwert aus der Hand, durchtrennte die Fesseln und drückte es dem immer noch verstörten Gideon in die Hand. »Falls noch jemand kommt.«
Beim letzten Wort war er schon wieder draußen.
Vier Krieger, die bereits eine weitere Tür geöffnet hatten, zückten bei seinem Anblick sofort die Schwerter.
Aus dem Zimmer neben ihnen kam Derea herausgerannt. Seinen Kittel hatte er verkehrt herum an, seine Haare standen wirr vom Kopf, und in seinen Händen trug er einen hohen Kerzenhalter, der ihm wohl zweckentfremdet als Waffe dienen sollte.
Der Prinz brüllte: »Runter!«, und der Hauptmann folgte der Anweisung umgehend und warf sich platt in die Binsen.
Wieder fegten Blitze durch den Raum. Krieger brüllten, taumelten und brachen zusammen. Es stank nach verbranntem Fleisch.
Derea sprang schon wieder auf die Füße. Mit den Worten »Heißen Dank!« griff er sich zwei Schwerter der Toten, erlöste einen noch stöhnenden Krieger von seinem Leiden und stürzte ins Zimmer, in dem Marga und Juna gerade unter Keuchen und Ächzen versuchten, ihre ungebetenen Besucher von sich fernzuhalten. »Wir wollen euch doch nicht wehtun. Kommt schon, ihr Süßen«, forderte einer gerade lachend.
Derea verschwendete keinen Gedanken an Ehrenhaftigkeit und rammte dem ersten Feind sein Schwert in den Rücken. Dessen Schrei alarmierte seine Kameraden, die sich sofort dem neuen Angreifer zuwandten.
Er sah Marga, die gerade aus dem Bett sprang, rief: »Fang!«, und warf ihr ein Schwert zu. Geschickt fing sie es auf.
Es wurde ein kurzer Kampf. Juna knallte einem Krieger von hinten mit lautem Schrei und großem Schwung einen Stuhl über den Kopf, Marga rammte ihr Schwert einem zweiten in den Leib, und Derea benötigte nur drei Angriffe für die beiden letzten.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Marga atemlos, während sie sich eine Stola griff und schon hinter Derea aus der Tür rannte.
»Frag mich was Leichteres!« Er fiel fast über einen toten Körper, stolperte, fing sich gerade noch und sah erleichtert Rhonan und Hylia aus dem letzten Raum kommen.
Die Tür zum Hof ging auf, aber die beiden Neuankömmlinge kamen nicht weit. Sie konnten noch nicht einmal ihre Waffen ziehen.
Rhonan benötigte nur zwei Schritte und zwei Hiebe. Wortlos stieg er über die Körper hinweg und ging nach draußen.
»Was hat er denn nun vor?«, fragte Marga verwirrt.
Derea seufzte kurz, rannte dem Prinzen hinterher und rief dabei über die Schulter zurück: »Das war jetzt auch nicht leichter.«
Juna lugte aus der Tür. Auch sie hatte sich ein Schultertuch übers Nachthemd gelegt. »Und noch mehr Leichen. Ja, wenn man erst einmal in Schwung ist, geht’s ganz schnell.«
»Halt den Mund!«, forderte Marga und wandte sich dann an Hylia. »Sehen wir besser mal nach, was unsere großen Helden so treiben. Rhonan guckt schon wieder so seltsam.«
»Wartet! Wir kommen mit.« Caitlin, die Gideon dankenswerterweise aus ihrer misslichen Lage befreit hatte, und der Gelehrte kamen aus dem letzten Zimmer gerannt und schlossen sich ihnen an.
Marga schüttelte sich leicht. »Ich kann noch gar nicht richtig denken.«
»Ich fühl mich auch noch leicht benommen und gehe davon aus, dass man uns Schlafkraut in den Wein gemischt hat«, murmelte der Gelehrte und fuhr sich durchs Gesicht.
»Das stinkt nach Verrat«, mutmaßte Hylia, während sie ihr Nachthemd raffte und mit den anderen über den menschenleeren Hof hetzte.
Derea glaubte unterdessen, schlecht zu träumen. Er war dem Prinzen über den Hof gefolgt, ohne dass der sich um seine Rufe gekümmert hatte. Einer sich öffnenden Tür hatte Rhonan sofort Blitze entgegengeschickt, ohne überhaupt zu wissen, wer gerade aus dem Haus hatte treten wollen.
In der von Kerzen hell erleuchteten Halle hatten sie den Hausherrn mit sieben anderen Männern laut scherzend an einer üppig gedeckten Tafel sitzend vorgefunden, an der die flüssigen Genüsse allerdings in weit größerem Maße vorhanden gewesen waren als die Speisen.
Ohne auch nur ein Wort zu sagen oder eine Erklärung zu fordern, hatte Rhonan seine Blitze durch den Raum fegen lassen. Die geschockten Männer, die ihrer vornehmen Kleidung nach zu urteilen keinesfalls Krieger waren, hatten umgehend versucht, sich zu ergeben, aber mit ausdrucksloser Miene hatte der Prinz sie regelrecht abgeschlachtet.
Erfolglos hatte Derea versucht, ihn davon abzuhalten.
Rufe hatten nichts bewirkt, und als er versucht hatte, Rhonan am Arm festzuhalten, hatte der ihn abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt. Der Blick, mit dem er ihn dabei bedacht hatte, war derart wild gewesen, dass der Hauptmann den Eindruck gewonnen hatte, dass der Prinz gar nicht richtig bei sich war.
Jetzt sah er mit versteinertem Blick zu, wie sein Schwager zielsicher auf Fürst Marcos zuschritt, der in der äußersten Ecke der Halle hinter einem Stuhl in Deckung gegangen war und seine Hände zum Zeichen dafür, dass er unbewaffnet war, vor sich hielt.
»Tötet mich nicht. Nehmt Euch, was Ihr wollt, aber bitte verschont mich.«
Hilfesuchend blickte er von Rhonan zu Derea und kreischte in höchsten Tönen: »Haltet Euren Heerführer auf! Bitte! So tut doch was!«
Hinter dem Hauptmann stürmten die Frauen und Gideon in diesem Augenblick in die Halle.
»Bei allen Göttern«, stieß der Gelehrte hervor, als sein Blick auf die Leichen fiel.
Der Hausherr sank unterdessen auf die Knie und bettelte schluchzend: »Bitte, lasst mich am Leben. Bitte! Bitte!« Er schlotterte am ganzen Körper, Schnodder lief ihm aus der Nase, und Tränen liefen ihm übers vor Angst verzerrte Gesicht.
Der Prinz beförderte den Stuhl vor ihm mit einem Tritt in eine Ecke.
»Rhonan!« Caitlins Schrei hallte durch den Raum, im selben Augenblick, als ihr Gatte dem Fürsten den Kopf abschlug.
»Blitz und Donner!«, entfuhr es Derea.
»Grundgütiger!«, stieß Gideon aus, während Marga die Hand vor den Mund schlug, um einen Schrei zu unterdrücken.
Erneut wurde die Tür aufgestoßen, und der Hofmeister, begleitet von einer älteren Frau und mehreren Männern eilten herein.
Derea und Marga wirbelten schon zum Kampf bereit herum, während Caitlin auf ihren Gatten zustürzte und ihre Arme um ihn schlang.
Wie angewurzelt blieben die Neuankömmlinge stehen und ließen ihre Blicke durch den Raum schweifen. Obwohl alle Männer Waffen trugen, hatte offensichtlich keiner von ihnen die Absicht, sie auch zu ziehen.
»Wir kommen zu spät, Joran«, erklärte die ältere Frau und seufzte auf. Dabei machte sie allerdings ein ausgesprochen zufriedenes Gesicht.
Derea war nur froh, dass Caitlin bereits bei ihrem Gatten war und ihn festhielt, denn der Prinz sah nach wie vor ausgesprochen angriffslustig aus, und der Hauptmann hatte für diese Nacht genug Tote gesehen.
Der Hofmeister schluckte heftig, während er sich in der Halle umsah, starrte die Gäste an und dann die ältere Dame neben sich. Auf ihren auffordernden Blick hin erklärte er mit heiserer Stimme: »Darf ich vorstellen, für die, die sie nicht kennen: Fürstin Sarina, die …« Er warf einen Blick auf den Torso zu Rhonans Füßen, und vollendete noch heiserer: »Die Witwe des Fürsten.«
Derea erkannte sie jetzt wieder und fand, dass die frischgebackene Witwe durchaus keinen traurigen Eindruck machte, dachte kurz daran, dass sie nach der Erzählung ihres Gatten eigentlich gar nicht hier sein durfte, und wurde immer verwirrter.
Während Caitlin immer noch leise auf Rhonan einredete, fragte er: »Könnte uns vielleicht jemand erklären, was das alles zu bedeuten hatte?«
Die Fürstin nickte ihm mit einem freundlichen Lächeln zu. »Prinz Derea Far’Lass, nicht wahr? Ich durfte Euch vor einigen Jahren kennenlernen, und Euch vergisst man nicht so leicht.« Auch Marga schenkte sie ein warmes Lächeln. »Oh, meine Liebe, Ihr seid Eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich habe Euch ewig nicht gesehen, aber ich hätte Euch überall wiedererkannt, und es freut mich über alle Maßen, Euch wohlbehalten anzutreffen. Wir sollten uns besser in einen anderen Raum zurückziehen. Hier ist es doch recht ungemütlich. Joran, entfache ein Feuer im Frauengemach, sorge für Erfrischungen und lass das Gästehaus säubern.«
Der gab den Männern Anweisungen und eilte dann voraus in einen Nebenraum.
Die Fürstin ging zu dem geteilten Leichnam ihres Gatten und sah auf ihn hinab. »Er hat sich eingenässt«, bemerkte sie, spuckte auf den Körper und führte die Gruppe in einen kleinen, aber durch viele bunte Wandteppiche hübschen Raum.
Anders als in der Haupthalle waren auf diesen keine Schlachten dargestellt, sondern Erntemotive und Blumen. Der Hofmeister machte sich bereits am Kamin zu schaffen, und eine Dienerin huschte mit Felldecken herein und verteilte sie an die nur leichtbekleideten Damen.
Kaum hatten sie es sich alle halbwegs bequem gemacht, eröffnete die Fürstin das Gespräch. »Ich kann nicht sagen, wie froh und dankbar ich bin, dass Ihr alle wohlauf seid. Als Joran mir die Nachricht von Eurem Besuch bringen ließ, wusste ich gleich, dass Marcos sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde. Aber meine Männer und ich wären zu spät gekommen.«
Die erstaunten Gäste erfuhren jetzt, dass der Fürst sein Landgut in ein Lustschlösschen verwandelt hatte. Da ihm nach seiner Kapitulation weder Camora noch die Führer der Freien Reiche irgendeine Aufmerksamkeit geschenkt hatten, hatte er beschlossen, endlich sein Laster auszuleben. Sehr junge Frauen und Mädchen waren seine Leidenschaft, und hier, in völliger Abgeschiedenheit, hatte er nicht einmal darauf achten müssen, seine abartigen Neigungen geheim zu halten. Mit gleichgesinnten Freunden hatte er auf Borka wahre Gelage gefeiert. Die Söhne des Fürsten hatten sich voller Entsetzen abgewandt und sich Fürst Menides angeschlossen, sie selbst war mit einigen Dienern in das leerstehende Kriegerhaus ihres Gatten gezogen.
»Als ich hörte, dass junge und schöne Priesterinnen unter den Gästen waren, wusste ich sofort, dass Marcos nicht würde widerstehen können. Jungfrauen gibt es kaum noch, seit er hier ist, und er hoffte schon immer, einmal eine Priesterin in die Geheimnisse der körperlichen Vereinigung einweihen zu können. Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, um diesen Frevel zu verhindern.«
Sie machte eine Pause, da Diener jetzt heißen, gewürzten Wein und dampfenden Rotbeerensaft brachten, wartete, bis alle ihren Wünschen entsprechend versorgt waren, und fuhr dann fort: »Im Nachhinein bin ich tatsächlich froh, dass ich zu spät gekommen bin, denn ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht als den Tod dieses Ungeheuers, und es wird weit und breit niemanden geben, der nicht so denkt. Weder Frauen noch Töchter der Höfler waren vor ihm und seinen Kumpanen sicher. Und seine Opfer wurden immer jünger. Wie Ihr selbst erleben musstet, schreckte er für sein Vergnügen nicht einmal vor Mord zurück. So etwas wie ein Gewissen besaß Marcos nie. Auch in Kambala dürfte die Kunde von seinem Tod nur zu Jubelschreien führen. Man wird Euch hier wie dort als Retter betrachten. Ich bedaure zutiefst, was Euch widerfahren ist, aber ich danke Euch von ganzem Herzen. Lasst mich versuchen, die Schandtat meines Gatten so weit wie möglich wiedergutzumachen. Was auch immer Ihr begehrt und ich beschaffen kann, sollt Ihr bekommen.«
Derea hätte fast gelacht. Sie kämpften sich seit vielen Tagen durch die Reihen der Horde, waren auf dem Weg in eine Schlacht, die über das endgültige Schicksal der Freien Reiche entscheiden würde, und wären heute um ein Haar einem gemeinen Wüstling zum Opfer gefallen. Nicht Verrat war hier im Spiel gewesen, sondern Lust, und trotzdem hätte es übel für sie ausgehen können. Gottlob hatte Rhonan, der ja nur Wasser zu sich genommen hatte, nicht so tief geschlafen und war darüber hinaus in der Lage gewesen, sein Schwert zu sich zu rufen.
Während sie weiter mit der Fürstin plauderten und Wein und Beerensaft tranken, kam ein Diener, um zu verkünden, dass das Gästehaus gereinigt sei.
Müde machten sie sich alle wieder auf den Weg ins Bett.
Rhonan hatte kein einziges Wort gesprochen, und Derea war nicht der Einzige, der ihm besorgte Blicke zuwarf. Er sah Caitlin und Gideon kurz tuscheln und vertraute voller Hoffnung auf die Fähigkeit der Prinzessin, ihren Gatten wieder zu beruhigen.
Die ging diesmal auch ohne weitere Umstände gleich zusammen mit ihrem Mann aufs Zimmer.
»Das glaub ich einfach nicht. Wie konntest du nur so etwas tun?«, wetterte sie, kaum dass er die Tür geschlossen hatte. »Ich hab dich gar nicht wiedererkannt.«
»Was habe ich denn getan? Soll es mir leidtun, diesen Widerling und seine Spießgesellen getötet zu haben?«
»Ja!«
»Ja?« Er lachte heiser auf und verdrehte die Augen. »Tut es aber nicht.«
»Sie waren unbewaffnet.«
»Oh, wie unverzeihlich.« Erneut lachte er, aber es klang seltsam fremd. »Das wären wir auch gewesen. Schon mal daran gedacht? Sie wollten euch schänden und uns töten. Das wollte ich verhindern. Hätte ich Schwerter verteilen sollen, bevor ich sie töte? Wärst du dann zufrieden gewesen?«
»Ich bitte dich.«
»Worum denn? Worum denn nur, Caitlin? Was erwartest du eigentlich von mir? Erst schreist du, damit ich dir helfe, jetzt schreist du, weil ich dir geholfen habe.«
»Eine schöne Hilfe! Sieh mich doch einmal an! Ich habe fast in Blut gebadet.«
»Oh, entschuldige!« Seine Stimme klang höhnisch. »Ich habe nicht darauf geachtet, dir beim Kämpfen nicht zu nahe zu kommen. Wie konnte ich nur vergessen, wie empfindsam du bist?«
Ohne Überlegung holte sie aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
Seine Augen flackerten, und seine rechte Hand zuckte, aber er sah an ihr vorbei.
»Was soll das? Komm endlich wieder zu dir! Du bist doch nicht du selbst.«
Sie sah ihn verzweifelt an und schüttelte ihn, aber er mied ihren Blick auch weiterhin. »Rede gefälligst mit mir! Was ist los mit dir?«
Er schwieg, und sie nahm sein Gesicht in beide Hände, zwang ihn dazu, sie endlich anzusehen, und erschrak heftig über seinen kalten Blick. »Ich fühle es, und ich sehe es: Du verbirgst etwas, und das schon seit Tagen. Ich bin deine Frau, Rhonan. Ich liebe dich nicht nur, wenn du stark und gut bist, ich werde dich immer lieben, gleichgültig, was du tust, aber ich will nicht, dass du dich vor mir verschließt. Das ertrage ich nicht.«
»Unsinn!«
Ihr Griff wurde fester, ihre Stimme weicher. »Komm wieder zu mir, Liebster! Ich würde mein Leben für dich geben, aber, wenn du mir nicht einmal mehr Vertrauen entgegenbringst, frag ich mich, warum. Ich glaubte, dich zu kennen, doch jetzt bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher. Sag mir: Was hat dich verändert?«
Er starrte durch sie hindurch, und sie glaubte, er würde nicht antworten, aber schließlich tat er es doch. Seine Stimme war dabei kaum zu hören. »Das Schwert.«
»Das Schwert?«
Seine Hände umklammerten plötzlich so fest ihre Oberarme, dass sie ein Aufstöhnen nicht unterdrücken konnte. Doch anders als üblich ließ er sie nicht sofort los, sondern drückte noch fester. »Ich fühle eine solche Kälte, dass ich nicht glauben kann, dass du in meiner Nähe nicht frierst.«
Sie glaubte ihm sofort. Zorn und Kälte umgaben ihn wie ein Käfig, aus dem er sich offensichtlich nicht mehr allein befreien konnte. Sie musste ihm helfen, die Tür zu finden, und sie wusste auch wie. »Ich friere doch, Rhonan, ich friere sogar ganz schrecklich. Aber du wirst mich jetzt wärmen.«
Bei ihren Worten knüpfte sie schon sein Hemd auf.
»Caitlin, nicht … ich … mir …«
Er versuchte, ihre Hände aufzuhalten, aber sie schlug seine Hand unwillig zur Seite. »Wir reden später. Jetzt will ich mit dir schlafen. Genau jetzt ist mir danach, und wir sind endlich einmal allein und haben ein richtiges weiches Bett.«
Sie strahlte ihn an. »Du darfst mich jetzt dorthintragen.«
Sein Blick war so wild, dass sie Mühe hatte, ihren Entschluss nicht kurzfristig zu überdenken.
»Was ist, mein kühner Gatte?«, fragte sie, bevor sie es sich anders überlegen konnte, schmiegte sich an ihn, ließ ihre Hände über seinen Rücken wandern und rieb ihren Oberschenkel herausfordernd an seinem.
»Du hast es nicht anders gewollt.« Er riss sie hoch, machte zwei lange Schritte und warf sie aufs Bett.
Fast war sie versucht, ein Stoßgebet zu den Göttern zu schicken, als er wie von Sinnen an ihrem Nachthemd zerrte, aber sie vertraute darauf, dass sie ihren Ehemann mittlerweile gut genug kannte. Gleichgültig, unter welchem Zauber er stand, er war immer noch Rhonan, der ihr nie ein Leid zufügen würde.
Es wurde nicht nur eine ungestüme Vereinigung, es wurde ein Kampf. Rhonan war immer gefühlvoll und sanft, aber heute war er grob und rücksichtslos. Caitlin sah den Glanz in seinen Augen und nahm den Kampf auf. Sie gab sich hin, nur um sich kurz darauf wild gegen ihn zu wehren, sie zog ihn an sich und stieß ihn weg, und er schwankte ständig zwischen dem Gefühl, verführt zu werden, und dem Gefühl, seine eigene Frau zu vergewaltigen. Er vergaß irgendwann alles um sich herum und verlor sich in der ungezügelten Leidenschaft seiner Priesterin.
Die lachte mittendrin laut und glücklich auf, als sie endlich wieder Liebe in seinen Augen sah und Zärtlichkeit spürte.
Völlig ermattet lagen sie einige Zeit später eng umschlungen beieinander.
»Ich liebe dich, Caitlin«, hauchte Rhonan in ihr Haar.
Sie streichelte seine Brust. »Mir ist jetzt warm. Dir auch wieder?«
»Warm? Ich glühe.«
»Das ist gut. Dann können wir reden. Was ist mit dem Schwert, Liebster?«
Sie rechnete damit, dass er sich zunächst noch in irgendwelchen Ausflüchten ergehen würde, um sie nicht zu beunruhigen, aber er schlang fest die Arme um sie, atmete einmal tief durch und erwiderte umgehend: »Es ist böse. Das klingt schrecklich albern, aber ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Wenn ich kämpfe, will ich natürlich immer siegen, aber mit Kahandar empfinde ich Spaß am Töten. Es ist wie ein Rausch.«
Er schluckte schwer. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist. Ich verliere mich, bin nicht mehr ich selbst. Ich empfinde Hass und unbändige Lust zu töten. Nur noch der Sieg zählt. Und ich kann nichts dagegen tun. Jedes Mal, wenn ich mit Kahandar gekämpft habe, benötige ich länger, um wieder ich selbst zu werden. Es beherrscht mich immer mehr.«
Er schluckte erneut schwer und ergänzte leise: »Ich habe Angst, dass ich mich irgendwann gar nicht mehr wiederfinde.«
Sie küsste ihn zärtlich und vergrub ihre Hände in seinen Haaren. »Oh, Liebling, dann finde ich dich eben. Du musst keine Angst haben, denn ich werde dich ganz sicher immer wiederfinden. Bist du sicher, dass du das Schwert noch benötigst? Kannst du es nicht einfach hierlassen oder wegwerfen?«
»Nein! Die Zeichnungen binden mich daran, verbrennen mich, wenn ich mich zu weit entferne. Palema hat mit einem Zauber dafür gesorgt, dass dieses Schwert mich mein Leben lang begleiten wird … oder ich das Schwert.«
Sie musste das erst einmal verdauen und schluckte jetzt ebenfalls, bevor sie fragte: »Und warum sagst du mir das erst jetzt?«
»Es tut mir leid.« Er zog sie so eng an sich, dass sie kaum noch Luft bekam. »Ich wollte, ich wollte es wirklich, weil … aber ich konnte nicht. Ich … ich kann es dir nicht erklären, ich kann es nicht einmal mir selbst erklären, aber ich bin froh, dass du es endlich weißt. Was soll ich tun? Dieses Schwert verändert mich.«
»Wird es nicht«, erklärte sie mit Bestimmtheit. »Wenn deine Mutter glaubt, sie könnte dich zu einer kaltherzigen Bestie machen, dann hat sie sich geirrt. Dafür liebe ich dich viel zu sehr, so wie du bist.«
Sie löste sich aus seiner Umarmung, setzte sich rittlings auf seinen Bauch und sah zur Decke. »Kannst du mich hören, Palema? Wenn ja, dann hör mir jetzt gut zu! Du hast deine Gelegenheit gehabt und sie verpasst. Rhonan gehört jetzt mir und nur mir. Ich, die nach deinen Worten schusselige und nichtsnutzige Priesterin, werde gegen dich kämpfen, und ich bin stärker als du. Soll ich dir sagen, warum? Du bist kalt und unsterblich, aber ich bin warm und lebendig. Dein Schwert wird Rhonan nicht vernichten, denn so oft es das versucht, werde ich ihn mir wieder zurückholen. Hast du eben zugesehen? Ich benötige nicht viel mehr Zeit, als Rhonan braucht, um die Klinge zu ziehen, um sie ihn gänzlich vergessen zu machen. Ihre blauen Flammen sind nichts gegen mein rotes Haar. Die Härte der Waffe ist nichts gegen meinen weichen Körper. Ihre Stärke ist nichts gegen meine Liebe. Was immer du auch versuchst, du dämliche Ziege, meinen Gatten kriegst du nicht mehr. Deinem Willen wird er sich nie beugen. Er ist zu stark für dich. Und den Kampf gegen dein Schwert gewinne ich. Friere du ruhig weiter, allein in deinem ewigen Eis, ich wärme mich unterdessen in den Armen deines Sohnes.«
Eine unglaubliche Wärme und innere Heiterkeit durchströmte ihn bei ihren Worten, und leise, aber glücklich lachend zog er sie an sich. »Caitlin, du bist wunderbar. Du bist so zart und so zerbrechlich und doch bist du mein größter Schutz. Ohne dich könnte ich nicht mehr leben.«
»Ich weiß, aber das musst du ja nun auch nicht«, erwiderte sie schlicht und mit großem Selbstvertrauen.
Sie hielt ihn davon ab, sie zu küssen, und stemmte sich auf seiner Brust hoch. »Du darfst mir nur nichts mehr verheimlichen. Nie mehr! Ich werde immer bei dir sein, neben dir, hinter dir oder vor dir, aber schließ mich nie wieder aus.«
»Das werde ich nie mehr, mein Herz.«
»Versprochen?«
»Versprochen!«