8. Kapitel
Rhonan erwachte mitten in der Nacht, weil seine Hand schmerzte. Ausgesprochen dankbar nahm er zur Kenntnis, dass die Schmerzen aber nichts mehr im Vergleich zu vorher waren, und sah im Schein des kleinen Nachtfeuers auf die Verbände. Soweit er das beurteilen konnte, hatte er sogar noch alle Finger, und er schickte einen stummen, aber umso innigeren Dank an den Gelehrten. Nach den düsteren Tagen im Kerker verspürte er den Wunsch nach frischer Luft.
Caitlin lag neben seiner Pritsche und hatte eine Hand auf seinem Arm liegen. Behutsam löste er ihre Finger und setzte sich vorsichtig auf. Ein versonnenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er über die Körper der auf dem Boden schlafenden Begleiter hinwegstieg. Es war schon eigenartig, wie das Leben so spielte. Niemand war jemals Ligurius’ Fängen entkommen. Ihm war es jetzt zum zweiten Mal geglückt.
Fremde hatten sich in Gefahr begeben, um ihm das Leben zu retten. Hatte der Gelehrte doch recht? War nach der Zeit der Feindschaften die Zeit der Freundschaften angebrochen? Musste er lernen, noch mehr Menschen zu vertrauen?
Die Tür knarrte, obwohl er sie umsichtig schloss.
Kalte, klare Nachtluft umfing ihn. Er lehnte sich, noch wackelig auf den Beinen, an die Hauswand, atmete tief ein und versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was Caitlin ihm alles über die neuen Gefährten erzählt hatte, als er das Knurren eines Wolfes hörte. Seine Hand suchte das Schwert, als er das Tier sah. Aber seinen Schwertgürtel hatte er nicht angelegt. Er musste an einen Dolch gelangen.
Ein Pfiff ertönte, und der Wolf wandte sich von ihm ab und trabte davon. Stattdessen kam jetzt eine Gestalt, eingehüllt in einen schwarzen Umhang, aus der Dunkelheit geradewegs auf ihn zu. Rhonans linke Hand wanderte weiter zum Stiefel.
»Lasst Eure Dolche stecken! Ihr benötigt sie nicht. Ich bin nicht Euer Feind.«
Der Prinz bekam unwillkürlich eine Gänsehaut. Er kannte diese Stimme und verband etwas Schreckliches damit, er wusste nur nicht was. Der Fremde stand jetzt keine Pferdelänge weit von ihm entfernt und strich die Kapuze zurück.
»Ihr?«, keuchte Rhonan und bekam kaum noch Luft. Etwas schien ihm die Kehle zuzuschnüren. Aus dem Nichts hielt er Kahandar in der Hand. »Nehmt Eure Waffe!«, forderte er heiser.
»Ich werde nicht gegen Euch kämpfen«, erwiderte Raoul. »Ihr werdet mich schon so töten müssen.«
»Wie Ihr wollt.« Der Prinz hob das Schwert.
Der General bewegte sich nicht.
Rhonan schluckte schwer und zögerte. »Wie Ihr wollt«, wiederholte er dann tonlos und holte zum Schlag aus.
Der Widerstand erfolgte anders als erwartet.
Derea warf sich mit gezücktem Schwert vor den General und parierte. »Was soll das, im Namen der Götter?«
Rhonan starrte nach wie vor unverwandt den General an. »Geht aus dem Weg!«
Dereas Haar war vom Schlaf zerzaust, er trug keine Stiefel, und das Hemd hing ihm halb aus der Hose. »Das werde ich nicht. Kann mir bitte jemand erklären, was das jetzt soll?«
»Mit Euch hat das nichts zu tun. Geht aus dem Weg oder sterbt!«
Dereas Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Verzweiflung und Verständnislosigkeit. »Himmel! Ihr könnt noch nicht wieder kämpfen. Denkt an Eure Verfassung! Denkt an Eure Hand! Ihr seid noch viel zu schwach.«
Rhonans Augen funkelten. »Wenn Ihr Euch da mal nicht täuscht.«
Umgehend griff er an. Kahandar flammte blau auf. Ungeheuer kraftvoll traf es Dereas Schwert. Der starrte verblüfft auf die einzigartige Waffe und hatte Mühe, seine festzuhalten. So viel zur Schwäche des Prinzen, dachte er kurz und zog sein zweites Schwert.
Rhonan griff weiter an, immer schneller folgten seine Attacken aufeinander. Der Hauptmann wurde immer weiter zurückgedrängt und überquerte dabei den halben Hof. Aber er parierte ein ums andere Mal. Zum Angreifen kam er kaum.
Das Schwert des Prinzen durchbrach die Deckung und wurde zurückgezogen.
Derea nickte. Dem anderen ging es also nicht darum, ihn zu verletzen. Er wollte ihn entwaffnen. Aber so leicht ließ sich der Kommandant der Flammenreiter nicht entwaffnen. Durch geschickte Paraden versuchte er jetzt ebenfalls, seinem Gegner die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch die schien mit der Hand verwachsen zu sein, die sie führte.
»Warum tut Ihr das?«, keuchte Derea. Vor Anstrengung sah er schon Sterne, wo keine waren, und zu gern hätte er zumindest verstanden, warum er mitten in der Nacht gegen den Mann kämpfte, den er vor kurzem aus dem Kerker befreit hatte.
»Haltet Euch raus! Legt endlich die Waffen nieder!«
»Das kann ich nicht. Lasst uns doch reden.« Derea sah sofort, dass der Prinz nicht die Absicht hatte, zu reden, denn beim nächsten Angriff ging er in die Knie. Er hatte seit Jahren keinen Kampf mehr verloren, aber er hatte auch noch nie jemanden so schnell und geschickt sein Schwert schwingen sehen. Nie hatte ihn ein Kampf so viel Kraft gekostet und so viel Konzentration von ihm gefordert. Sein Gegner ließ nicht nach, verlor weder an Kraft noch an Schnelligkeit und trieb ihn wie einen Spielball vor sich her.
Der Kampflärm hatte mittlerweile auch die Schläfer drinnen geweckt. Stimmen wurden laut. Gideon keuchte, und die alte Hella beschwor lauthals den General, die verrückten jungen Männer zu trennen. Aber der stand reglos da und beobachtete den Kampf. Juna fand die Angelegenheit offensichtlich lustig und lachte laut, und Marga und Hylia rieben sich die Augen, als glaubten sie, noch zu träumen.
Als Letzte kam Caitlin mit gerafften Röcken aus der Tür gestürzt und handelte, statt sich zu wundern. »Göttin! Was treibt ihr da? Rhonan, hör sofort auf!«
Derea sah aus dem Augenwinkel, wie sie geradewegs auf sie zu rannte. »Bleibt weg!«, schrie er warnend.
Aber die Prinzessin dachte gar nicht daran. »Waffen weg!«, kreischte sie und sprang schon mitten zwischen die Kämpfer.
Die Männer schafften es gerade noch, ihre Schwerter wegzuziehen, und Derea stieß einen erleichterten Stoßseufzer aus.
»Du hättest jetzt tot sein können. Bist du wahnsinnig?«, fluchte Rhonan laut.
»Das fragst gerade du?«, keifte sie zurück. »Was treibst du hier?«
»Geh wieder rein, Caitlin.«
»Damit du weiter auf deine Retter einhacken kannst? Vergiss es, und steck das Schwert weg!«
»Das kann ich nicht.« Rhonans Stimme war rauh und kaum zu hören.
Caitlin reckte sich zur vollen Größe. »Das kannst du schon, hier wird nämlich nicht mehr gekämpft. Damit ist Schluss. Du kommst jetzt sofort hinein und legst dich wieder hin. Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Hylia und ich sind von der Anwendung der Heilmagie immer noch ausgelaugt, Gideon hat nach der Versorgung deiner Hand noch nicht einen zusammenhängenden Satz herausbekommen, und du stehst mitten in der Nacht auf und kämpfst hier herum?! Wir begeben uns deinetwegen in Gefahr, opfern uns auf und leisten eine Prachtarbeit an dir und du … du schlägst zum Dank dafür ausgerechnet auf den Mann ein, der Ligurius getötet hat?«
Rhonan starrte auf seine Frau herunter, schien sie aber gar nicht wahrzunehmen. Sein Blick ging mehr durch sie hindurch.
Der General räusperte sich vernehmlich. »Es ging nicht gegen Derea, Prinzessin. Euer Gatte möchte mich töten, und ich kann diesen Wunsch nachvollziehen.«
»Ja? Warum sollte er Euch töten wollen?« Ihr Gesicht war nunmehr ein einziges Fragezeichen.
Gideon hatte sich mittlerweile zu Caitlin gesellt und sah von Rhonan zum General. Offensichtlich hatte er seine übliche Denkfähigkeit wiedererlangt, denn er würgte heiser hervor: »Das darf nicht wahr sein. Ihr seid der General von da’Kandar?«
Derea ließ seine Schwerter in die Scheiden gleiten und stieß die Luft zwischen den Zähnen hindurch. »Blitz und Donner!«
»Ich habe geschworen, Euch zu töten, sollte ich Euch jemals wiedersehen«, erklärte der Prinz leise. »Ich werde diesen Schwur halten.«
»Das ist mir klar. Ich werde Euch auch nicht davon abhalten«, erwiderte Raoul mit ruhiger Stimme. »Ich bitte Euch nur, es nicht sofort zu tun. Ich kann Euch zuvor helfen.«
»Niemals! Ich will Eure Hilfe nicht.«
Caitlin rüttelte am Arm ihres Mannes. »Rhonan, ich versteh das alles nicht. Woher kennst du den General, und warum willst du ihn töten?«
Er sah sie ausdruckslos an oder sah sie vielleicht immer noch nicht. »Weil er meine Familie getötet hat.«
Die Prinzessin benötigte einige Zeit, um das zu verarbeiten, dann wanderte ihr Blick zu Raoul. Ein Zittern ließ ihren Körper erbeben. »Ihr seid …?«
Der nickte sofort, ohne sie anzusehen. Sein Blick war starr auf Rhonan gerichtet. »Ich habe den Befehl erhalten, alles Leben in der da’Kandar-Festung auszulöschen, und ich habe diesen Befehl befolgt. Ich habe in einer einzigen Nacht den König, die Königin, die Prinzen, die Prinzessin, Krieger, Diener, Mägde, Männer, Frauen und Kinder ermordet oder ermorden lassen. Nicht einmal Säuglinge habe ich verschont. Ich habe sie getötet, und ich habe sie verbrannt. Ich bin danach ins Bett gegangen, und ich habe gut geschlafen. Irgendwann hörte ich das Gerücht, ein Prinz hätte das Massaker überlebt. Seitdem habe ich keine Nacht mehr ruhig geschlafen. Nicht aus Angst vor Rache, auch nicht, weil ich plötzlich Gewissensbisse bekam, sondern weil mir klarwurde, dass es eine Bedeutung haben müsste, wenn es wahr wäre. Weder Glück noch Zufall hätten in dieser Nacht jemanden retten können. Dafür hätte es größerer Mächte bedurft: göttlicher Mächte! Das Gerücht hat sich als wahr erwiesen. Es sieht also ganz so aus, als hättet Ihr noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ich gebe mich daher in Eure Hand. Tötet mich sofort, oder lasst mich Euch zunächst helfen.«
Rhonan wollte etwas sagen, aber Caitlin legte ihm die Finger auf den Mund. Sie war kreidebleich, und ihre Augen waren weit aufgerissen. »Nicht jetzt! Bitte nicht jetzt!«
Der Prinz spürte, wie Kahandars Macht allmählich verschwand, und damit einhergehend spürte er seine Erschöpfung und die Schmerzen in der Hand.
Caitlin klammerte sich an ihn, diesmal aber eindeutig mehr, um ihn zu stützen, als um geschützt zu werden. Sie sah zu ihm hoch und bat im Flüsterton: »Überdenke, was du tust. Sprich auch mit Gideon. Übereile nichts! Bitte, mir zuliebe.«
Der General räusperte sich und nickte ihm zu. »Weder will ich Euch zur Eile noch zur Muße raten. Gleichgültig, wie Ihr Euch entscheidet, ich stehe Euch jederzeit zur Verfügung. Wenn Ihr mich sucht, ich bin auf dem Hof oder in der Scheune.« Mit diesen Worten ging er, ohne noch jemandem einen Blick zu gönnen, gemessenen Schrittes davon.
Derea starrte ihm mit zusammengekniffenen Augen hinterher und umklammerte seine Schwertgriffe, als wolle er sie zerquetschen. Rhonan zitterte und schien sich nur mühsam beherrschen zu können. Immer wieder schluckte er, als kämpfe er gegen Übelkeit. Caitlin krallte ihre Finger in seine Arme, und Gideon berührte ihn leicht an der Schulter. Er hätte so gern einen Rat gegeben, aber ihm fiel keiner ein. Der Tod vieler Unschuldiger verlangte nach Sühne. Das sah er auch so. Was sollte er da einem Mann raten, der seine ganze Familie verloren hatte? Rache brachte vielleicht Genugtuung, jedoch nie Frieden. Nicht einmal den Frieden mit sich selbst, weil die Opfer Opfer blieben, gleichgültig, wie viele gerechte Opfer ihnen folgten. Das hatte das Lesen unendlich vieler Schriften ihn gelehrt. Doch all das Wissen wurde im Augenblick verschlungen von Wut. Wäre er ein Krieger gewesen, hätte er den General getötet. Dass das nicht richtig sein konnte, musste er sich einreden. Er konnte nicht klar denken, nahm an, dass es Rhonan genauso ging, und bat: »Lass uns drüber schlafen.«
Juna kicherte belustigt. »Ach je, was für ein Schlamassel! Der Möchtegern-König in Gewissensnöten. Hätte er vorher gewusst, wer ihn rettet, wäre er bestimmt lieber im Kerker geblieben.«
Hylia, die neben ihr stand, gab ihr erst eine schallende Ohrfeige und stieß sie dann wortlos ins Haus.
Gideon stand mit hängenden Schultern da wie ein nasser Sack und fühlte sich auch so.
Rhonan wandte sich seiner Frau zu. Sein Blick war unergründlich, seine Stimme tonlos. »Geh wieder hinein, Liebes. Ich verspreche dir, ich werde nichts tun, aber ich möchte gern eine Weile allein sein.«
Sie sah wenig begeistert aus und schüttelte immer wieder den Kopf. »Komm mit mir! Ich könnte dir helfen, wieder einzuschlafen.«
»Gleich!« Er sah, dass sie sich weigern wollte, ergriff ihre Hände und drückte sie. »Bitte, Caitlin, versteh doch: Ich brauche jetzt etwas Zeit für mich.«
Schweren Herzens nickte sie und folgte den anderen ins Haus.
Er saß auf einem gefällten Baumstamm und starrte in den sternenklaren Nachthimmel. Es wehte ein leichter Wind, der neben Schneestaub von nahen Tannen auch den würzigen Duft der Angusbäume zu ihm herübertrug. Ganz in der Nähe heulte ein Wolf. Es war eine Nacht wie viele andere, und doch war sie ganz anders. Der Himmel erschien ihm dunkler als je zuvor, die bleiche Sichel des Mondes wirkte nicht fern, sondern bedrohlich, und die gewohnte Kälte traf ihn heute bis ins Mark.
Immer wieder hatte er sich in den vergangenen Jahren ausgemalt, wie es sein würde, dem Mörder seiner Familie gegenüberzustehen. Jedes Mal hatte er ihn getötet und seine Familie gerächt. Heute hatte er vor ihm gestanden, und er hatte es nicht gekonnt. Er hätte nur zuschlagen müssen, und er hatte es nicht getan.
Er hatte versagt und sah die anklagenden Gesichter der Opfer von da’Kandar vor sich, hörte die qualvollen Todesschreie dieser Nacht, sah Köpfe rollen, Blut spritzen, Flammen lodern und nahm den fürchterlichen Gestank von verbranntem Menschenfleisch wahr.
Er hatte gehofft, an Caitlins Seite wäre endlich die Zukunft angebrochen, aber die Vergangenheit ließ ihn nicht los, drängte immer wieder an die Oberfläche. Bis zu seinem Tod würden die Schrecken dieser einen Nacht ihn verfolgen.
Ob sie schwächer werden würden, wenn er den General tötete? Hatte er überhaupt eine Wahl? Die Stimmen seiner Mutter und seiner Geschwister summten wie wütende Bienen in seinem Kopf, schrien laut und immer lauter und drängend und immer drängender nach Vergeltung. Er sah ihre Gesichter auf abgeschlagenen Köpfen, sah, wie sie sich vor Wut verzerrten. Bilder von zornigen Fratzen flimmerten vor seinen Augen, klagende Stimmen übertönten jedes reale Geräusch.
Er konnte es nicht ertragen und krümmte die Finger seiner verletzten Hand, soweit es ging. Er presste sie gegen den Druck der Bandagen auf den Baumstamm, um vielleicht mit körperlichem Schmerz den unerträglichen Schmerz in seiner Seele zu verdrängen. Doch die Toten gaben nicht auf. Er hörte Schreie und mittendrin die Stimme seines Vaters, die ihn aufforderte, auf sein Herz zu hören, um immer den richtigen Weg zu gehen.
Das hatte ihm sein Vater neben ständigen Ermahnungen auch einmal gesagt, und dieser Satz hatte sich eingebrannt, denn zum ersten und einzigen Mal hatte er sich selbst Bedeutung beigemessen. Er hatte auf sein Herz gelauscht, hatte gehofft, es würde nicht nur regelmäßig schlagen, sondern ihm etwas raten. Aber er hatte nichts gehört.
Auch heute hörte er nichts. Am liebsten hätte er in den Nachthimmel gebrüllt. Welcher war der richtige Weg, und wie sollte er ihn gehen können, wenn er ihn erkannte? Sein Weg war vorgezeichnet, von den rot züngelnden Flammen da’Kandars und vom eisblauen Feuer Kahandars! Es gab gar keine Entscheidung. Seine Zukunft lag nicht in Caitlins Armen, denn sein Erbe waren die Quelle, Camora und Rache. Diese Erkenntnis ließ ihn zittern.
Sein Blick suchte unwillkürlich den Gipfel des Wintergebirges. »War das dein Werk, Palema? War das das Geschenk, von dem du sprachst? Hat es dir nicht gereicht, mich an dein verfluchtes Schwert zu binden? Hast du geglaubt, die Gegenwart wäre nicht schrecklich genug für mich? Musstest du auch noch die Vergangenheit ausgraben?«
Nur für ihn hörbar erklang ihre zornige Stimme. »Ist das dein Dank? Ich habe dem General tatsächlich die Träume geschickt, die ihn dazu bewogen, dich zu suchen. Oh, wie ich mich auf dieses Treffen gefreut habe, wie ich es herbeigesehnt habe. Wie eine Fliege hättest du ihn zerquetschen können. Hätte ich vielleicht damit rechnen müssen, dass du jetzt dort sitzt und Trübsal bläst? Steh auf und erschlage den Mann, der uns beide vor fünfzehn Jahren fast umgebracht hätte! Hast du vergessen, wie Brandwunden schmerzen? Ich nicht. Noch vor kurzem hättest du keinen Wimpernschlag lang gezögert. Was ist nur aus dir geworden? Wo ist der Mann, der du einmal warst? Handle gemäß deiner Bestimmung und löse dich endlich wieder vom Gängelband dieser Priesterin!«
»Sei still!«
In ihm drehte sich alles, aber sie lachte höhnisch auf. »Narr! Du wirst keine Kämpfe mehr gewinnen, wenn du dich an Weiberröcke klammerst. Deine Stärke wird schwinden, wenn du nur noch Caitlin gefallen willst. Deine Frau kennt uns nicht. Sie weiß nichts von unseren Leiden. Du hast ihr zwar von der Mordnacht auf da’Kandar erzählt, aber nicht, dass du dich ein Jahr lang kaum bewegen und vier Jahre lang nicht sprechen konntest. Das wäre denn doch zu viel für deine zartbesaitete Frau gewesen. Doch du solltest nie vergessen: Die schlimmsten Wunden habe ich davongetragen bei dem Versuch, dich zu schützen. Ich habe ungleich mehr gelitten als du, und ich habe dir die Gelegenheit für unsere Rache verschafft. Nutze sie! Erlöse dich selbst von den Träumen und deine erbärmliche Familie vom berechtigten Verlangen nach Vergeltung. Erweise dich nur einmal als würdiger Erbe. Wie kannst du noch warten? Geh und töte den Mörder, den grausamen Schlächter! Lass ihn langsam sterben und sieh ihm dabei zu. Du hast dich jahrelang deiner Verantwortung entzogen und dich verkrochen. Wenn du selbst jetzt noch versagst, da dir die Rache in den Schoß gelegt wird, werden die Toten dich zu Recht auf ewig verdammen. Denk darüber nach, Rhonan da’Kandar, einziger überlebender Nachfahre des so ruhmreichen und in nur einer einzigen Nacht nahezu ausgelöschten Geschlechts der Alten Könige!«
Blicklos starrte er lange vor sich hin. Seine Umgebung nahm er schon längst nicht mehr wahr, denn vor seinem geistigen Auge versammelten sich die Toten der Vergangenheit und seine lebenden Begleiter und bestürmten ihn mit ihren unterschiedlichen Ansichten über Vergangenheit und deren Bewältigung, Zukunft und deren Wurzeln, Forderungen nach Rache und Vergeltung und dem Recht auf Frieden und Vergessen … und sie hatten alle recht.
Schritte knirschten im verharschten Schnee. Er hatte schon damit gerechnet, dass Caitlin früher oder später kommen würde, und rieb sich hastig über die Augen.
Aber es war gar nicht seine Frau, sondern Derea, der auf ihn zugeschlendert kam. »Ich muss mit Euch reden, Prinz.«
»Tatsächlich?« Nur mühsam fand er in die Wirklichkeit zurück.
Der Hauptmann setzte sich neben ihn, nickte und sah unschlüssig vor sich hin. »Ihr seid ein hervorragender Schwertkämpfer. Fast bin ich froh, dass Ihr nur Eure linke Hand benutzen konntet.«
»Ihr wart ein gleichwertiger Gegner. Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Euch zu danken. Ihr habt einen meiner Erzfeinde getötet und mir das Leben gerettet.«
Derea winkte müde ab. »Ich wünschte, wir hätten früher kommen können.«
Der Prinz schwieg, und er fuhr fort: »Eure Waffe ist … mehr als beeindruckend. Nie hätte ich geglaubt, dass es das legendäre Kahandar wirklich gibt.«
»Und Ihr kämpft mit den Zwillingsschwertern. Lassen wir das! Ihr seid doch bestimmt nicht mitten in der Nacht zu mir gekommen, um mit mir über Schwerter oder die Kunst, sie zu führen, zu reden.«
Der Hauptmann seufzte leicht. »Nein! Wir beide sind in einer verdammt dummen Lage.«
»Die da wäre?«
»Na ja, Ihr wollt den General töten, und ich kann das nicht zulassen.«
Rhonan sah ihn nach wie vor nicht an, sondern starrte weiter vor sich hin. »Ihr solltet meine Gründe doch verstehen.«
»Ich verstehe Euch nur zu gut, aber ich muss Euch trotzdem davon abhalten.«
»Und warum?«
»Der General ist mein Vater«, erklärte er, stutzte und fügte dann gewissenhaft hinzu: »Nur mein gezwungener Erzeuger. Irgendwie bedeutet das wohl nicht viel, und ich kenne ihn tatsächlich nicht viel länger als Ihr. Aber diese schlichte, familiäre Bindung hindert mich daran, zuzulassen, dass Ihr ihn tötet.«
»Euer Vater?« Die Stimme des Prinzen klang überrascht.
»Na ja, eher Zuchtmaterial für Ayala. Er wollte gar keine Kinder und sie keine Söhne. Ich war ein missglückter Wurf und, wie ich schon sagte, ich kenne ihn kaum länger als Ihr.«
»Ayala? Dann seid Ihr Caitlins Halbbruder? Das hat sie mir gar nicht erzählt.«
Er lächelte verständnisvoll. »Seit ich Eure Frau kennengelernt habe, war sie in Sorge um Euch. Ich glaube, sie hat noch nicht darüber nachgedacht. Bevor sie geboren wurde, waren mein Bruder und ich ja auch schon bei Königin Morwena. Ich lerne in letzter Zeit immer mehr Familienmitglieder kennen. Ist schon irgendwie seltsam.«
»Das kann mir nicht passieren«, entgegnete Rhonan trocken.
»Was damals geschehen ist, ist für mich nach wie vor unvorstellbar schrecklich. Aber wir, wir sind anders als Camora und seine Schergen. Wir haben höhere Werte, die unser Leben bestimmen. Ihr versteht doch, dass ich nicht tatenlos zusehen kann, wie Ihr meinen Vater erschlagt? Ich kann es einfach nicht.«
»Glaubt Ihr, Ihr könntet mich daran hindern?«
Der Hauptmann stieß die Luft aus. »Puh! Ich weiß nicht so recht, aber ich muss es zumindest versuchen. Das ist ja gerade das Verzwickte an unserer Lage: Ihr wollt ihn töten, aber mich nicht verletzen. Ich muss Euch an Eurem Vorhaben hindern, will Euch aber auch nicht verletzen. Das kann ein verdammt langer Kampf werden.«
»Vielleicht nehme ich ja doch in Kauf, Euch zu verletzen«, gab der Prinz zu bedenken, aber sein Gesprächspartner schüttelte sofort den Kopf. »Oh, nein, das werdet Ihr nicht.«
»Was macht Euch da so sicher? Ihr kennt mich doch gar nicht.«
»Weil Ihr es vorhin nicht getan habt«, erklärte Derea schlicht. »Ich habe gesehen, wie viel Mühe es Euch gekostet hat, Euch zu beherrschen, aber Ihr habt es trotzdem getan. Zwei-, dreimal hättet Ihr mich verwunden oder sogar töten können, aber Ihr habt es nicht getan. Ihr wolltet Vergeltung, aber offensichtlich nicht um jeden Preis. Und das wird sich sicher nicht so schnell ändern. Wollt Ihr mich wirklich zu einem Kampf herausfordern, der nur dadurch beendet werden kann, dass einer von uns vor Erschöpfung zusammenbricht? Ihr solltet wissen, ich bin verdammt zäh!«
»Das glaube ich Euch aufs Wort.«
Der Hauptmann wechselte plötzlich das Thema. »Wart Ihr einmal Krieger?«
»Ich war schon eine Menge, aber das tatsächlich noch nie.«
»Ich war eigentlich nie etwas anderes. Ich kann meine Schlachten nicht mehr zählen. Zahlenmäßig habe ich allein wahrscheinlich ganze Dörfer entvölkert. Man sagt mir auch nach, nicht besonders zimperlich zu sein, wenn es um die Vernichtung von Feinden geht. Ich kämpfe für El’Maran und gegen alle, die Feinde dieses Landes sind. Ich befolge meine Befehle, und, um Erfolg zu haben, bin ich nicht immer wählerisch, was die Art und Weise des Kampfes betrifft. Der General hat seine Befehle befolgt, und er hat das getan, was er damals für das Richtige hielt. Versteht mich nicht falsch! Ich sage nicht, dass ich diesen Befehl auch ausgeführt hätte. Sicher ist nur, hätte Raoul sich geweigert, hätte es ein anderer getan. Eure Familie war schon tot, als Camora ihre Vernichtung beschloss.«
Der Prinz schüttelte müde den Kopf. »Ganz so einfach ist das nicht. Ich habe Euren Erzeuger in jener Nacht gesehen. Er war ein mitleidloser, grausamer Schlächter. Er hat meinen Vater zusehen lassen, wie er meinen Geschwistern und meiner Mutter den Kopf abschlug, und er hat dabei gelacht, hat sich am Schmerz meines Vaters geweidet. Er hat nicht nur einen Befehl ausgeführt, er hatte Spaß daran. Ich kann das nicht einfach vergessen und ihm vergeben, weil er ein Krieger war. Ihr erwartet Unmögliches.«
Derea spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Er hatte so viele Freunde sterben sehen, dass er sich die ungleich größere Qual eines Kindes vorstellen konnte, das gezwungen worden war, das grausame Sterben der Familie mit anzusehen. Rhonan hatte seine Zuschauerrolle in dieser Nacht nur beiläufig erwähnt, aber gerade das schnürte ihm jetzt fast die Kehle zu. Er konnte weder Verständnis noch Vergebung für die Greueltaten seines Vaters erwarten oder selbst aufbringen und musste sich zu den nächsten Worten zwingen. »Glaubt Ihr, dass Menschen sich ändern können?«
Rhonan schwieg, und Derea fuhr mit leiser Stimme fort: »Wir sind hier, weil der General es so wollte. Ohne ihn wärt Ihr vermutlich immer noch in Ligurius’ Folterkammer oder schon bei Camora. Er hat geschworen, Euch mit seinem Leben zu schützen.«
»Könnt Ihr Euch vorstellen, dass ich diesen Schutz nicht will?«
»Habt Ihr zurzeit so viele, die auf Eurer Seite stehen, um wählerisch zu sein? Wir sind mitten im Feindesland. Was ist mit Eurer Frau? Glaubt Ihr ernsthaft, Ihr könntet sie weiterhin allein beschützen? Hier lauern weit mehr Gefahren als im Wintergebirge.«
Rhonan blickte ihn jetzt das erste Mal an, und Derea schluckte unwillkürlich heftig, als er die Qual in den Augen seines Gegenübers sah. Die Stimme des Prinzen war noch dunkler als üblich, als er fragte: »Was erwartet Ihr eigentlich von mir? Glaubt Ihr ernsthaft, ich könnte mit einem Mann zusammen reisen, dem ich dabei zusehen musste, wie er meine Familie zerhackt und verbrannt hat?«
»Ja!« Derea senkte den Blick, sah auf seine kalten, zitternden Hände und glaubte selbst kaum, was er da gesagt hatte.
»Ja? Könntet Ihr das?«
»Nein«, gab er leise, aber unumwunden und aus vollem Herzen zu. »Aber ich bin davon überzeugt, dass Ihr es könnt. Ich hätte ihn vermutlich erschlagen und wenn ich mich vorher durch zehn Menschen hätte hindurchkämpfen müssen. Ich habe aber auch keine Ehefrau, die ich schützen muss. Ihr habt gezögert, und ihr sitzt jetzt hier und fragt Euch, was wichtiger ist: die Vergangenheit oder die Zukunft? Raoul könnte mit all seinen Verbindungen und mit seinen Kenntnissen von Camoras Armee sehr hilfreich sein. Auch als kämpfender Reisegefährte ist er nicht zu unterschätzen. Wollt Ihr Eure tote Familie rächen, oder wollt Ihr das Überleben Eurer Frau sichern?«
Er sah, wie der Prinz erschauerte, und fuhr mit matter Stimme fort: »Soll ich Euch etwas sagen? Ihr hättet ihn gleich zu Anfang töten müssen … aus dem Augenblick heraus, ohne jede Überlegung. Jetzt ist es für Euch zu spät, viel zu spät. Ihr habt Euch längst entschieden – gegen Eure tote Familie und für Eure lebende Frau. Ihr wisst nur nicht, wie Ihr selbst mit dieser Entscheidung leben sollt. Ich kann Euch keine Hilfe anbieten, ich wüsste es auch nicht.«
Eine Weile schwiegen beide.
Dann erklärte der Prinz müde: »Die Hexe hatte recht: Ich wäre lieber im Kerker geblieben.« Er stand abrupt auf, ging einige Schritte und schlug dann ein paar Mal heftig mit der linken Faust gegen einen Baum. Schnee rieselte von den Ästen.
»Lasst wenigstens eine Hand ganz! Wir sind noch nicht in Sicherheit«, bemerkte Derea heiser und ohne jedes Lächeln. Eine unglaubliche Trauer hatte sich in ihm ausgebreitet und ein ebenso unglaublicher Hass auf seinen Vater und letztlich sogar Hass auf sich selbst, weil er versucht hatte, den Prinzen von einer Tat abzuhalten, die er selbst sofort und mit den besten Gefühlen begangen hätte, denn nichts, rein gar nichts konnte die Taten des Generals in besserem Licht erscheinen lassen.
Er fuhr herum, weil sich jemand näherte, aber seine Hand ließ den Schwertknauf umgehend wieder los, denn es war Caitlin, die mit besorgtem Gesichtsausdruck zwischen den Bäumen hindurchkam.
Sie warf Derea nur einen kurzen Blick zu und ging geradewegs auf ihren Gatten zu, nahm dessen linke Hand in ihre, betrachtete die von der Rinde aufgeschürften Fingerknöchel mit leichtem Kopfschütteln und schimpfte liebevoll: »Als wenn gerade du es noch nötig hättest, dir selbst Verletzungen zuzufügen.«
Zärtlich zog sie seinen Kopf zu sich herunter.
Derea erhob sich und ging. Das Letzte, was er hörte, war ein tiefes Schluchzen und Caitlins leise, tröstende Stimme. Er wusste, dass er gewonnen hatte, und hätte sich vor lauter Glück am liebsten hinterm nächsten Baum übergeben.
Kurz vor der Tür stieß er auf den General, der offensichtlich seinen Rundgang machte. »Geht mir aus dem Weg!«, schnaubte er bissig.
»Du bist doch auch ein Krieger«, erwiderte der unwirsch. »Erzähl mir jetzt nicht, du hättest noch nie getötet.«
»Kinder, Frauen und alte Leute? Seid Ihr von Sinnen? Ich bin bestimmt nicht auf alle meine Taten stolz, aber zumindest habe ich nie zusammen mit meinen Feinden auch meine Ehre verbrannt.«
Dereas Augen waren dunkel vor Wut. »Hättet Ihr mir das angetan, was Ihr dem Prinzen angetan habt, hätte ich Euch erschlagen wie einen tollen Hund. Nichts Besseres habt Ihr verdient. Ich verachte Euch aus tiefstem Herzen.«
Raoul hielt ihn fest, als er sich an ihm vorbeischieben wollte. »Ich mich auch, mein Sohn. Das war der einzige Grund, weshalb ich deinen Bruder und dich nie aufgesucht habe. Ich habe immer wieder von euren ruhmreichen und ehrenvollen Taten gehört und habe mich meiner eigenen geschämt. Diese Nacht auf da’Kandar hat mein Leben verändert, Derea.«
Der entfernte unsanft, eher noch angewidert die Hand von seinem Arm. »Ich komme gerade von einem Gespräch mit jemandem, dem es genauso geht, nur dass er im Gegensatz zu Euch damals keine Wahl hatte. Jung und wehrlos musste er Eure Greueltaten mit ansehen. Heute hatte er eine Wahl, und er hat eine Entscheidung getroffen, die mich ihm auf ewig verpflichtet. Damit hat diese Nacht jetzt auch mein Leben verändert. Glückwunsch, General, und kommt mir in Zukunft besser nicht zu nahe.« Er wandte sich schroff ab und ging ins Haus.
Schlaf fand er keinen. Er wünschte sich plötzlich nichts sehnlicher, als an irgendeiner Schlacht teilnehmen zu können. Zumindest hätte er dort keine Schwierigkeiten gehabt, seinen Feind zu erkennen. Ruhelos drehte er sich von der einen auf die andere Seite.
Einige Zeit später kamen der Prinz und Caitlin leise in die Hütte.
»Geh du auf die Pritsche, Prinzessin.«
»Du willst nicht?«, fragte Caitlin im Flüsterton.
Er schüttelte kurz den Kopf, ließ sich bereits auf dem Boden nieder und griff nach der Decke.
»Soll ich dir helfen, einzuschlafen?«
»Nicht nötig! Ich schlaf schon fast.«
»Rhonan, hast du noch große Schmerzen?«
Derea hörte den Prinzen unterdrückt lachen. »Nein, Kleines, es wird schon gehen.«
Sie ließ sich umgehend neben ihm nieder und schmiegte sich an ihn. »Rhonan …«
»Ja, mein Herz, ich sag dir, wenn es nicht mehr geht. Ich wusste doch, dass mir etwas gefehlt hat.«
»Du hast mir auch gefehlt. Ich habe dich schrecklich vermisst, und ich hatte so furchtbare Angst um dich. Lass mich nie wieder so lang allein, hörst du.«
»In den nächsten Kerker nehme ich dich mit. … Aua! … Ist ja gut, ich lass mich nicht mehr fangen. Nun lieg endlich still und schlaf.«
»Rhonan?«
»Nicht hier und nicht jetzt!«
Sie kicherte leise, dann fragte sie kaum hörbar. »Geht es dir wirklich gut, Liebster?«
»Es geht mir immer gut, wenn du bei mir bist.«
»Ich meinte es ernst.«
»Ich auch.«
»Du kannst damit leben?«
»Nur ohne dich könnte ich nicht leben.«
»Ich liebe dich so.«
»Ich dich auch, mein Herz. Schlaf jetzt!«
Eine Weile war es still. Dann erklang ein unterdrücktes Keuchen. »Bei allen Göttern, Caitlin! Bist du noch gescheit? Weißt du eigentlich, wie kalt deine Hände sind.«
»Natürlich, aber dir ist das offensichtlich bisher entgangen.« Trotz ihrer leisen Stimme war ein deutlicher Vorwurf aus ihren Worten herauszuhören. »Ich habe deinetwegen grässliche Angst ausgestanden, bin von der Anwendung der Heilmagie völlig ermattet und friere jetzt auch noch ganz erbärmlich, und dich kümmert das überhaupt nicht. Du bist einmal mehr in der Vergangenheit gefangen und liegst einfach da wie ein Brett, während ich deinen Trost und deine Wärme bräuchte. Den Toten musst und kannst du nicht mehr helfen, aber mir ganz dringend.«
»Du hast ja recht. Verzeih mir!« Es war nur leises Rascheln zu hören.
»So ist es besser. Bist du jetzt endlich wieder ganz bei mir?«
»Ja, Kätzchen. Aber, wenn du das nächste Mal kalte Hände hast, steck sie trotzdem bitte nur unter mein Hemd.«
»Oh, nein, mein Lieber, nicht, wenn du mich einfach nicht beachtest. Ich muss dich tagsüber schon mit dem verdammten halben Reich teilen, aber nachts werde ich dich nie mit jemandem teilen, auch nicht mit deinen verfluchten Geistern. Merk dir das besser! Jetzt will ich noch einen Kuss. Ich habe ein Recht darauf, ich bin …« Der Rest wurde erstickt.
Derea hatte noch nie die Zeit gefunden, sich nach einer Frau umzusehen, und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass er etwas versäumt haben könnte. Er drehte sich um und sah, dass auch Juna mit einem seltsamen Gesichtsausdruck vor sich hin starrte.