21. Kapitel
Marga fühlte sich noch immer schwach, und ihre Beine wollten sie kaum tragen. So kauerte sie nach einem kurzen Spaziergang auf eine Holzbank, nicht weit vor der Hütte. Eine Eidechse huschte über ihre Füße und wurde von Lori, ihrer vierbeinigen Beschützerin, ins Dickicht gejagt. Vögel sangen in den Bäumen um sie herum, und vor ihr floss der vom Sonnenlicht schillernde Ranton: klar und frisch, für sie aber mit zu vielen Erinnerungen verbunden, um noch schön zu sein.
Trotzdem hatte sie herkommen müssen, um Abschied zu nehmen von allen, die jetzt in ihm ruhten. Tränen verschleierten ihren Blick, und Lori leckte ihre Hände, als spürte sie die Trauer und wollte sie trösten.
»Bist du sicher, dass die Toten zu beweinen sind? Vielleicht sehen sie auch auf dich herab und bedauern dich, weil du noch weiterkämpfen musst.«
Sie spürte die Hand des Generals auf ihrer Schulter und schüttelte den Kopf. »Korve hätte sicher gern weitergekämpft. Er wäre bald Vater geworden und wollte seinem Kind eine friedlichere Zukunft sichern. Nur deswegen hat er seinen Hof verlassen und ist Krieger geworden.«
Jetzt liefen die Tränen unaufhaltsam und leider auch die Nase. Sie hatte vieles von den Männern gelernt, aber auf die Erde rotzen konnte und wollte sie nicht. Bevor sie ihren Ärmel benutzen musste, reichte Raoul ihr sein Halstuch.
»Weißt du Mädel, dann solltest du dafür sorgen, dass seine Kämpfe nicht vergebens waren. Er hat seinen Beitrag geleistet. Nun musst du darum kämpfen, dass sein Kind in Frieden aufwachsen kann. Wenn das dann eines Tages sagt, mein Vater hat auch für ihn gekämpft, dann hört der verblichene Korve das sicher lieber als jetzt dein Geheule.«
Marga hätte nicht einmal sagen können, ob es wegen der Worte oder der schnoddrigen Art, mit der sie ausgesprochen wurden, geschah, aber ihre Tränen versiegten. Sie putzte sich entschlossen das Gesicht ab und straffte die Schultern.
»Jetzt ist das Mädel wieder ein Hauptmann oder auch der Hauptmann ein tüchtiges Mädel. Wer weiß das schon?« Der Alte setzte sich neben sie und sah auf den Fluss. »Mädel, ich bin in Schwierigkeiten: Ich muss weg, kann dich aber nicht allein lassen! Was machen wir da?«
Marga sah ihn fragend an. »Wohin müsst Ihr denn, oder könnt Ihr mir das nicht sagen? Vielleicht könntet Ihr mich auf Eurem Weg zu meinem Vater bringen oder mich irgendwo absetzen, von wo ich allein weiterkomme?«
Raoul zog eine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie mit großer Sorgfalt. »Ich muss dir was erklären: Ich lebe hier weitab von jeder Menschenseele, weil ich es so will. Das heißt aber nicht, dass ich nichts erfahre. Ich habe gute Quellen, Spione, würdest du wohl sagen. Ich sag dir, was im Land los ist. Der Weise ist auf der Nebelinsel und da zurzeit gut aufgehoben. Dein Vater weiß das längst, hat nur genug damit zu tun, seine Grenzen zu verteidigen. Camora hat El’Maran angegriffen und will danach nach Latohor marschieren. Unsere Krieger sind also alle schwer beschäftigt. Was aber viel wichtiger ist, und deshalb muss ich weg: Der Prinz der Prophezeiung ist zurzeit aus uns unbekannten Gründen im Wintergebirge unterwegs. Er …«
»Es lebt einer der Prinzen?«
Er nickte. »Zumindest lebte er vor kurzem noch.«
»Die Prophezeiung hätte erfüllt werden können, wenn ich nicht den Weisen verloren hätte«, stieß sie aus. »Nur meinetwegen ist alles verloren?«
»Nicht wieder heulen!«, forderte er streng, sah, wie sie die Luft anhielt und die Augen weit aufriss, nickte und sprach weiter. »Ich hab dir das schon mal gesagt: Gib die Hoffnung nicht so schnell auf! Dein Vater führt seit fünfundzwanzig Jahren Krieg und hatte auch nicht nur Erfolge zu feiern. Was meinst du denn, wo der mit deiner Einstellung geblieben wäre? Das Ziel ist wichtig, nicht der Weg! Wenn du fällst, darfst du nicht liegen bleiben, sondern musst wieder aufstehen. Dann ist das Ziel immer noch erreichbar. Solange die Erben leben, ist nichts verloren. Nur sollten wir ihnen helfen, am Leben zu bleiben. Beim Prinzen dürfte das allerdings nicht ganz einfach sein, denn ihm im Besonderen gilt Camoras Augenmerk. Im ganzen Norden sind seine Hordenreiter verteilt. Zwangsläufig wird der Junge einmal das Gebirge verlassen müssen, wenn er nicht dort sein kaltes Grab findet. Es dürfte ihm dann allerdings schwerfallen, Camoras Reihen zu durchbrechen. Und genau deswegen muss ich jetzt nach Ten’Shur und den Kommandanten der Flammenreiter dazu überreden, mit mir nach Kairan zu gehen.«
Während er fluchte, weil seine Pfeife ausgegangen war, zeigte Margas Gesicht Verwirrung. »Woher wisst Ihr das alles?«, fragte sie ungläubig.
»Mädel, hab ich doch gesagt«, erwiderte er und kramte nach seiner Feuerzange. »Von meinen Spionen! Nicht nur ihr setzt Botenvögel ein.«
Das konnte sie jetzt verstehen, aber den Rest nicht. »Und warum wollt Ihr ausgerechnet die Flammenreiter?«
Sie musste auf die Antwort warten, weil Raoul kein Feuer gelingen wollte. Während er saugte und mit der Zange schnipste, sah sie einem dieser hübschen, blauen Vögel beim Ein- und Auftauchen in und aus dem Ranton zu, bis Gestank neben ihr vom Erfolg des Generals kündete. Sie hörte ihn ein paar Mal schmatzen und dann sagen: »Ich will nicht die Flammenreiter, ich will nur deren Heerführer. Wir beide werden nämlich Hilfe benötigen.«
Selbst Generäle schienen alt und wunderlich, wenn nicht gar schwachsinnig zu werden. Da er ihr Retter war, formulierte sie ihre Erwiderung so nett wie möglich: »Zu zweit wäre es schwierig, aber zu dritt nicht mehr? Verzeiht, aber das erscheint mir … seltsam.«
»Einen Krieg gegen Camora können wir nicht gewinnen. Fünfundzwanzig Jahre sprechen für sich. Ich befehlige auch keine Armee, aber ich habe Verbindungen. Wir werden daher nicht mit Kriegstrommeln kommen, sondern still und unbemerkt, wie wir auch wieder verschwinden werden. Leider bin ich vielen Hordenkriegern bekannt, und du bist angeschlagen. Wir benötigen also einen Kundschafter, der sich in Kairan ungehindert bewegen kann. Prinz Derea erscheint mir dafür geeignet.«
Jeder Gedanke an Altersschwachsinn löste sich in Rauch auf. Jetzt war sie ganz bei der Sache. »Ja, vielleicht! Aber warum sollte er Euch folgen?«
Raoul zog genüsslich an seiner Pfeife und lächelte. »Weil er ein schlaues Bürschchen ist: Er ist mein Sohn!«
Marga riss die Augen auf. »Euer Sohn?«
»Nun, zumindest habe ich ihn gezeugt. Königin Ayala suchte einen Zuchtvater, und Fürst Camora war ihr seinerzeit einen Gefallen schuldig und schickte mich zweimal auf die Insel.« Er zuckte die Achseln und grinste breit. »Nach den Reinfällen mit Canon und Derea wurde ich von Ayala abgelehnt. Dieser kalte Fisch … entschuldige, Mädel! Ich hab es jedenfalls nicht bedauert.«
In Marga überschlugen sich die Gedanken. Das war jetzt etwas viel auf einmal. »Ihr seid auch Canons Vater? Wissen Eure Söhne von Euch?«
»Noch nicht!«, erklärte er munter. »Aber ich habe ihre Entwicklung verfolgt. Morwena hat sie sehr, sehr gut erzogen. Es sind prachtvolle Söhne. Leider entspreche ich nicht dem Wunschbild eines Vaters, aber damit werden sie leben müssen.«
Marga hatte ihm zugehört, war aber schon wieder in anderen Gedankensträngen gefangen. »Und warum wollt Ihr das tun? Eure selbsterwählte Einsamkeit hat mich glauben lassen, die Welt sei Euch gleichgültig geworden.«
»Ich bin alt, die Welt ist für mich tatsächlich nicht mehr wichtig. Aber ich habe Söhne, und die werden vielleicht auch einmal Kinder haben. Jeder, der etwas zum Frieden beitragen könnte und es nicht tut, ist verantwortlich. Irgendwann werden wir alle für unsere Taten oder die Sünden der Unterlassung gerichtet. Von den Göttern oder auch nur von unseren Nachfahren!«
Er hatte die letzten Sätze in so bitterem Ton gesagt, dass Marga ihn prüfend ansah. Sie war sich sicher, dass den alten Krieger Erinnerungen plagten. »Möchtet Ihr mir vielleicht erzählen, was Euch quält?«, fragte sie zaghaft. »Einfach, um es loszuwerden. Wie Ihr wisst, kann auch ich nicht auf alle meine Taten stolz sein.«
Raoul lachte kurz auf. »Mädel, was für Gedanken! Ich war unter Camora General vieler Schlachten! Ich bräuchte mehr Zeit, als mir noch zur Verfügung steht, um dir all meine Greueltaten zu erzählen. Aber weißt du, sie sind Vergangenheit und rauben mir nicht den Schlaf. Ist aber nett, dass du gefragt hast. Bist ein liebes Mädel!«
Sie lächelte unwillkürlich, hatte sich längst daran gewöhnt, nur Mädel genannt zu werden. Ihre Zeit als Hauptmann schien ewig lange zurückzuliegen. Lori legte den Kopf auf ihren Schoß, und Marga kraulte die Wölfin liebevoll hinter den Ohren. »Wie wollt Ihr nach Ten’Shur reisen?«, fragte sie.
»Mit dem Wagen. Ich käme schnell genug voran und könnte dich mitnehmen. Ist aber ein langer Weg. Was sagst du, Mädel?«
»Zu Befehl, General! Wann reisen wir?«
Er drehte sich zu ihr um und lächelte sie warmherzig an. »Morgen bei Sonnenaufgang! Mädel, wenn ich eine Tochter hätte, müsste sie so sein wie du!«
In den Mooren des Westgebirges
General der Horden Mattalan hatte seinen Helm abgenommen, denn es war unerträglich heiß und schwül. Die Luft flirrte, und modriger Gestank schien sich bis in den Magen vorgekämpft zu haben, denn überall wurde über Übelkeit geklagt.
Seit zwei Tagen waren sie jetzt im Moor unterwegs, hatten kein Gelände für ein Lager gefunden und waren notgedrungen die Nacht durch weitergegangen. Jetzt stand die Sonne wieder tief, und sie kamen immer langsamer voran. Die Katapulte hatten sie in der Nacht zurücklassen müssen, weil der Weg zu schmal geworden war. Selbst die Trosswagen mussten immer wieder aus tiefem Morast gezogen werden.
Wohin man sah: klebriger, brauner Sumpf und vereinzelt Schilf. Die Krieger waren bis zum Umfallen erschöpft. Wasser musste streng rationiert werden, Fleisch war Opfer der Maden geworden, und selbst das steinharte Fladenbrot war verschimmelt. Gegen die Insekten hatten sie Tücher um ihre Gesichter gebunden, die schon nach dem Verknoten schweißnass waren. Die Kleidung klebte am Körper, und das Gepäck wurde mit jedem Schritt schwerer.
Alle waren lange Märsche gewöhnt, aber Luftfeuchtigkeit und mörderische Hitze forderten ihren Tribut. Auf den Trosswagen lagen schon die ersten Krieger.
Ein Kundschafter kehrte zurück und erstattete dem General Bericht. »Der Weg führt weiter in den Süden, aber wir haben zumindest eine trockene Ebene für einen Lagerplatz gefunden. Nach der uns vorliegenden Beschreibung hätten wir längst auf dem Weg in den Osten sein müssen. Wir hätten die Ausläufer der Berge schon wieder vor uns haben müssen! Irgendetwas stimmt nicht, General. Zumindest die Karte ist falsch.«
Der General erschlug ein Insekt in seinem Gesicht. Jedes unbedeckte Fleckchen Haut war zerstochen und juckte und brannte. »Wir suchen den Lagerplatz auf und sehen dann weiter. Wir werden Pferde braten, und Gebrautes und Branntwein werden freigegeben. Gib das weiter! Diese Aussicht allein könnte mittlerweile Leben retten!«
Es hatte noch nie so lange gedauert, das Lager aufzubauen. Die Männer waren müde und zermürbt. Nur unwillig bezogen die eingeteilten Wachen Posten, denn welcher Feind sollte schon aus den Mooren kriechen?
Die untergehende Sonne wurde von allen mit erleichtertem Seufzen begrüßt. Endlich wurde es etwas erträglicher. Zwei weitere Kundschafter fanden sich ein und brachten endlich gute Neuigkeiten. Sie hatten den Weg gefunden, der nach Osten führte. Das Ende ihrer Leidenszeit war absehbar.
General Mattalan wunderte sich, dass sie bisher keine Anzeichen dafür gesehen hatten, dass die Königstreuen sie verfolgten. Das konnte nur bedeuten, dass sie sie irgendwo erwarten würden. Bis dahin mussten seine Männer wieder bei Kräften sein. Fleisch, Gebrautes, Nachtkühle und Schlaf würden sie hoffentlich ausreichend erfrischen, und morgen würden sie das verfluchte Moor hinter sich lassen können. Zuversichtlicher als gerade noch gönnte er sich auch einen Becher Gebrautes und wünschte sofort, er hätte es nicht getan. Es schmeckte widerlich. Er gab sofort den Befehl, mehr als nur ein Branntweinfass zu öffnen.
Die Männer schlugen unterdessen Schilfrohr, um es zu verfeuern, und bereiteten den Boden zum Aufbauen der Zelte vor, die hier weder Wind noch Wetter, sondern nur Insekten abhalten sollten. Silbrige Stechpflanzen galt es zu entfernen, in denen sich kleine Schilfkugeln verfangen hatten. Viel zu erschöpft waren die Männer, um sich noch zu fragen, wie diese kugelrunden Gebilde auf natürliche Art zustande gekommen sein sollten. Pflanzen und Kugeln wurden dem Feuer überantwortet.
Die Schilfgebilde verbrannten und entließen dabei ihre Gefangenen zu Tausenden in die Freiheit: Moorwespen, winzig, rot und todbringend! Ihr Gift verursachte Atemlähmung … und ihr Gift wirkte schnell.
Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich das müde Lager in ein Tollhaus. Das Surren und Brummen war ohrenbetäubend und wurde kaum übertönt von den Schreien der Krieger, die mit Händen oder Tüchern schlugen, um die Insekten zu vertreiben. Brennende Schilfrohre wurden geschwungen. Männer versuchten, sich in den Mooren rund um das Lager vor den Wespen in Sicherheit zu bringen. Sie warfen sich hinein, und der Morast saugte sie auf, langsam und schmatzend.
General Mattalan wähnte sich in der Hölle.
Krieger wanden sich röchelnd am Boden, die Hände um ihre Hälse gelegt, die Gesichter angeschwollen und rotblau! Stumme Körper zuckten im Todeskampf. In der nur durch die Lagerfeuer erhellten Dunkelheit spielten sich gespenstische Szenen ab. Sterbende Männer klammerten sich an unwillige Kameraden oder rammten sich das Schwert in den Leib, um sich von den Qualen zu befreien. Andere versuchten, sich unter Decken oder Zeltplanen in Sicherheit zu bringen, die ihnen wieder andere zum eigenen Schutz entrissen. Krieger, deren Gesichter bedeckt von Wespen waren, warfen sich in die Lagerfeuer und taumelten als lebende Fackeln durchs Lager. Todesschreie von Hunderten hallten durch die Nacht.
Ein Reiter, das Gesicht verquollen, die Augen geweitet, brach vor den Füßen des Generals zusammen, unfähig, auch nur noch einen Ton von sich zu geben.
Pferde wieherten unter den Stichen, rissen sich los und stürmten durchs Lager, trampelten alles nieder, was vor ihre Hufe kam, bevor auch sie zu Boden gingen.
Der General hatte Mühe, Männer aufzutreiben, die noch in der Lage waren, einen Befehl auszuführen, und packte selbst mit an, ließ Moorwasser über die großen Feuer kippen, um die Insekten mit Rauch zu vertreiben. Beißender Qualm stieg auf, nebelte den Lagerplatz ein, ließ Männer husten und würgen, brachte aber Erfolg: Die Wespen flohen!
Das Lager glich einem Schlachtfeld, und Mattalan musste seine gesamte Befehlsgewalt aufwenden, um Hauptleute und Krieger zur Ordnung zu rufen. Lebende Kameraden wurden aus dem Moor befreit und Leichen diesem übergeben. Pferde mussten eingefangen, Feuer wieder entfacht werden, und derweil starben immer noch Männer.
Es dauerte lange, bis Stille einkehrte. Zelte waren nicht mehr aufgebaut worden, auch essen mochte niemand mehr. Nur Branntwein war heiß begehrt. Die Hordenkrieger legten sich nicht schlafen, sie fielen um, vor Erschöpfung, sinnlos betrunken, meist aus beiden Gründen.
Mattalan, General vieler Schlachten, war zum ersten Mal nicht gegen derart unkriegerisches Benehmen vorgegangen, denn er wusste, dass seine Armee verloren war. Wen das Moor noch hergab, der würde am Pass sein Ende finden.
Der Weg, völlig anders als beschrieben, hatte sie unaufhaltsam in die zweite Falle geführt, und wem sie die Schilfkugeln zu verdanken hatten, war offensichtlich. Die Bergjäger wussten ihre Heimat zu verteidigen. Ihre Schlachten waren nicht ehrenvoll, aber sie waren erfolgreich. Der Angriff winziger Wespen hatte vierhundertdreißig Männer das Leben gekostet.
Er konnte es immer noch nicht fassen. Über vierhundert Krieger erstickt, verbrannt, von den Sümpfen verschlungen. Und, was genauso stark wog: Die Moral der Überlebenden war gebrochen. Erschöpfung, Verzweiflung und die Ahnung vom eigenen Tod standen in ihren Augen.
Natürlich rechneten Krieger damit, Verluste zu haben, schließlich befand man sich auf einem Feldzug. Aber es war eine Sache, im Kampf zu sterben, eine ganz andere Sache war es, qualvoll dahinzusiechen. Ihre Taten würden nicht in die Geschichte eingehen, und ausgerechnet er, General der Horden Mattalan, Oberbefehlshaber der Schwarzen Armee, enger Vertrauter Camoras, würde als der General sterben, der eine gewaltige Armee kampflos in den Mooren verloren hatte. Er würde versagen, und er wusste nicht, was er daran ändern konnte.
Nur flüchtig dachte er an einen Rückzug in den Norden, um zumindest einen Teil seines Heeres zu retten, aber er verwarf diesen Gedanken umgehend wieder. Jedoch nicht aus Stolz!
Er wusste, dass die Bergjäger sie nicht mehr gehenlassen würden. Nie sah er sie, aber ihre Gegenwart war überall spürbar. Wie Schlachtvieh würde er seine Männer morgen in die nächste Falle führen. Und wie üblich würden sie sie erst erkennen, wenn sie mittendrin steckten.
Der Morgen brachte Hitze, Schwüle und die bittere Erkenntnis, dass die Mehrzahl der Männer am Fieber erkrankt war. Mattalan wusste, dass es für alle weniger beschwerlich gewesen wäre, die kranken Kameraden zurückzulassen, aber er wollte die ohnehin kaum noch vorhandene Moral nicht durch einen solchen Befehl weiter schwächen. Seine Männer brauchten Hoffnung, Hoffnung auf baldige Erlösung für alle. Also ließ er zu, dass aus Rohr Tragen gebaut wurden. Es bestand längst kein Grund zur Eile mehr.
Still wie ein Leichenzug setzte sich die Armee wieder in Bewegung. Sumpfkrähen erwarteten ungeduldig ihren Abzug. Immer wieder wurden Tote von den Tragen ins Moor geworfen und neue Fieberkranke daraufgelegt.
Doch endlich führte der Weg Richtung Osten. Hoffnung keimte auf.
Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, brannte unbarmherzig auf die schwitzenden Männer nieder, aber die flimmernde Hitze ließ den Blick auf die Hügel zu. Vereinzelt war sogar Jubel zu hören. Der General blickte auf seine zerstochenen und angeschwollenen Hände und bat die Götter darum, dass er zumindest kämpfend den Tod finden würde. War ihm zuvor der Schweiß in Bächen übers Gesicht geflossen, bemerkte er jetzt, dass er glühend heiß, aber völlig trocken war. Auch er hatte Fieber.
Die Kundschafter kamen zurück und brachten schlechte Nachrichten.
Fast hätte der General gelacht: Der Weg in den Osten war eine Sackgasse, führte geradewegs in ein unpassierbares Moorgebiet.
Mattalan ließ erneut Kundschafter ausschwärmen und wusste doch, dass sie längst verloren waren. Die Götter ließen ihn nicht im Kampf sterben. Über ihnen kreisten die Totenvögel, und der General war sich sicher, sie lachen zu hören. Lautlos fiel er vom Pferd.