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Etwas Ähnliches war Jacen auf Duro zugestoßen, drei Jahre vorher.
Er hatte damals einer Gruppe von Ryn-Flüchtlingen geholfen, eine Synthplast-Kuppel auf das vorfabrizierte Gebäude zu setzen, das zu ihrer Zuflucht werden sollte. Diesmal war er weit weg in Mittelferne und suchte den Weg hügelabwärts zu einem stillen Teich am Boden eines schmalen Tals.
Jaina?
Auf Duro hatte er das Bewusstsein verloren und war niedergestürzt. Diesmal riss ein Waldkriecher ihm die Füße weg, und er glitt auf schlammigem Boden und feuchten abgeworfenen Blättern abwärts, bis er sich schließlich in einem Purzelbaum auf den Rücken werfen konnte und die Hände nach den Seiten ausstreckte. Er befand sich immer noch meterweit vom Talboden entfernt, als er seinen Sturz stoppte, aber das Lichtschwert wurde eine Beute seines Schwungs und löste sich aus dem Tuchgürtel, der sein Gewand umschlang. Es flog weiter und landete schließlich in der Tiefe eines Tümpels.
Jacen kam auf die Beine und stand am Wasserrand. Er konzentrierte sich auf das Zentrum der Wellen, die sich nun im Tümpel ausbreiteten, tauchte in die Macht ein und streckte die rechte Hand aus.
Der runde Griff hob sich vertikal aus dem Wasser, aber er war nicht allein.
Er steckte in der aufrechten vierfingerigen Hand von Vergere.
Sekots Gedankenprojektion der kleinen Fosh sah jedoch viel jünger aus als die scheckige, kurzfiedrige Vergere, die Jacen auf Coruscant kennen gelernt hatte. Ihre biegsamen Ohren und das spiralenförmige Fühlerpaar erschienen kleiner, und ihre schrägen Augen waren strahlend vor Staunen. Die ausgebreiteten Füße ihrer rückwartsgebogenen Beine ruhten direkt über der Oberfläche des brodelnden Tümpels.
»Hast du etwas verloren, Jacen?«, fragte der lebende Planet durch Vergeres weiten Mund.
»Nicht zum ersten Mal.« Seine Worte bildeten Wolken in der kalten Luft.
»Es passt nicht zu dir, zu stolpern.«
»Meine Schwester Jaina ist in Gefahr. Ich achtete nicht mehr darauf, wo ich hintrat.«
»Wie oft wirst du dir noch gestatten, dich von den Gefahren ablenken zu lassen, denen sie gegenübersteht?«
Das hier war die Vergere, an die sich Sekot erinnerte, dachte Jacen, im Kontrast zu der Vergere, die ihr Leben auf Ebaq Neun aufs Spiel gesetzt hatte, um ihn und Jaina zu retten. »So oft wie nötig«, sagte er. »Wir sind Zwillinge und stark miteinander verbunden.«
»Was, wenn du vor die Frage gestellt wirst, ob du deine Schwester oder deinen Onkel rettest? Wem wirst du dienen?«
»Ich diene der Macht.«
»Und die Macht leitet zur richtigen Entscheidung?«
»Warum sollte ich ihr sonst dienen?«
Die imaginäre Vergere reichte ihm das Lichtschwert. »Nimm deine Waffe wieder entgegen.«
Er rief das Lichtschwert zu sich und steckte es in den Gürtel seines schlammigen Gewands. Der Handgriff war nass und kalt, ebenso wie seine Hände, die er schnell rieb.
Zonama Sekot hatte einen zweiten Versuchssprung unternommen, ohne schwere Schäden zu erleiden. R2-D2 hatte berechnet, dass der Planet sich nun auf der galaktischen Ellipse befand, nahe am Reece-System des Inneren Rands, wo sich die Grenze zu den Unbekannten Regionen erstreckte. Ein weiterer Sprung durch den Hyperraum, und Zonama Sekot konnte wieder in bekanntem Raum sein.
Vergere schien ihn zu beobachten. »Nutzt du dein Lichtschwert, um zu schneiden oder zu heilen?«
»Das war immer das Dilemma.«
Jacen ließ sich zu Boden sinken. Breite Streifen von Sonnenlicht durchzogen die großen Boras und hinterließen Flecken auf dem Laub und auf der Oberfläche des Teiches. Insekten flogen über das Wasser und um ihn herum.
»Suchtest du hier etwas?«
»Nur Antworten.«
»Wie du am besten den Schmerz, das Leiden und den Tod beenden kannst, die die Yuuzhan Vong in die Galaxis brachten? Du musst der Macht vertrauen, Jacen, wenn du ihr völlig dienen willst.«
»Ein Jedi zu sein hat nicht nur mit dem Dienst an der Macht zu tun«, sagte er. »Es ist eine Verpflichtung, alles Leben zu schützen.«
Sekot brachte ein Lächeln auf Vergeres schnurrhaariges Gesicht. »Das hast du von deiner Mentorin gelernt, von Vergere.«
»Meiner Führerin«, verbesserte Jacen.
Meiner Führerin durch das tote Land. Meinem Herold der Tragödie…
»Vergere lernte es von mir«, sagte Sekot. »Denn so fühlte ich mich, als ich von Leor Hal, dem ersten Magister, unterrichtet wurde. Du möchtest wiederholen, dass die Yuuzhan Vong Teil des Lebens sind, Teil der Macht und daher entsprechend behandelt werden müssen.«
»Und dass sie noch mehr zu bemitleiden sind, wenn man ihnen die Macht nahm, wie du behauptest«, sagte Jacen.
Vergeres schmale Schultern sackten nach unten. »Auch ich suche nach Antworten, Jacen. Aber ich sympathisiere nicht mit dem Feind, wie du es scheinbar tust.«
Jacen hiss die Lippen zusammen. »Durch Vergeres Lektionen habe ich eine Art von … Sinn für sie entwickelt − einen Vong-Sinn. Ich empfinde ihn stark hier, nicht nur wenn ich mit Harrar spreche, sondern wohin immer ich gehe.«
Er berührte die sich leer anfühlende Stelle an seiner Brust, an der sich einmal der Sklavensame befunden hatte, den Vergere implantiert hatte, und erinnerte sich, wie es sich anfühlte, von der Umarmung des Schmerzes behandelt zu werden, und dass man ihm die Macht genommen hatte.
Du bist den Welten, die du kanntest, für immer verloren, hatte Vergere ihm zu Beginn seines Erneuerungsprozesses gesagt. Die alten Freunde trauern, dein Vater tobt, deine Mutter weint. Dein Leben hat ein Ende gefunden: Eine Trennungslinie wurde zwischen dir und allem, was du kanntest, gezogen. Du hast gesehen, wie das Ende über das Gesicht eines Planeten zog, den zwielichtigen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Du hast diese Linie durchquert, Jacen Solo. Die hellen Felder des Tages sind dir für immer genommen.
»Indem ich dich besser verstehe, lerne ich auch unseren Feind besser zu verstehen«, sagte Sekot. »Oder hältst du das für einen Widerspruch, Jedi?«
»Das hängt davon ab, wem Sekot dient.«
»Auch ich diene der Macht − aber der Macht, wie sie das Potenzium definiert, das kein Böses erkennt, es sei denn als Bezeichnung. Magister Leor und die Ferroaner waren meine Fahrer zum Bewusstsein. Aber es waren die Far Outsiders − die Yuuzhan Vong −, die mich lehrten, dass zwar das Böse nicht existiert, es aber böse Handlungen gibt und sie es sind, gegen die wir uns wenden sollen. Ich hatte die Macht, die Yuuzhan Vong aufzuhalten, als sie vor fünfzig Jahren näher kamen, und ich besitze diese Macht auch jetzt. Meine Instinkte sagen mir im Augenblick, dass ich stets die Macht über sie hatte.«
Jacen dachte an den Machtschlag, den Sekot ihnen an Bord der Jadeschatten versetzt hatte, als das Schiff zum ersten Mal im Klasse-Ephemora-System, in der Zuflucht, erschien.
»Und du wirst diese Macht nutzen, um sie zu besiegen?«, fragte er vorsichtig.
»Wenn es notwendig ist − aber ohne Verachtung. Wenn ich sie aggressiv bekämpfe, wenn ich sie für das hasse, was aus ihnen geworden ist, dann werde ich mich selbst von der Macht trennen und meinem Ego erlauben, über mein Bedürfnis, mein Bewusstsein zu erweitern, zu triumphieren. Das Bewusstsein verleitet uns zu Glauben, dass es uns und die anderen gibt. Aber indem wir der Macht dienen, erkennen wir, dass alles das Gleiche ist, dass, wenn wir gemeinsam mit der Macht handeln, gemeinsam mit dem Wunsch allen Lebens handeln, sich zu vergrößern, uns aus reiner Körperlichkeit zu erheben und zu etwas Größerem zu werden.
In diesem Sinn sind alle Lebewesen Saatpartner, Jacen, leidenschaftlich bedacht, sich mit allem Leben zu verbinden und großen Unternehmungen Leben zu geben − ob das nun ein Sternenschiff ist, ein Kunstwerk oder eine Tat, die ihr Echo in der Geschichte finden wird. Ich bin nicht anders als du und will eine Rolle in der Evolution des Geistes spielen. Mein Bewusstsein sehnt sich danach.«
»Das ist leichter gesagt als getan«, sagte Jacen.
»Ja, es ist eine Frage des Gleichgewichts. Aber wir balancieren unaufhörlich, mit jeder Handlung, die wir unternehmen. Um über die Yuuzhan Vong zu triumphieren, müssen wir einfach dahin gehen, wo wir hingehen wollen. Das ist es auch, was ich tun muss, um zum bekannten Raum zurückzukehren. Aber diese Aufgabe umfasst viel mehr, als sich nur auf einen Satz von Hyperraumkoordinaten zu konzentrieren. Wenn das Schicksal kein Platz ist, an den ich gehen will, wird nichts funktionieren. Selbst wenn ich den Sprung makellos erledige, werden meine Aktionen zu nichts führen.
Und weil dich das sicher interessiert, Jacen, ist das etwas, das Vergere mir beigebracht hat.«
Jacen lauschte zu genau, um zu antworten. Vergere hatte ihn auf den Pfad der Erneuerung geführt. Aber solange er den Prozess nicht beenden konnte, war er weiterhin in den gleichen Unsicherheiten gefangen, die Sekot angeblich abgestreift hatte und die sich nie völlig mit der Macht vereinen können.
»Wir müssen uns den Wendepunkten in unserem Leben mit reinem Herzen nähern«, sagte Sekot. »Wir müssen über uns selbst hinwegschauen, und wenn wir Gefahr sehen oder eine schwierige Wahl vor uns liegt, müssen wir uns beruhigen, und zwar schnell, sodass wir mit klarem Geist navigieren können. Wenn wir diese Technik erst beherrschen, können wir darauf vertrauen, das Richtige zu tun, ohne darüber nachzudenken.«
»Weißt du, wohin du gehen willst?«, fragte Jacen, als er erkannte, dass Sekot auf etwas wartete.
»Indem ich die Biotechnologie der Yuuzhan Vong analysierte − indem ich dem nachspürte, was ich von Nen Yim erfuhr habe ich viel darüber erfahren, Zonamas Hyperraumkerne mit Energie zu laden, die von dem Planeten selbst kommt. Und der Erfolg der Versuchssprünge hat mich so weit ermutigt, dass ich Zonama jetzt in den bekannten Raum zurückbringen kann. Ich fange an zu verstehen, wie die Yuuzhan Vong das, was sie Dovin Basale, Villips, Yammosks und Bioten nennen, zustande brachten. Oder vielleicht fange ich ja auch an, mich zu erinnern.
Aber ich mache mir Sorgen wegen der möglichen katastrophalen Auswirkungen, die Zonamas plötzliches Auftauchen auf jeden Planeten in der Nähe unseres Erscheinens haben könnte.«
Aus den Aufzeichnungen, die in der Chiss-Bibliothek aufbewahrt wurden, hatten Jacen und Saba etwas über die weit verbreitete Vernichtung erfahren, die Zonama Sekot vor Dekaden auf Munlali Mafir bewirkt hatte, nicht nur für den Planeten, sondern auch für die eingeborenen Jostraner und Krizlaws.
»Mein Onkel nahm schon an, dass du dir deshalb Sorgen machen würdest«, sagte Jacen. »Er wollte dir selbst sagen, dass du das nicht brauchst.«
Vergere glitt über Wasser und Eis auf ihn zu. »Sag mir, was Meister Skywalker im Sinn hat.«