11
»Wir kommen doch alle wieder aus dieser Sache heraus, oder?«, fragte Judder Page, als Han zum Cockpit zurückkehrte.
Pash Cracken im Sessel neben ihm unterdrückte ein Lächeln.
Der Millennium Falke war fast fünf Standardstunden im Hyperraum gewesen, von denen Han den großen Teil damit verbracht hatte, sich das Ausmaß des Schadens anzusehen und die Passagiere zu überprüfen, die in jedem verfügbaren Kabinenraum untergebracht waren.
Han schaute Page, dann Cracken und schließlich Leia an, die während des Transits im Kopilotensitz geblieben war. »Hast du ihnen nicht gesagt, dass alles in Ordnung kommen wird?«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht vertrauen sie mir nicht.«
Han schnallte sich wieder auf dem Pilotensitz an und drehte sich zu den beiden Offizieren der Allianz herum. »Ihr könnt euch auf alles verlassen, was sie sagt.«
Page grinste. »Das ist es ja gerade, Han. Sie sagte uns, wir sollten dich fragen.«
Han sah Leia stirnrunzelnd an. »Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Rollen auf diesem Schiff noch einmal zu klären. Ich fliege es. Du versicherst den Passagieren, dass der Pilot immer weiß, was er tut.«
»Selbstverständlich, Captain«, sagte Leia. »Darf ich den Passagieren genau sagen, wohin wir fliegen werden?«
Han drehte sich zum Navicomputer um. »Wenn wir am letzten Nebel keine falsche Abzweigung genommen haben, sollten wir jetzt jede Minute in Caluula sein.«
Leia starrte ihn an. »Caluula? In der Tion-Hegemonie? Hättest du dir nicht einen abgelegeneren Planeten aussuchen können?«
»Heh, ich habe uns vor diesen Vong-Skips in Sicherheit gebracht, oder?«
»O ja. Ich musste mich schnell entscheiden.« Han führte weiterhin Adjustierungen an der Konsole und den leicht oberhalb seines Kopfs gelegenen Instrumentengruppen durch.
Leia starrte die Schmierölflecke an seinen Händen an und eine kleine Beule an seiner rechten Schläfe. »Alles in Ordnung da hinten?«, fragte sie leise, während Cracken und Page in ein anderes Gespräch verstrickt waren. »Ich glaube, ein Fluchen gehört zu haben.«
»Das muss 3PO gewesen sein«, murmelte Han. »Ja, er konnte nie besonders gut mit Werkzeugen …«
»Wir kommen aus dem Hyperraum«, verkündete Han und griff nach vorn, um die Sublicht-Triebwerke zu starten und den Sublicht-Sender fertig zu machen.
Die Sternlinien wurden wieder zu Lichtpunkten, und das Sternenfeld drehte sich leicht. Die Ionentriebwerke erwachten mit einem ohrenbetäubenden Krachen zum Leben, und das Schiff begann, sich rutschend und hüpfend fortzubewegen. Vom Heck kam das Geräusch gequälter Legierung, dann ein unklares Reißen, als sei eine Komponente abgebrochen.
»Was war das?«, fragte Leia.
»Nur ein anderes Stück von uns«, sagte Han tonlos. »Nichts Wichtiges − das hoffe ich jedenfalls.«
Ein fernes Objekt wurde auf dem Sichtschirm größer und schließlich als lineare Aneinanderreihung geometrischer Module sichtbar, die durch gitterähnliche Stücke und transparente gewundene Durchgänge miteinander verbunden waren. Anlegestellen ragten an jedem Modul hervor, und viele von ihnen beherbergten Ionengeschütze und Turbolaser statt Schiffen. Aus der Mitte wuchs ein gewaltiger Schildgenerator wie ein riesiger Pilz über alles hinweg.
Han lehnte sich zurück. »Welche Schönheit, wenn ich je eine gesehen habe!«
»Auf mich wirkt es ziemlich zerschlagen«, sagte Leia zweifelnd.
Han richtete sich ein wenig auf. »Ja, nun, da du es erwähnst. Aber als ich das letzte Mal hier vorbeikam, war diese Station mit billigen Ersatzteilen von Lianna vollgestopft.«
»Wie lange ist das her?«
Han dachte einen Moment nach. »Ein paar Jahre, denke ich. Aber …«
Ein Ruck traf den Falken von hinten und ließ alle sehr aufrecht sitzen.
»Noch ein Stück von uns?«, fragte Leia und lehnte sich vor, um einen Blick auf die Sensordisplays zu werfen. »Schlimmer.«
Leias Augen wurden groß, als sie zu ihm zurückschaute. »Was sagtest du noch darüber, schneller zu sein als diese Skips?«
Cracken hob den Blick zu der Sichtluke. »Sie können uns doch nicht durch den Hyperraum gefolgt sein! Das können unmöglich die gleichen Skips sein!«
Han riss den Falken hart nach steuerbord, eine Sekunde, bevor ein Magmageschoss die Backen des Schiffs erreichte. »Jemand hat die Regeln geändert!« Er beugte sich zum Interkom und rief die beiden Noghri, dann schwieg er einen Augenblick und lauschte ihrer Antwort.
»Es ist mir gleich, ob die Zielcomputer nicht reagieren! Ihr habt Augen, oder nicht?« Er knurrte vor sich hin: »Muss ich hier denn alles selbst machen …«
Ein superheißes Projektil traf den Falken, und ein in Draht gehülltes Modul fiel Funken sprühend von der Cockpit-Decke. Han rollte das Schiff herum, dann tauchte er abrupt. Überall wurde Alarm gegeben, noch bevor er das Manöver beendet hatte, und der Freund-Feind-Finder erkannte Dutzende von gelben Punkten auf den taktischen Schirmen.
Han und Leia blickten gleichzeitig auf und fanden sich einer Yuuzhan-Vong-Gruppe von Großkampfschiffen, Kanonenbooten, Begleitschiffen und einem Schiff gegenüber, das beinahe mit Sicherheit einen Yammosk trug, ähnlich dem, das Han bei Fondor zu beschädigen geholfen hatte. Die Korallenskipper waren schon auf dem Weg zum Falken.
»Weißt du, du kannst das wirklich gut!«, sagte Leia und ließ sich eine Statusmeldung bezüglich der Schilde geben.
»Es liegt nicht an mir!«, widersprach Han. »Der Navicomputer hat sich selbst überzeugt, dass Ärger die Durchschnittspräferenz des Falken darstellt!«
»Eine sehr glaubwürdige Geschichte.«
Han änderte den Kurs nicht. »Sieh zu, dass du ein Holo von diesem Clusterschiff kriegst. Lade alle Antriebssignaturen, die du erwischen kannst, und gib alles in den Schlachtcomputer ein. Und dann halte deinen Magen fest!«
Er wartete, bis Leia ihre Aufgaben erledigte, dann warf er den Falken in einen beinahe vertikalen Steigflug und fiel schließlich in einem Looping zurück auf Caluulas Orbitalstation. Die vier krummschwänzigen, sechsbeinigen Skips, die dem Falken offenbar von Selvaris aus gefolgt waren, spuckten Plasmageschosse, selbst während der Ausweichbewegungen, um brennenden Lasersalven von den AG-2Gs von den Türmen des Falken zu entgehen.
Leia fuhr zum Kom herum. »Caluula-Station, bitte melden.«
»Schick ihnen unseren Identifikationscode«, sagte Han.
»Caluula, hier ist der Millennium Falke. Bestätigen Sie.«
»Sagt was«, murmelte Han. »Von mir aus auch ein Schimpfwort oder zwei.«
Je näher sie der Station kamen, desto schlimmer wirkte sie. Viele der Module waren durchlöchert und von Feuer versengt. Hier musste seit Wochen ein Kampf toben, ohne dass das Kommando der Galaktischen Allianz davon erfuhr, weil das HoloNetz nicht mehr funktionierte. Han fragte sich kurz, wie viele andere Planeten oder Orbitalstationen in ähnlichen Situationen waren.
»Millennium Falke, hier spricht die Station Caluula«, meldete sich schließlich eine Frauenstimme. »Jemand hätte uns sagen sollen, dass Sie auf dem Weg sind.«
Han schlang erleichtert die rechte Hand um Leias linke. »Caluula-Station, das wussten wir selbst nicht«, sagte er ins Mikrofon. »Wir hatten Schwierigkeiten mit dem Antrieb, und ein paar Korallenskipper sind hinter uns her. Besteht die Chance, dass Sie die Schilde lange genug senken, um uns hereinzulassen?«
»Das ist möglich, Millennium Falke, solange Sie garantieren, dass Ihr Schiff so schnell ist, wie es angeblich sein soll.«
»Legen Sie schon mal die Willkommensmatte aus, während wir auf dem Anflug sind«, sagte Han, »und der Falke wird uns so schnell hereinbringen, dass wir immer noch Zeit übrig haben.«
»Wir werden Sie nicht darauf festnageln, Millennium Falke, aber kommen Sie rein.«
»Zuerst müssen wir diese Felsenspucker loswerden.«
Er gab zusätzliche Energie auf die Haupttriebwerke, benutzte die Düsen und begann den Falken durch eine Reihe von den Magen verrenkenden Ausweichmanövern zu schicken. Die Skips mit den jeweils zwei Piloten taten ihr Bestes, mit ihm Schritt zu halten, und verbrannten das Heck des Falken mit Salven von Plasma. Aber als der Falke sich der Station näherte, mussten sich die feindlichen Schiffe auch noch mit Laserstrahlen und Ionengeschützen herumschlagen.
»Keine Sorge«, versicherte Leia Page und Cracken, als Han weiter auf das kleine Fenster zuschoss, das die Station geöffnet hatte. »Han macht so etwas dauernd.«
Sobald der Falke unter das Dach der Station gelangt war, gingen die Schilde wieder hoch. Abgestoßen von schwerem Feuer lösten sich drei der Skips und rasten auf die Kampfgruppe und den Schutz zu, den sie ihnen bot. Das vierte flog weiter und wurde von dem schimmernden Energiefeld getroffen, dann wurde es eine Beute der machtvollen Batterien der Station.
Leia schwenkte den Sitz zu Cracken und Page herum. »Seht ihr, das war doch gar nicht so schlimm.«
Die Farbe kehrte langsam in ihre Gesichter zurück, und sie nickten.
Han sorgte dafür, dass seine zitternde Hand wieder ruhiger wurde, dann drosselte er die Energie an den Düsen und gestattete einem Traktorstrahl, den Falken sicher in die Andockbucht zu bringen.
Die Wasserwelt von Mon Calamari, seit dem Sturz von Coruscant Sitz der galaktischen Regierung, war umgeben von Schiffen aller Kategorien und Klassifikationen, von zwanzig Jahre alten Mon-Cal-Kreuzern mit muschelförmigem Rumpf bis zu glänzenden Sternzerstörern, die frisch aus den Werften von Bothawui und vom fernen Tallaan kamen. Die inneren Planeten des Systems waren auf ähnliche Weise umgeben, und die Schiffe befanden sich stets in Alarmbereitschaft, für den Fall, dass die Yuuzhan Vong zu dem Schluss kommen sollten, ihre unzähligen Kampfgruppen zu einer einzigen Armada zusammenzuschließen und vom Herzen der Galaxis aus Mon Calamari anzugreifen.
Von einem Hyperraumsprungpunkt weit hinter Mon Calamaris einzigem Mond zog Jaina ihren X-Flügler zur Ralroost, einem der größten und strahlendsten Schiffe im Orbitaldock, und sie war die letzte Pilotin der Zwillingssonnen-Staffel, die in der großen Andockbucht eintraf.
Als Angriffskreuzer der Bothan, der ursprünglich zur Verteidigung von Bothawui gegen Ende des Galaktischen Bürgerkriegs gebaut worden war, stand die Ralroost unter dem Befehl von Admiral Traest Kre’fey, der zu Beginn der Invasion zum stellvertretenden Kommandanten der gesamten Allianzflotte aufgestiegen war.
Die Transporter waren die ersten gewesen, die von Kashyyyk eintrafen, und viele hatten bereits angelegt und die ehemaligen Gefangenen ausgeschleust. Trotz vernichtender Verluste bei den Sternjägern hielt man den Einsatz für einen Erfolg. Dutzende von ehemaligen Würdenträgern der Neuen Republik und noch mehr Kommandanten waren gerettet worden, und die meisten Doppelagenten der Allianz hatte man ebenfalls aus der Gefahrenzone ziehen können. Die Operation wäre erheblich schlimmer verlaufen, wenn die Stechkriecher-Korallenskipper noch früher eingetroffen wären oder wenn die tödlichen feindlichen Schiffe die Transporter nach Mon Calamari verfolgt hätten. Aber stattdessen waren sie bei Selvaris geblieben, um die letzten Frachter der Friedensbrigade zu sichern und die Gefangenenschiffe nach Coruscant zu begleiten.
Das Medienteam von Staatschef Cal Omas hatte die Gelegenheit erkannt und den Einsatz zu einem Ereignis gemacht, das die Regierungen von bedrohten Welten veranlassen sollte, auszuhalten und ihnen zu sagen, dass anders als die gefallene Neue Republik die Galaktische Föderation Freier Allianzen nicht zulassen würde, dass weitere Sternensysteme dem Feind anheimfielen. Nun waren mehrere Hundert Personen anwesend, um die Geretteten zu begrüßen: Militärpersonal, Zivilisten und selbstverständlich Vertreter der Medien. Dröhnender Applaus erklang für jeden, der von einem Transporter kam. Weinende Gefährten eilten sich, ihre zurückgekehrten Partner zu umarmen. Kinder, eindeutig verwirrt von all dem Durcheinander, schlangen die Arme fest um Beine oder Taille der befreiten Mütter oder Väter.
Medics und Droiden arbeiteten Seite an Seite, um die Verletzten auf Repulsortragen zu verfrachten und zu einer Bacta-Behandlung zu bringen. Die meisten Geretteten, ganz gleich, welcher Spezies sie angehörten, brauchten kaum medizinische Aufmerksamkeit, nur ein paar herzhafte Mahlzeiten. Andere waren in kritischer Verfassung. Die Tatsache, dass man diverse von ihnen bereits mit Korallenimplantaten versehen hatte, war eine ständige Erinnerung daran, dass diese Leute als Opfer in den Tod gehen sollten.
Nur wenige Zivilisten und niemand von den Medien bemerkten die zerschlagenen Sternjäger, die hinter all den Transportern auf der Ralroost landeten. Jaina war das gleich, aber sie musste trotzdem lachen. Vor nicht allzu langer Zeit war sie ein Liebling der Medien gewesen, weil es ihr gelungen war, ein Yuuzhan-Vong-Schiff zu erbeuten, und sie für kurze Zeit die Rolle der »Göttin der List« spielte. Jetzt war sie nur eine unter vielen müden Pilotinnen, die von einer Mission zurückkehrte, die beinahe vollkommen schiefgelaufen war.
Viele Piloten der Zwillingssonnen waren umgekommen Aber das war nur für jene, die überlebt hatten, eine Neuigkeit.
Die menschliche Leiterin einer Wartungsmannschaft rollte eine Leiter zu Jainas X-Flügler, während die Kuppel geöffnet wurde. Zwei Techs begannen sofort mit den Reparaturen und überprüften den verbrannten Cappie.
»Willkommen daheim, Colonel«, sagte die junge Frau.
Jaina stieg die Leiter hinab, nahm den Helm ab und schüttelte das lange braune Haar aus. Sie öffnete die Schlaufen ihres Overalls, steckte den Helm unter einen Arm und begann, den X-Flügler zu umkreisen, wobei sie die riesige Andockbucht nach dem Millennium Falken absuchte. Nicht zu weit von ihr stiegen auch Lowbacca, Kyp und Alema Rar aus ihren Jägern.
»Hat es Kommunikation vom Falken gegeben?«, fragte sie die Leiterin der Wartungsmannschaft, nachdem sie den Sternjäger ein zweites Mal umkreist hatte.
Die Frau nahm einen Datenblock von ihrem Gürtel und warf einen kurzen Blick auf das kleine Display. »Nicht, dass ich wüsste, Colonel. Aber der Falke ist vielleicht auch direkt zu einer der Fregatten geschickt worden.«
Jaina zwang sich auszuatmen. Als die Frau gehen wollte, packte Jaina ihren Arm − sehr kräftig, bis sie erkannte, was sie tat, und den Griff lockerte.
»Könnten Sie das überprüfen?« Die Frau sah sie ärgerlich an und rieb sich den Bizeps. »Bitte«, fügte Jaina hinzu. Diesmal schaute die Leiterin der Wartungsmannschaft lange auf den Datenschirm ihres tragbaren Geräts.
»Tut mir leid, Colonel, ich finde nirgendwo ein Zeichen des Falken.« Sie lächelte mitfühlend. »Wenn ich etwas höre, werde ich Sie informieren.«
Sternjäger und Kanonenboote trafen immer noch ein, einige davon mit letzter Kraft. Jaina trat an den Rand einer Galerie und sah sich das magnetische Feld der Andockbucht an. Als sie all die sich bewegenden Lichter bemerkte, die achteckigen Werften und den fernen Flottenannex des Oberkommandos, dehnte sie ihre Wahrnehmung aus. Am Ende ihres Bewusstseins konnte sie spüren, dass ihre Mutter und ihr Vater noch lebten, aber in ernster Gefahr waren. Entschlossen eilte sie zu ihrem Sternjäger zurück und stieg die Leiter zum Cockpit wieder hinauf.
»Ich gehe wieder nach draußen«, informierte sie die verwirrte Frau von der Wartungsmannschaft. »Sir?«
Jaina setzte sich den Helm wieder auf und ließ sich erneut in den Sitz fallen. »Wenn jemand fragt, ich bin zum Sprungpunkt Mon Eron zurückgeflogen.«
Die junge Frau war noch verwirrter. »Aber Ihr Schiff … Ihr Droide!«
Jaina schloss den Kinnriemen, als die Kuppel sich senkte. »Die sind daran gewöhnt!«
Trotz aller Weltenformung und geologischen Operationen, die auf Coruscant stattgefunden hatten, war Westport, nördlich des ehemaligen Gesetzgebungsbezirks, ein Landebereich geblieben. Seine schwebenden Plattformen, die Andockbuchten und Wartungsgebäude waren selbstverständlich geschleift worden und an ihrer Stelle waren Grashals und andere schneckenartige Gebäude entstanden, verteilt über eine große Fläche von flachem verbundenem Yorikkorallenland, mit genug Platz, sodass mehr als zehntausend Schiffe landen konnten. Wenige würden es wiedererkennen, aber es war diesem Aerodrom besser ergangen als Eastport, Newport oder West Championne.
Königliche Korallenschiffe hatten Shimrras Gefolge bis auf einen Kilometer an Westport herangebracht, von dem Weltschiff, das sich im Osten erhob. Sobald er wieder am Boden war, hatte man den Höchsten Oberlord den letzten Teil der Strecke in einer königlichen Sänfte getragen. Das kunstvolle und groteske Ding wurde von einem Rudel nur für diesen Zweck abgestellter Dovin Basale angehoben und war von einem Gefolge von Dienern und Kurtisanen umgeben, außerdem von den vier Seherinnen und Angehörigen der neuen Kriegersekte, die als Schlächter bekannt waren.
Der gewundene Weg zum Landefeld, bestreut mit duftenden Blüten, die von den nackten Füßen von Dienern zertreten wurden, zog sich über die nun runden Dächer von ehemaligen Gebäuden und über zahllose Brücken, die die künstlichen Schluchten überquerten, die die Yuuzhan Vong nicht hatten füllen oder ansonsten zum Verschwinden bringen können. Chöre von Insekten ehrten die Götter mit ihren trillernden Liedern, und Aasvögel pickten an den Resten der Plage von Stinkkäfern. Der Himmel war strahlend lila, und man sah die Regenbogenbrücke halb, die fast ihren Höchststand erreicht hatte.
Aber der makellose Himmel strafte das melancholische Wesen der Prozession Lügen, denn alle, die teilnahmen, wussten inzwischen von den Ereignissen bei Selvaris. Der Feind hatte irgendwie von dem Konvoi der Friedensbrigade erfahren, einen Hinterhalt gelegt und viele der Gefangenen zurückgeholt, die eigentlich als Opfer bei der bevorstehenden Zeremonie vorgesehen waren. Schnelles Handeln eines Yuuzhan-Vong-Kommandanten hatte zur Flucht von drei Frachtern der Friedensbrigade geführt, die nach Yuuzhan’tar melden konnten, wie es dem Konvoi ergangen war. Eine Gruppe von Schlächtern war sofort aufgebrochen und hatte brillante Arbeit geleistet, sehr zur Unzufriedenheit mancher Elite-Krieger, die die Schlächter als Abscheulichkeiten und Verstoß gegen das Kastensystem betrachteten und sich Sorgen wegen der Machterhöhung des Höchsten Oberlords machten.
Nom Anor ging mehrere Schritte hinter der mit Schädeln geschmückten Sänfte und einer Gruppe, die den Hohen Priester Jakan, die Meistergestalterin Qelah Kwaad, Kriegsmeister Nas Choka, Hochpräfekt Drathul und andere Angehörige der Elite enthielt. Er hatte sich Gedanken gemacht, ob man ihn wohl für das Versagen der Friedensbrigade zur Verantwortung ziehen würde − diese Gruppe von Kollaborateuren war im Wesentlichen seine Schöpfung, aber bisher war das nicht geschehen. Seine Verteidigung wäre ohnehin die gleiche geblieben: dass Akte des Verrats nur so erfolgreich sein konnten wie die Verräter selbst, die sie durchführten.
Die Frachter der Friedensbrigade hatten nicht auf Yuuzhan’tar landen dürfen, aber ihre Nicht-Yuuzhan-Vong-Kommandanten und die Mannschaften waren von Yorik-Trema zur Oberfläche gebracht worden, zusammen mit den Kommandanten und Mannschaften der Begleitschiffe der Yuuzhan Vong. Die letztere Gruppe kniete jetzt in einem Bereich des Landefelds, das für das Benennen, Segnen und Tätowieren von Kriegsschiffen gedacht war. An der Seite wurden die Gefangenen der Allianz von Blorash-Gallert festgehalten, und in der Mitte des Felds, mit den Gesichtern nach unten, lagen die Friedensbrigadisten.
Nom Anor dachte einen Augenblick, Shimrra wollte seine Prozession vielleicht über die Brigadisten hinwegziehen lassen, aber stattdessen rief der Höchste Oberlord sein Gefolge zum Halt, als es die Mitte des Feldes erreichte. Der Haufen zerschlagener Verräter, die unterschiedlichen Spezies angehörten, wusste genug, um mit dem Gesicht nach unten auf dem rauen Boden zu bleiben, während die Adepten des Hohen Priesters Jakan und Onimi sie umkreisten und sie mit Paaloc-Räucherwerk und Venogel einrieben.
Dann stellte Jakan selbst sich in ihre Mitte, und aus tief liegenden Augen betrachtete er die Beulen und Striemen, die die Schlächter den Brigadisten bereits zugefügt hatten, bevor man sie nach Yuuzhan’tar brachte.
Dann ging der Hohe Priester weiter zu den Yuuzhan-Vong-Kriegern und rief ihren Höchsten Kommandanten Blu Fath. Der Mann war ein hochgewachsener Krieger, aber nicht sonderlich für das Amt eines Höchsten Kommandanten geeignet und nur deshalb aufgestiegen, weil die Angehörigen der Domäne Fath, darunter mehrere wichtige Konsuln, ununterbrochen Bittschriften schickten.
»Wie viele Gefangene haben Sie abgeliefert, Kommandant?«, fragte Jakan.
Blu Fath drehte sich leicht, um Kriegsmeister Nas Choka zu salutieren. »Sechs Pakete − beinahe fünfhundert.«
Jakan schüttelte enttäuscht den Kopf und warf einen Blick zu Shimrra. »Weniger als die Hälfte des Minimums, das für eine Zeremonie dieser Größe notwendig ist.«
Shimrra blickte steinern vom harten Bett seiner Sänfte und schwieg, auch wenn die Seherinnen begannen, ihre Weissagungs-Bioten zu konsultieren, und erschrocken aufstöhnten.
Nas Choka trennte sich von der Prozession und gestikulierte Blu Fath und seinen Offizieren.
»Unsere Krieger haben sich gut gehalten, indem sie viele feindliche Jäger zerstörten und zwei der Schiffe wiedereroberten, die mit dem Rest hatten fliehen können. Ein Krieger insbesondere zeichnete sich aus, weil er unsere eigenen Eskortenschiffe vor der Zerstörung rettete und zusätzlich weitere tapfere Taten beging.«
»Bringt diesen einen vor mich«, sagte Shimrra, »damit ich meinen wohlwollenden Blick auf ihm ruhen lasse.«
»Kommandant Malik Carr«, rief Nas Choka.
Nom Anor traute seinen Ohren kaum. Nach der Katastrophe bei Fondor war Malik Carr erniedrigt und aus jeder Schlacht entfernt worden. Und nun stand er hier vor Shimrra persönlich und war ein Held! Würde sich alles mit der Zeit umkehren?
Carr verbeugte sich vor Shimrra und vor Nas Choka und blieb dann auf einem Knie. Auf eine Bewegung des Kriegsmeisters kam ein Subalterner mit einem Kommandantenumhang vor, den Nas Choka auf die Hörner legte, die in Carrs Schultern implantiert waren.
»Erheben Sie sich als Höchster Kommandant Malik Carr«, intonierte Nas Choka, »und übernehmen Sie Ihren alten Titel nach Ihren mutigen Aktionen bei Selvaris. Wir werden Ihnen bald ein Kommando unterstellen, das Ihrer Position würdig ist.«
Malik Carr riss die Fäuste zum Gruß hoch und kehrte in die Reihen zurück.
»Schrecklicher Herr«, sagte Jakan einen Augenblick später, »die Tode von vielen Ungläubigen ereigneten sich bereits auf dem Schlachtfeld, aber sie zählen. Wie ich jedoch schon sagte, ist die Anzahl der Gefangenen zu gering, um einen entsprechenden Appell an die Götter zu richten. Wir müssen ihnen mehr als diesen jämmerlichen Haufen bieten.«
Kommandant Blu Fath wagte es, vorzutreten. »Herr, könnten wir nicht diese Friedensbrigadisten als Ersatz für jene nehmen, die sie ausgeliefert haben?« Faths Vorschlag traf auf ein paar anerkennende Rufe, aber hauptsächlich von Angehörigen seiner Domäne.
»Solche Ersetzungen sind schon vorher vorgenommen worden …«, setzte Jakan an, als Shimrra ihn mit einem Blick zum Schweigen brachte.
»Sie sind einen ehrenhaften Tod nicht wert«, sagte Shimrra. »Sie haben nicht nur zugelassen, dass ihre Liga von feindlichen Spionen durchsetzt wurde, sondern mehrere ihrer Schiffe haben das Schlachtfeld bei den ersten Anzeichen des Kampfs verlassen und Ausrüstung und eine Anzahl heiliger Gegenstände mit sich genommen, die von Obroa-skai geschickt wurden.«
Shimrra verließ nun die Sänfte, was zu Unruhe sowohl unter Kriegern als auch unter Priestern führte, einer Gruppe, die einen lebenden Teppich vor Shimrras Schritten bildete. Onimi folgte und tollte hinter seinem Herrn her.
»Auf welchen Planeten wird derzeit an der Oberfläche gekämpft?«, fragte Shimrra Nas Choka.
Der Kriegsmeister dachte einen Augenblick nach, bevor er sprach. »Ich könnte zwanzig nennen, Großer Herr. Oder fünfzig.«
Shimrra wurde zornig. »Nennen Sie einen, Kriegsmeister.«
»Also gut, Corulag.«
Shimrra nickte. »Also soll es Corulag sein. Sorgen Sie dafür, dass den Friedensbrigadisten Korallen implantiert und sie an die Front geschickt werden, um sich unseren Sklaven zuzugesellen. Im Kampf werden sie ihre Fehler vielleicht wiedergutmachen.«
Nas Choka salutierte. »Ihr Wille wird geschehen.«
Dann drehte Shimrra sich um und winkte Drathul und Nom Anor zu sich.
»Folgenschwere Pläne erfordern ein folgenschweres Ritual. Daher kann das Opfer weder verschoben noch ansonsten verändert werden. Sorgen Sie dafür, dass die Konsuln und Exekutoren, die zuständig sind, erfahren, dass ich keine weiteren Unruhen dulde. Sollte irgendetwas Widriges geschehen, werde ich Sie und Ihre Schutzbefohlenen zur Rechenschaft ziehen, wie jeden, der sich in unser heiliges Unternehmen mischt.«
»Verstanden«, erwiderten Drathul und Nom Anor wie aus einem Mund.
Nas Choka wartete geduldig, dass Shimrra sich wieder auf der Sänfte niederließ, dann sagte er: »Ein Vorschlag, Großer Herr.«
Shimrra gewährte ihm einen Blick. »Fahren Sie fort, Kriegsmeister.«
»Wir führen derzeit einen Feldzug, um eine Welt namens Caluula einzunehmen. Wenn Sie erlauben, dass unsere Anstrengungen auch dort verdoppelt werden, wird der Planet mit Sicherheit fallen, und viele Gefangene werden zur Verfügung stehen, um unsere Vorräte aufzufüllen. Warum sollen die tapferen Verteidiger des Orbitalkomplexes nicht dazu dienen, unseren Mangel an berühmten Opfern auszugleichen?«
»Caluula, sagen Sie?«
»Fern von Yuuzhan’tar, Großer Herr, aber wichtig für unsere Absichten.«
Shimrra warf Jakan einen Blick zu, dann sah er die Seherinnen an, die nickten. »Es soll geschehen.«