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In einer Laube, die den einzigen Schatten auf dem Gefängnishof warf, ließ sich der Yuuzhan-Vong-Kommandant Malik Carr Luft zufächeln, von zwei reptoiden Chazrach, deren Korallensaat-Implantate deutlich an ihrer Stirn zu sehen waren.

Carr war ausgesprochen groß und dünner als die meisten und trug einen knochenweißen Rock und einen gemusterten Kopfschmuck, dessen Quasten in sein langes Haar geflochten waren, das ihm bis zur Taille reichte. Seine ruhmreichen Tage als Krieger wurden an den Tätowierungen und Narben deutlich, die sein Gesicht und seinen Oberkörper schmückten, obwohl die letzten zeigten, dass er einmal einen höheren Rang innegehabt hatte. Dennoch, die Gefängniswärter zeigten ihm Respekt für seine standfeste Ergebenheit an die Kriegerkaste und an Yun-Yammka, den Gott des Krieges.

Schnell und zornig kam der Subaltern-Offizier S’yito auf ihn zu und riss die Fäuste im Salut zu den gegenüberliegenden Schultern. »Kommandant, die Gefangenen sind wach.«

Carr blickte zur Mitte des Hofs, wo Major Cracken, Captain Page und etwa fünfzig andere Offiziere auf den Hacken saßen, die Hände an Holzpfähle gebunden, die in den weichen Boden gestoßen worden waren. Tatsächlich flatterten Lider, Köpfe schwankten und nickten, Lippen öffneten sich durstig. Selvaris’ Sonnen standen beinahe direkt über den Gefangenen, und Hitze stieg von dem glühenden Sand in schimmernden Wellen auf. Schweiß hatte ihre schmutzige Kleidung an ihre abgemagerten Körper geklebt und fiel in dicken Tropfen von unrasierten Gesichtern und aus verfilztem Fell.

Carr richtete sich auf und trat in das gnadenlose Licht. S’yito und ein Dutzend Krieger flankierten ihn, als er den Hof überquerte und sich mit den Händen in den Hüften vor Cracken und Page aufbaute. Ein Priester trat zu ihm, schwarz von Kopf bis Fuß von getrocknetem Blut. Carr sagte kein Wort, ehe er nicht überzeugt war, dass die beiden Gefangenen wach und sich ihrer Umstände bewusst waren.

»Ich nehme an, Sie haben das Schläfchen genossen«, begann er. »Aber sehen Sie nur, wie lange Sie geschlafen haben!« Er hob das Gesicht zum Himmel und drückte den inneren Rand seiner rechten Hand an die schräge Stirn. »Es ist schon Mittag!«

Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging vor den Gefangenen auf und ab. »Sobald unsere Wächterkäfer uns alarmierten, dass sich einige von Ihnen außerhalb der Mauern aufhielten, ordnete ich an, dass Sensi-Schnecken in allen Schlafsälen installiert wurden. Es ist nie angenehm, von ihren Schlaf fördernden Ausscheidungen zu erwachen. Die Kopfschmerzen, die Übelkeit, die gereizten Nasenmembranen … Aber ich tröste mich damit, dass Sie zweifellos alle angenehme Träume hatten.«

Dann blieb er vor dem bärtigen Page stehen und gestattete sich, etwas von seinem Zorn zu zeigen. »Es wird eine Zeit kommen, an denen selbst Ihre Träume Ihnen keine Fluchtmöglichkeit mehr bieten, und Sie werden Ihre Tage hier als gesegnet betrachten.«

Als er von der Flucht vor Morgengrauen erfuhr, hatte Carr sich beinahe einen Tkun um den Hals gehängt und die lebende Garotte angeregt, ihm das Leben zu nehmen. Es war sein Versagen bei Fondor vor mehr als drei Jahren, das ihn wieder zum Kommandanten und zum Leiter eines Gefangenenlagers am Rand des Invasionskorridors gemacht hatte. Und noch schlimmer, auf dem fernen Yuuzhan’tar waren jene, die ehemals seinesgleichen gewesen waren, erhöht und zu Mitgliedern des Hofs des Höchsten Oberlords Shimrra gemacht worden.

Die Aussicht auf weitere Würdelosigkeit hatte Carr mit solchem Selbsthass erfüllt, dass er sicher war, nicht weitermachen zu können. Am Ende jedoch war er zu dem Schluss gekommen, dass er vielleicht verhindern konnte, dass Kriegsmeister Nas Choka von der Flucht erfuhr, oder zumindest vorspiegeln, dies sei sein Plan gewesen, um mehr über lokale Widerstandsgruppen zu erfahren.

Aus diesem Grund war er erleichtert gewesen zu hören, dass die Suchtrupps, die er ausgeschickt hatte, zum Teil erfolgreich gewesen waren. Zwei Flüchtlinge waren getötet worden, und einen dritten hatten sie gefangen nehmen können. Aber ein vierter war von einem feindlichen Kanonenboot vom Planeten gebracht worden. Can wandte sich S’yito zu. »Holt den Gefangenen.« S’yito und zwei andere Krieger salutierten und eilten zum Tor. Als sie einen Augenblick später zurückkehrten, zerrten sie einen beinahe nackten Bith mit sich, der aussah, als wäre er einem Lav-Peq-Netz zum Opfer gefallen. Es freute Can unendlich, die Mienen von Page, Cracken und den anderen zu sehen, selbst wenn ihr Erstaunen schnell hasserfüllten Blicken wich, als die Krieger den Gefangenen auf das Gesicht fallen ließen.

Can stellte sich näher an den Bith, dessen haarloser Kopf zerkratzt war und blutete und dessen Arme und Beine in Fesseln steckten.

»Dieser hier«, begann Carr, »und die anderen, die nicht überlebt haben …« Er ließ seine Worte bewusst an dieser Stelle abbrechen, um die Auswirkung seiner Lüge auf die versammelten Gefangenen zu sehen. »Nun«, begann er erneut, »es ist eine Schande, nicht wahr? So viel Anstrengung für einen solch geringen Gewinn. Dennoch, ich bin beeindruckt, das muss ich zugeben. Ein gut ausgeführter Fluchttunnel, sorgfältig versteckte Flugmaschinen … es genügt beinahe, um mich vergessen zu lassen, welche Feiglinge Sie waren, dass Sie sich gefangen nehmen ließen.«

Er sah Page in die Augen und erwiderte den wütenden Blick des untersetzten Captain. »Mir wird schlecht, wenn ich Sie nur ansehe. Sie ergeben sich lieber, statt bis zum Letzten zu kämpfen. Sie lassen sich verkrüppeln und zeigen dabei keinerlei Scham. Sie halten weiter durch, aber ohne klares Ziel.« Er zeigte auf den Bith. »Dieser hier hat zumindest demonstriert, dass er eine Spur von Mut in sich trägt.«

Carr begann wieder, auf und ab zu gehen. »Aber ich muss zugeben, ich bin neugierig. Nach allem, was ich von den Bith als Spezies weiß, hätte er wahrscheinlich in diesem Lager am Leben bleiben können. Die Frage ist, wieso gefährdete er den Rest, indem er solchen Ungehorsam an den Tag legte? Ich kann mir nur vorstellen, dass Sie alle mit seiner Flucht zu tun hatten, vielleicht, um eine Botschaft zu überbringen, die von einiger Bedeutung war. War das der Fall?«

Carr winkte ab. »Wir werden in Kürze zu diesem Thema zurückkehren. Zuvor aber werden jene, die wirklich verantwortlich gewesen sind, bestraft.« Er warf einen Blick zu Cracken und Page, dann fuhr er zu S’yito herum. »Subaltern-Offizier, befehlen Sie Ihren Kriegern, zwei Reihen zu bilden. Die größeren in eine Reihe, die kleineren in die andere.«

S’yito gab den Befehl auf Yuuzhan Vong weiter, und die Krieger gehorchten.

»Und jetzt«, fuhr Carr fort, »werden die kleineren Krieger die größeren hinrichten.«

S’yito salutierte, dann nickte er ernst den Kriegern zu.

Jene, die zum Tode verurteilt worden waren, widersprachen nicht und verteidigten sich auch nicht, als sie mit Coufees oder Amphistäben erstochen wurden. Einer nach dem anderen fielen sie auf den Rücken, und ihr schwarzes Blut lief in den Sand. Zungenartige Ngdins drangen aus Nischen in den Yorikkorallenmauern, um zu verschlingen, was der poröse Boden nicht aufnahm.

Carr wartete, bis die Geschöpfe fertig waren, dann beugte er sich über den Bith und ließ sich auf ein Knie nieder. »Nachdem Sie solchen Mut gezeigt haben, würde es mir Schmerzen bereiten, Sie zu einem kunstlosen Tod zu verurteilen. Warum erhöhen Sie sich nicht in den letzten Augenblicken Ihres Lebens, indem Sie mir sagen, warum Sie entkommen wollten? Zwingen Sie mich nicht, die Wahrheit aus Ihnen herauszuholen.«

»Mach schon, Clak’dor«, sagte Pash Cracken. »Sag ihnen, was du weißt.«

»Er befolgte Befehle«, fügte Page hinzu und starrte Carr an. »Wenn Sie jemanden bestrafen wollen, bestrafen Sie uns.«

Carr grinste beinahe. »Das werde ich, Captain. Aber ich nehme an, wenn Sie wüssten, was dieser weiß, hätte man Sie fliehen lassen.« Er ging wieder zu der Laube. Unter dem Sitz holte er den Tkun hervor, den er sich an diesem Morgen beinahe selbst umgelegt hätte. Er trug das dicke Biot zu dem Bith und legte es um den dünnen Hals des Gefangenen.

»Das hier ist ein Tkun«, erklärte er den Gefangenen. »Normalerweise ist es ein zahmes Geschöpf. Wenn es provoziert wird, zeigt es jedoch seinen Unwillen, indem es sich um den Gegenstand schlingt, auf dem es ruht. Gestatten Sie mir, das zu demonstrieren …«

Carr schubste den Tkun mit spitzem Zeigefinger.

Page und die anderen fluchten und kämpften vergeblich gegen ihre Fesseln an.

Der Bith begann nach Luft zu ringen.

Carr sah zu, ohne irgendwelche Gefühle zu zeigen. »Leider kann der Tkun nicht überredet werden, sich zu entspannen, wenn er erst einmal begonnen hat, sich zusammenzuziehen. Man muss ihn umbringen.« Wieder kniete er neben dem Bith nieder. »Sagen Sie mir, wieso Sie so unbedingt dieses wunderbare Heim verlassen wollten, das wir für Sie einrichteten. Wiederholen Sie die Informationen, die man Ihnen gegeben hat.«

Der Bith legte den Kopf schief und spuckte Carr an.

»Nicht unerwartet«, sagte Carr und wischte sich das Gesicht ab. Wieder schubste er den Tkun, der sich weiter zusammenzog. Die schwarzen Augen des Bith traten vor; sein faltiges Gesicht und sein kahler Kopf änderten die Farbe. »Ich werde den Tkun gerne töten, wenn Sie mir sagen, was Sie wissen.«

Der Bith kroch ein Stück vorwärts, dann fiel er auf den Sand wie ein Fisch ohne Wasser.

Carr stieß den Tkun ein drittes Mal an.

Ein Keuchen kam aus der Kehle des Bith; dann begann er, eine Formel zu murmeln, eine Reihe von Ziffern. Plötzlich interessiert, beugte sich Carr vor und brachte das Ohr dicht an die Lippen des Bith. Dann warf er dem Priester einen Blick zu. »Was ist das?«

»Eine Art von Berechnung. Eine mathematische Gleichung vielleicht.«

»Sie haben recht«, rief Page. »Er hat es Ihnen gesagt. Und nun bringen Sie das verdammte Ding um, ehe es zu spät ist!«

Carr kniff die narbigen Lippen zusammen. »Ja, er sagt mir etwas − aber was ist es?«

Der Bith wiederholte die Formel.

»Ist das ein Code?«, fragte Carr. »Hören Sie auf Ihre Kommandanten! Sie sind bereits ein Held. Es ist nicht notwendig, dass Sie Ihre Ergebenheit noch weiter beweisen.«

Alle Farbe wich aus dem Kopf des Bith, und ein lang gezogenes Rasseln kam aus seinem Mund.

Carr schüttelte den Kopf, als wäre er traurig. Er zog ein Coufee von dem Gürtel, der seinen Rock zusammenhielt, und stieß es in das Tkun, das sich kurz aufrichtete und starb. Dann stand Carr auf und sah Page an. »Ihr Kamerad hat das Geheimnis offenbar mit ins Grab genommen.«

Page war seine Mordlust deutlich anzusehen, aber Carr zuckte nur die Achseln und wandte sich S’yito zu.

»Eskortieren Sie die Gefangenen zu der Grube, wo wir ihre teuflischen Maschinen verbrannt haben. Füllen Sie sie bis oben und sorgen Sie dafür, dass die Gefangenen bis morgen Mittag drinbleiben. Wir werden die Sonnen von Selvaris entscheiden lassen, ob einige von ihnen es wert sind, weiterzuleben.«

Eine Brigade von Wachen eilte in den Hof. Carr wartete im Schatten darauf, dass die Gefangenen losgebunden wurden. Dann folgte er der Prozession durch das Tor des Gefängnisses zur Grube, wo man Dutzende von Droiden in Schlacke verwandelt hatte.

»Subaltern-Offizier, es ist offensichtlich, dass unsere Gefangenen bei der Flucht Hilfe hatten«, sagte Carr. »Nehmen Sie eine Gruppe von Kriegern und richten Sie alle in den umliegenden Dörfern hin.« S’yito salutierte und verließ den Hof durch das Knochentor.

Captain Page bestand darauf, dass er der Erste war, der über die Holzplanke zu der tiefen Grube ging.

»Einen Augenblick, Captain«, sagte Carr vom Rand der Grube aus. »Ich gebe Ihnen eine letzte Chance, diese Nacht auf einem Bett aus Blättern und nicht auf den Skeletten von Droiden zu verbringen.«

Page schnaubte. »Ich würde lieber sterben.«

Carr nickte nachdenklich. »Sie werden ohnehin bald den Tod finden.«

Ohne ein weiteres Wort sprang Page in die Dunkelheit. Carr wandte sich von der Grube ab und ging auf sein Grashal zu.

Ein Code, dachte er bei sich.

Das wusste er mit Sicherheit. Aber was bedeutete er? Er warf einen Blick in den blendend hellen Himmel und fragte sich, wohin das Rettungsschiff wohl unterwegs war.