Arbeitslos

Heute ist der erste Tag in meinem Leben als Arbeitslose. Ich konnte es nicht verhindern, dass es so weit kommt, mit aller Gekündigtenarbeit nicht. Ich versuche, es nicht zu nah an mich heranzulassen. Ich sehe mich nicht als »arbeitslos«, will mich nicht so sehen. Niemals werde ich sagen »Ich bin arbeitslos«, wenn ich gefragt werde »Und was machst du so?«. Ich werde immer antworten »Ich arbeite jetzt selbstständig« – was ja nicht gelogen ist, ich unterschlage nur, dass ich vom Arbeitsamt abhängig bin. Würde ich sagen »arbeitslos«, käme doch zudem niemand auf die Idee, mir Aufträge zu geben. Mit solchen »strategischen« Überlegungen rechtfertige ich meine geschönten Antworten vor mir selbst. Tatsächlich finde ich mich auch feige.

Eigentlich, eigentlich sollte es kein Problem sein, es zuzugeben. Bei Millionen Arbeitslosen sollte der Status »normal« sein, aber ihm haftet etwas an, etwas »Losermäßiges«. Als könnten wir Arbeitslosen selbst etwas dafür, dass wir im Moment keinen Job haben. »Wir Arbeitslosen« schreibe ich, oh Gott.

Der Tag beginnt nicht gut. Gleich am Vormittag erhalte ich einen Anruf aus der Exarbeit.

»Wir können leider nicht mit Ihnen zusammenarbeiten«, wird mir von Frau Schmidt lapidar mitgeteilt. »Wir schaffen das terminlich nicht.«

Im Gespräch hieß es damals noch, es sei kein Problem, wenn ich meine Vertretung eine Woche oder noch später als gewünscht anfinge. Da sei man flexibel. In meiner Zusage kam ich darauf zurück. Wegen der bereits vereinbarten Aufträge hätte ich diese Zeit gebraucht. Da sie damals einverstanden waren, halte ich diese Begründung für seltsam, insistiere aber nicht. Was soll man bei einer Absage auch insistieren.

»Hoffentlich ist das jetzt nicht zu schlimm für Sie«, gibt mir Frau Schmidt noch in mitleidsvollem Ton mit auf den Weg.

Ich ärgere mich schon in diesem Moment heftig darüber, dass mir keine schlagfertige Antwort einfällt. Die Mitleidstour habe ich wirklich nicht nötig. War es nicht ursprünglich so, dass mein Exarbeitgeber etwas von mir wollte? Schließlich haben sie bei mir angerufen und um Unterstützung gebeten.

Ganz klar, ich bin in die typische Bewerberfalle geraten. Eigentlich ist es eine gleichberechtigte Ausgangsposition. Der Bewerber sucht einen interessanten Job und der Arbeitgeber einen passenden Bewerber. Aber im Laufe des Bewerbungsverfahrens schaffen es die Arbeitgeber früher oder später meist, den Bewerber in die Position eines Bittstellers zu manövrieren. Auf einmal wirkt es so, als seien sie am längeren Hebel. Das beginnt im Grunde schon mit dem Bewerbungsschreiben, in dem man als Jobsuchender so viel Persönliches preisgibt. Es geht weiter mit Vorstellungsgesprächen, in denen man sich mitunter plötzlich in Konferenzsälen einem Plenum gegenüber beweisen muss oder mit mehrtägigen Auswahlverfahren, sogenannten Assessmentcentern, in denen man sich in Rollenspielen gegenüber den anderen Bewerbern behaupten soll. Und es spitzt sich zu in Gesundheitstests, die einige Unternehmen verlangen, bevor der Bewerber ihrer Wahl einen Einstellungsvertrag unterschreiben »darf«. Manche Arbeitgeber verlangen sogar Bluttests, andere Urinproben. Das ist sehr umstritten und nur in Ausnahmefällen zulässig. Bewerber könnten dies verweigern, allerdings trauen sich das viele nicht aus Angst, dadurch ihre Chancen zu verspielen.

Bewerber zu sein ist keine angenehme Position. Es sei denn, man ist nicht auf Zusagen von Unternehmen angewiesen – weil man einen festen Job oder eine Alternative in der Hinterhand hat. Ohne mein zweites Standbein der Selbstständigkeit wäre ich wahrscheinlich schon längst in tiefe Selbstzweifel gestürzt. Mit Ausnahme meiner ersten Bewerbung, läuft meine Jobsuche sehr mau. Mit Rückmeldungen lassen sich die Unternehmen Zeit. Irgendwann steckt dann die dicke Bewerbungsmappe, die ich so sorgfältig zusammengestellt habe, wieder im Briefkasten. Oder es kommt gar nichts. Bei einer Bewerbung habe ich seit Wochen nichts mehr vom Arbeitgeber gehört. Ich erhielt damals eine Bestätigung, dass meine Unterlagen eingegangen sind. Das war’s. Dabei passe ich gut auf die Jobbeschreibung. Kürzlich habe ich die Webseite des Unternehmens noch einmal angesteuert. Und siehe da: die Stelle ist nach wie vor ausgeschrieben. Inzwischen seit sechs Wochen, obwohl angeblich ein Mitarbeiter »zum sofortigen Eintritt« gesucht wird.

Das passt nicht zusammen und ist keine Ausnahme. Vor allem bei Online-Anzeigen fällt mir auf, dass sie nach ein paar Wochen wieder aufs Neue in meinen Abfragelisten, mit denen ich regelmäßig die Stellenbörsen durchforste, auftauchen. Bei einem Arbeitgeber gab es für die zwei selben Stellen inzwischen drei Mal neue Anzeigen. Das lässt nur drei Schlüsse zu: Entweder haben alle erfolgreichen Bewerber die Probezeit nicht bestanden (das halte ich für unwahrscheinlich) oder bei den Bewerbungen war kein passender Kandidat dabei (das kann ich mir auch nicht vorstellen) oder die Stellen sind gar nicht zu besetzen, sondern dienen dem Firmenmarketing (so muss es wohl sein).

So ein Verhalten muss man sich erlauben können. Und die Unternehmen können es sich erlauben. Je weniger Vollzeitjobs es gibt und je schlechter die wirtschaftliche Lage ist, desto stärker konkurrieren die Jobsuchenden um den immer kleiner werdenden Kuchen.

Ich grübele den ganzen Tag über die Gründe für die Absage. Es ist kein gutes Vorzeichen für die nächsten Monate, wenn der erste Tag der Arbeitslosigkeit mit einem Misserfolg beginnt. Auf einmal bekomme ich Panik: Bin ich jetzt auf dem absteigenden Ast? Sind die guten Jahre auf einmal vorbei? Klappt nun gar nichts mehr? Geht es nur noch abwärts?

Selbst abends, nachdem die Kinder im Bett sind, und Johannes und ich entspannt auf dem Sofa sitzen (könnten), fange ich immer wieder davon an: Lag es an meinem anfangs wenig enthusiastischen Auftritt?

»Aber dafür lief das Gespräch dann doch viel zu gut«, rechtfertige ich mich gegenüber Johannes.

Ich bin der Überzeugung, dass die Termine kein Hinderungsgrund gewesen wären, wenn man wirklich mit mir hätte zusammenarbeiten wollen. Aber woran lag es dann? Am Preisschild, das mir aus dem Kragen hing, sicherlich auch nicht. So etwas ergibt eine nette (oder peinliche, je nach Standpunkt) Anekdote, aber deswegen sagt man doch nicht ab. Womöglich hat der Geschäftsführer tatsächlich das Budget für freie Mitarbeiter eingefroren. Oder wissen sie selbst nicht genau, was sie wollen – sind unklare Vorstellungen und schlechte Abstimmung der Grund für die Absage?

»Vielleicht warst du dem Chef nicht leidenschaftlich genug«, will mich mein Mann aufziehen, aber nachdem er meine sich inzwischen ins Dramatische neigende Laune erfasst hat, meint er: »Lass es gut sein. Das passt schon so.«

»Das passt schon so. Das passt schon«, wiederhole ich für mich. »Jetzt kannst du das Tempo etwas drosseln.« Tatsächlich habe ich die vergangenen Wochen richtig Stress gehabt. Ich habe so gearbeitet, als würde die Vertretung klappen. Das musste ich auch, sonst hätte ich es zeitlich nicht geschafft. Und ich habe in aller Eile meine Selbstständigkeit vorangetrieben, um sie rechtzeitig bei der Arbeitsagentur durchzubekommen.

»Vor allem die Selbstständigkeit kannst du jetzt in Ruhe angehen«, rede ich weiter auf mich ein. Ich versuche, mich auf die positiven Folgen der Absage zu konzentrieren. Es gelingt mir nur nicht ganz. Sie hat mich sehr getroffen. Auf einmal erkenne ich, dass alle Versprechungen meiner früheren Chefs – »Ich würde dich sofort wieder nehmen, aber die Lage …« leere Versprechungen waren, dabei hatte ich sie die ganzen Monate im Hinterkopf, hatte Hoffnungen darauf gesetzt. Da wird nichts mehr kommen aus der Exarbeit. Das war’s. Endgültig. Es ist, als hätten sie mir ein zweites Mal gekündigt.