Gleich am nächsten Tag fahre ich zur Arbeitsagentur. Eigentlich wollte ich diesen Termin schon vor ein paar Tagen erledigen, aber ich habe den Plan aufgrund des Besuchs zu Hause verschoben. Heute morgen habe ich kurz überlegt, zu Hause zu bleiben, bis die Operation überstanden ist, mich jedoch dagegen entschieden, da ich nur tatenlos hätte warten können.
Jetzt, wo sich die Arbeitslosigkeit drohend nähert und ich in weniger als drei Monaten ohne Job dastehen werde, muss ich mich noch einmal persönlich arbeitslos melden. Ich war zwar bereits vor Monaten persönlich da, damals beim Termin mit Frau Mayer, aber das gilt nicht. Im »Merkblatt für Arbeitslose«, das tatsächlich – wie Luc kürzlich erwähnte – 79 Seiten dick ist, steht: »Ihre persönliche Arbeitslosmeldung ist eine unverzichtbare Anspruchsvoraussetzung zum Bezug von Arbeitslosengeld!« Eine Erklärung dafür, warum ich mich nicht auch vier, fünf oder sechs Monate vorher »persönlich« melden kann, finde ich nicht.
Ich stehe also um sechs Uhr morgens auf, damit ich gleich um acht in der Agentur bin. Um diese Zeit sei am wenigsten los, sagte mir damals Frau Mayer. Jetzt sitzt sie mir wieder im Ohr als personalisiertes Arbeitslosengewissen und übertönt das Weckerklingeln: »Aufstehen, Frau Berger«, ruft sie ärgerlich, weil ich nicht sofort senkrecht im Bett sitze. »Oder schlafen Sie auch gerne lange?«
Beim Frühstück beäugt mich Ella neugierig: »Was hast du denn da für eine komische Hose an?« Ich habe aus reiner Gewohnheit zur schwarzen Tanten-Hose gegriffen, die ich bereits beim ersten Arbeitsagenturtermin getragen habe. Ich fühle mich heute schlecht vorbereitet, weil meine Mappe noch nicht bereitliegt. In aller Eile packe ich alle möglichen Unterlagen zusammen: die Kündigung, die Abwicklungsvereinbarung, Gehaltsabrechnungen.
Was fehlt, ist die Arbeitsbescheinigung, ein Formular, das der Arbeitgeber ausfüllen muss. Sie ist seit dem Termin bei Frau Mayer unerledigt in einem Ordner abgeheftet. Ich hätte sie schon längst an Herrn Roth schicken können, habe auch immer wieder daran gedacht. Aber ich habe es aufgeschoben. Es ist mir unangenehm, Herrn Roth einen Brief schreiben zu müssen. Wie kindisch, vor allem, weil ich nicht darum herumkommen werde. Nun ärgere ich mich, dass ich mich bislang davor gedrückt habe.
Dabei bin ich mir gar nicht sicher, ob die Bescheinigung heute verlangt werden wird. Es war mir nicht möglich herauszufinden, was ich mitbringen soll – außer dem Personalausweis. Im »Merkblatt« steht »Arbeitspapiere« – was auch immer sich die Agentur darunter vorstellt – und den Antragsvordruck solle ich »gut leserlich ausfüllen«. Daraufhin wollte ich mir diesen Vordruck auf der Internetseite arbeitsagentur.de ausdrucken, hatte aber die Rechnung ohne die Behörde gemacht. Denn es gibt im Internet kein entsprechendes Formular: »Den Antrag auf Arbeitslosengeld erhalten Sie bei Ihrer Arbeitsagentur.« Schade, ich hätte ihn gerne ausgefüllt mitgebracht. Das würde mir und der Behörde Zeit sparen.
Heute Morgen überlege ich kurz, ob ich Tino Rindfleisch anrufen soll, um nach den nötigen Unterlagen zu fragen. Tino ist ja der nette Berater von der Arbeitsagentur-Hotline, der mich bei meinem letzten Termin im Arbeitsamt von mehreren Plakaten grüßte. Aber es ist noch zu früh. Die Hotline ist erst ab 8 Uhr zu erreichen.
Also lasse ich meine Mappe wie sie ist, schnappe mir meinen schwarzen Mantel und mache mich wie ein schwarzer Trauervogel auf den Weg. Es regnet wieder. Die Vorstellung gefällt mir, dass es jedes Mal regnet, wenn ich zum Arbeitsamt muss. Dabei mag ich Regen. Das Arbeitsamt mag ich definitiv nicht. Auf dem Weg dorthin beginne ich wieder Selbstgespräche mit den mir noch unbekannten Mitarbeitern zu führen, die ich jetzt treffen werde. Ich ertappe mich, wie ich mich ständig rechtfertige. Dafür, dass ich erst jetzt komme und nicht bereits am 1. des Monats da war. (»Frau Mayer hat mir abgeraten, schon am 1. zu kommen. Außerdem ist mein Bruder sehr krank.«) Dafür, dass ich nur Originale dabeihabe und keine Kopien. (»Ich dachte, das sei nur zur Vorlage.«) Dafür, dass ich die Arbeitgeberbescheinigung noch nicht mitgebracht habe. (»Ich dachte, die bräuchten Sie erst am Ende des Beschäftigungsverhältnisses.«) Dafür, dass ich nicht ganz pünktlich um acht da sein werde. (»Ich musste erst einen dringenden Anruf erledigen. Wissen Sie, ich nutze meine Kontakte …«)
Unterwegs suche ich erfolglos nach einem Kopierladen. Selbst in der Nähe der Arbeitsagentur gibt es keinen. Dafür sehe ich auffällig viele Sonnen- und Nagelstudios, Frisöre, Imbissläden und Kneipen. Um viertel nach acht parke ich vor dem hässlichen Betonklotz ein. Es ist viel los, mehr als beim letzten Mal. »Sehen Sie«, sage ich zu Frau Mayer im Ohr. »Es stimmt gar nicht, dass alle Arbeitslosen gerne lang schlafen.« Am Eingang hängt ein Hinweis auf ein »Sommer-Camp«, dabei ist der Herbst schon da. Innen hat heute ein Früchtestand offen. Ob sich hier ein Arbeitsloser mit dieser Idee selbstständig gemacht hat? Statt stehen zu bleiben und ihn zu fragen, eile ich wie alle anderen stumm durch das Gebäude und stehe schließlich um zwanzig nach acht an dem Empfang, der mich schon letztes Mal an ein Billighotel erinnerte. Eine Dame sitzt hinter einem Computer und blickt mich freundlich an. Tatsächlich, hier ist keine Schlange. Niemand ist da. »Okay«, sage ich zu Frau Mayer im Ohr, »danke für den Tipp.«
Zur lächelnden Empfangsdame sage ich: »Guten Morgen. Ich möchte mich persönlich arbeitslos melden. Telefonisch habe ich das bereits gemacht und bei der Jobberaterin war ich auch.« (»Du rechtfertigst dich schon wieder, du Musterschülerin«, schimpfe ich mich selbst.)
»Zu welchem Termin ist denn die Kündigung?«, will sie wissen, noch bevor ich ihr meinen Personalausweis und den Zettel mit meiner »Kundennummer« überreiche. Dabei tippt sie eifrig auf der Tastatur. Dann fragt sie mich: »Haben Sie früher in Duisburg gelebt?«
Etwas erstaunt schüttele ich den Kopf. Duisburg? Da hat ihr Computer offensichtlich etwas durcheinandergebracht. Sie gibt wieder irgendwelche Dinge ein, dann liest sie mir meine Adresse vor und fragt, ob diese noch aktuell sei. Offensichtlich hat sie mich jetzt in ihrem System entdeckt.
Plötzlich wendet sie sich mir zu. »Darf ich Ihnen noch zwei Fragen stellen?« Die Dame ist freundlich. Sehr freundlich. Sicherlich hat sie früher in der Dienstleistungsbranche gearbeitet. Vielleicht als Stewardess?
»Ja, natürlich.«
»Sind Sie krankgeschrieben?«
Verwundert schüttele ich den Kopf. »Nein.«
»Haben Sie einen Schwerbehindertenausweis?«
Ich glaube, mich verhört zu haben, verneine aber brav. Beide Fragen kommen so unvermittelt völlig seltsam rüber.
»Darf ich Sie dann bitten, Platz zu nehmen? Sie werden aufgerufen.«
Ach so, das war erst der Anfang. »Was passiert jetzt wohl noch?«, frage ich mich und verlasse den Empfang. Als ich mich umdrehe, sehe ich hinter mir eine Schlange. Fünf Leidensgenossen haben sich in der kurzen Zeit hinter mir angestellt. Wäre ich Frau Mayer, würde ich schlussfolgern, dass Arbeitslose gerne gegen halb neun anfangen zu arbeiten.
Ich gehe auf den großen leeren Stuhlkreis zu, unentschlossen, wo ich mich hinsetzen soll. An die Wand werden von einem Diaprojektor Stellenanzeigen geworfen. Ich komme gerade dazu, zwei Ausschreibungen zu lesen – für eine Sekretärin und einen Filialleiter. Bei Interesse soll man sich »sofort« beim zuständigen Berater melden. Dann höre ich schon eine Stimme schwach aber bestimmt »Frau Berger!« rufen.
Ich blicke mich suchend um und entdecke in der Tür eines angrenzenden Zimmers eine kleine Person in Wartestellung. Hastig raffe ich meine Sachen zusammen und eile auf sie zu.
»Das ging ja schnell«, sage ich ehrlich begeistert.
»Jaaa«, antwortet sie achselzuckend und führt mich durch ein Großraumbüro, in dem drei Arbeitsplätze durch Stellwände voneinander abgetrennt sind. Der Schreibtisch nebenan ist verwaist. Eine vollgeräumte Umzugskiste steht daneben.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, fordert sie mich wie eine Gastgeberin auf.
Da sitze ich also wieder und schaue mich um, während sie die immergleiche Frage stellt: »Zu welchem Termin wurde Ihnen denn gekündigt?« Das habe ich in meinen monatelangen Kontakten mit der Arbeitsagentur insgesamt sechs Mal beantwortet. Drei Mal am Telefon, dann bei Frau Mayer, dann vorhin am Empfang und jetzt. Ich verstehe nicht, warum das Kündigungsdatum nicht bereits in meinem Stammdatensatz, der bei meinem zweiten Telefonat mit der Agentur angelegt wurde, vermerkt ist.
Auch die Sachbearbeiterin tippt fleißig in ihren Computer. Ich wundere mich, was sie da eigentlich tippt. Gibt es womöglich gar keinen Datensatz, auf den alle Mitarbeiter zugreifen können? Muss jeder meine Angaben von Neuem eingeben? Oder schicken sie sich nur interne Nachrichten? »Liebe Frau Mayer«, schreibt meine Sachbearbeiterin vielleicht. »Hier bei mir sitzt jetzt also Frau Berger. Haben Sie ihr geraten, nicht am 1. zu kommen? Sie macht einen ganz guten Eindruck, ist schon um kurz vor halb neun bei mir. Mal sehen, ob sie sich als gute Arbeitslose erweist. Mit freundlichen Grüßen …«
Aus reiner Langeweile blättere ich in den Broschüren, die ausgebreitet vor mir liegen. »Nehmen Sie nur mit, was Sie brauchen«, sagt sie gönnerisch, ohne ihr Tippen zu unterbrechen. Aber ich habe bereits etwas viel Interessanteres entdeckt: Ich kann das Gespräch zwei Schreibtische weiter mithören:
»Und Sie möchten wieder als Physikerin arbeiten?«, höre ich eine Frau fragen.
»Ja, oder etwas in Richtung Wirtschaft«, antwortet eine junge Stimme.
»Ah ja.«
»Wie funktioniert das jetzt? Sucht das Arbeitsamt für mich Stellen?«
»Ach, du Ahnungslose«, denke ich und überlege, ob ich sie nachher zu einem Kaffee treffen soll, um ihr zu erzählen, wie das hier läuft. Aber da werde ich in meinem Lauschangriff unterbrochen: »Haben Sie die Kündigung dabei?«, fragt meine Sachbearbeiterin.
»Ja, ich habe alle relevanten Unterlagen hier«, antworte ich geschäftig und überreiche die Kündigung und den Bescheid vom Gewerbeaufsichtsamt, das damals leider die Kündigung meines Arbeitgebers genehmigt hatte. »Zur Vorlage bei der Arbeitsagentur« steht darauf. Meine Sachbearbeiterin gibt ihn mir aber prompt wieder zurück. »Das brauchen wir nicht.«
»Ich dachte, das sei wichtig, um zu dokumentieren, dass ich widersprochen habe«, hake ich nach. So schnell lasse ich mich mit dem Bescheid nicht abwimmeln.
»Wie? Wo haben Sie widersprochen?«, fragt sie mich völlig planlos.
»Na, der Kündigung!«
»Der Kündigung?!«, wiederholt sie verwirrt. So etwas hat sie offenbar noch nie gehört. Dass jemand einer Kündigung widerspricht. »Nein, das brauchen wir nicht«, beschließt sie und wendet sich wieder ihrem Computer zu.
Unzufrieden packe ich den Bescheid wieder ein. Ich halte sie ab sofort für ahnungslos und begriffsstutzig, lächle aber weiterhin bemüht freundlich. Plötzlich merke ich, dass meinelinke Schulter schmerzt. Wieso denn das jetzt auf einmal? Heute Morgen bin ich gesund aufgewacht und im Arbeitsamt tut plötzlich etwas weh. Ich beschließe, dass hier irgendetwas Psychosomatisches vorliegen muss und bemühe mich, den Schmerz zu verdrängen. Um mich abzulenken, beäuge ich ihren Schreibtisch. Es ist schon erstaunlich, wie erdrückend und muffig die Atmosphäre in diesem Gebäude und diesen Büros ist. Der braune Teppich, die graue Wand, die dicken dunklen Türen – sicherlich bekamen die Architekten als Vorgabe: »Machen Sie es bitte so hässlich wie möglich, damit die Arbeitslosen nicht auf die Idee kommen, sich wohlzufühlen.« Ihren Schreibtisch umgeben ein paar dickblättrige Pflanzen, auf denen sie kleine schwarze Silvester-Schornsteinfeger platziert hat. Auch am Fensterbrett entdecke ich Schornsteinfeger. Sie scheint gerne ins neue Jahr zu feiern. Das macht sie mir wieder sympathisch. Direkt vor mir erinnert mich ein Blumentopf mit englischem Rosenmuster an Frau Mayer.
»So!«, ruft da meine Sachbearbeiterin und rollt mit ihrem Stuhl in meine Richtung. Sie hat einen dicken Packen Formulare und Zettel in der Hand, obenauf liegt das »Merkblatt für Arbeitslose«.
»Das habe ich schon«, stelle ich fest.
»Sehr gut«, lobt sie mich. Das gefällt ihr offenbar. Dann erklärt sie mir, was ich alles ausfüllen (lassen) muss. Sobald alle neuen Unterlagen beisammen sind, soll ich bei der Service-Hotline anrufen und einen neuen Termin ausmachen. Ich verabschiede mich und noch während ich meinen Mantel anziehe, tippt sie schon wieder in ihren PC. Was gibt sie da nur die ganze Zeit ein? Vielleicht schreibt sie eine Mail an Tino Rindfleisch? »Lieber Tino Rindfleisch, ich habe hier Frau Berger. Sie wird sich die nächsten Tage bei Ihnen melden, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Mal sehen, wie lange sie dafür braucht. Mit freundlichen Grüßen …«
Ich bin erleichtert, so schnell wieder gehen zu können. Das Ganze hat vielleicht insgesamt eine Viertelstunde gedauert. Aber es ärgert mich, dass ich noch einmal antanzen soll. Schon das heutige Vorsprechen war völlig unnötig. Warum habe ich nicht gleich alle nötigen Formulare zusammen mit dem Arbeitspaket erhalten? Warum ist es nicht möglich, sich schon früher als drei Monate vor Jobende persönlich zu melden? Dann hätte ich alles zeitgleich mit dem Besuch bei Frau Mayer erledigen können, das Arbeitsamt und ich hätten so weniger zu tun gehabt. Mir fallen als Gründe nur ein: Die Arbeitsämter wollen den Arbeitslosenstrom kanalisieren (fragt sich nur, wohin). Oder: Die gesetzlichen Vorgaben sind zu starr. Oder: Arbeitslose haben doch Zeit. Oder: Man will uns unter Kontrolle halten.
Ich eile hastig durch die dunklen Flure Richtung Ausgang. Wieder grüßt niemand, dem ich begegne. Aber heute habe ich auch keine Lust, den Anfang zu machen. Wenn das hier so Usus ist, bitte. Auf einmal fällt mir ein Plakat auf, das alle paar Meter aufgehängt ist. »Was Sie von Ihrem Jobberater erwarten können« steht darüber. Interessiert bleibe ich vor dem Plakat stehen. »Aha!«, sage ich leise zu Frau Mayer im Ohr. »Das ist doch interessant. Mal sehen, ob Sie diese Anforderungen erfüllt haben. Am besten, wir gehen die Punkte nacheinander durch.«
»Punkt eins«, lese ich. »Kompetente Beratung in Fragen des Arbeitsmarktes.«
Ich schüttele tadelnd den Kopf. »Frau Mayer, da haben Sie wohl gepatzt. An eine Beratung kann ich mich nicht erinnern.«
Bei Punkt zwei steht: »Eine ausführliche Standortbestimmung: Wo kommen Sie beruflich her? Wo wollen Sie beruflich hin?«
Wieder kann ich nur den Kopf schütteln. »Das klingt spannend«, sage ich zu Frau Mayer im Ohr. »Aber darüber haben wir beide gar nicht gesprochen.«
So geht es Punkt für Punkt weiter. In meinem »Beratungsgespräch« waren all die schönen Inhalte, die das Plakat verkündet, kein Thema. Weder die Herausarbeitung »Ihrer Stärken und Potenziale«, noch »Angebote von Maßnahmen zur Steigerung Ihrer Integrationsfähigkeit« und schon gar nicht »passgenaue Vermittlungsvorschläge« oder »Kontaktaufnahme bei Eingang eines relevanten Stellenangebots«.
Nur beim Punkt »Transparenz über Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt« hat Frau Mayer nicht gepatzt. Loben kann ich sie dafür nicht, im Gegenteil. »In diesem Punkt waren Sie konkret: keine Chancen mit Kindern. Das gaben Sie mir deutlich zu verstehen«, zische ich ihr zu, noch immer getroffen.
So eine Abrechnung tut gut. Ich horche. Aber Frau Mayer im Ohr ist verstummt. Vielleicht schämt sie sich nach dieser schonungslosen Bewertung ihrer Dienste. Oder sie bereitet heimlich ihren nächsten Angriff vor.
Egal, jetzt nur raus hier. Im Vorbeigehen sehe ich aus den Augenwinkeln einen Wegweiser zum »Psychologischen Dienst«. Was sie dort wohl zu der Stimme von Frau Mayer in meinem Ohr sagen würden oder zu den Schulterschmerzen?
Auf dem Heimweg fällt mir wieder das seltsame Lädenpotpourri auf, das den Weg von und zur Arbeitsagentur säumt. Es gibt hier offensichtlich einen Bedarf nach diesen Geschäften. Gehen wir Arbeitslose nach einem Behördenbesuch vielleicht gerne ins Sonnenstudio und zum Frisör, um uns etwas Gutes zu tun? Und danach in die Kneipe, um Frau Mayer im Ohr zum Schweigen zu bringen?
Ich kehre jedenfalls nicht ein, sondern fahre nach Hause und formuliere unterwegs im Kopf einen Brief an Herrn Roth. Ich überlege, ob ich etwas Persönliches schreiben soll, immerhin waren wir viele Jahre lang ein gut eingespieltes Mitarbeiter-Personalreferent-Pärchen.
»Wie geht es Ihnen, Herr Roth?«, könnte ich aus echtem Interesse schreiben. Ich überlege wirklich, wie es jemandem geht, der – zumindest in den Monaten der Krise – hauptberuflich kündigt. Oder ich schreibe vertraulich: »Dieses Jahr ist hart für mich. Mein Bruder wurde unerwartet schwer krank. Er wird heute zum zweiten Mal operiert. Das schmerzt noch mehr als die Kündigung. Verstehen Sie das?« Oder ich schreibe einfach: »Schade, dass ich Ihnen nur die Arbeitsbescheinigung schicken darf, viel lieber würde ich arbeiten.«
Auf dem Nachhauseweg klingelt das Handy. Mein Vater ist dran.
»Er hat die Operation gut überstanden. Aber ruf heute nicht an. Er braucht Ruhe.«