Der Kaiser der Kredithaie
Nachdem ich über IT-Kriminalität geschrieben hatte, wollte ich unbedingt wieder über das »richtige« Leben berichten. Darum tauchte ich am 1. August 2003 fünf Minuten vor zehn vor dem Tor der Tokioter Polizei auf. Die Wache beäugte meinen Ausweis zwar misstrauisch, winkte mich dann aber durch. Der Presseclub hatte sich kaum verändert: überall Müll, ernste, hart arbeitende Leute – nur die Besetzung war ein wenig anders.
Okubo-san – wegen seines Babygesichts und den runden Brillengläsern auch Harry Potter genannt – lag auf dem Sofa. Er winkte mir zur Begrüßung zu, setzte sich auf und beauftragte einen Jungreporter, uns Kaffee aus dem Automaten zu holen.
»Willkommen zurück, Jake. Schön, dass du heil hereingekommen bist. Hat die Wache keinen Gaijin-Alarm geschlagen?«
Ich lachte. »Nein, aber sie stand kurz davor.«
»Wir haben uns schon Sorgen gemacht«, meinte er ebenfalls lachend, »aber wir wussten ja, dass dich nichts aufhalten kann. Also, du arbeitest mit Chuckles zusammen. Sie ist für die Abteilung öffentliche Sicherheit zuständig. Du wirst sie unterstützen und teilweise auch über das organisierte Verbrechen berichten. Sobald sie zurückkommt, bringt sie dich auf den neusten Stand.«
»Okay, alles klar. Wo ist mein Schreibtisch?«
Harry Potter grinste. »Tut mir leid, Jake, aber es gibt keinen Schreibtisch für dich. Aber du kriegst die untere Koje.« Damit deutete er auf das Bett an der Wand.
»Die Tokioter Polizei wurde umstrukturiert und hat ein Dezernat für das organisierte Verbrechen geschaffen. Darum brauchen wir unbedingt einen zusätzlichen Reporter. Aber einen zusätzlichen Arbeitsplatz haben wir leider nicht. Ich hoffe, das passt für dich.« Als pflichtbewusster japanischer Angestellter hatte ich natürlich keine andere Wahl.
Ich war froh, dass ich mit Chuckles Masami – mit richtigem Namen Murai – zusammenarbeiten konnte.
Sie war eine resolute Reporterin und hatte viel Sinn für Humor, beides gute Eigenschaften. Ihre Stimme klang rau, und sie lispelte ein wenig. Wenn sie lachte, hörte man es bis auf die andere Seite eines Sportplatzes. Diese Frau hatte nichts Kleinlautes an sich.
Wir waren schon vor zwei Jahren zusammengetroffen, als ich in der Präfektur Ishikawa einen Artikel über die Reisernte auf den winzigen Feldern am Fuße eines Berges schreiben sollte. Chuckles war in der Lokalredaktion, und als ich sie aufforderte, mich zu begleiten und mit mir Reis zu schneiden, kam sie tatsächlich mit. Sie war viel geschickter als ich und übertraf mich auch als Reporter.
Sie begrüßte mich freundlich, aber auch etwas zurückhaltend. Wie jeder Japanologe weiß, ist Japan eine vertikal strukturierte Gesellschaft. Und in der Firmenhierarchie war ich formell ihr Vorgesetzter, weil ich länger dabei war als sie. Aber in der kleinen Welt des Presseclubs war sie der Platzhirsch. Diese Unterschiede waren zwar fein, aber wichtig, und bekamen noch mehr Gewicht durch die Tatsache, dass sie die einzige Polizeireporterin war.
In unserem Gespräch nannte sie mich zunächst »Jake-san«, ein Zeichen für Respekt, bald wechselte sie aber zu »Jake-kun«, was ein Indiz für Gleichheit, Vertrautheit oder auch Geringschätzung ist. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, welchen Status ich im Vergleich zu ihr hatte. Ich nannte sie nur »Chuckles-chan«. Das war eine Höflichkeitsform, die Zuneigung ausdrückte und die andere vielleicht etwas dreist gefunden hätten. Schließlich sagte ich: »Sag einfach Jake zu mir. Das tun alle.«
»Aber das wäre respektlos.«
»Nicht für mich.«
»Okay, Jake-san.«
»Gut. Zeigst du mir jetzt alles?«
Zwei Tage später hielt die Tokioter Polizei eine Pressekonferenz ab, in der die Ausstellung eines Haftbefehls gegen den Anführer einer Bande von Kreditwucherern bekannt gegeben wurde. Die Organisation hatte sich über das ganze Land ausgebreitet.
Nun, das war die Art von Verbrechen, die ich kannte und die mir Spaß machte. Es war Chuckles’ Geschichte, sie beschäftigte sich seit Monaten damit. Als sie das Büro verlassen hatte, versuchte ich, an ihrer Stelle so viele Informationen wie möglich zu beschaffen. Zwei Dinge fielen mir zuerst auf: erstens, dass dieser Kredithai, ein großes Tier in der Yamaguchi-gumi, auf der Fahndungsliste stand, weil man ihn verdächtigte, gegen das Gesetz über Geldanlagen, Anzahlungen und Zinssätze verstoßen zu haben, und zweitens, dass das Dezernat für Wirtschaftskriminalität den Fall bearbeitete, nicht das Dezernat für das organisierte Verbrechen.
Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Yamaguchi-gumi die größte der drei wichtigsten Yakuza-Gruppen in Japan und zugleich die gewalttätigste und die aktivste im Bereich der Börse und der Hochfinanz. Sie forderte unbedingte Loyalität, und jeder, der seinen Chef verriet, ging zumindest eines Körperteils verlustig oder wurde ermordet. Die Gruppe hat ihre eigene Finanzabteilung und unterhält enge Beziehungen zu Politikern, darunter auch ehemalige Premierminister.
Susumu Kajiyama war der Kaiser der Kredithaie, ein raffinierter Verbrecher. Als Blutsbruder der Goryo-kai, einer Unterabteilung der Yamaguchi-gumi, hatte Kajiyama seit 2000 ein ganzes Netz aufgebaut, das aus fast 1000 Kreditwucherbüros im ganzen Land bestand.
Er hatte Datenbanken mit stark verschuldeten Leuten gekauft, deren Kreditwürdigkeit so miserabel war, dass sie keine normalen Konsumentenkredite mehr bekamen. Und er hatte eine mittlerweile sehr beliebte Strategie entwickelt, nämlich Kunden durch Telefonanrufe und E-Mails anzuwerben. Außerdem hatte er Tarnfirmen gegründet, um persönlichen Kundenverkehr zu ermöglichen und das eingenommene Geld zu »waschen«. Wenn man eines dieser Büros betrat, bemerkte man keinen Unterschied zu irgendeinem anderen Laden, der Konsumentenkredite anbot. Die Kunden wurden von attraktiven Frauen empfangen und erhielten Kredite, die sie nirgendwo sonst bekommen hätten, oft allerdings zu einem sehr hohen Zinssatz, genauer gesagt zu einem Zinssatz, der 10- bis 1250-mal höher war, als das Gesetz es erlaubte.
Wenn ein Kunde dann seine Raten nicht pünktlich zahlen konnte, klopften Kajiyamas Geldeintreiber an die Tür mit den üblichen Drohungen: »Du willst wohl sterben?«, »Soll deine Familie für dich blechen?«, »Soll ich dich mal besuchen und das Geld aus dir herausprügeln?«.
Meist mussten die Geldeintreiber nicht wirklich Gewalt anwenden, aber sie waren so hartnäckig – sie schüchterten den Schuldner ein, tyrannisierten seine Frau, riefen seinen Arbeitgeber an –, dass sie manche Menschen in den Selbstmord trieben.
Ich war überzeugt davon, dass Kajiyama ein Yakuza war, aber als ich den Dezernatsleiter danach fragte, druckste er nur herum und wollte mir keine klare Antwort geben. Er meinte nur, dass seit dem Erlass der Gesetze gegen das organisierte Verbrechen die meisten Yakuza nicht mehr ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe auf ihren Visitenkarten angaben, was es erschwerte, jemanden als Yakuza zu identifizieren.
Was immer auch Kajiyama war, er hatte auf jeden Fall großen Erfolg. Er lebte in einer Wohnung, die er für 900 000 Yen (etwa 9000 Dollar) im Monat gemietet hatte. Und obwohl er die Stadt verlassen hatte, als die Polizei ihm auf den Fersen war, wurde die Miete für das Apartment weiter bezahlt.
Auch während die Pressekonferenz im Gange war, sammelte die Polizei Beweise in mehreren Büros, die Kajiyama gehörten. Die Ermittler brachte dies einen großen Schritt nach vorne.
Als Chuckles in den Presseclub zurückkehrte, schickte sie mich in ein Büro in Shinjuku, wo gerade eine Polizeirazzia stattfand. Sie wollte Fotos davon, also machte ich mich auf den Weg.
Am Schauplatz der Razzia schoss ich einige verschwommene Fotos von grimmig blickenden Polizisten in Zivil – insgesamt elf –, die mit Kisten voller Unterlagen aus dem Haus kamen.
Eigentlich hatte ich so ein gutes Leben: Ich unterstützte Chuckles und wurde gelobt, wenn ich etwas Brauchbares ablieferte, aber ich wurde nicht zur Verantwortung gezogen, wenn ich nichts brachte. Doch irgendwie juckte es mich in den Fingern, denn Kajiyama interessierte mich. Ich wollte mehr über ihn wissen. Er war ein schlauer Krimineller, der ein Imperium aufgebaut hatte – das war genug Stoff für eine ganze Fernsehserie.
Also rief ich Noya an, einen pensionieren Kripobeamten, dem ich einmal einen großen Gefallen getan hatte, und lud ihn zum Abendessen ein. Noya war ein Veteran im Bereich organisiertes Verbrechen, und ich ging davon aus, dass ich mit Unterstützung einer schönen Europäerin etwas erfahren würde, selbst wenn ich selbst derzeit keine Informationen über Kajiyama zu bieten hatte.
Und ich irrte mich nicht.
Sobald Lily, die Estländerin, die auf seinem Schoß Champagner genippt hatte, ihren Platz verlassen hatte, berichtete Noya: »Susumu Kajiyama. Erfolgreicher Yakuza. Mitglied seit den Siebzigerjahren. Zwölf Festnahmen. Zum ersten Mal verhaftet im März 1974 in der Präfektur Shizuoka wegen Körperverletzung. Hat nicht gesessen, sondern kam mit einer Strafe von 50 000 Yen (nur 500 Dollar) davon. Nächste Verhaftung zwei Jahre später wegen Erpressung. War ein Jahr im Knast. Von 1979 bis 1983 saß er wegen Konsum oder Verkauf von Methamphetamin – genau erinnere ich mich nicht. Nach seiner Entlassung zog er nach Tokio. Ich vermute, dass er für die Goto-gumi gearbeitet hat.«
Die Goto-gumi. Das war das erste Mal, dass mir der Name wirklich bewusst unterkam. Natürlich wusste ich ungefähr, worum es sich handelte, aber ich ahnte noch nicht, wie wichtig dieses Thema für mich werden sollte.
»Gibt es denn eine Verbindung zwischen Kajiyama und Goto?«, fragte ich.
Noya war sich nicht sicher, aber er mutmaßte es. »Goto-gumi war an vorderster Front beteiligt, als die Yamaguchi-gumi nach Tokio vordrang. Diese Gruppe hat das Fundament errichtet, die Infrastruktur. Wenn Kajiyama 1983 in Tokio gearbeitet hat, dann war er wahrscheinlich ein Lakai der Goto. Wie dem auch sei, er wurde 1984 wegen versuchter Erpressung, 1985 wegen des Besitzes oder der Verteilung von Marihuana und 1989 wegen Körperverletzung verhaftet. 1990 wurde er wegen Verstoßes gegen das Geldanlagegesetz zu einer Geldstrafe von etwa vier Millionen Yen (40 000 Dollar) verurteilt. 1992 bekam er eine Geldstrafe wegen Körperverletzung aufgebrummt. 1994 wurde er erneut wegen Verstoßes gegen das Geldanlagegesetz festgenommen, und wieder kam er mit einer Geldstrafe von fünf Millionen Yen (50 000 Dollar) davon. Mit der Zeit ist der Kerl offenbar schlauer geworden: kein Drogenhandel, keine Erpressungen mehr – das lohnt sich wohl nicht. Kapitalanlagen und Finanzgeschäfte bringen das große Geld.«
»Gegenüber der Polizei hat er behauptet, dass er kein Yakuza mehr sei. Das heißt, wenn wir über ihn schreiben, müssen wir ihn als ehemaligen Yakuza bezeichnen.«
»Lächerlich! Er ist die Nummer zwei der Goryo-kai in der Yamaguchi-gumi. Seit 1984 mischt er dort mit. Es gibt sogar ein Video, auf dem er bei einer Blutsbruder-Zeremonie im Jahr 1985 zu sehen ist. Er wurde zwölfmal verhaftet und zwölfmal verurteilt. Und er spielt in vielen anderen Ermittlungen eine Rolle. Ehemaliger Yakuza? Blödsinn.«
»Tja, genau das wollte ich wissen.«
»So machen es diese Typen. Sobald einer ihrer Brüder geschnappt wird, schmeißen sie ihn raus und schicken sogar einen Brief, in dem das steht. Damit wollen sie sich die Polizei vom Hals schaffen. Sie behaupten dann, dass der Mann auf eigene Faust gehandelt hat und sie daher nicht dafür verantwortlich sind. ›Er hat etwas Unrechtes angestellt, deshalb haben wir ihn rausgeworfen.‹ Das ist natürlich schlau, weil die Gerichte fordern, dass die Yakuza-Bosse für die Schäden haften, die ihre Soldaten anrichten. Und das will selbstverständlich kein Boss.«
»Aber Kajiyama gehört der Goryo-kai an, oder?«
»Nun ja, genau genommen nicht. Voriges Jahr ging er bei der Onai-gumi ein und aus. Das ist die Vorläuferin der Goryo-kai. Er ist das Vorzeigegesicht des Chefs, der Mann an der Front. Er ist charmant und sieht Robert Mitchum ein wenig ähnlich.«
»Sonst noch etwas?«
»Hmm ... er reist gerne. War ein paar Mal in den USA. Spielt in den Kasinos, in denen Goto ein Konto hat. Auch deshalb glaube ich, dass er für Goto gearbeitet hat.«
»Wo ist das?«
»›Caesars Palace‹ und ›Mirage‹. Vielleicht beide.«
»Und dort spielt er?«
»Nein, dort spielt Goto. Kajiyama spielt im ›Mirage‹. Er ist dort ein großes Tier. Vermutlich hat ihn Goto hingeschickt.«
»Wie schafft er es denn, in die USA zu kommen?«
»Na, er ist Japaner. Die Nationale Polizeibehörde hier gibt ihre Liste mit den Namen der bekannten Yakuza nicht an die Amerikaner weiter. Darum wissen Ihre Landsleute nicht Bescheid.«
»Warum gibt es denn da keinen Datenaustausch?«
»Keine Ahnung, fragen Sie irgendeinen Trottel von der Polizeibehörde. Ich weiß es nicht.«
Es gab noch jemanden, der mir etwas über Kajiyama erzählen konnte, aber ich kam einige Monate nicht dazu, ihn zu fragen. Heute wünschte ich, dass ich es nie getan hätte.
Als ich Chuckles alles berichtete, was ich von Noya erfahren hatte, ließ ich den Teil über Kajiyamas Abstecher nach Vegas aus, da mir das zwar nicht uninteressant, aber doch ohne Bedeutung erschien. Dann schickte ich einen Brief und einige Artikel über Kajiyama an Special Agent Jerry Kawai, den Attaché des Einwanderungs- und Zollamtes (ICE) in der amerikanischen Botschaft.
(Anmerkung: Kawai und Mike Cox, zwei Special Agents des ICE, leiteten eine Ermittlung gegen Kajiyama ein, deren Folge war, dass mehr als eine halbe Million Dollar, die er in den USA deponiert hatte, beschlagnahmt wurden. Sie sorgten dafür, dass der größte Teil dieses Geldes seinen Opfern in Japan zugutekam.)
Am 11. August durchsuchte die Polizei die Zentrale der Goryo-kai in der Präfektur Shizuoka.
Die Yomiuri hatte im Voraus davon erfahren, und als ich an diesem Morgen im Büro eintraf, machte Chuckles den Artikel gerade fertig. Das Problem dabei war, dass die Polizei nicht mit einem Verkehrsstau gerechnet hatte. Die Razzia konnte daher nur mit erheblicher Verspätung beginnen, was dazu führte, dass ständig Redakteure anriefen und den Artikel forderten, der noch nicht fertig war. Manchmal lässt sich eben alles nicht so genau planen.
Die Razzia begann gegen Mittag. Yomiuri-Reporter aus dem Büro in Shizuoka waren am Schauplatz, machten Fotos und schickten Berichte an ihre Redakteure. Alle Informationen und Unterlagen wurden im Tokioter Büro gesammelt. Es waren die üblichen Fotos von grimmigen Yakuza in dunklen Anzügen, die an der Seite standen, während Polizisten in Kampfausrüstung herumliefen und Zivilbeamte mit ausdruckslosen Gesichtern Kartons hinaustrugen, die vermutlich Unterlagen enthielten.
Das Amüsante an solchen Polizeirazzien war, dass alle vorher Bescheid wussten – die Presse und auch die Yakuza. Und wenn dem einmal nicht so war, dann informierte die Polizei die Yakuza rechtzeitig darüber, dass eine Durchsuchung bevorstand. Deshalb verlief auch immer alles glatt, und niemand wurde verletzt. Natürlich ist fraglich, wie viel nützliches Material diese Razzien dann noch lieferten.
Am Abend nach der Razzia tauchte Kajiyama mit seinem Anwalt bei der Polizei auf und stellte sich. Angeblich sagte er, er wolle »keinen weiteren Ärger mehr machen«. Schön und gut, damit war wieder einmal ein Yakuza hinter Gittern, aber die Presse durfte ihn immer noch nicht als Yakuza bezeichnen, weil die Polizei ihn noch nicht offiziell als solchen überführt hatte.
Das lag an den Anwälten – die Yamaguchi-gumi hatte eine Menge davon –, die immer schnell dabei waren, jemanden im Auftrag ihrer einflussreichen Mandanten zu verklagen. Eines der großen Probleme mit dem organisierten Verbrechen in Japan ist, dass das Ganze extrem gut organisiert ist. Angeblich wurden beispielsweise ohne viel Aufsehen zu erregen einige Vergleiche geschlossen, nachdem die Yakuza private Bonitätsprüfer verklagt hatte, die so mutig gewesen waren, ein Yakuza-Unternehmen als Tarnfirma zu bezeichnen.
Und der
Kajiyama-Tanz ging weiter. Der Kaiser wurde auf freien Fuß gesetzt,
die Polizei nahm ihn wieder fest, er wurde erneut entlassen, die
Polizei verhaftete ihn wegen anderer Delikte. Er gestand nie
etwas.
Das große Rätsel war: Wo war das viele Geld geblieben? Einen enormen Teil seiner Profite musste die Yamaguchi-gumi geschluckt haben – aber wo versteckte sie das Geld? Es tauchte bei keiner japanischen Bank auf. Wie wurde es gewaschen? Wenn man davon ausging, dass mehr als 60 000 Opfer illegale und extrem hohe Zinsen bezahlt hatten, dann ging es dabei um astronomische Beträge. Die Polizei schätzte den Umsatz der Gruppe auf mehrere Milliarden Dollar. Sobald sie herausfinden würde, welche Wege das Geld nahm, wäre der Fall gelöst.
Chuckles bat mich, die Tarnfirmen des Imperiums zu überprüfen.
Am 20.
wurde ich um drei Uhr morgens von der Nummer drei des Ressorts für
Mord geweckt. Die Asahi
hatte einen Artikel über
Kajiyamas Firma gebracht und behauptet, dass zwei Mitarbeiter dort
Yakuza seien und dies ein Indiz dafür sei, dass der Mann Kontakte
zur Yakuza habe. Ich sagte ihm, dass das meiner Meinung nach nichts
Neues war. Andere hatten dies schon früher geschrieben, und wir
hatten uns damit nicht abgegeben. Ich riet ihm außerdem, Chuckles
zu informieren. Aber er erwiderte, dass sie nicht erreichbar
sei.
Also fragte ich bei einigen Polizisten nach, bevor ich ins Büro ging, um eine Bestätigung für diesen Artikel zu erhalten. Doch ich erfuhr nichts.
Als ich im Büro eintraf, erzählte Harry Potter, dass die Mainichi am Sonntag einen Artikel über die Leiterin einer buddhistischen Gruppe abgedruckt habe, die ohne ihr Wissen als Bürge für eine Grundschuld für eine Immobile von Kajiyama eingetragen worden sei und nun vielleicht zur Polizei gehen wolle.
Als ich daraufhin die Grundbuchauszüge, die Kajiyamas Immobilien betrafen und uns in Kopie vorlagen, durchblätterte, fand ich nichts, was der Immobilie ähnelte, um die es in dem Artikel ging. Ich versuchte, irgendwelche Unterlagen zu seinem 900 000-Yen-Apartment in Minato-ku zu bekommen, fand aber nichts, weil es sich um eine Mietwohnung handelte.
Ich schrieb dann einen Artikel, der besagte, dass Kajiyamas Name auf der Mitarbeiterliste der Jinnai-gumi gestanden habe, bevor sein Chef die Karriereleiter emporgestiegen und Vorstandsvorsitzenden der Goryo-kai geworden war, einer Untergruppe der Yamaguchi-gumi. Das hieß also, dass Kajiyama bis vor einem Jahr ein registriertes Mitglied der kriminellen Yamaguchi-gumi gewesen war.
Was war der
Sinn des Ganzen? Ich wollte auf meine Weise nachweisen, dass der
Kaiser ein Yakuza war und dass sein ganzes Imperium der Yakuza
gehörte. Wenn es nach mir ging, konnten die Ermittlungen
weitergehen, dann hätte ich irgendwann bestimmt meinen Knüller.
Harry würdigte meine Anstrengungen, meinte aber: »Es ist eine
Story, aber keine wirklich großartige. Das Besondere ist meiner
Meinung nach, dass mehrere Hundert Nicht-Yakuza keine Hemmungen
haben, für Kredithaie zu arbeiten. Das ist ein Aspekt, den noch
niemand erwähnt hat. Wir wissen, dass die Yakuza Böses tut und
Menschen ausbeutet. Aber es ist doch eher ungewöhnlich, dass
normale Menschen sie dabei bereitwillig unterstützen.«
Er hatte recht. Kajiyama war eindeutig ein Yakuza, aber die »Zivilisten« erledigten einen Großteil seiner Arbeit für ihn.
Kajiyamas Imperium bestand aus einer Menge Tarnfirmen, darunter ein Maklerbüro, ein Bauunternehmen, er besaß Anteile an einem Segelhafen ... Er war also nicht nur ein Kredithai, sondern ein Franchiseunternehmer. Er besaß einen Sexclub und wusch Geld, indem er seine Angestellten zwang, den Club regelmäßig zu besuchen. Aber die Mädchen waren so unattraktiv, dass die Leute oft nur Geld auf den Tisch legten und gleich wieder gingen. Er gründete in Hokkaido eine Religionsgemeinschaft und zwang seine Mitarbeiter zu Spenden, die wahrscheinlich aus den Profiten der Kreditbüros stammten.
Die meisten seiner Tarnfirmen führten die Initialen SK (für Susumu Kajiyama) in ihrem Namen: SK Housing, SK Finance und so weiter. Die Angestellten der Kreditbüros waren verpflichtet, ihr Mittagessen bei SK Shokuhin zu kaufen. Und die Manager mussten in einem koreanischen Grillrestaurant essen, das zufällig einem Vasall Kajiyamas gehörte, und dort mit den Gewinnen der Büros bezahlen. So wurde das Geld gewaschen. Manager und Angestellte waren verpflichtet, ihre Freizeit in bestimmten Thermalquellen und Seebädern zu verbringen. Auch für Transport und Unterbringung wurde gesorgt, um noch mehr Geld zu waschen. Kajiyama war eine ganz neue Art von Yakuza. Er war die Zukunft. Man nannte ihn nicht ohne Grund den Kaiser.
Die Firma
SK Finance war von der Regierung als Konsumentenkreditvermittler
zugelassen worden. Die Lizenz hing in den Büros aus, um deren
Legalität zu demonstrieren. SK Finance war als to--ichi eingestuft worden (to- stand für
Tokio, ichi für Nummer eins). Das war bei Firmen dieser Art
üblich. Mit anderen Worten: Die meisten Firmen hatten ohne echte
Überprüfung die Genehmigung erhalten, ihrer
Arbeit nachzugehen.
SK Finance war zugleich eine Maklerfirma. Für Kajiyamas Bande war das ein gutes Geschäft. Immobilien dienten als Sicherheit für die Kredite, und wenn der Schuldner säumig wurde, konnte man sein Eigentum zwangsversteigern, und zwar ohne lästige Vermittler, die ihren Anteil gefordert hätten. Natürlich wurden auch Immobilien vermietet.
Da ich ein Foto von Kajiyama haben wollte, ging ich in ein Zweigbüro der SK Housing. Zu meiner Überraschung waren die Mitarbeiter ziemlich hilfsbereit, es störte sie überhaupt nicht, dass ich Ausländer war. Innerhalb von Minuten hatten sie eine sehr geräumige Wohnung für mich gefunden. Mein wirkliches Ziel war aber eine Firmenbroschüre mit Kajiyamas Foto, und die gab es wohl nicht.
Ein Angestellter – Anfang 30, neonblond gefärbter Kurzhaarschnitt, billiger grauer Anzug und Tennisschuhe – war gerade dabei, zu putzen und Kisten zu füllen. Als ich mich als Reporter der Yomiuri Shimbun vorstellte und ihn bat, ein paar Fragen zu beantworten, sah er mich genervt an, hob dann einen Karton mit Büromaterial auf und reichte ihn mir. »Wenn Sie reden wollen, dann helfen Sie mir, dieses Zeug nach unten zu bringen.« Wie hätte ich mich da weigern können?
Während wir die Kisten herumtrugen (die Polizei hatte offenbar alles mitgenommen, was irgendwie von Belang schien), fragte ich: »Haben Sie nicht gemerkt, dass Sie für die Yakuza gearbeitet haben?«
Er zuckte mit den Schultern. »Für mich war es immer nur ein Maklerbüro. Ich habe mich auf eine ganz normale Anzeige hin beworben. Wie zum Teufel hätte ich das wissen sollen? Ich habe nie jemanden mit fehlenden Fingern oder Tätowierungen am ganzen Körper gesehen.«
»Haben Sie immer in diesem Büro gearbeitet?«
»Nein, ich war in einem SK-Kreditbüro. Da schien alles in Ordnung zu sein.«
»Fanden Sie die Zinsen nicht extrem hoch?«
»Ich habe nur die Kunden betreut, mit den Verträgen hatte ich nichts zu tun. Vielleicht waren die Zinsen ja hoch, aber ich habe mich eigentlich nicht darüber gewundert. Ich habe auch mal bei Aiful gearbeitet, und das ist ja eine ganz legale Firma. Glauben Sie, dass die andere Zinsen berechnet haben? Die haben verlangt, was sie kriegen konnten. Für den Kreditnehmer ist es immer ein schlechtes Geschäft. Für mich war es die gleiche Branche, nur eben eine andere Firma.«
»Sie hatten also keine Ahnung davon, dass jede SK-Firma eine Tarnfirma der Yakuza ist? Und Sie wussten auch nicht, dass Ihre Konsumentenkreditfirma in Wirklichkeit von Kreditwucher lebte?«
»Sie sagen das so, als wären das zwei verschiedene Dinge.«
»Stimmt das denn nicht?«
»Es ist doch immer das Gleiche: Jemand kommt zu uns und beantragt einen Kredit. Wir berechnen ihm einen unglaublichen Zinssatz, und in den nächsten Monaten oder Jahren zahlt er den Kredit ab. Wenn er damit fertig ist, hat er vielleicht fünf- oder zehnmal so viel bezahlt, wie er bekommen hat. Das ist kein schöner Job, aber es ist ein Job. Übrigens, schauen Sie mal in die Yomiuri. Die ist voll mit Anzeigen von Aiful, Promise, Takefuji und all den anderen Konsumentenkreditfirmen. Ihr Jungs unterstützt doch die Kredithaie.«
»Aber Sie haben es nicht wirklich gewusst?«
»Nach einer Weile schon. Alle wussten es. Aber da war es zu spät. Dann ist man drin, und sie zahlen gut. Und man macht sich auch Sorgen, was wohl passieren würde, wenn man kündigt. Ob sie einen überhaupt gehen lassen.«
»Was ist denn mit den illegalen Geschäften? Hatten Sie keine Angst, verhaftet zu werden?«
»Doch, aber sie haben gesagt, dass uns nur eine Geldstrafe drohen würde und dass sie die übernehmen würden. Sie würden auch den Anwalt bezahlen und sich um uns kümmern. Ich habe ihnen das geglaubt. Und ja, die Bezahlung war gut. Die Chefs hatten auch verrückte Ideen, um uns bei Laune zu halten. Letzten April zum Beispiel haben sie den Tokyo Dome gemietet und ein privates Baseballspiel veranstaltet. Wir hatten den Tokyo Dome ganz für uns allein. Das war toll.«
Das war genau das, was auch die Yomiuri in meinem ersten Jahr als Reporter gemacht hatte, damit die Reporter im ganzen Land sich als Team fühlten, und sicher auch, um die Loyalität gegenüber der Firma zu fördern. Kajiyama sah das ebenso, er war bestimmt kein Dummkopf.
Der Angestellte hatte auch recht: Die Yomiuri und alle anderen Zeitungen in Japan verdienten gut mit den Anzeigen der Kreditbüros.
Mizoguchi, unser für Finanzgeschäfte zuständige Reporter, musste monatelang betteln, bis er die Erlaubnis für eine Artikelserie erhielt, in der er aufzeigen wollte, welchen Schaden die Kredithaie der japanischen Gesellschaft zufügten. Dieses Thema war ziemlich heikel. Und als sich herausstellte, dass viele Kreditbüros gesetzeswidrig hohe Zinsen verlangten, bedurfte es großer Überredungskunst, um dies zu veröffentlichen. Doch letztlich siegte der Nachrichtenwert über die Firmeninteressen, wie immer bei der Yomiuri. Das ausschlaggebende Ereignis war der Selbstmord eines Mannes, seiner Frau und eines Angehörigen im Juni 2003 in Osaka. Die drei warfen sich vor einen Zug. Die Frau hatte einen Brief hinterlassen, in dem sie erklärte, dass sie einen Kredit aufgenommen habe, der lawinenartig zu einem Schuldenberg herangewachsen sei, den sie niemals würde abtragen können. Die Geldeintreiber hätten sie und ihre Nachbarn bedroht und ihr Leben zerstört, und die Polizei sei machtlos gewesen.
Wenn Kredithaie drei Menschen in den Selbstmord treiben, horchen die Leute doch auf. Und es waren Verbrecher wie Kajiyama, die hinter diesen Todesfällen steckten. Als Reporter vergisst man manchmal beinahe die Opfer. Irgendwie bewundert man das kriminelle Genie und die rücksichtslose Effizienz der Täter und vergisst dabei ganz, dass das verbrecherische Imperium auf menschlichem Leid errichtet wurde.
Kajiyama war ein Franchise-Genie, und das illegale Kreditgeschäft, das er aufgebaut hatte, war ausgeklügelt und flächendeckend. Er war hinter schlechten Schuldnern her, und das zahlte sich aus. »Die besten Kreditkunden«, erklärte er einmal selbst, »sind die, die bereits Schulden haben. Sie sind so verzweifelt, dass sie jeden Zins bezahlen, den man von ihnen verlangt, wenn sie nur schnell Geld bekommen. Das, was sie von uns kriegen, können sie aber niemals zurückzahlen. Dann gehören sie uns.« Er hatte einen Computerfreak namens Akiba-kun damit beauftragt, eine Datenbank zu erstellen, in der festgehalten war, wie viel jeder Kunde der Firma schuldete, was er schon bezahlt hatte und ob er mit der Polizei oder mit einem Anwalt in Kontakt getreten war. Hinzu kamen detaillierte persönliche Daten, zum Beispiel über Vorgesetzte, Familienmitglieder und sogar außereheliche Verhältnisse.
Wenn ein Kunde immer verzweifelter wurde, bot ihm ein anderes Kreditbüro, das ebenfalls Kajiyama gehörte, einen neuen Kredit an, meist zu noch höheren Zinsen. Mit anderen Worten: Kajiyama beutete ein und denselben Kunden mehrmals aus. Dabei achtete er stets darauf, dass die Behörden nicht hellhörig wurden. Sein Unternehmen wurde aber bald so groß, dass es doch Aufsehen erregte.
Als die Polizei im Jahr 2003 begann, Kajiyamas Firmenzentralen zu durchsuchen, fanden sie zahlreiche Computerterminals in den Büros. Insofern war Kajiyama der Polizei um Jahre voraus.
Von dem Geld, das die Goryo-kai in Shizuoka von Kajiyama bekam, baute sie eine zweistöckige Zentrale. Sein Name wurde in Stein gemeißelt und dann mit Gold gefüllt. Japanische Politiker erhielten Schmiergelder. Im Laufe mehrerer Jahre zahlte Kajiyama mehr als vier Millionen Yen (rund 40 000 Dollar) an den einflussreichen früheren LDP-Politiker Kamei Shizuka. Und das waren nur die Beträge, die in den Büchern auftauchten.
Am 23. Oktober 2004 hatte die Tokioter Polizei schließlich Beweise dafür, dass Kajiyama mit der Yamaguchi-gumi zusammenarbeitete. Deshalb sollte es eine Razzia in der Zentrale dieser Gruppe in Kobe geben, und wieder wussten alle – Polizei, Verbrecher und Journalisten – schon einen Tag zuvor davon. Die Yamaguchi-gumi hatte sogar eine förmliche Anfrage an die Polizei gestellt, um Datum und Uhrzeit zu erfahren und entsprechend vorbereitet zu sein. Ich sprach vor der Razzia mit mehreren Yakuza und ehemaligen Yakuza. Bei einer Abendveranstaltung ließ der Chefreporter des Kyodo News Service Chuckles gegenüber durchblicken, dass sie das Risiko eingehen wollten, über die Razzia zu berichten, noch bevor sie stattgefunden habe.
Plötzlich gerieten alle Journalisten in Panik. Chuckles rief alle rivalisierenden Reporter zusammen, und sie beschlossen, über die Razzia zu schreiben. Niemand sollte das Nachsehen haben. Darum erschien am Tag der Durchsuchung auch in der Morgenausgabe der Yomiuri ein langer Artikel, der die Aktion ankündigte.
Die Razzia
selbst war nach 25 Minuten vorbei. Als die Polizisten
hineinstürmten, hörte man die typischen Sticheleien und Schreie der
Yakuza noch in weiter Entfernung des Hauptquartiers der
Yamaguchi-gumi.
»25 Minuten? Das ist doch keine Razzia – das ist ein Nachmittagstee«, meinte Harry Potter höhnisch. »Wahrscheinlich haben sie die ersten zehn Minuten allein damit verbracht, Visitenkarten auszutauschen. Ich wette, dass die ›Beweismittel‹ schon fein säuberlich für die Mitnahme verpackt waren.«
»Vermutlich haben sie noch eine Waffe als Souvenir dazugepackt«, fügte ich zynisch hinzu.
»Wahrscheinlich bringt der Boss in diesem Augenblick einem seiner Yakuza-Schläger bei, dass der für ein paar Jahre in den Knast gehen muss, damit die Polizei nicht ihr Gesicht verliert.«
Am Abend vollendete ich mein Meisterwerk über ein anderes Kreditwucherunternehmen der Yamaguchi-gumi. Diesmal waren Videotheken die Tarnfirmen. Der Polizist, mit dem ich darüber geredet hatte, meinte: »Bis jetzt war der Kreditwucher der Yakuza eine schwer zu verfolgende Nebensache, und die Täter bekamen lediglich einen Klaps auf die Hand. Schändlicherweise haben wir uns nie wirklich darum gekümmert.« Das war vermutlich auch der Grund dafür, dass das Amt für öffentliche Sicherheit die Anklage vertrat.
Als ich den Artikel abgeliefert hatte, verließ ich schnell das Büro und fuhr nach Hause, doch schon anderthalb Stunden später rief mich der Büroleiter an und teilte mir mit, dass jemand vor dem Mitaka-Bahnhof erstochen worden sei.
Hektik brach aus: Telefonanrufe bei der Polizei, im Krankenhaus, bei einigen Geschäften und ein paar Fotografen. Sie waren alle nicht sehr hilfsbereit, aber es gelang uns doch, einen Artikel zusammenzustellen.
Um zwei Uhr morgens fuhr ich dann nach Roppongi.
Ich hatte mir ein kleines Informationsnetz aus Stripperinnen, Prostituierten, Hostessen, Schleppern und Straßenhändlern aufgebaut. Deshalb wusste ich immer, wer mit Drogen handelte und wer sie lieferte. Außerdem verfügte ich über ein Frühwarnsystem, das mich informierte, wenn eine Großrazzia in einem Club bevorstand. Drogenrazzien waren nur dann als Nachricht von Interesse, wenn berühmte Leute erwischt wurden, und da war es immer gut, wenn man schon vorher darüber Bescheid wusste.
Ich traf meinen chilenischen Lieblingsschlepper an der »Propaganda-Bar«. Er sagte, er habe etwas für mich. Nami, eine thailändische Stripperin, die mit einem japanischen Taxifahrer verheiratet war, brachte uns Drinks. Die beiden wussten nicht, dass ich Reporter war. Niemand wusste es. Sie glaubten, ich sei Ermittler bei einer Versicherung und stelle deshalb so viele Fragen.
Nachdem ich etwas zu viel getrunken, aber leider wenig erfahren hatte, ging ich in den Tanzclub »Quest«, wo der Bursche, der das Roulette-Rad drehte, unter dem Tisch Drogen verkaufte.
Um vier Uhr morgens fuhr ich dann nach Kabukicho, um einen Informanten in einer kleinen Hostessenbar zu treffen. Ich wollte immer noch mehr über Kajiyama wissen, und dieser Mann konnte mir helfen. Ich gab ihm den Spitznamen Zyklop. Er hatte ein rundes, flaches Gesicht mit buschigen Augenbrauen, die über seiner falkenartigen Nase zusammengewachsen waren, und sah ziemlich einschüchternd aus.
Ich kannte Zyklop aus Saitama. Er war Japaner koreanischer Herkunft, Mitglied der Yamaguchi-gumi und besaß ein umfassendes Wissen über die Unterwelt. Er war also eine hervorragende Quelle, hatte aber auch etwas Hinterhältiges an sich. Daher vertraute ich zwar seinen Informationen, aber nie seinen Motiven. Außerdem nahm er gerne Speed und neigte dann zu dem unberechenbaren Verhalten – den extremen Emotionen und dem Verfolgungswahn –, das typisch für Konsumenten von Methamphetamin ist. Wenn man ihn reizte, konnte er äußerst gewalttätig werden.
Kennengelernt hatte ich Zyklop durch seinen Vater, der eine Menge Geld bei einer koreanischen Genossenschaftsbank angelegt hatte, die von der japanischen Regierung gestützt werden musste. Einem anderen Yakuza-Informanten zufolge war die Bank pleitegegangen, weil sie illegale Geschäfte betrieben und der Inagawa-kai ungesicherte Darlehen gegeben hatte. Zwei Kollegen und ich recherchierten fast zwei Jahre lang, bis wir endlich Material für einen Artikel hatten. Die erfreuliche Folge war, dass die Polizei von Saitama die Leute festnahm, die für die Bankpleite verantwortlich waren.
Kein Kunde
erhielt sein Geld zurück, aber die koreanische Gemeinde war froh
darüber, dass die Schuldigen bestraft wurden. Während
ich an dem Artikel arbeitete, freundete ich mich mit vielen
Koreanern an. Damals stellte mich Zyklops Vater seinem Sohn
vor.
Zyklop war hartnäckig. Er fragte mich immer wieder, wann der Artikel erscheinen werde. Aber es war nicht einfach, etwas über die Bankpleite in der Zeitung zu veröffentlichen – zum Teil deshalb, weil ein Bericht über den Zusammenbruch eines Finanzinstituts schwerwiegende Folgen haben konnte, zum Teil auch, weil sich niemand für ein Ereignis interessierte, das fälschlicherweise als rein koreanische Angelegenheit galt, und zum Teil deshalb, weil eine religiöse Gruppe, die etwas mit den Problemkrediten zu tun hatte, Druck ausübte, um die Sache zu vertuschen. Ach ja – teilweise auch deshalb, weil ein prominenter Politiker seine Finger im Spiel hatte. Letztlich gelang es mir, den Artikel unterzubringen, weil ich eine Kopie des vernichtenden Untersuchungsberichts der Präfektur Saitama vorlegen konnte.
Ich hatte Zyklop und seinem Vater versprochen, keine Ruhe zu geben, bis die Story veröffentlicht wurde, und hatte mein Versprechen gehalten. Damals wusste ich noch nicht viel über die Yamaguchi-gumi, und da sie im Osten Japans kaum vertreten war, verspürte ich auch nicht das Bedürfnis, mehr zu erfahren. Da Koreaner aber gerne miteinander reden, unabhängig davon, welcher Gruppe des organisierten Verbrechens sie angehören, war Zyklop immer gut über die Welt der Gokudo unterrichtet. Er kommentierte ohne Hemmungen die Gerüchte über die Sumiyoshi-kai und die Inagawa-kai. Fragen über seine eigene Organisation hatte ich ihm bisher nie gestellt. Aber jetzt schien es Zeit dafür zu sein.
Es war nicht einfach, Zyklop nach Tokio zu locken, denn sein Revier war Saitama, und dort fühlte er sich sicher. Dennoch wartete er wie vereinbart in dem Hostessenclub auf mich.
Als er mich zu sich winkte, setzte ich mich ihm gegenüber. Er bestellte einen Drink für mich, den ich höflich annahm, dann prosteten wir uns zu. »Prost« war das einzige koreanische Wort, das ich kannte, abgesehen von »Toilette«.
»Jake-san, was gibt’s?«
»Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat die Polizei heute die Zentrale der Yamaguchi-gumi durchsucht.«
»Das wussten alle schon seit etwa zwei Wochen.«
»Ich habe
es erst vor einer Woche erfahren. Aber eine Sache wüsste ich zu
gerne: Wo zum Teufel ist das viele Geld geblieben, dass
Kajiyama verdient hat?«
»Hmmm ... Warum interessiert Sie das?«
»Weil das eine gute Story wäre.«
»Und was ändert sich, wenn Sie darüber schreiben?«
»Nichts.«
»Warum dann?«
»Es ist mein Job. Ich beschaffe Informationen, die niemand sonst hat, und ich finde, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat.«
»Das Recht zu wissen, wo Kajiyama sein Geld versteckt hat?«
»Ja, die Opfer haben ein Recht darauf.«
»Opfer. Interessante Wortwahl. Hat denen etwa jemand eine Pistole an den Kopf gehalten und sie gezwungen, Kredite aufzunehmen, die sie nicht zurückzahlen können? Oder sich Geld für Dinge zu leihen, die sie sich nicht leisten können?«
»Nein, aber diese Leute wussten nicht, worauf sie sich einließen, und sie wurden belogen, als sie ihre Verträge unterschrieben. Macht sie das nicht zu Opfern?«
»Für mich sind das Idioten.«
»Waren dann die Leute, die ihr Geld bei der Saitama Shogin angelegt haben, ebenfalls Idioten? Oder waren sie gierig? Wollten sie eine zu hohe Rendite haben? Hätten sie einfach bessere Aktien kaufen sollen?«
Zyklop schwieg eine Weile und dachte nach. Er runzelte die Stirn und biss sich auf die Lippen, dann entspannte er sich wieder.
»Sie wollen also die Story. Gut, ich gebe sie Ihnen. Es war in Las Vegas.«
»Las Vegas?«
»Kajiyama hat im ›MGM Grand‹ in Las Vegas ein paar Millionen Dollar verspielt. Vielleicht ist das ja Geldwäsche. Er ist oft in Amerika. Das Geld legt er hier in ein Bankschließfach, und wenn er rüberfliegt, nimmt er es mit. Er hat drüben auch einige Bankkonten.«
»Weiß die Polizei davon?«, fragte ich.
»Ich denke schon. Wahrscheinlich ist das Geld inzwischen beschlagnahmt, oder sie wird es ziemlich bald tun. Kajiyama ist im ›Grand‹ ein Promi. Und im ›Caesars Palace‹ gibt er das Geld mit vollen Händen aus.«
»Wie kann so ein Kerl dort zu einer Art VIP werden?«
»Durch Goto. Goto hat ihn eingeführt, er liebt diese Orte. Und er war oft dort.«
»Er war?«
»Ja, denn seit seiner Lebertransplantation kann er nicht mehr in die USA reisen. Er soll ein Kasinokonto geplündert haben, um seine Krankenhausrechnung bezahlen zu können.«
»Goto hat sich in den USA eine neue Leber implantieren lassen? Wie in aller Welt ist es denn dazu gekommen?«
»Ich dachte, Sie interessieren sich für Kajiyama?«
»Ja, aber wenn Goto, der Pate des japanischen Verbrechens, sich in Amerika einer Lebertransplantation unterzogen hat ... Wahnsinn. Wo denn?«
»In Los Angeles. Universitätsklinik. UCLA. Dumont.«
»Dumont. UCLA – alles klar.«
»Wie dem auch sei, folgen Sie dieser Vegas-Spur. Die ist bestimmt gut. Vielleicht können Sie dabei ja eine Reise nach Vegas auf Firmenkosten herausschlagen.«
»Kajiyama ist also ganz sicher in der Organisation, oder?«
»Haben Sie vielleicht einen Exkommunikationsbrief herumschwirren sehen? Wenn Sie nicht rausgeworfen werden, dann sind Sie noch Mitglied. So läuft das. Er ist jetzt ein Albatros. Brockt der Organisation eine Menge Ärger ein. Alle wussten, dass es so kommen würde. Darum haben sie ihn vor zwei Jahren schon von ihrer Liste gestrichen. Niemand will schriftliche Spuren hinterlassen.«
»Wie viel Geld hatte Kajiyama im Kasino?«
»Etwa vier Millionen Dollar in zwei Kasinos. Vielleicht noch eine Million auf amerikanischen Bankkonten. Er hatte zwei Millionen Dollar in bar hier im Büro des ›MGM Grand‹ deponiert. Nicht schlecht, oder?«
»Wie zum Teufel kommt man in Japan an zwei Millionen amerikanische Dollar?«
»Man
braucht nur viele Lakaien mit viel Zeit. Wenn Sie die Spur des
Geldes finden wollen, dann suchen Sie in Ihrer Heimat,
Jake-san.«
Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Das hörte sich nach einem
echten Knüller an. Und es war einer, der mein Leben verändern
sollte.
Wir plauderten noch eine Stunde. Ich erkundigte mich nach seinen Eltern, er fragte nach meiner Familie, und ich zeigte ihm ein paar Bilder. Doch als ich ihn fragte, welche Rolle die Yamaguchi-gumi bei Kajiyamas Aktivitäten gespielt habe, schwieg er.
Um fünf Uhr morgens kam ich schließlich nach Hause. Es gelang mir, etwa eine Stunde zu schlafen, bevor Beni mich weckte, auf mir herumkrabbelte und die Finger in meine Nase steckte. Ich konnte heute den ganzen Tag mit meiner Familie verbringen, es war wie ein Feiertag.
Am Dienstag
– ich hatte noch niemandem von meinen Informationen erzählt – rief
ich einen Freund, dem ich vertrauen konnte, beim FBI in Washington
an. Er bestätigte, was Zyklop gesagt hatte. Die Tokioter Polizei
sei bereits in Las Vegas gewesen und habe dort zwei Millionen
Dollar beschlagnahmt, die aus dem Büro des »MGM Grand« in Tokio
stammten. Der Betrag stimmte mit
Zyklops Angaben überein. Mehr wollte er mir zwar nicht verraten,
aber das reichte aus, um guten Gewissens Chuckles und Harry zu
informieren.
Chuckles war überrascht. »Stimmt das? Woher hast du das alles?«
Da ich es besser fand, meinen Informanten bei der Yamaguchi-gumi nicht zu nennen, gab ich als Quelle das FBI an, was zumindest teilweise ja stimmte. Chuckles wollte sofort einen Artikel schreiben, aber ich schlug vor, zuerst mit Harry Potter zu sprechen.
Harry lag auf dem Sofa und versuchte, die Beilage in der Mitte der Weekly Gendai zu öffnen, als Chuckles und ich zu ihm kamen. Während er zuhörte, wurde er immer aufmerksamer, denn ihm war klar, dass es sich hier um einen netten kleinen Knüller handelte – vor allem deshalb, weil das Bargeld schon beschlagnahmt worden war. Dann tat er etwas, was er selten tat: Er nahm seine Brille ab, polierte sie und lächelte. Er lächelte so breit, dass man seine Zähne sah.
»Jake, vielleicht bist du doch nicht so nutzlos, wie ich dachte«, meinte er dann. Das war ein richtig großes Kompliment, und ich bin sicher, dass ich strahlte oder rot wurde. Dann holte er seinen Stellvertreter, und wir gingen zu viert in ein chinesisches Restaurant mit einem privaten Speisesaal, in dem wir das weitere Vorgehen besprachen. Harry bat mich, dem FBI so viele Informationen zu entlocken wie möglich. Er und sein Vertreter würden dann versuchen, sie von der Polizei bestätigen zu lassen. Chuckles musste sich vorläufig zurückhalten. Sie war unser Ass und sollte mit dem Polizeichef über unseren Knüller verhandeln. Damit er ihr gewogen blieb, würde sie jedes ungebührliche Herumschnüffeln und Auf-den-Schlips-Treten mir in die Schuhe schieben.
»Sag ihm, Jake habe es von der CIA gehört«, schlug Harry vor. »Es halten ihn ohnehin alle für einen Agenten. Sag ihm, dass Jake ausgerastet sei und dass er die diffizile Beziehung zwischen der Polizei und den Polizeireportern nicht versteht. Überzeug ihn davon, dass wir den Knüller brauchen, weil Jake sonst ohne uns über den Fall schreiben wird – und wer weiß, was er dann alles enthüllen würde und wie sehr er den Ermittlungen schaden könnte. Das sollte ihn doch zugänglich machen.«
Dann wandte
Harry sich an mich: »Tut mir leid, Jake. Der Polizeichef wird sauer
sein, aber du musst ja nicht mit ihm arbeiten. Vielleicht werden
einige hohe Tiere behaupten, dass sie wegen dir überstürzt handeln
mussten – was der Polizei wahrscheinlich eine Menge
Publicity verschaffen würde –, aber darüber darfst du dich nicht
aufregen.«
»Werde ich nicht.«
»Außerdem bist du Jude. Da musst du doch daran gewöhnt sein, für alles verantwortlich gemacht zu werden.«
Innerhalb
weniger Tage hatten wir alles, was wir brauchten. Ich schloss einen
Handel mit einem Lokalreporter in Las Vegas ab, der für mich
recherchierte und im Gegenzug dafür Informationen von mir erhielt.
Ich bestand darauf, zuerst einen Artikel in Japan zu
schreiben, danach sollte er in Vegas seine Schlagzeile bekommen.
Der Zeitunterschied und die Tatsache, dass nur einer von zehn
Millionen Amerikanern japanische Zeitungen liest, machten diese
Vereinbarung möglich.
Kajiyama war ein »Wal«. So nennt man in Vegas Prominente, die viel Geld ausgeben. Er frequentierte Vegas seit über zehn Jahren, besaß sowohl im Kasino als auch bei einer kalifornischen Bank Konten und hatte Geld in den USA abgehoben. Infolge eines Hinweises der amerikanischen Behörden hatte die Tokioter Polizei seit dem Sommer Beamte in die USA geschickt, um Kajiyamas Transaktionen zu untersuchen. Das Heimatschutzministerium, die Aufsichtsbehörde für Spielbanken und das FBI ermittelten gegen ihn wegen des Verdachts, in den USA Geld gewaschen zu haben. Das ›MGM Grand‹ erklärte sich scheinbar zu einer Unterstützung der Polizei bereit.
Chuckles traf eine Vereinbarung mit dem Polizeichef: Unser Knüller über Kajiyama und Vegas sollte zuerst veröffentlicht werden, dann konnte die Polizei publik machen, dass sie auf Kajiyamas Konten in Tokio mehr als zwei Millionen Dollar beschlagnahmt hatte, wahrscheinlich die illegalen Profite seiner Wuchergeschäfte. Dann durften wir darüber berichten. Danach würde die Polizei Kajiyama erneut festnehmen, diesmal wegen des Verstoßes gegen das japanische Gesetz gegen Geldwäsche, während wir über die Ermittlungen des FBI wegen der Geldwäsche in den USA schreiben konnten.
Harry amüsierte sich sehr über die Idee, einen Artikel mit der Überschrift »Ein Wal namens Kajiyama« zu schreiben.
Mitte November erschien dann die Schlagzeile: »Zwei Millionen Dollar aus dem Bankschließfach des Kaisers der Kreditwucherer beschlagnahmt.« Danach folgten Artikel über die Ermittlungen des FBI und über Kajiyamas Glücksspiel in Vegas. Wir hatten damit drei Knüller hintereinander, und die Konkurrenz rotierte.
Als ich mit einem Reporter aus Las Vegas sprach, erfuhr ich, dass die Aufsichtsbehörde für Spielbanken in Nevada sich öffentlich zu dem Fall geäußert hatte. Das war eine große Erleichterung für mich, denn egal wie viele Fakten ein Reporter auch sammelt, es ist immer ein großes Risiko, einen Artikel zu veröffentlichen, ohne eine amtliche Verlautbarung in der Hand zu haben. Und der Erfolg eines Knüllers wog bei Weitem nicht die Strafe auf, die eine eventuelle Falschmeldung nach sich zog. Als die Polizei dann einen von Kajiyamas Handlangern verhaftete, der mehr als eine Million Dollar von Kajiyamas Konto abgehoben hatte und viele Male mit Diplomatenkoffern voller Bargeld in die USA gereist war, verspürte ich eine gewisse Zufriedenheit.
Zur Feier des Tages lief ich anderthalb Meilen in weniger als zwölf Minuten. Das war ein Anfang. Außerdem ging ich früh nach Hause, was ungewöhnlich war. Ich holte meine Tochter von der Vorschule ab, und Beni, Frau Adelstein und ich aßen zusammen – ein seltenes Ereignis.
Einige Wochen später wurde unsere Begeisterung etwas gedämpft, als sich herausstellte, dass Kajiyama mehr als 50 Millionen Dollar bei einer schweizerischen Bank deponiert hatte. Ein japanischer Angestellter der Credit Suisse hatte ihm dabei geholfen. 50 Millionen Dollar waren doch eine Menge mehr als einige Millionen. Die Schweizer froren sein Konto ein.
Yakuza lieben ausländische Banken. Und die Credit Suisse war nicht die erste ausländische Bank, bei der sie Geld gewaschen hatten. Die Citibank verlor im September 2004 ihre Lizenz als Privatbank in Japan unter anderem deshalb, weil die Yakuza sie angeblich benutzt hatten, um Geld zu waschen. Ein Polizeibeamter, der mit dem Fall vertraut war, erklärte, einer der größten Kunden dieser Bank sei Saburo Takeshita, geschäftlich ein Blutsbruder von Tadamasa Goto persönlich. Ein weiterer Informant behauptete, ein anderes großes Tier in der Yamaguchi-gumi habe ein Konto bei der Citibank – auf seinen eigenen Namen. Ich kenne mehrere ausländische Investmentgesellschaften, die heute noch mit Yakuza zusammenarbeiten, aber da ich nicht genug Geld habe, kann ich es mir nicht leisten, Namen zu nennen. (Übrigens hat die Citibank aus der Sache nichts gelernt. Die japanische Regierung bestrafte sie auch im Jahr 2009 wegen ähnlicher Vorkommnisse.)
Als die Spur in die Schweiz führte, übernahmen Chuckles und Harrys Stellvertreter den Fall. Geldwäsche war zu viel für mein kleines Gehirn, und mich interessierten vor allem Goto Tadamasa und seine mysteriöse Lebertransplantation.
Nicht alles Geld, das Kajiyama bei amerikanischen Spielbanken in Tokio deponiert hatte, wurde beschlagnahmt. Etwa zum Zeitpunkt seiner Festnahme rief einer seiner Handlanger einen Verantwortlichen des Caesars Palace in Tokio an und ließ sich eine Million Dollar in bar bringen. Das Geld wurde an einem Parkplatz mitten in Tokio übergeben – was für ein Service.
Kajiyama legte nie ein Geständnis ab. Am 9. Februar 2005 wurde er zu sieben Jahren Schwerstarbeit verurteilt, doch die Gerichte wollten ihn nicht mit einer Geldstrafe in Höhe von fünf Milliarden Yen (50 Millionen Dollar) belegen – der Betrag, den er seinen Kunden gestohlen hatte. Wir waren enttäuscht. Wer konnte da noch behaupten, dass sich Verbrechen nicht lohnen würde? Wahrscheinlich hat Kajiyama noch mehr Geld versteckt, von dem niemand weiß. Er wird seine Strafe absitzen und das Gefängnis als reicher Mann verlassen.
Vor Gericht trat er nicht gerade eindrucksvoll auf, doch er strahlte ein gewisses Charisma aus. Er sieht gut aus und kann sicher sehr charmant sein. Seine diversen Geliebten würden das sicherlich bezeugen. Wahrscheinlich werden sie auf ihn warten – und auf sein Geld.
Kajiyamas Handlanger zerstreuten sich nach seiner Verurteilung, und die Goryo-kai existiert seitdem nicht mehr unter diesem Namen. Einige seiner Jünger betätigten sich in der Folge als Betrüger und hatten damit mehr schlecht als recht ihr Auskommen.
Nach Kajiyamas Prozess wurde das japanische Strafgesetzbuch geändert, die Strafen für Kreditwucher sind viel härter geworden, und es gibt eine eindeutig festgelegte Grenze für die Höhe der Zinsen, die verlangt werden können.