Meine Nacht als Animateur
Man kann Kabukicho als Beispiel für die soziale Verderbtheit des japanischen Lebens betrachten, aber auch als Mikrokosmos menschlicher Beziehungen im Allgemeinen. Clubs mit weiblichen und männlichen Animateuren sind wohl der am meisten missverstandene Aspekt der japanischen Vergnügungsindustrie. Es geht dort nicht um Sex, sondern um die Illusion von Intimität und die erregende Aussicht auf Sex.
Intimität ist in Japan eine Ware, die man selten umsonst bekommt. In den USA ist es nicht anders. Nur bezahlen wir andere Leute.
In den Vereinigten Staaten bezahlen wir Psychiater, Therapeuten, Berater und Trainer dafür, dass sie sich unsere Probleme anhören, unser Selbstvertrauen stärken, so tun, als würden sie uns mögen, und uns gute Ratschläge geben. Freunde tun das zwar kostenlos, aber Freunde ziehen sich gerne zurück, wenn es wirklich Probleme gibt. Viele Japaner halten es für ein Zeichen von Schwäche, zu einem Seelenklempner zu gehen – für das Eingeständnis, ein psychisches Problem zu haben. Darum neigen sie immer noch dazu, auf bezahlte Freundschaften dieser Art zu verzichten.
Als Reporter in Kabukicho lernte ich, dass ein Japaner, der sein Ego – nicht seinen Penis – streicheln lassen, sich ausweinen oder jemandem von seinen Problemen erzählen möchte, nicht nach Hause zu seiner Frau geht, sondern in einen Hostessenclub. Das ist kein Sexclub und auch kein fuzokuten (Club für Singles). Es ist meist eine kleine Bar mit mehreren attraktiven Frauen, die den Gast herzlich begrüßen, sich mit ihm aufs Sofa setzen und mit ihm plaudern, mit ihm Karaoke singen und so tun, als wäre er ihr Liebster oder als wollten sie ihn verführen.
Die Mama-san, die Frau, die eine Hostessen-Bar leitet, ist meist eine ehemalige Hostess, deren Stimme rau geworden ist, da sie jahrelang passiv geraucht, verdünnten Whiskey getrunken und zu wenig geschlafen hat.
Es ist nicht unmöglich, dass eine Hostess sich wirklich mit einem Kunden anfreundet, aber eher selten. Denn damit verliert sie einerseits eine Einnahmequelle, andererseits besteht auch die Gefahr, dass sie andere Kunden abschreckt. Denn die Hostess muss immer so tun, als stünde sie jedem zur Verfügung, um Männer zu einem Liebeswerben zu ermuntern, das eines Tages in Sex gipfeln könnte. Auf dem Weg zu diesem Ziel, das nur wenige regelmäßige Kunden jemals erreichen, gibt ein Mann vielleicht 10 000 Dollar im Jahr für die Hostess aus, da er ihre Getränke bezahlt, Geburtstagsgeschenke kauft und sie gelegentlich zum Essen ausführt.
An einem kühlen Tag im Oktober 1999 hing ich im Revier von Kabukicho herum und plauderte mit einem Polizisten. Er erzählte etwas von einer Razzia in einem Host-Club an diesem Abend. Zunächst verstand ich nicht.
»Sie meinen einen Hostessenclub?«
»Nein. Es ist die gleiche Art Club, aber mit Männern.«
»Also ein Schwulentreff?«
»Nein, in diese Clubs gehen Frauen, und Männer bedienen sie – so wie eine Hostess einen Mann bedienen würde. Sie wissen schon: Komplimente machen, einschenken, flirten, zum Reden und zum Geldausgeben bringen. Schauen Sie sich mal um. Was machen diese tuntigen Burschen in teuren Anzügen und mit langem rotem Haar Ihrer Meinung nach um drei Uhr morgens in Kabukicho?«
Ich hatte angenommen, dass sie auf der Jagd nach Mädchen waren, aber stattdessen brachten sie ihre Opfer in eine Bar, wo sie umsorgt wurden. Als leidenschaftlicher Beobachter gesellschaftlicher Phänomene wollte ich natürlich mehr darüber wissen.
Am Abend schnappte ich mir daher im Polizeidepartement Nojima, einen der höheren Beamten des Sittendezernats, und lud ihn zu einem Bier ein. Er war nicht schwer zu überreden. Aber als ich mitten in der ersten Runde die Razzia an diesem Abend ansprach, war er sauer, da er nicht wollte, dass die Sache vorzeitig bekannt wurde.
»Wir müssen noch zwei andere Lokale durchforsten. Wenn Sie mit dem Artikel einen Tag warten, gebe ich Ihnen einen Exklusivbericht.«
»Einverstanden«, sagte ich freundlich, »aber die Einzelheiten will ich jetzt haben.«
Er sträubte sich zwar noch ein bisschen, doch nach einer Weile rückte er mit den Informationen heraus.
Die Polizei von Shinjuku und das Jugendschutzdezernat in Tokio waren zu der Überzeugung gelangt, Host-Clubs seien ein Nährboden für Jugendkriminalität. Sie hatten schon in vier Clubs eine Razzia durchgeführt, weil sie keine Lizenz besaßen und Jugendlichen den Zutritt erlaubten.
»Früher waren Hostessen die einzigen Frauen, die solche Etablissements besuchten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Und jetzt beobachten wir immer häufiger, dass College-Studentinnen, manchmal sogar Schulmädchen mit Geld, in diese Host-Clubs gehen. Ihnen gefällt die persönliche Zuwendung, und vielleicht sind sie in die Männer dort ein bisschen verliebt, obwohl die ihnen jeden Penny aus der Tasche ziehen. Die Mädchen machen dann sogar Schulden, und irgendwann schlägt der Inhaber der Bar ihnen vor, im Sexgewerbe zu arbeiten, um ihre Schulden abzuzahlen. Einige dieser Typen besitzen ja sowohl Host-Clubs als auch Sexclubs. Manche Mädchen begehen auch Ladendiebstähle, um die Rechnungen bezahlen zu können. Wir wissen, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt.«
Im Juli dieses Jahres hatte die Polizei von Shinjuku einen Anruf von den Eltern einer Schulabbrecherin bekommen. Ein Host-Club in Kabukicho hatte ihrer Tochter eine Rechnung über vier Millionen Yen (rund 38 000 Dollar) präsentiert. Natürlich waren die Eltern wütend.
Die Polizei überprüfte den Club und stellte fest, dass er nicht zugelassen war. Im August nahm sie daraufhin den jungen Besitzer fest, und als sie im September gründlicher nachforschte, stellte sie überrascht fest, dass es 71 solcher Host-Clubs gab. Drei Jahre zuvor waren es noch 20 gewesen. Warum diese starke Zunahme? Nojima meinte, dass die Mädchen eben immer öfter einfach Spaß haben wollten, und die Animateure in den Bars wollten Geld verdienen. Und die Frauen hätten dank der sexuellen Befreiung und ihrer finanziellen Unabhängigkeit keine Mühe, Zuneigung zu kaufen, so wie Männer es tun.
Es war seltsam, soziologische Theorien aus dem Munde eines Polizisten zu hören, andererseits war Nojima kein gewöhnlicher Polizist. Er hatte an der Sophia-Universität Psychologie studiert und war ein diplomierter Berater. Aber er legte Wert auf die finanziellen Motive: Ein guter Host-Club hatte einen Jahresumsatz von umgerechnet mehr als 300 000 Dollar. Nojima riet mir, einen Artikel über Host-Clubs zu schreiben, da die Leute wenig darüber wüssten. Er nannte drei Etablissements, und ich besuchte alle drei. Nach der anfänglichen Verwunderung, dass ein gaijin für die Yomiuri schrieb, waren die Besitzer bereit, mit mir zu reden. Einer lud mich sogar zu einer Nacht als Host ein. Natürlich nahm ich ihn gleich beim Wort.
Zuerst sprach ich mit meinem Redakteur über die Razzien. Er hatte davon noch nichts gehört. Kasama, eine der wenigen Frauen in der Redaktion für Landesnachrichten, half mir, den Artikel aufzusetzen, und überredete die Redaktion, ihn in der nationalen Ausgabe zu drucken.
Der Artikel erschien in der Morgenausgabe der Yomiuri am 6. Oktober, kurz vor der offiziellen Bekanntgabe an diesem Nachmittag. Es war eine nette Schlagzeile.
Einige Abende später zog ich meine besten Sachen an, machte mich mit allem Drumherum sorgfältig zurecht, sodass ich nicht wie ein Englischlehrer oder noch schlimmer ein hungriger Zeitungsjournalist aussah, sondern wie ein Host.
Das »Ai« befand sich in einer der versteckten Gassen Kabukichos nicht weit vom Furinkaikan. Die Fassade war protzig: Neonlichter, beleuchtete Fotos von begehrenswerten Männern und ein goldenes Schild in Blattform mit dem Schriftzug »Ladies’ Club« über dem Eingang. Zwei muskulöse Männer, die Bronzestatuen glichen, bewachten die Eingangstür, auf der das rote Schriftzeichen für ai (»Liebe«) stand. Es war eine Kombination aus teurem Art déco und Esslokalkitsch aus den Fünfzigerjahren.
Nachdem man die Treppe hinabgestiegen war, gelangte man in den Club, der von Kristalllüstern beleuchtet wurde, aber eher dunkel gehalten war. Überall standen runde Plüschsofas. Das Ganze wirkte märchenhaft, weil die Lichter von Bronzestatuen, silbernen Spiegeln und glänzendem Dekor reflektiert werden.
Als ich um sechs Uhr meinen Dienst antrat, unglaublich früh für einen Host-Club, wartete Takeski Aida schon auf mich. Der Eigentümer und Direktor einer Kette von »Ai«-Clubs hatte kurze Locken, einen dünnen Schurrbart und trug eine Sonnenbrille, einen teuren Anzug, der dezent schimmerte, und eine gemusterte Seidenkrawatte, die so eng geknotet war, dass man fürchten musste, sein rundes Babygesicht werde unzureichend mit Sauerstoff versorgt. Mit seinen 59 Jahren strahlte er unbestreitbar einen schwer zu definierenden Charme aus. Er verstand es sehr geschickt, Menschen das Gefühl von Wohlbehagen zu vermitteln.
Aida wurde in der Präfektur Niigata als sechster von neun Brüdern geboren. Als er 20 war, zog er in die Großstadt und begann für eine Bettenfirma zu arbeiten, wo er zu den besten Verkäufern gehörte. Dann gründete er eine Firma, die pleite ging, und eröffnete anschließend ein Perückengeschäft. So lernte er es, Geschäfte mit Frauen zu machen.
Danach fand
er eine Stelle in einem Host-Club. Ein Jahr später warb ihn ein
anderer Club ab, und nach ein paar weiteren Jahren stellte ihn der
größte Host-Club der Stadt ein. Offenbar hatte Aida Talent. Er
gründete schließlich das »Ai«, das sich bald zum Vorbild aller
Host-Clubs entwickelte. In den folgenden Jahren schuf Aida ein
kleines Imperium aus Host-Clubs, Kneipen und Bars. Das »Ai« gehörte
so sehr zu Kabukicho, dass es sogar in das Programm von
Busrundfahrten für Landfrauen im mittleren Alter aufgenommen wurde.
Zu der Zeit, als Aida mich für eine Nacht anheuerte, arbeiteten
etwa
300 Männer in fünf Clubs für ihn. Außerdem hatte er ein Buch über
die Leitung eines Betriebes geschrieben (und seine Frau hatte ein
Buch über die Freuden und Gefahren einer Ehe mit einem
professionellen Animateur veröffentlicht).
Aida war
gerne bereit, mit mir über sein Geschäft zu sprechen.
»Früher waren Host-Clubs Lokale, in denen Frauen mit attraktiven
jungen Männern tanzen konnten. Heute kommen viele Frauen hierher,
weil sie einsam sind. Sie lernen nirgends einen netten Kerl kennen,
aber sie wünschen sich jemanden, der mit ihnen redet und ihnen
zuhört. Sie brauchen eine Schulter zum Ausweinen, jemanden, der mit
ihnen fühlt. Die menschliche Note eben. Manche fragen sogar um Rat,
wie sie mit ihren ungeschickten Freunden umgehen sollen. Andere
wollen nur tanzen. Frauen mögen Animateure, die sie zum Lachen
bringen, witzige Bemerkungen machen oder über die neuesten
Fernsehshows reden können. Die beliebtesten Animateure sind nicht
unbedingt die attraktivsten. Ein guter Animateur ist ein guter
Zuhörer, Unterhalter und Berater, und er weiß, wann er einer Dame
einen Drink einschenken muss.«
Ja, in diesen Clubs schenkten die Männer den Frauen ein. Und das war ungewöhnlich. In Japan wird erwartet, dass untergeordnete oder jüngere Leute ihren Vorgesetzten oder den Älteren einschenken. Eine unausgesprochene Regel lautet: Wenn Frauen anwesend sind, bedienen sie die Männer. Darum ist es für eine Japanerin natürlich ungewohnt und aufregend, von Männern bedient zu werden.
»Aber ein
guter Animateur muss auch wissen, wie viel Geld eine Kundin
ausgeben kann. Man darf Kundinnen nicht in den Ruin treiben oder in
finanzielle Schwierigkeiten bringen. Das würde nur eine Menge Ärger
verursachen – für alle. Die neuen Host-Clubs haben junge, süße
Männer, die Kundinnen in die Clubs locken. Sie versprechen ihnen
billige Getränke und lassen jede ins Haus – sogar Betrunkene, weil
sie leichte Opfer sind. Die Frauen machen dann
oft Schulden, und dann kommen die Kredithaie. Die
wirklich schlimmen Clubs sind im Grunde eine Fassade für das
organisierte Verbrechen.
Meinen Club gibt es schon lange, die Bücher sind in Ordnung, wir zahlen unsere Steuern, und wir sind bei der Polizei registriert, sodass die Yakuza uns nicht erpressen kann. Aber die neuen Host-Clubs sind gefährdet, weil sie keine Lizenz besitzen. Sie sind leicht zu erpressen und werden so zu Geldmaschinen für die Yakuza. Die Host-Clubs der Yakuza sind gar keine wirklichen Host-Clubs, eher Zuhälterclubs. Sie wollen aus den Kundinnen Nutten und Schuldsklavinnen machen.
Warum aber sind die Host-Clubs so beliebt? Wegen der Männer – attraktive, charmante Männer, die wissen, was Frauen wollen. Das ist der Grund. Einige der Frauen stellen sich vor, reich zu sein und mit dem Animateur schlafen zu dürfen, und sie zahlen dafür, dass ihre Fantasien lebendig bleiben. Sie unterscheiden sich nicht von den Männern, die in Hostessenclubs gehen und dort eine Menge Geld ausgeben. Sie träumen vom Sex mit dem Objekt ihrer Begierde.
Den meisten Frauen können wir die perfekte Gesellschaft anbieten. Sie können einen Abend damit verbringen, von einem gut aussehenden Mann verwöhnt zu werden, ohne dabei die Last einer Beziehung tragen zu müssen. Der Animateur ist immer verfügbar, er wird sie nie versetzen. Es ist eine vorgetäuschte Romanze, und manche Frauen lieben das.«
Eine sehr elegante Frau Ende 40 in einem schwarzen Kostüm setzte sich neben Aida, während wir uns unterhielten. Sie holte still eine Zigarette aus ihrer Handtasche. Kaum steckte die Zigarette zwischen ihren Lippen, zündete Aida sie mit einem Feuerzeug an. Dann stellte er mich der Dame vor, und sie reichte mir die Hand, die ich nahm und küsste, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Aida lächelte mir anerkennend zu.
Dann plauderten wir weiter, und Aida holte Getränke für uns von der Bar.
Ich will
ehrlich sein. Natürlich hatte ich mir in meiner Fantasie
vorgestellt, dass ich schon kurz nach dem Eintreffen im Club von
schönen Frauen umringt sein würde, deren Zigaretten ich anzündete
und denen ich das Gefühl vermittelte, begehrenswert zu sein.
Selbstverständlich waren sie von meinem Gaijin-Charme
und meinem geschickten Umgang mit den Nuancen der japanischen
Sprache fasziniert. Ich konnte sie mit Geschichten über meine
Karriere unterhalten, und sie würden gebannt lauschen, mich um
meine Visitenkarte bitten und insgeheim meinen Körper begehren. In
Wirklichkeit wurde ich mehr oder weniger ignoriert. Die Frauen, die
einen Host-Club besuchen, sind wohl eher an einem attraktiven
Japaner interessiert, nicht an
einem trotteligen amerikanischen Juden im teuren Anzug.
Immerhin schenkte ich einer philippinischen Hostess Getränke ein und hörte einer Hausfrau zu, die sich über ihren Mann beklagte, während ich ihr immer wieder Zigaretten anzündete, die sie im Eiltempo wegrauchte. Die meiste Zeit aber unterhielt ich mich mit anderen Animateuren, die Kaffeepause machten.
Kazu, 29, hatte für einen Pharmakonzern gearbeitet. »In gewisser Weise«, erklärte er mir, »appellierst du an ihren Mutterinstinkt. Du behandelst sie wie Königinnen, und wenn sie dich mögen, dann wirst du ihr Liebling, ihre Nummer eins.
Ich liebe diesen Job. Ich verdiene 600 000 Yen (rund 6000 Dollar) im Monat, die Geschenke ausgenommen, die ich bekomme. Eine Frau kaufte mir zum Beispiel diese vergoldete Rolex. Und ich glaube, dass die Frau eines Bankiers, die scharf auf mich ist, mir zum Geburtstag ein Auto schenken wird. Am besten sagst du den Kundinnen schon bald, wann du Geburtstag hast. Eigentlich bevorzuge ich Bargeld, meist bekommt man aber teure Designerware. Einige Sachen verpfände ich, aber Kleider und Uhren – nun ja, sie erwarten, dass du sie auch trägst.
Mariko ist Direktorin einer Firma für Herrenunterwäsche – eigentlich lustig, weil die meisten ihrer Kunden schwul sind und sie mich dafür bezahlt, ihr Getränke einzuschenken. Sie hat mir zum Geburtstag eine Patek Philippe geschenkt. Sauteuer, aber ein verdammt protziges, mit Diamanten besetztes Ding. Sie versteht nichts von Uhren, sieht nur den Preis. Ich habe daher in Hongkong ein gutes Imitat gekauft und das Original versetzt. Wenn sie kommt, lege ich schnell die falsche Uhr um.
Ich finde aber nicht, dass ich sie oder eine andere dieser Frauen ausnutze. Denn ich erfülle ihre Träume. Es ist, als hätten sie eine Affäre mit mir, obwohl wir nicht miteinander schlafen. Sie sind glücklich, wenn ich es bin. Und wenn alle glücklich sind, schadet das niemandem. Niemand täuscht etwas vor. Sie wissen genau, dass ich nur so lange ihr Freund bin, wie das Geld fließt.«
Hikaru, 25, geboren in Kobe, hatte schon mit 18 Jahren angefangen. Er war knapp 1,90 Meter groß und ein Prachtstück von einem Mann. Hiraku sah immer aus, als käme er gerade aus einem Solarium. Seine Nägel waren manikürt, seine Zähne perfekt und weiß, und sein Anzug kostete wahrscheinlich mein Monatsgehalt.
Vielleicht langweilte er sich ja in seinem Job, denn er wollte alles über mein Leben als Reporter wissen und fragte mich sogar, ob man ohne Studium Journalist werden könne. Aber darben musste er als Animateur wohl nicht. Gutes Aussehen war in seinem Beruf wichtig, und er sah gut aus.
»Manchmal«, sagte er, »suche ich mir einen Schauspieler aus, dem ich ähnlich sehe, und imitiere ihn. Dann hat die Kundin das Gefühl, mit einem Star zu flirten. Aber meist gebe ich mich als Juradoktorand an der Tokioter Universität aus, der sich hier seine Studiengebühren verdienen möchte. Dann hat die Kundin das Gefühl, auch etwas Soziales zu tun, nicht nur etwas für meine Brieftasche. Vielleicht träumt sie ja davon, eines Tages ihren Freundinnen von einem berühmten Anwalt erzählen zu können, der als Animateur gearbeitet hat und dessen Lieblingskundin sie war.
Du musst den Frauen die richtigen Komplimente machen, die üblichen Phrasen bringen nichts. Wenn sie sich alt fühlen, hast du etwas falsch gemacht. Sag einer Frau, dass ihre Haut makellos ist. Dass ihr Gesicht strahlt, wenn sie lächelt. Wenn sie Sommersprossen hat, fragst du, ob sie ein wenig europäisches Blut hat. Manche Frauen mögen es, wenn man sie nicht für reine Japanerinnen hält. Wenn du ihnen ganz besondere Komplimente machst, dann leuchten ihre Augen auf. Ich glaube, dass alle Frauen ihre Reize haben, man muss sie nur suchen und finden.
Ich ziehe Frauen in den Dreißigern vor. Mit denen kann man sich gut unterhalten. Wenn die Frau sehr lustig ist und viele Witze reißt, dann redest du am besten über etwas Ernstes. Und umgekehrt. Das zeigt, dass du auch ihre verborgene Seite erkennst.
Du musst in der Lage sein, mit Kundinnen über fast alles zu reden, sogar darüber, in welche Schule sie ihre Kinder schicken sollen. Ich habe vier Frauenzeitschriften abonniert, damit ich weiß, was sie bewegt. Sie unterhalten sich auch gerne über Fernsehprogramme, aber weil ich keine Zeit zum Fernsehen habe, halte ich mich mit Zeitschriften auf dem Laufenden.
Das Aussehen ist in diesem Geschäft natürlich am wichtigsten. Ich weiß, dass ich begehrenswert aussehen muss. Deshalb gehe ich viermal in der Woche ins Fitnessstudio, trainiere mit Gewichten, mache Aerobic und schwimme, damit ich schlank und fit bleibe. Die meisten Frauen mögen keine dicken Muskelpakete, sondern bevorzugen den Körperbau eines Tennisspielers. Ich benutze Hautpflegeprodukte und ein warmes Handtuch, bevor ich mich rasiere, damit meine Haut möglichst glatt aussieht. Manche Männer sehen mit kurzen Stoppeln ja gut aus, aber ich gehöre nicht zu ihnen. Frauen machen mir andauernd Komplimente wegen meiner Haut und meines Aussehens.
Ich verdiene etwa eine Million Yen (rund 10 000 Dollar) im Monat. Das ist viel, aber ich habe auch viele Unkosten. Ich brauche eine schöne Wohnung, muss mich immer schick anziehen und den Kundinnen Geschenke machen. Das alles zahle ich aus eigener Tasche, und die Geschenke dürfen nicht billig sein. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich umso weniger Geld habe, je mehr Kundinnen ich habe. Trotzdem schaffe ich es, monatlich 400 000 Yen (4000 Dollar) zu sparen. Und das ist mehr, als viele Leute verdienen. Ich kann mich also wirklich nicht beklagen.
Leider gefällt meinen Eltern nicht, was ich mache, obwohl ich es nicht ewig machen will. Denn man hat kein Privatleben, jeder Tag ist wie Sommerurlaub, aber man hat keine echte Freiheit. Den größten Teil der Freizeit verbringt man damit, auf Kundinnen zu warten. Manchmal geht man dann mit einer Frau einkaufen, ein andermal zu einem Ferienort.
Es ist schwer, dabei eine Freundin zu haben. Denn Mädchen schätzen es nicht, mit einem Kerl zusammen zu sein, der als Animateur arbeitet. Das verstehe ich auch. Woher soll sie denn wissen, ob ich die Wahrheit sage oder nur schauspielere? Manchmal weiß ich es selbst nicht genau. Hin und wieder wende ich wirklich jeden Trick an, um sie rumzukriegen, auch wenn ich das Mädchen wirklich gern habe.«
Unser Gespräch wurde unterbrochen, als eine von Hikarus Kundinnen den Club betrat. Er stand auf, um sie zu begrüßen, und auf seinem Gesicht lag ein strahlendes, aufrichtiges Lächeln. Michiko, die ein grünes Kleid trug, hatte das Haar nach hinten frisiert und mit einem schwarzen Samtband zusammengebunden. Sie war elegant und ruhig.
Hikaru stellte mich ihr vor. Wir tauschten die üblichen Floskeln aus, und nachdem sie festgestellt hatte, dass ich japanisch sprach, bat sie mich um eine Zigarette. Ich bot ihr eine an und gab ihr leicht zitternd Feuer. Sie inhalierte, schloss die Augen und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Etwa zehn Sekunden lang sagte sie nichts. Hikaru zwinkerte mir zu.
Als Michiko die Augen öffnete, rief sie: »Die schmecken so süß. Und sie riechen fast wie Weihrauch. Woher kommen die denn?«
»Aus Indonesien«, antwortete ich. »Es sind indonesische Nelkenzigaretten.«
»Die schmecken mir. Kommen Sie aus Indonesien?«
»Aus Amerika. Mein Gesicht ist schwer einzuordnen.«
»Aber es ist ein hübsches Gesicht.«
»Längst nicht so hübsch wie Ihres.«
Dieses Kompliment brachte Michiko zum Kichern. Und Hikaru hob eine Augenbraue und lächelte.
Als Michiko die Zigarette erneut an die Lippen führte, fuhr ich fort: »Sie haben schöne Hände. Ihre Finger sind so lang und geschmeidig, zart und doch stark. Spielen Sie vielleicht Klavier?«
Daraufhin brach Michiko in Gelächter aus und klopfte Hikaru auf die Knie. »Dein Freund kann gut beobachten. Oder hast du es ihm gesagt?«
Hikaru schüttelte den Kopf und äußerte lustige Dementis.
Jetzt war das Eis endgültig gebrochen. Michiko, Hikaru und ich plauderten eine Weile, dann verabschiedete sich Michiko. Es war fast vier Uhr morgens, und das Lokal füllte sich allmählich. Die neuen Gäste waren anscheinend zum größten Teil Hostessen, die jetzt Feierabend hatten. Alle waren elegant gekleidet und viele ziemlich beschwipst, einige sogar laut. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass Hostessen nach ihrer Arbeit noch in einen solchen Club gehen würden. Andererseits machte es irgendwie auch Sinn.
Ich hätte die Stoßzeit nach fünf Uhr noch abwarten können, aber schließlich musste ich auch an meinen Tagesjob denken. Als ich meine Sachen packte, fragte mich Hikaru, ob ich ihm den Rest meiner Zigaretten überlassen wolle. »Klar«, sagte ich und fügte dann hinzu: »Und, wie war ich?«
»Du bist charmant, aber du machst einen großen Fehler. Du willst lieber über dich reden, anstatt anderen zuzuhören. Andererseits sind deine Geschichten interessant, darum ist es vielleicht kein Nachteil. Außerdem bist du ein Unikum und einigermaßen amüsant, und das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Die Nelkenzigaretten sind eine nette Zugabe. Sie riechen gut und sind etwas Besonderes, und sie machen dich unvergesslich. Vielleicht rauche ich in Zukunft auch die.«
Dann meinte er noch, dass ich ja immer noch als Animateur arbeiten könne, wenn ich den Journalismus jemals satt haben sollte. Ich lachte, dankte ihm und verabschiedete mich von allen Anwesenden. Aida überreichte mir ein paar Gutscheine und beschwor mich, doch in Begleitung von Kolleginnen wiederzukommen. Ich kam zwar nicht wieder, aber meine Kolleginnen haben sich gut amüsiert.
Fast zehn Jahre später sieht Kabukicho nicht mehr so aus wie früher, aber es ist immer noch ein ziemlich zwielichtiger Ort. Bekanntschaften, Gefahren, Abenteuer und erotische Erfüllung sind der Lohn, wenn man weiß, an welche Tür in welchem Stockwerk man klopfen muss. Aber das alles riecht nach Einsamkeit.
Tokio ist eine der am dichtesten bevölkerten Städte der Welt. Trotzdem – oder gerade deshalb – haben viele niemanden, dem sie vertrauen, niemanden, dem sie ihre Geheimnisse, Sorgen oder Enttäuschungen offenbaren können.
Natürlich lockt unterschwellig immer die Verheißung, dass Sympathie und Champagner zu Sex führen könnten. Dennoch sind die eigentlichen Motive für die Treffen in den Clubs Entfremdung, Langeweile und Einsamkeit.