Begrabt mich in einer flachen
Grube – wenn die Yakuza kommen

Die Geschichte der Yakuza ist düster. Es gibt zwei Haupttypen: die tekiya, das sind im Wesentlichen Straßenhändler und kleine Trickbetrüger, und die bakuto, ursprünglich Spieler, aber heute auch Kredithaie, Schutzgelderpresser, Zuhälter und Firmenplünderer. Fast die Hälfte der Yakuza sind Japaner koreanischer Herkunft, und viele sind Kinder von Koreanern, die als Zwangsarbeiter nach Japan verschleppt wurden. Ein weiterer großer Teil besteht aus dowa, der ehemaligen Kaste der Unberührbaren, die Tiere schlachteten, Lederwaren herstellten und andere als unrein geltende Tätigkeiten ausübten. Obwohl das Kastensystem längst der Vergangenheit angehört, sind die Vorurteile gegenüber den dowa geblieben.

Es gibt 22 offiziell anerkannte Yakuza-Gruppen in Japan. Die großen drei sind die Sumiyoshi-kai mit 12 000 Mitgliedern, die Inagawa-kai mit 10 000 Mitgliedern und die Yamaguchi-gumi mit 40 000 Mitgliedern und mehr als 100 Untergruppen. Jede Gruppe muss Monatsbeiträge zahlen, die an die Spitze der Organisation fließen. Die Zentrale der Yamaguchi-gumi nimmt somit jeden Monat allein dadurch mehr als 50 Millionen Dollar ein, und das ist noch zurückhaltend geschätzt. Begonnen hat die Yamaguchi-gumi als Hafenarbeitergewerkschaft in Kobe. Im Chaos nach dem Zweiten Weltkrieg breitete sie sich dann in die Industrie aus. Japans Polizeibehörde schätzt, dass die Verbrechersyndikate des Landes, einschließlich der Yamaguchi-gumi, aus 86 000 Gangstern bestehen und somit viel größer sind als die amerikanische Mafia auf dem Gipfel ihrer Macht.

Die Yakuza sind wie eine Familie strukturiert. Neue Mitglieder schwören dem Vater, dem oyabun, Treue. Bindungen werden gefestigt durch rituellen Sake-Austausch und die Gründung von Bruderschaften. Geschäftsleute dürfen kigyoshatei, also Unternehmensbrüder werden. Jede Organisation ist wie eine Pyramide aufgebaut.

Die heutigen Yakuza sind findige Unternehmer, eher »Geschäftsleute mit Gewehren« als ein Haufen tätowierter Strolche in weißen Anzügen, die Samuraischwerter schwingen. Ein Bericht der Nationalen Polizeibehörde warnte 2007 vor Yakuza, die ins Wertpapiergeschäft eingestiegen seien und Hunderte von börsennotierten Firmen infiltriert hätten: »Dieses Übel wird die Grundfesten der Wirtschaft erschüttern.« Laut der Übersicht über die japanische Polizei, einem Dokument in englischer Sprache, das die Polizeibehörde im August 2008 an ausländische Polizeibehörden verteilt hat, sind die »Boryokudan (Yakuza) eine enorme Bedrohung für das öffentliche Leben und das unternehmerische Handeln. Sie begehen verschiedene Verbrechen, um Geld zu beschaffen, wobei sie in die legale Wirtschaft eindringen und vorgeben, legale Geschäfte zu betreiben. Zu diesem Zweck gründen sie Firmen, die sie selbst führen, oder sie arbeiten mit anderen Firmen zusammen.«

Die Yakuza haben in Japan seit Langem einen ganz ambivalenten Status. Wie ihre italienischen Vettern haben sie starke, wenn auch verschleierte Verbindungen zu der Regierungspartei, in Japan also zu der Liberaldemokratischen Partei (LDP). Robert Whiting, der Autor von Tokyo Underworld, und andere Experten weisen darauf hin, dass die LDP sogar mit Yakuza-Geld gegründet wurde. Dies ist ein derart offenes Geheimnis, dass es sogar Comics gibt, die davon handeln. Premierminister Koizumi Junichiros üppig tätowierter Großvater war Mitglied der Inagawa-kai. Er diente als Minister und hieß bei seinen Wählern irezumidaijin (»der tätowierte Minister«). Da die Yakuza Streitigkeiten früher weitestgehend unter sich austrugen und die Familien anderer Gangster oder die von »Nichtmitstreitern« nicht behelligten, waren sie vor dem Zorn der Bürger und der Aufmerksamkeit der Polizei sicher. Sie galten eher als »notwendiges Übel« oder gar »zweite Polizei«, die Japans Straßen von Räubern und gewöhnlichen Dieben säuberte. Trotzdem galten sie immer auch als Gesetzlose.

Diese Ambivalenz hätte 1992 enden sollen, als die Regierung zur Strafe für die Exzesse der Yakuza während der Blütezeit in den Achtzigerjahren ein strenges Gesetz gegen das organisierte Verbrechen beschloss. Damals stiegen die Kriminellen massenhaft in den Immobilienhandel und andere legale Geschäfte ein. Doch der Staat hat die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung immer noch nicht für illegal erklärt, und die Polizei verfügt immer noch nicht über die Hilfsmittel, die in anderen Ländern im Kampf gegen die Mafia als unentbehrlich gelten: Telefonüberwachung, mildere Strafen für Geständige und Zeugenschutzprogramme.

Es ist auch unwahrscheinlich, dass die japanische Polizei demnächst solche radikalen Maßnahmen gegen die Yakuza ergreifen darf. Die Organisation ist in mancher Hinsicht stärker denn je, obwohl die ersten Gesetze gegen sie schon vor beinahe 17 Jahren verabschiedet wurden.

Die Yamaguchi-gumi besitzt ein Grundstück, das von hohen Mauern umgeben ist, in einem der reichsten Teile von Kobe. Sie besitzt Immobilien, und es gibt keine Möglichkeit, sie daraus zu vertreiben. Das liegt natürlich daran, dass sie in Japan als legale Organisation gilt. Ihre Mitglieder haben die gleichen Rechte wie normale Bürger, und die verschiedenen Gruppen gelten als Vereine – wie der Rotary Club. Selbst wenn ihr das Gebäude nicht gehört, in dem sie Büros eingerichtet hat, sondern nur gemietet ist, ist es nahezu unmöglich, Verträge zu kündigen. Der Verband der Anwälte in Nagoya empfiehlt daher Firmen und Vermietern, in jeden Vertrag eine Klausel aufzunehmen, die eine Kündigung erleichtert, wenn die Mietpartei dem organisierten Verbrechen angehört. Nagoya ist der Sitz der Kodo-kai, der führenden Fraktion der Yamaguchi-gumi, mit etwa 4000 Mitgliedern.

Die Probleme mit dem organisierten Verbrechen sind in Nagoya so groß, dass der Anwaltsverband 2001 ein Handbuch mit dem Titel Die wichtigsten Firmen des organisierten Verbrechens – Wesen und Umgang herausgab. Es gibt einige Rechtsanwälte, die sich auf Verfahren gegen Yakuza spezialisiert haben.

Die Tokioter Polizei stellte 2006 eine Liste mit den Namen von rund 1000 Tarnfirmen der Yakuza in und um Tokio zusammen.7 Etwa ein Fünftel von ihnen sind Immobilienfirmen. Die neueste Liste zeigt, dass die Yakuza sich jetzt noch häufiger mit Wertpapieren, Wirtschaftsprüfung, Finanzberatung und ähnlichen Tätigkeiten beschäftigen.

1998 brachte die Nationale Polizeibehörde einen Bericht heraus, der die Tarnfirmen der drei wichtigsten Mafiagruppen in Japan behandelt und belegt, dass die Yakuza sich vor allem für Immobilien, Finanzwesen, Bars, Restaurants und Unternehmensberatung interessiert.

Manche Polizisten in Tokio benutzen sogar das Wort Makler als Synonym für Yakuza. So eng sind deren Verbindungen mit dem Immobiliengeschäft. Im März 2008 stellte sich heraus, dass die Suruga Corporation im Laufe mehrerer Jahre mehr als 14 Milliarden Yen (146 Millionen Dollar) an Mitglieder der Yamaguchi-gumi und Goto-gumi bezahlt hat, damit diese Mieter aus Häusern verjagten, die sie kaufen wollte. Der darauf folgende Skandal führte dazu, dass die Firma von der Börse ausgeschlossen wurde. Ein erneuter Beweis dafür, wie eng die Beziehungen zwischen Yakuza und der Immobilienbranche sind.

Interessant an diesem Vorfall ist auch, dass ein ehemaliger Staatsanwalt und ein ehemaliger Beamter der Abteilung Organisiertes Verbrechen der Nationalen Polizeibehörde im Aufsichtsrat von Suruga saßen. Personen, deren eigentliche Aufgabe es sein sollte, gegen die Yakuza zu ermitteln, haben sich also bestenfalls täuschen oder vielleicht sogar kaufen lassen. Ein Fall nach dem anderen zeigt, dass die Behörden unfähig sind, die Yakuza in Schach zu halten, oder sich nicht einmal trauen, es zu versuchen.

Und die Yakuza wissen ganz genau, was sie tun müssen, um unter dem Schutzmantel des Gesetzes leben und arbeiten zu können, und sind daher nur schwer zu fassen.

Die wichtigen Bandenchefs sind bekannt, ja berühmt. Die Bosse der Sumiyoshi-kai und der Inagawa-kai gewähren Zeitungs- und Fernsehreportern Interviews, Politiker dinieren mit ihnen. Sie besitzen Talentagenturen – zum Beispiel Burning Productions –, die bekanntermaßen Tarnfirmen der Yakuza sind. Doch das hindert große japanische Medienunternehmen nicht daran, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Es gibt Fanzeitschriften, Comics und Filme, welche die Yakuza verherrlichen. Diese Mafia hat Metastasen überall in der Gesellschaft gebildet und tritt so offen auf, wie es in Amerika oder Europa undenkbar wäre.

Da die Yakuza sich weiterentwickelt haben und heute sehr schwer zu durchschauende, komplexe Straftaten begehen, wird es für die Polizei immer schwieriger. Denn die sogenannten marubo, Polizisten, die das organisierte Verbrechen bekämpfen, beschäftigen sich mit einfachen Einschüchterungs- und Erpressungsfällen, nicht aber mit umfangreichen Aktienmanipulationen oder komplizierten Betrügereien.

Die Yamaguchi-gumi ist äußerst unkooperativ, seit Shinobu Tsukasa 2005 ihr Anführer wurde. Früher konnte die Polizei verschiedene Organisationen gegeneinander ausspielen, um Informationen zu erhalten – die Yamaguchi-gumi pflegte die Sumiyoshi-kai zu verpfeifen und umgekehrt. Heute ist die Sumiyoshi-kai immer häufiger die einzige Gegenspielerin und hat daher keinen Grund zu kooperieren. Als die Polizei von Aichi 2007 ein Büro der Kodo-kai durchsuchte, stellte sie entsetzt fest, dass Fotos der für das organisierte Verbrechen zuständigen Beamten und ihrer Familien sowie ihre Adressen an den Wänden der Yakuza-Zentrale hingen. Die Namen aller Beamten einer anderen großen Polizeibehörde gelangten voriges Jahr sogar in das Internet. Die Yakuza, vor allem die Yamaguchi-gumi, haben also nicht nur keine Angst mehr vor der Polizei, sondern drohen ganz unverhohlen: »Wir kennen euch, wir wissen, wo ihr wohnt, also nehmt euch in Acht!«

Ein Beamter der Polizeibehörde der Präfektur Osaka bestätigt diesen Befund. »Seit 1992 die Gesetze gegen das organisierte Verbrechen erlassen wurden, hat sich die Zahl der Yakuza kaum verändert. Es sind seit 16 Jahren etwa 80 000. Aber sie haben mehr Geld und mehr Macht denn je, und die Yamaguchi-gumi hat heute einen enormen Einfluss in vielen Bereichen. Sie ist in mancher Hinsicht die LDP des organisierten Verbrechens und arbeitet nach dem Motto ›In der Anzahl liegt die Macht‹. Sie hat Kapital, Personal und ein Informationsnetz, das sich mit dem der Polizei messen kann, und sie breitet sich in jede Branche aus, in der Geld zu verdienen ist.«

Früher ließen die Yakuza die Normalbürger in Ruhe, doch das ist lange her. Heute ist niemand mehr vor ihnen sicher, nicht einmal Journalisten – oder deren Kinder.

Wie viele andere Reporter auch schrieb ich einige Zeit über die Yakuza, ohne wirklich Kontakt zu ihnen gehabt zu haben. Das änderte sich sehr schnell, als Naoya Kaneko, genannt »The Cat«, die Nummer zwei der Sumiyoshi-kai von Saitama, anrief und bei »The Face« die Nachricht hinterließ, dass er mich sprechen wolle. Nervös fragte »The Face«, als er mir die Nachricht ausrichtete: »Du hast doch keinen
Ärger, oder? Warum will die Sumiyoshi-kai dich sprechen?«

Ich erwiderte, dass ich meines Wissens nicht in Schwierigkeiten sei und auch keine Ahnung habe, warum der Kerl mit mir reden wolle. Zunächst wollte ich Yamamoto fragen, wie ich vorgehen sollte, doch dann überlegte ich es mir anders. Denn er würde wahrscheinlich anordnen, den Anruf zu ignorieren, oder würde einen älteren Kollegen beauftragen, mich zu begleiten.

Damals war ich regelmäßig Gast in der »Maid Station«, wo ich angeblich einigen Angestellten nach Feierabend Englischunterricht gab. Die »Maid Station« war eine Art »Gesundheitsclub« für Erwachsene. Die Mädchen dort waren wie Dienstmädchen gekleidet, nannten die Kunden Herr und badeten, massierten und befriedigten sie. Fünf von ihnen wollten Urlaub in Australien machen, und ihr fürsorglicher Arbeitgeber, den ich kennengelernt hatte, als er in Saitama Taxi gefahren war, arrangierte Privatunterricht für sie. Und der Lehrer war ich.

Der Club befand sich in Minami Ginza, im Herzen des Sumiyoshi-kai-Reviers. Warum hatte Kaneko wohl angerufen? Hatte ich mich in seinem Revier schlecht benommen? Wollte er mich erpressen? Aber womit? Ich war Junggeselle, und in den Neunzigerjahren war eine Sexmassage in Saitama so japanisch wie Sushi.

Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte, aber mein Polizeiinformant versicherte mir, dass Kaneko nicht gefährlich sei und es für mich als Reporter sogar vorteilhaft sein könne, ihn zu kennen. Also rief ich Kanekos Büro von einer öffentlichen Telefonzelle aus an.

Der Typ, der ans Telefon ging, sprach laut und war offenbar schlecht gelaunt. Als ich meinen Namen nannte, trat eine längere Pause ein –
offenbar dachte er darüber nach, wie er mich ansprechen sollte. Ich musste meinen Namen sieben Mal wiederholen. Dann sprach der Mann mit Kaneko, und das hörte sich etwa so an: »He, da ist ein verdammter
gaijin am Telefon. Er sagt, er sei Reporter. Kennen Sie diesen Idioten?«

Kaneko schnauzte ihn an: »Halt die Sprechmuschel zu und behandle den Mann mit Respekt. Ich habe auf seinen Anruf gewartet.«

Ich hatte mir Kaneko als bedrohlich wirkenden, undeutlich sprechenden Schläger mit Reibeisenstimme vorgestellt. Aber als er ans Telefon ging, klang seine Stimme erstaunlich sanft. »Sie sind also Jake«, begann er. »Tut mir leid, dass ich Sie im Büro angerufen habe. Aber ich wusste nicht, wie ich Sie sonst erreichen kann. Und bitte verzeihen Sie meine Mitarbeiter, sie sind grob, unhöflich und schlecht erzogen. Bitte stören Sie sich nicht daran.«

»Äh, natürlich nicht. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich habe ein ungewöhnliches Problem. Es ist etwas heikel, und ich hoffe, dass Sie mir helfen können, es zu lösen.«

»Nun ja, eigentlich ist es nicht meine Aufgabe, Probleme für Yakuza zu lösen.«

»Selbstverständlich nicht. Mir ist auch klar, dass ich Sie in eine schwierige Lage bringe. Aber ich würde sehr gerne mit Ihnen über diese persönliche Angelegenheit sprechen. Es könnte sich auch für Sie lohnen.«

»Es wäre mir ein Vergnügen. Aber annehmen kann ich nichts von Ihnen.«

»In Ordnung. Wann würde es Ihnen passen?«

»Wir wäre es morgen nach dem Mittagessen?«

»Gut. Vielen Dank. So finden Sie mich: ... Falls Sie sich verfahren, fragen Sie einfach die Leute. Man kennt mich hier.«

Da ich mich tatsächlich nicht auskannte, verirrte ich mich natürlich und musste den Typen vor einem »Pink Salon«8 bitten, mir den Weg zu Kanekos Büro zu zeigen. Der Mann zeichnete mir höflich eine Karte und lud mich dann ein, hereinzukommen und das Angebot des Salons zu testen. Normalerweise waren Ausländer zwar nicht zugelassen, aber jeder Freund von Kaneko sei auch ein Freund des Salons. Außerdem, fügte er schief grinsend hinzu, lief das Geschäft nachmittags schlecht.

Ich lehnte ab, schließlich hatte ich etwas vor.

Kanekos Hauptquartier befand sich hinter einer Reihe von Sexclubs, einem vietnamesischen Restaurant und einem Tierpräparator. Es sah aus wie das Zweigbüro einer kleinen Baufirma. Auf der Glastür, die sich öffnete, als ich sie berührte, stand ein Firmenname. Im Empfangsbereich saß ein furchteinflößender Kerl auf dem Sofa und blätterte ein Pornomagazin durch. Er blickte auf, erhob sich, sagte kein Wort und klopfte an eine Tür.

Heraus kam Naoya Kaneko, »The Cat«. Er war etwa 1,70 Meter groß und vermutlich Ende 50. Seine Augen waren schmal, sein Haar oben etwas dünn, und er trug einen Kinnbart. Dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte mit Paisleymuster, schwarze Slipper. Zwei Goldringe an der rechten Hand. Er wirkte eher wie ein Politiker als wie der Vizechef der Sumiyoshi-kai.

Wir schüttelten uns die Hände, und Kaneko zeigte auf eines der drei dunkelbraunen Ledersofas. Er setzte sich mir gegenüber. Der furchteinflößende Kerl ging hinaus und kam mit zwei Tassen grünem Tee in lackierten Näpfchen zurück – eine Geste, die Respekt ausdrücken soll.

Kaneko nippte an seinem Tee, ich ließ meinen stehen.

»Mögen Sie den Tee nicht?«

»Ich bin kein großer Teeliebhaber«, antwortete ich.

»Wie wäre es dann mit einem Kaffee?«

»Sehr gerne.«

Nun wandte er sich an den furchteinflößenden Kerl und bellte: »Bring ihm Kaffee.«

Irgendwie schien er erleichtert zu sein, als der Kaffee kam und ich die Tasse an die Lippen führte.

Als Nächstes begannen wir mit der formellen Vorstellung. Kaneko überreichte mir seine meishi (Visitenkarte), die ich in beide Hände nahm, wobei ich mich verbeugte. Dann gab ich ihm meine Karte, die er seinerseits mit beiden Händen und einer Verbeugung (nicht so tief wie meine) entgegennahm.

Dies ist ein allseits bekanntes Ritual: Man überreicht seine Karte mit einer Hand, um zu zeigen, dass man unbedeutend und bescheiden ist. Die Karte des anderen nimmt man dagegen mit beiden Händen entgegen, um damit auszudrücken, dass er eine wichtigere Persönlichkeit ist. Dann hebt man die Karte auf Augenhöhe, schaut sie genau an und wägt den jeweiligen gesellschaftlichen Rang gegeneinander ab, um in dem folgenden Gespräch den korrekten Ton zu treffen. Solange noch beide Gesprächspartner stehen, steckt man die Karte des jeweils anderen in sein Kartenetui. Es wäre eine grobe Beleidigung, die Karte zu falten, zu rollen oder sonst irgendwie zu beschädigen. Ich warf also einen Blick auf seinen Titel und die Schmuckbuchstaben, bevor ich die Karte geschickt in mein Visitenkartenetui schob. Er betrachtete meine Karte ebenfalls und steckte sie dann in sein Etui, das aus reinem Platin zu bestehen schien.

Dann plauderten wir eine Weile. Er fragte mich, wie ein Ausländer einen Job bei der Yomiuri Shimbun bekommen könne, und ich fasste mein bisheriges Leben in Japan zusammen.

»Ich wünschte, ich hätte das College besucht«, meinte er schließlich. »Dann wäre mein Leben anders verlaufen. Und ich hätte es tun können. Sie hatten Glück, dass Sie diese Chance bekommen haben.«

Ich stimmte zu, dann räusperte ich mich und fragte, warum er mich angerufen hatte.

»Ich hörte, Sie seien vertrauenswürdig und ein guter Reporter.«

»Wer hat das gesagt?«

»Das wäre ja Petzen. Sagen wir einfach, ich habe Gutes von Ihnen gehört. Es gibt da etwas, das ich wissen muss, und ich denke, dass Sie es herausfinden können. Und ich glaube auch, dass Sie es für sich behalten werden. Die Leute sagen, dass Sie wie ein Japaner sind, ein ehrenwerter Mann.«

»Das höre ich zum ersten Mal. Sind Sie sicher, dass ich der richtige gaijin bin?«

»Ganz sicher.«

Es kommt nicht oft vor, dass ein Yakuza einem Komplimente macht. Vermutlich waren sie gelogen, aber das störte mich in dem Moment nicht.

Also gab ich das Lob zurück. »Nun ja, und ich habe gehört, dass Sie, obwohl Sie ein Yakuza sind, kein totaler Unmensch sind, dass Sie ein Gentleman und eher ein Wirtschaftskrimineller als ein Schlägertyp sind. In Ihrer Branche heißt das wohl so viel wie, dass Sie Mutter Teresa sind.«

Er grinste und fragte, wer von meinen Bekannten ihn denn kenne. Als ich erwiderte, dass natürlich auch ich nicht petzen wolle, musste er lächeln.

Dann bot er mir eine Zigarette an, die ich auch nahm. Er zündete sie an, dann deutete er auf meine unberührte Teetasse.

»Sie möchten wissen, warum ich keinen grünen Tee mag?«, fragte ich.

Kaneko lachte. »Nein, aber es geht um Tee. Wissen Sie, ein- oder zweimal in der Woche schauen ein paar Polizeibeamte bei mir vorbei. Ich biete ihnen meist eine Tasse Tee und vielleicht etwas Gebäck an. Wir plaudern, und sie gehen wieder. Das ist der übliche Ablauf. Doch neuerdings wollen sie ihn nicht anrühren, wenn ich ihnen Tee serviere. Sie wollen gar nichts mehr anrühren. Es ist ihnen wichtig, es nicht zu tun.«

»Und das ist ein Problem?«

»Moment, als ich sie gefragt habe, warum sie meine kleinen Gesten der Höflichkeit zurückweisen, haben sie geantwortet, dass bei der Polizei das Gerücht umgeht, ich hätte einen Beamten bestochen. Wenn sie daher etwas von mir annähmen – Tee, Gebäck oder auch nur einen Kalender –, dann hätten sie sofort die Kollegen von der Internen Ermittlung auf dem Hals. Und deshalb lehnen sie alles ab.«

»Aber warum ist das für Sie ein Problem?«

»Weil jetzt jeder in der Organisation glaubt, dass die Polizisten nur eine Schau abziehen und dass in ich Wirklichkeit ein Informant der Polizei bin. Dass sie mich umgedreht haben.«

»Nur weil die Ihren Tee nicht trinken?«

»Genau. Ich bin sicher, dass die Beamten wirklich glauben, dass ich einen von ihnen besteche. Aber die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, sind nicht davon überzeugt. Sie halten es nur für einen Trick, mit dem der Anschein erweckt werden soll, dass ich kein Informant bin. Wenn das so weitergeht, bin ich bald in ernsten Schwierigkeiten.«

»Und was bedeutet das in Ihrer Branche?«

»Das bedeutet, dass meine eigenen Leute, die Männer, die ich wie meine Kinder aufgezogen habe, mich mitten in der Nacht in die Berge von Chichibu schleppen, mir in den Kopf schießen und mich in einer flachen Grube verscharren werden.«

»Oje. Könnte es noch schlimmer kommen?«

»Ja. Vielleicht lassen sie mich auch mein Grab selbst schaufeln, schlagen mich dann zu Brei und begraben mich lebendig. Aber das glaube ich nicht, immerhin war ich sehr lange dabei. Ich habe mir wohl genug Respekt verdient, um erst begraben zu werden, wenn ich ganz tot bin.«

Plötzlich war mir zum Lachen zumute und ich suchte nach einem Anzeichen dafür, dass er scherzte. Aber ich fand keines. »The Cat« war offenbar tatsächlich verzweifelt. Und darum hatte er mich angerufen.

»Also, wen haben Sie in der Tasche?«, fragte ich daher.

»Niemanden. Ich besteche keine Polizisten. Und ich bin kein Spitzel. So mache ich keine Geschäfte. Die Polizei und ich haben immer gut kooperiert. Ich weiß wirklich nicht, von wem dieses Gerücht stammt.« Er hatte sich über den Tisch gebeugt und flüsterte beinahe. Unsere Nasen hätten sich berühren können, das wäre dann mein erster Eskimokuss mit einem Yakuza gewesen.

»Und ...?«

»Ich wüsste gerne, warum die Polizei von Saitama davon überzeugt ist, dass ich einen von ihnen schmiere. Ich möchte den Namen des Polizisten wissen, den ich angeblich besteche. Das würde mir sehr weiterhelfen.«

Darüber musste ich eine Weile nachdenken. Nach einer zweiten Zigarette antwortete ich: »Nun ja, Kaneko-san, ich bin Reporter, kein Informant der Yakuza. Und um die Wahrheit zu sagen, ich tue den Yakuza nicht so gern einen Gefallen. Aber ich kenne jemanden, mit dem ich reden könnte. Und wenn ich der Meinung bin, dass ich Ihnen eine Information weitergeben kann, denn werde ich es tun. Aber ich kann nichts versprechen.«

»Mehr verlange ich auch nicht.«

»Wenn ich nun schon einmal hier bin – darf ich Sie dann etwas fragen?«

»Nur zu. Das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann.«

»Wie verdienen Sie Geld für die Organisation? Die Polizei behauptet, dass 70 Prozent Ihres Einkommens aus dem Verkauf von Speed stammt. Aber ich glaube das nicht. Vielleicht gibt es ja Tausende von Speedkonsumenten in Saitama, aber sehen tue ich nicht viele.«

»Sie haben recht. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen, wie dieses Geschäft funktioniert.«

»Ja, bitte.«

Dann beschrieb mir Kaneko seine kriminellen Machenschaften. In ihren besten Zeiten war die Sumiyoshi-kai sehr gut darin, Immobilienpreise in die Höhe zu treiben und dafür Geld von Maklern und Banken zu kassieren. Außerdem verdiente sie Geld, indem sie Mieter aus Apartmenthäusern vertrieb, damit deren Verkaufswert stieg. Diese Praxis nennt man jiage. Da das japanische Mietrecht sehr mieterfreundlich ist, waren die Dienste der Yakuza äußerst gefragt. Manchmal behinderten sie die Versteigerung gepfändeter Grundstücke, indem sie Ganoven als Mieter in die Häuser einschleusten, entweder im Auftrag des ursprünglichen Eigentümers, der das Gebäude zu einem niedrigen Preis zurückkaufen wollte, oder zugunsten einer ihrer Scheinfirmen. Illegale Müllbeseitigung war auch sehr rentabel, und das Schutzgeld aus der Sexindustrie in Omiya kam noch hinzu.

Aber die größte Einnahmequelle war Erpressung. Kaneko erklärte es so: »Sie und ich sind im gleichen Geschäft. Sie sammeln Informationen und verkaufen sie. Und wir tun das auch. Sie werden dafür bezahlt, schockierende Informationen in die Zeitung zu bringen; wir werden dafür bezahlt, dass wir solche Informationen nicht veröffentlichen. Wir sind also beide Teil der Informationsbranche.«

Die Sumiyoshi-kai erpresste also Firmen und Geschäftsleute, die irgendwelche peinlichen Geheimnisse hatten. Manchmal erfuhr sie auch davon, dass eine Firma in finanziellen Schwierigkeiten steckte, und bot daraufhin Hilfe an. Dann zog sie das verbliebene Kapital ab und löste das Unternehmen auf, nicht ohne es vorher für weitere Betrügereien benutzt zu haben. Die klamme Firma machte dabei oft bereitwillig mit. Die Sumiyoshi-kai nutzte die Immobilien der Firma, um Kredite mittelgroßer Banken abzusichern, die sie nie zurückzahlte. Wenn das Unternehmen dann bankrott ging, hatten sie und der Firmenchef schon abkassiert. Sobald dann der Firmenbesitz gepfändet und versteigert wurde, mischten sich die Yakuza ein, kauften Grundstücke und Gebäude zu einem geringen Preis und verkauften sie dann wieder oder ließen sie von einer dritten Partei ersteigern, die dafür eine Gebühr bezahlen musste.

Die Sumiyoshi-kai besaß außerdem mehrere Scheinfirmen: Zeitarbeitsfirmen, Kreditwucherer und sogar eine Versicherung. Letztere wurde benutzt, um andere Versicherungen mit falschen Behauptungen zu erpressen. Ihr Inkassobüro trieb für legale Konsumentenkreditbanken faule Kredite ein. Sie verkaufte Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt und betrieb Pfandhäuser, die Diebesgut verkauften. Natürlich hatte sie auch eine Talentagentur, die Pornoproduzenten mit jungen Frauen versorgte. Die Frauen wurden gut bezahlt und zu nichts gezwungen.

Einzelhandelsgeschäfte der Sumiyoshi-kai verkauften Erotika und gebrauchte Mädchenunterwäsche, auf die japanische Männer scharf sind. Sie besaß Speditionen und übernahm bei Großveranstaltungen den Sicherheitsdienst. Wenn die Yakuza einen Vertrag für ein Bauvorhaben abschlossen, machten sie selbst keinen Finger krumm, sondern überließen die Arbeit Subunternehmern, denen sie natürlich nur einen Teil ihrer eigenen Einnahmen gönnten.

Die politische Organisation, die sie gegründet hatten, erhielt nicht nur Steuervergünstigungen, sondern bot noch bessere Möglichkeiten, Firmen zu erpressen, indem sie ihnen Abonnements ihres hauseigenen Nachrichtenblattes zu einem enorm hohen Preis verkaufte und auf diese Weise Schweigegeld weniger auffallend kassierte.

Kanekos Darstellung der Yakuza-Geschäftswelt war brillant und präzise. In einer Stunde erklärte er mir das System besser, als jeder andere es je hätte tun können. Da er damit seinen Teil des Handels erfüllt hatte, versprach ich, mich umzuhören. Als ich mich verabschiedete, bot er mir an, mich in seinem Auto und von seinem Fahrer an mein nächstes Ziel bringen zu lassen. Ich aber lehnte lieber ab.

An diesem Abend rief ich meinen Informanten an und erzählte ihm alles, was Kaneko gesagt hatte.

»Sehr interessant«, meinte er. »Ich kümmere mich persönlich darum. Vermutlich versucht jemand in seiner eigenen Organisation, »The Cat« zu eliminieren. Zehn zu eins, dass das ein Machtkampf ist.«

»Er hat gesagt, dass er immer gut mit der Polizei kooperiert habe.«

»Nun ja ... Lassen Sie mich das erklären. Ein Beamter arbeitet in der Abteilung eins der Einsatzgruppe gegen das organisierte Verbrechen, die Informationen über die Yakuza sammeln soll: Wie viele Büros haben sie? Wie viele Mitglieder? Wer ist in der Organisation und wer nicht? Am schnellsten bekommen die Beamten Antworten, wenn sie direkt zu den Yakuza gehen und fragen. Aber »The Cat« ist ein schlauer alter Fuchs, darum rückt er nicht einfach so mit der Sprache heraus. Er lässt das Material einfach im Büro herumliegen, und wir lesen es dann, während er telefoniert. Oder manchmal wirft er es in den Papierkorb, und wir nehmen es dann unauffällig mit. Er übergibt es uns nie selbst.«

»Warum macht er das?«

»Weil die Dinge eben so laufen. Er tut den Polizisten einen Gefallen, und dann haben wir auch keinen Grund, sein Büro zu durchsuchen, um etwas Brauchbares zu finden. Das klappt ganz gut so.«

»Warum zapft ihr nicht einfach seine Telefone an?«

»Wir sind nicht in Amerika, und wir sind nicht das FBI. Wir würden keine Erlaubnis bekommen, Wanzen zu installieren.«

»Glauben Sie, dass er jemanden schmiert?«

»Wenn er es tun würde, wäre er nicht so dumm, sich dabei erwischen zu lassen. Er ist der schlaueste Yakuza in der Organisation. Ich werde rauskriegen, was da läuft, und mich dann bei Ihnen melden.«

Zwei Tage später rief er mich an. Die Gerüchte wurden von einem gewissen Yoshinori Saito verbreitet, der Nummer vier in der Sumiyoshi-kai. Saito hatte einem Beamten der Abteilung eins erzählt, dass Kaneko einen seiner Kollegen schmiere. Da er keinen Namen genannt hatte, war die ganze Abteilung in Aufregung und suchte fieberhaft nach dem Verräter.

So weit, was die Polizei betraf. In puncto Yakuza war es so, dass sich Kaneko und Saito seit Langem nicht besonders gewogen waren. Vor Kurzem hatte Saito den LKW-Fahrern, die durch Saitama fuhren, Speed verkaufen wollen, aber Kaneko hatte damit nichts zu tun haben wollen. Denn Kanekos Chef, Nakamura, hatte offenbar in seiner Jugend Crystal Meth konsumiert, und Kaneko wollte seinen Chef nicht in eine Sache hineinziehen, die ihn womöglich zu seinen schlechten Gewohnheiten zurückgeführt hätte. Saito hatte das Gerücht absichtlich verbreitet, da er wusste, dass es Kaneko verdächtig machen würde. Offenbar hatte er nicht den Mumm, »The Cat« selbst herauszufordern, sondern zog es vor, dass die Organisation sich um ihn kümmerte.

»Was soll ich Ihrer Meinung nach mit dieser Information anfangen?«

»An Kaneko weitergeben, und zwar so schnell wie möglich.«

Nach einigem Zögern erklärte ich mich damit einverstanden, Kaneko aufzuklären. Also rief ich in seinem Büro an und vereinbarte für denselben Abend ein Treffen.

Es war eiskalt, aber das war auch schon egal, da ich sowieso schon vor Aufregung zitterte. Noch bevor ich an die Tür seines Büros klopfen konnte, öffnete Kaneko sie und forderte mich mit einer Geste auf einzutreten. Er trug Jeans und einen dunkelgrünen Pullover und sah wie ein Segellehrer aus.

Ich setzte mich aufs Sofa, und diesmal trank ich den Tee. Dann erzählte ich »The Cat« alles, was ich wusste.

Er nickte, während ich sprach. Seine Augen waren geschlossen, die Finger hatte er gespreizt auf den Tisch gelegt. »Ich danke Ihnen.
Dafür schulde ich Ihnen etwas«, meinte er dann.

»Vielleicht steht es mir ja nicht zu, so etwas zu sagen«, erwiderte ich, »aber warum verlassen Sie nicht einfach die Organisation, anstatt sich mit diesem Mist herumzuärgern?«

»The Cat« öffnete die Augen und holte tief Luft. »Schauen Sie mich doch an. Wenn ich so angezogen bin, sehe ich vielleicht aus wie jeder andere Geschäftsmann an seinem freien Tag. Aber wenn ich die Ärmel hochkrempele« – er tat es –, »dann ist dieses nette Bild zerstört.« Von den Handgelenken bis zum Oberarm war seine Haut über und über mit bunten, kunstvollen Tätowierungen überzogen.

»Ich bin weit über 40 und habe mich selbst für immer gebrandmarkt. Ich habe keine Ausbildung, kein Diplom, bin weder sozial- noch krankenversichert. Ich habe nur Geld auf der Bank und diese Organisation. Wohin könnte ich gehen? Wenn ich fliehe, jagt mich die Sumiyoshi-kai und bringt mich um, weil sie mich für einen Polizeispitzel hält. Aber wenn ich bleibe, habe ich eine Chance zu überleben. Es ist vielleicht kein tolles Leben, aber ich bin nicht bereit, es wegzuwerfen. Darum werde ich mich um dieses Problem kümmern.«

Ich dankte ihm für den Tee und wollte gerade gehen, als er mir die Hand auf die Schulter legte und mir in die Augen sah.

»Sie haben mir das Leben gerettet. So etwas vergesse ich nicht. Wenn Sie irgendetwas brauchen – Informationen, Frauen, Geld –, dann kommen Sie zu mir. Es gibt Schulden, die man nie zurückzahlen kann. Und ich stehe bis zu meinem Tod in Ihrer Schuld.«

»Eigentlich habe ich nicht viel getan.«

»Entscheidend ist nicht, wie viel Sie tun, sondern was Sie tun.«

»Dann hätte ich gerne Informationen, aber nur, wenn damit keine Verpflichtungen verbunden sind. Ich möchte nicht in der Schuld eines Yakuza stehen.«

»Kein Problem. Aber eines muss klar sein: Ich werde Ihnen nur etwas über andere Yakuza-Gruppen erzählen, nicht über unsere. Unser Geschäft bleibt unser Geschäft. Sie können Fragen stellen, und ich werde Sie nicht belügen, aber wenn es um uns geht, werde ich nichts sagen. Ist das klar?«

»Ja.«

»Und Sie wollen wirklich keine Frau?«

»Nein, ich bin versorgt.«

»Liegt das vielleicht daran, dass Sie lieber Jungs mögen?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Nun gut, in Ordnung.« Dann begleitete er mich zur Tür und schüttelte mir zum Abschied die Hand.

Zwei Wochen später tranken wieder ein paar Polizisten grünen Tee in Kanekos Büro. Ich erkundigte mich nie danach, was aus Saito geworden war, und sprach auch mit Kaneko nie wieder über diese Angelegenheit.

Von diesem Zeitpunkt an hatten Kaneko und ich eine beinahe geschäftliche Beziehung. Ich besuchte ihn alle paar Wochen auf eine Tasse Tee, nachdem ich mich vorher telefonisch angemeldet hatte. Er gab mir ein paar Hinweise für einige Geschichten, und wir sprachen über die gefährlichen Seiten eines Lebens als Yakuza im Vergleich zu dem eines Journalisten. Dann ging jeder wieder seiner Wege. Er versuchte immer wieder, mich mit einer heißen Japanerin zusammenzubringen, aber ich lehnte ab.

Kanekos Gunst war für mich als Reporter ein Vorteil. Natürlich zögerte ich immer wieder, ihn um Informationen zu bitten, denn ich war sicher, dass er mich früher oder später dann auch um einen Gefallen bitten würde. Aber er tat es nie. Außerdem fragte ich mich, ob es moralisch vertretbar war, Informationen von einem Mann anzunehmen, der sich selbst als antisozialen Gesetzesbrecher bezeichnete. Wahrscheinlich gehört das zum Einmaleins des Enthüllungsjournalismus, aber ich hatte dennoch Bedenken. Doch irgendwann begriff ich die Lektion, die man mir von Anfang an beigebracht hatte: Informationen sind nicht gut oder böse, sie sind einfach nur Informationen. Die Leute, die Informationen liefern, haben ihre Gründe und Motive, oft auch unsaubere. Aber wichtig ist nur die Sauberkeit der Information, nicht die des Informanten.

Dank »The Cat« erfuhr ich zum Beispiel noch vor der Polizei, dass ein Bandenkrieg zwischen Yakuza-Gruppen bevorstand. Das half mir, an der Sache dranzubleiben. Er war die beste Quelle, die ein Polizeireporter sich wünschen kann, und eine gute Quelle ist immer besser als 100 schlechte.