Die verschwundenen Hundefreunde
aus Saitama

Teil 1:

Ich soll Ihnen vertrauen?

Das organisierte Verbrechen, Diebstahl und die öffentliche Sicherheit waren jetzt meine Spezialgebiete. Mit anderen Worten: 24 Stunden täglich und sieben Tage in der Woche Yakuza.

Yamamoto war befördert worden und leitete jetzt das Ganze. Dadurch wurde Nakajima die Nummer zwei im Büro. Er und ich kamen nicht sonderlich gut miteinander aus, und die anderen nannten uns Kobra und Mungo. Ich war der Mungo, weil ich erstens mehr Haare hatte und zweitens unruhiger war und andauernd wie ein Irrer herumrannte. Nakajima dagegen hatte das, was die Japaner eine Giftzunge – dokuzetsu – nennen: Er war sehr kritisch, spöttisch und geschickt darin, andere herabzusetzen. Zudem hatte er weniger Haare und bewegte sich ruhig. Im Gegensatz zu mir war er ordentlich und gewissenhaft. Ich konnte schon verstehen, warum ich ihm so auf die Nerven ging.

Yomawari, also die Hausbesuche bei Polizisten, waren zu einem Teil meines Lebens geworden. Wenn ich Glück hatte, konnte ich danach sofort nach Hause gehen, weil mein Bericht bis zum nächsten Morgen Zeit hatte. Aber meist musste ich zurück ins Büro nach Urawa oder in den Presseclub fahren und Sportberichte oder einen anderen Mist tippen, ehe ich nach Hause konnte, um ein paar Stunden zu schlafen.

An einem dieser Abende im Januar saßen Yamamoto und ich im Büro herum und aßen Pizzareste, als Kobra hereinkam. Er war äußerlich ruhig wie immer, aber unterschwellig sehr aufgeregt. Bevor er uns in den Fall einweihte, warnte er mich: »Adelstein, die Sache ist streng geheim. Also halt bloß deine große Klappe.«

Kobra hatte von seinem Polizeiinformanten erfahren, dass ein Hundezüchter namens Gen Sekine in der Nähe von Kumagaya im Verdacht stand, ein Serienmörder zu sein. Sekine war wohl ein Yakuza, ein ehemaliger Yakuza oder ein Verbündeter der Yakuza. In den vergangenen zehn Jahren waren auf jeden Fall mehrere Leute, die mit ihm zu tun hatten, verschwunden. Die Polizei hatte Untersuchungen eingeleitet, als die ersten drei Personen vermisst wurden. Als dabei aber nichts herauskam, weil alle Spuren im Sand verliefen, waren die Fälle in Vergessenheit geraten.

Das änderte sich erst, als Akio Kawasaki, der Präsident einer Abfallbeseitigungsfirma, nicht mehr nach Hause kam. Nach mehreren Tagen ging seine Frau zur Polizei, die jedoch wenig Interesse zeigte und nur sehr oberflächliche Fragen stellte: Hat Ihr Mann sich in letzter Zeit ungewöhnlich benommen? Gab es zu Hause Probleme? War er jemals einige Tage fort, ohne Ihnen Bescheid zu sagen? Hat er Feinde?

Frau Kawasaki verneinte all diese Fragen. Aber im Laufe der Befragung erwähnte sie, dass ihr Mann Streit mit einem Hundezüchter hatte. Plötzlich wurde der zuständige Polizist aufmerksam und meinte ernst: »Wenn Ihr Mann mit Sekine zu tun hatte, dann müssen Sie sich auf das Schlimmste gefasst machen.«

Frau Kawasaki ging daraufhin erschrocken nach Hause, und die Polizei holte angestaubte Akten aus dem Keller.

Zwei Monate später wurde Kawasaki immer noch vermisst, und das Morddezernat der Polizei von Saitama stellte eine Sonderkommission zusammen, die sein Verschwinden untersuchen sollte. Als Nakajimas Informant von diesem Fall sprach, arbeiteten gerade zehn Beamte daran. Der Polizist versicherte Nakajima, dass kein Grund bestehe, die Story gleich zu drucken. Wenn die Yomiuri geduldig wartete, werde sie die entsprechenden Informationen exklusiv erhalten. Da selbst die Polizeiführung von Saitama die Details des Falles noch nicht kannte, war die Gefahr gering, dass andere Zeitungen Wind von der Sache bekamen.

Das alles klang ziemlich heftig: Hundezüchter, Yakuza, vermisste Personen – wie aus einem schlechten japanischen Fernsehfilm. Wir wussten, warum die Ermittlungen sich nicht auf die vermissten Personen, Mordverdacht oder irgendeine große Sache konzentrierten, sondern auf ein eher kleines Vergehen wie Betrug. Denn ein Haftbefehl wegen Betruges war viel leichter zu erhalten als einer wegen Mordes. Und war ein Verdächtiger erst einmal in Gewahrsam, so konnte er auch zu anderen Straftaten befragt werden, einschließlich Mord. So ging das Morddezernat routinemäßig vor.

Ich hatte den Auftrag, das Zeitungsarchiv nach Informationen über den Hundezüchter und seine Tierhandlung mit dem eigenartigen Namen »Afrikanischer zwinger« zu durchforsten. Da die Yomiuri damals noch keine elektronische Datenbank besaß, musste ich ganz altmodisch Artikelsammlungen durchblättern. Nach zwei Tagen brannten mir die Augen, aber ich hatte immerhin einen Artikel vom 14. Juli 1992 gefunden, dessen Schlagzeile lautete: »Auf Wiedersehen, Raubtier: Süßes Löwenbaby kommt in den Zoo der Präfektur Gunma. Tierzüchter in Kumagaya hielt den Kleinen auf seinem Balkon.«

Sekine hatte anscheinend ein Löwenbaby auf dem Balkon seines Hauses aufgezogen, und ängstliche Nachbarn hatten daraufhin die Behörden verständigt. Damit verstieß er gegen mehrere Stadtverordnungen, deshalb kam das Löwenbaby in einen zoo und Sekine musste ein kleines Bußgeld zahlen.

Die Entdeckung dieses Artikels war insofern ein Durchbruch, als er uns unter anderem das chinesische Schriftzeichen für Sekines Namen lieferte. Im Japanischen hilft die gesprochene Form eines Namens nicht unbedingt weiter. Ich musste einmal eine japanische Frau suchen, deren Namen wir an der Universität New York bekommen hatten. Wir kannten die romanisierte Schreibweise ihres Namens und ihr Alter, aber es gab mehrere Kanji-Varianten ihres Familiennamens und mindestens 20 Versionen für ihren Vornamen. Für den Fall, dass ein unwissender Amerikaner ihren romanisierten Namen falsch geschrieben hatte oder ihr Name eine ungewöhnliche Schreibweise aufwies, wäre eine Datenbank natürlich sehr nützlich gewesen. Das Kanji-Schriftzeichen war auf jeden Fall wichtig, um eine Person genau zu identifizieren. Jetzt konnten wir also Sekine anhand der Schriftzeichen in den verfügbaren Datenbanken suchen.

Wie sich herausstellte, war Sekine ziemlich berühmt. Er war einer der erfolgreichsten Hundezüchter im Land. Zeitschriften hatten über ihn berichtet, und er war in Fernsehshows aufgetreten. Er hatte den Alaska-Malamut zu einem der edelsten Showhunde in Japan gemacht. In Interviews behauptete Sekine, er habe in Afrika gelebt, im Busch Tiere gejagt und wilde Tiger nur mit seinem Blick vertrieben. Er wurde allmählich kahl, und sein Resthaar war grau gesprenkelt. Seine kleinen Perlenaugen schielten ständig, und die Furchen in seiner Stirn verliehen ihm einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Seine raue Stimme klang, als habe er von Geburt an starke Zigaretten geraucht. Er besaß drei Läden und plante, einen kleinen Safaripark anzulegen. Vor Kurzem hatte er im Fernsehen einem vor Ehrfurcht starren Journalisten erzählt, dass er aus Hubschraubern gesprungen und Löwen niedergerungen habe. Das ist ein Kerl, schoss mir durch den Kopf, der sicher töten kann, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ende Januar hatten wir – vor allem dank Nakajimas Arbeit und Anleitung – vier Personen ermittelt, die vermisst wurden und von denen man annahm, dass Gen Sekine sie ermordet hatte: Kawasaki, eine Hausfrau, einen Yakuza-Chef und dessen Fahrer. Das Tatmotiv war allerdings noch unklar.

Unser Yomiuri-Team ermittelte im Geheimen, denn wir wollten die Öffentlichkeit erst kurz vor der Verhaftung des Hundezüchters informieren. Dieser Plan scheiterte allerdings am 17. Februar.

Ich war gerade im Presseclub, als Yamamoto mir ein Exemplar der Sportzeitung Asuka vor das Gesicht hielt.9

»Schau dir das an«, knurrte er grimmig, »jetzt ist die Katze aus dem Sack.«

Er hatte recht. Eine riesige Schlagzeile lautete: »Vier Personen in Saitama vermisst. Rätselhafter Hundezüchter unter Verdacht.« Es wurden sogar Angaben über die Opfer gemacht – schrecklich unkorrekt, aber immerhin. Eine Sportzeitung hatte uns also übertrumpft.

»Ruf alle an, sie sollen sofort ins Urawa-Büro kommen. In 30 Minuten ist dort Krisensitzung.«

Als wir im Büro eintrafen, steckten Hara, der Büroleiter, und der Chefredakteur die Köpfe zusammen und studierten die Abendausgabe der Asuka. Dann wandte sich Hara an Yamamoto und rief: »Ich dachte, dieser Knüller sei uns sicher!«

Yamamoto schluckte und antwortete: »Na ja, der Artikel ist nicht gut recherchiert. Und die Asuka ist neu in diesem Spiel ... Außerdem liest die keiner. Wir sollten das Ganze ignorieren und weiter an unserer Story arbeiten.«

»Was meinen Sie?«, fragte der Chefredakteur Kobra.

Nakajima stimmte Yamamoto zu.

Aber der Chefredakteur war anderer Meinung. »Was ist, wenn morgen jede andere Zeitung im Land außer uns diese Story nachdruckt? Dann sehen wir alt aus. Woher sollen wir wissen, dass unsere Konkurrenten nicht weiter sind als wir?«

»Das glaube ich nicht«, wandte Nakajima zögerlich ein.

»Sie glauben es nicht? Oder wissen Sie, dass die uns nicht voraus sind? Würden Sie die Verantwortung übernehmen für eine verpasste Story?«

Nakajima schwieg eine Weile, dann meinte er bestimmt: »Ich finde es zu früh, jetzt einen Artikel zu bringen.«

»Nun, die Öffentlichkeit weiß schon Bescheid. Wir müssen wohl auf den fahrenden Zug aufspringen, auch wenn das früher kommt, als uns lieb ist. Aber wir haben keine Wahl. Wir sollten aufhören zu diskutieren und anfangen zu schreiben. Der Büroleiter für diese Region wird mir jeden Moment aufs Dach steigen.«

Nachdem ich mir das alles angehört hatte, hob ich in einem seltenen Anflug von Tapferkeit die Hand, obwohl ich noch ein Jungreporter war. Yamamoto wollte mich mit hektischen Gesten zum Schweigen auffordern, aber ich ignorierte ihn einfach. »Darf ich etwas sagen?«, begann ich.

»Wer hat Sie etwas gefragt?«, schnauzte der Chefredakteur mich an und machte eine typisch japanische Geste, die »Halts Maul« bedeutet.

Doch jetzt mischte sich Hara ein. »Hast du eine Idee, Jake?«

»Na ja«, krächzte ich mit belegter Stimme. »Wir haben so eine Art Deal mit der Polizei von Saitama. Sie geben uns alle Informationen, wenn wir mit der Story warten. Wenn eine Festnahme ansteht, sagen Sie uns Bescheid. So war die Abmachung, aber wenn wir uns nicht daran halten, verlieren wir ihr Vertrauen und brechen unser Versprechen.«

»Gutes Argument, Jake«, meinte Hara und nickte. »Aber die Voraussetzungen haben sich verändert, denn jetzt gibt es bereits einen Artikel.«

»Aber in einer Zeitung, die niemand liest und die unglaubwürdig ist. Es machte einen großen Unterschied, ob sie darüber schreiben oder wir. Wenn wir diese Story jetzt schreiben, gewinnen wir vielleicht eine Schlacht, aber wir verlieren den Krieg.«

Hara dachte eine Weile über meine Worte nach, dann seufzte er: »Ich fürchte, den Artikel können wir nicht ignorieren. Ich kenne die Polizei. Sie werden ein bisschen verärgert sein, aber das legt sich bald. Fangen wir an, wir müssen die Morgenausgabe vorbereiten.«

Damit war die Besprechung beendet. Kobra hielt mich noch im Flur auf und sagte: »Danke, dass du das gesagt hast. Du verstehst mehr von der Arbeit mit der Polizei, als ich dachte. Du bist zwar schlampig und undiszipliniert und deine Texte sind schrecklich, aber du hast einen guten Instinkt. Vielleicht bist du ja doch kein hoffnungsloser Fall.«

»Danke.«

Yamamoto war im hinteren Teil des Büros. »Adelstein, du hast recht«, flüsterte er mir zu. »Es ist dumm, jetzt einen Artikel zu schreiben. Aber manchmal geht es eben nicht anders. Von jetzt an ist das die wichtigste Story, an der wir arbeiten. Deshalb bekommt jeder ein Opfer zugewiesen. Du musst alles über dein Opfer herausfinden: Woher kannte es Sekine, wann wurde es zuletzt lebend gesehen, was für ein Mensch war es, warum wurde es wohl ermordet und alles andere, was uns nützlich sein könnte. Wir brauchen Bilder, Kommentare, Zeugenaussagen, alles, was wir kriegen können. Da dein normales Einsatzgebiet das Dezernat für das organisierte Verbrechen ist, bist du der richtige Mann für den Yakuza Endo und seinen Fahrer Wakui. Beide werden vermisst. Von morgen an ist dein Leben Endos Leben.«

So begann mein Jahr des Hundes.

Unser erster Artikel über die vermissten Hundefreunde von Saitama erschien am Morgen des 19. Februars mit der Schlagzeile »Mehrere Hundefreunde in Saitama zwischen April und August vermisst. Ärger mit Verkäufen«. Der Artikel erschien in der Morgenausgabe, und alle anderen Zeitungen wussten jetzt, dass die Yomiuri in diesem Fall weit voraus war und sie sich enorm anstrengen mussten.

Leider stießen wir die Polizei mit dem Artikel total vor den Kopf, denn jetzt wusste Sekine, dass gegen ihn ermittelt wurde, und darum sank die Chance, dass er Fehler machte. Außerdem würde er jetzt eventuell wichtige Beweise vernichten.

Dass wir unser Versprechen gebrochen hatten, verzieh uns die Polizei nicht, das machte der Polizeichef Nakajima unmissverständlich klar, und Yokozawa, der kultivierte Leiter der forensischen Abteilung, setzte die Yomiuri nun auf seine persönliche Leckt-mich-Liste. Die anderen Zeitungen, die ebenfalls über den Fall berichteten, waren ihnen egal. Doch wir hatten als erste seriöse Zeitung einen Fall publik gemacht, der noch nicht reif dafür war. In ihren Augen wären wir daher allein schuld, falls etwas schiefgehen sollte.

Noch am selben Tag fuhr ich zum ersten Mal nach Konan, um Informationen über Endo zu bekommen. In Konan gab es eine riesige Fabrik, einen Golfplatz, eine Stadthalle, eine Grundschule, eine Mittelschule, eine Highschool, einen Lebensmittelladen und ein Familienrestaurant. Ansonsten noch viele Felder, ein wenig Landwirtschaft und wenig Möglichkeiten, etwas zu tun.

Als Erstes erkundigte ich mich bei der Feuerwehr nach Endo, denn ich wusste aus Erfahrung, dass Feuerwehrleute gesprächiger sind als Polizisten. So erfuhr ich, dass Endo vor seinem Verschwinden die Nummer zwei in einer Verbrecherbande namens Takada-gumi gewesen war – hinter einem gewissen Takada. Die Gang gehörte zum Inagawa-Clan. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Leute, wenn überhaupt, mit einem Gemisch aus Furcht und Ehrfurcht über diesen Endo reden würden. Aber stattdessen lobten ihn alle und schienen sich sogar Sorgen um ihn zu machen.

Ein Feuerwehrmann meinte: »Endo ist ein großartiger Bursche. Er war nicht immer ein Yakuza, früher fuhr er LKWs. Ich habe ihm 1984 bei der Bürgermeisterwahl sogar meine Stimme gegeben.
Politiker sind ohnehin alle korrupt, also wählt man am besten einen, von dem man schon weiß, dass er korrupt ist. Vielleicht überrascht er einen dann und tut etwas Gutes.«

Was für eine verrückte Stadt war das bloß, in der ein bekannter
Yakuza als Bürgermeister kandidieren konnte? Doch immerhin hatte Endo nur 120 Stimmen bekommen und haushoch verloren. In der Stadthalle bekam ich eine Kopie des Fotos, das Endo anlässlich seiner Kandidatur eingereicht hatte. Er sah hart aus, hatte die tödlichen, starren Augen eines potenziell explosiven Yakuza und die leichte Dauerwelle, die den ländlichen Yakuza zu gefallen schien. Offenbar hatte er mehrere Nasenbeinbrüche hinter sich. Es war sicher nicht leicht, diesen Kerl umzubringen.

Als Nächstes fuhr ich mit dem Taxi zu Endos Haus, das in einer ruhigen Umgebung lag. Es war ein schönes, großes Gebäude. Da das Tor offenstand, ging ich hinein und warf einen Blick auf den überquellenden Briefkasten. Plötzlich stand jemand hinter mir.

Es war ein kleiner, alter Mann, völlig kahl und so dünn, dass seine Haut durchsichtig zu sein schien. Er trug Jeans und ein T-Shirt, obwohl es noch ziemlich kalt war. Auf dem Hemd standen in grellem Grün obszöne englische Wörter.

»Was tun Sie hier?«, fragte er ruhig.

»Ich suche Yasunobu Endo. Das ist doch sein Haus, oder?«

»Ja, das ist sein Haus, aber er kommt nicht mehr nach Hause.«

»Warum nicht?«

»Weil er tot ist, ein Gangster hat ihn umgelegt, zu Hackfleisch verarbeitet und an Hunde verfüttert. Alle hier wissen das.«

»Wirklich? Sie haben das nicht zufällig alles beobachtet?«

»Nee. Ich hab nichts gesehen, aber ich weiß einiges. Ich kenne diese Stadt, ich kenne Endo, und ich kenne den Ganoven.«

»Meinen Sie Gen Sekine?«

»Ich hab den Namen des Kerls vergessen. Aber darf ich Sie etwas fragen?«

»Klar, schießen Sie los.«

»Warum suchen Sie Endo?«

»Ich bin Zeitungsreporter. Wenn Leute verschwinden, selbst Yakuza, ist das eine Nachricht wert. Ich will herausfinden, warum er verschwunden ist.«

»Er ist nicht verschwunden, er ist jetzt Hackfleisch, Hundekot.«

»Das haben Sie schon gesagt. Aber wenn jeder hier weiß, wer ihn umgebracht hat, warum hat die Polizei dann den Mörder noch nicht verhaftet?«

»Na, weil sie Beweise brauchen, Dummkopf. Wissen und beweisen sind zwei Paar Stiefel. Wenn Sie Reporter sind, wie Sie behaupten, sollten Sie das eigentlich wissen.«

»Ich bin noch nicht lange dabei«, sagte ich, »ich lerne noch.« Dabei reichte ich ihm meine Visitenkarte. Er warf einen Blick darauf und steckte sie in seine Hosentasche.

»Warum hat Sekine ihn getötet? Welchen Grund könnte er gehabt haben?«

»Ach, das«, seufzte der Mann, dann zog er eine Packung Zigaretten heraus, zündete sich eine an und nahm einen so tiefen Zug, dass die halbe Zigarette innerhalb von Sekunden zu Asche verbrannte. Nach einer Weile atmete er aus.

»Endo ist ein Yakuza. Und Yakuza jagen den Leuten gerne Angst ein. Sekine hat den Yakuza gefährliche Tiere verkauft – Tiger, Löwen und andere Tiere, mit denen sie normalen Leuten Angst machen konnten.«

»Aber warum sollte er Endo umbringen?«

»Keine Ahnung. Vielleicht ist er einfach nur böse. Auf jeden Fall ermordet er Menschen. Und Endo muss ihm irgendwie in die Quere gekommen sein.«

»Wie konnte er einen so großen Mann wie Endo umbringen?«

»Vielleicht hat er ihm eine Giftspritze in den Hals verpasst. Wumm! Ich habe einmal gesehen, wie er so einen Hund getötet hat, einen großen Hund. Vor langer Zeit habe ich mal für Sekine gearbeitet, aber jetzt nicht mehr. Er ist ein schlechter Mensch und tut böse Dinge. Endo war zwar ein Yakuza, aber für einen Yakuza war er gar nicht so schlimm.«

»Können Sie sich daran erinnern, wann Sie Endo zum letzten Mal lebend gesehen haben?«

»Nein, das weiß ich nicht mehr.«

»Wissen Sie, wann er verschwand?«

»Ja, das weiß ich. Denn ich weiß, wann ich ihn zum letzten Mal nicht gesehen habe.«

»Wann war das?«

»Das war letztes Jahr am 22. Juli, in der Früh.«

»Sie erinnern sich noch genau an diesen Tag? Warum?«

»Weil Endo versprochen hatte, mich an diesem Tag ins Krankenhaus zu fahren, damit ich meine Herztabletten holen konnte. Aber der Bursche ist nicht gekommen. Endo oder sein Fahrer – Wakui, ein netter Kerl – fuhren mich manchmal ins Krankenhaus. Das habe ich immer im Kalender aufgeschrieben. Als er an dem Tag nicht kam, war ich sauer, weil ich meine Medizin wirklich brauchte.«

»Danach haben Sie ihn also nicht mehr gesehen?«

»Genau, aber jemand hat mir erzählt, dass Endo und Sekine Streit hatten. Da wusste ich, dass Endo tot war und der Junge wahrscheinlich auch. Es ist eine Schweinerei. Ich hab der Polizei gesagt, dass Sekine sie umgebracht haben muss.«

Ich war zufrieden, mit diesen Angaben konnten wir ziemlich genau bestimmen, wann Endo verschwunden war. Während ich mir noch Notizen machte, ging der Alte plötzlich zum vollen Briefkasten, zog den kompletten Inhalt heraus und reichte ihn mir.

»Hier, das interessiert Sie doch, oder?«

Natürlich interessierte mich das, dennoch meinte ich: »Das geht nicht, das wäre Diebstahl.«

»Aber Sie haben es doch nicht gestohlen. Diese Post gehört nämlich niemandem. Tote lesen ihre Post nicht, und das Postamt schickt ihnen das Zeug nicht in die Hölle nach. Also, nehmen Sie es schon mit, vielleicht finden Sie ja etwas.« Damit legte er mir die Briefe in die Hände.

»Na gut«, seufzte ich und stopfte die Post in meinen Rucksack, »aber ich muss jetzt los. Danke für alles.«

Der Alte blieb mitten auf der Straße stehen und zündete sich eine neue Zigarette an. Bevor ich in ein wartendes Taxi einstieg, fragte ich ihn: »Kennen Sie jemanden, der noch etwas über Endo oder den Zeitpunkt seines Verschwindens wissen könnte?«

»Fragen Sie doch seine Freundin. Sie heißt Yumi-chan.«

»Yumi-chan?«

»Ja, sie ist echt heiß.«

»Müssen Sie heute auch ins Krankenhaus?«

»Ja.«

»Steigen Sie ein.« Als Dankeschön für seine Informationen nahm ich ihn im Taxi mit.

Die Mordkommission bewegte sich langsam wie ein Gletscher, die Abteilung für Wirtschaftskriminalität ärgerte sich, dass sie Sekine nicht wegen Betruges festnehmen konnte, und ich hatte erst Ende Mai wieder mit dem Fall zu tun.

Als ich einen Kontaktmann, der im Dezernat für das organisierte Verbrechen arbeitete, besuchte, schimpfte er: »Diese Blödmänner haben den besten Mann, den wir in der Abteilung haben, auf diesen Hundezüchterfall angesetzt. Und glauben Sie, irgendjemand hätte mich gefragt? Natürlich nicht. Obwohl wir den Mann dringend hier brauchen.«

Ich war sofort neugierig: »Wer ist denn der Mann? Ein Leutnant oder so was?«

»Nein, er ist eigentlich kein richtiger Kripobeamter. Ein echter Außenseiter, mag keine Prüfungen. Aber niemand überführt Verdächtige so schnell wie er. Vielleicht deshalb, weil er selbst wie ein Yakuza aussieht – aber nicht wie so ein Schlägertyp, sondern wie ein Boss. Er wohnt in Konan. Vielleicht ist er ja sogar mit Takada zur Schule gegangen!«

»Den würde ich gerne mal kennenlernen.«

»Dann besuchen Sie ihn doch. Er beißt nicht. Aber seien Sie höflich. Und sagen Sie ihm bloß nicht, dass ich Sie geschickt habe.«

»Was soll ich ihm denn dann sagen?«

»Am besten, dass jemand im Morddezernat Ihrem Chef seinen Namen verraten hat. Er mag die Leute dort ohnehin nicht. Und Sie müssen dann keinen Namen nennen, weil Sie Ihren Chef natürlich nicht verpetzen dürfen.«

»Wie heißt er denn?«

»Sekiguchi.«

Yamamoto war sehr erfreut darüber, dass ich eine neue Quelle aufgetan hatte. Da wir bei der Polizei immer noch in Ungnade standen, war jede andere Möglichkeit gut.

»Gut gemacht, Adelstein. Aber wenn du diesen Burschen zum
Reden bringen willst, brauchst du einen Plan. Hat er Kinder?«

»Keine Ahnung. Ich denke schon. Irgendjemand hat etwas von Töchtern erwähnt.«

»Gut. Dann nimm Eis mit.«

»Warum Eis? Nur weil Kinder angeblich immer Eis mögen?«

»Nein, das ist deine Eintrittskarte, Adelstein. So kommst du durch die Tür. Wenn der Mann nicht zu Hause ist, kannst du zu seiner Frau sagen, dass du Eis mitgebracht hast, und sie bitten, es in den Kühlschrank zu legen, damit es nicht schmilzt. Wenn er zu Hause ist, nimmt er das Eis vielleicht an und lässt dich rein. Wenn seine Kinder das Eis sehen, wollen sie sicher etwas davon haben. Und vielleicht finden sie dich nett. Wenn ja, hast du seine Frau auf deiner Seite.«

»Ich soll mich bei seiner Frau einschleimen?«

»Ja, stell dich gut mit ihr. Arbeite an deinem Japanisch, Jake. Vertrau mir. Wenn du etwas mitbringst, dann Eiscreme. Und denk daran, du willst ja Eindruck schinden. Denn kein Polizist ist verpflichtet, mit uns zu reden. Also glaub mir: Kein guter Polizeireporter taucht mit leeren Händen auf – niemals.«

»Äh, kann ich das als Spesen abrechnen?«

»Vergiss es, das zahlst du aus eigener Tasche. Jeder bezahlt für seine Quellen selbst.«

Das war der Nachteil an meinem Job. Man bekommt zwar vielleicht eine Gehaltserhöhung von der Yomiuri, aber sie ist der Arbeitszeit nie angemessen. Und außerdem hat man ein sehr kleines Spesenkonto, aber je besser man wird, desto mehr Geld braucht man, um Polizisten zu bewirten und zu beschenken. Sogar die Eintrittskarten für die Yomiuri Giants, von denen oft angenommen wurde, dass wir sie umsonst bekämen, mussten wir aus eigener Tasche bezahlen. Aber je mehr Informanten wir hatten, desto höher waren die Ausgaben.

Trotzdem befolgte ich Yamamotos Rat und kaufte in einem Supermarkt den größten Becher Schokoladeneis, den es gab. Dann fuhr ich um sieben Uhr abends zum Haus des Ermittlers. Es stand auf einem leeren Feld, hatte eine kleine Veranda und sah eher wie eine Hütte aus.

Ich ließ den Fahrer außer Sichtweite warten. Als ich mich dem Haus näherte, war ich nervös wie immer bei solchen ersten Treffen. Aber da ich den Mann, mit dem ich mich anfreunden wollte, gar nicht kannte, war es diesmal sogar noch schlimmer.

Als ich klingelte, hörte ich Kinder lachen – perfekt. Dann kam Frau Sekiguchi an die Tür und schaltete das Licht ein. Zwei kleine Mädchen tauchten an ihren Seiten auf, streckten die Köpfe vor und starrten die Erscheinung vor ihnen neugierig an.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung – ich weiß, es ist schon spät. Mein Name ist Jake Adelstein von der Yomiuri Shimbun«, sagte ich in meinem höflichsten Japanisch und überreichte ihr meine Karte.

Sie sah verwirrt aus. »Aber wir haben die Yomiuri bereits abonniert.«

»Danke«, antwortete ich und verbeugte mich, »aber ich bin Journalist und würde gerne mit Ihrem Gatten sprechen.«

»Ach so. Ich frage ihn, ob er mit Ihnen reden möchte.«

Sie ging hinein, und die zwei Mädchen kamen auf die Veranda. »Was bist du denn?«, fragte die Kleinere.

»Müsste es nicht heißen, wer bist du?«, verbesserte ich sie.

Aber sie blieb stur. »Nein, ich meine, was bist du? Ein Mensch bist du auf jeden Fall nicht.«

»Doch, er könnte ein Mensch sein«, meinte ihre Schwester.

Ich wusste nicht so recht, was ich dazu sagen sollte. »Warum glaubst du denn, dass ich kein Mensch bin?«

Die Kleine antwortete sofort. »Du hast spitze Ohren und eine so große Nase, dass du kein Mensch sein kannst.«

»Aber was bin ich denn dann?«, wollte ich wissen.

Sie kam näher und starrte in mein Gesicht. »Du hast eine große, lange Nase, spitze Ohren und große, runde Augen. Und du tust so, als könntest du japanisch sprechen wie ein Mensch. Du musst ein tengu sein – ein Kobold.«

Ihre große Schwester schüttelte den Kopf. »Nein, Chi-chan, er hat nur ein spitzes Ohr. Und seine Haut ist nicht rot, nur rosa. Aber er hat auf jeden Fall eine Tengu-Nase.«

Chi-chan wollte, dass ich mich bückte, damit sie meine Nase berühren konnte. Ich tat es. Ohne zu zögern steckte sie zwei Finger in meine Nasenlöcher und zog heftig daran. Ich wäre fast umgekippt. Dann wischte sie sich die Finger an ihrer Jeans ab, kratzte sich am Kopf und klatschte plötzlich in die Hände. »Jetzt weiß ich es, du bist halb tengu und halb Mensch. Oder was meinst du, Yuki-chan?«

Bevor Yuki-chan ihr Urteil dazu abgeben konnte, kehrte Frau Sekiguchi zurück. »Mein Mann will nicht mit Reportern reden. Tut mir leid«, sagte sie entschuldigend.

»Ich verstehe«, erwiderte ich, »ich schreibe für die Zeitung über das organisierte Verbrechen und weiß, dass viele Polizisten ungern mit der Presse zu tun haben. Aber manchmal kann ich, ob Sie es glauben oder nicht, sogar nützlich für sie sein.«

Frau Sekiguchi lachte. »Nun, vielleicht ein andermal.«

Ich reichte ihr die Tüte mit der Eiscreme. »Das hier würde die Fahrt nach Urawa nicht überleben. Bitte nehmen Sie es, es fängt schon an zu schmelzen. Ich bin sicher, dass Chi-chan und Yuki-chan sich darüber freuen werden.«

Dann verabschiedete ich mich von den Kindern und ging langsam in Richtung Taxi. Als ich das Feld halb überquert hatte, hörte ich eine tiefe Stimme: »Yomi-san (etwa: Herr Yomiuri), warten Sie!«

Ich drehte mich um und sah eine imposante Gestalt in Jeans und mit T-Shirt auf der Veranda. Es war Sekiguchi. Ich kehrte um.

»Danke für das Eis«, sagte er und schüttelte mir fest die Hand. »Aber das ist viel zu viel für vier Leute. Am besten kommen Sie rein und essen mit.«

Sekiguchi hatte sehr dunkle Augen, hohe Wangenknochen und eine ausgeprägte Nase, die offensichtlich einmal gebrochen gewesen war. Er winkte mich hinein.

Die Kinder und Frau Sekiguchi saßen auf dem Wohnzimmerboden und hatten die Füße unter die Decke eines niedrigen Tisches gestreckt. Meine Visitenkarte lag vor Frau Sekiguchi, und die beiden Mädchen hatten etwas auf dem Tisch verteilt, was nach Hausaufgaben aussah. Sekiguchi brachte fünf Teller mit Eiscreme und stellte sie auf den Tisch. Nun reichte ich ihm das Bier, das ich sicherheitshalber ebenfalls mitgebracht hatte.

»Oh, danke!«, sagte er und brachte es in die Küche, dann setzte er sich und fragte plötzlich: »Ach, Verzeihung – möchten Sie ein Bier trinken?«

»Nein, danke. Aber trinken Sie kein Bier?«

»Nein, nicht zu Hause. Das wäre ein schlechtes Beispiel für die Kinder.«

Er zündete sich eine Zigarette an und hielt mir die Packung hin. Ich nahm gerne eine Zigarette, schon um meinen Händen eine Beschäftigung zu geben.

Im folgenden Gespräch stellte Sekiguchi Fragen über mich, meine Herkunft und mein Leben vor der Zeit bei der Yomiuri. Er konnte sehr gut zuhören, entweder war er wirklich interessiert oder er konnte gut so tun. Als wir das Eis aufgegessen hatten, dankte er mir noch einmal.

»Das war köstlich. Sie haben Erfolg gehabt, denn Sie wollten hereingebeten werden und haben es geschafft. Jetzt bleibt nur die Frage, ob ich Ihnen trauen kann und soll?«

»Ja, das ist die Frage.«

»Woher haben Sie eigentlich meinen Namen?«

Ich zögerte kurz, denn ich wollte nicht lügen, aber auch nicht alles ausplaudern. »Wie Sie wissen, schreibe ich über organisierte Kriminalität, das ist mein Fachgebiet als Polizeireporter.«

»Aber Sie sind hier, weil ich am Hundezüchterfall arbeite.«

Ich nickte. »Das stimmt. Ich schreibe über das organisierte Verbrechen, und Sie kümmern sich um den vermissten Yakuza. Das habe ich jedenfalls gehört.«

Er nickte und sagte: »Aber Sie haben meine ursprüngliche Frage nicht beantwortet. Woher haben Sie meinen Namen und meine Adresse?«

»Wenn ich Ihnen das sage, wie können Sie mir dann noch vertrauen? Wie können Sie dann sicher sein, dass ich Ihren Namen nicht
dem Falschen verrate? Und wenn ich es Ihnen sagen würde, bestünde dann nicht die Gefahr, dass Sie sich meinen Informanten vorknöpfen?«

Sekiguchi lachte. »Gute Antwort. Sie sind gut vorbereitet. Na schön, ich frage nicht nach Namen. Aber geben Sie mir einen Tipp. Ich verspreche, dass ich das nicht gegen Sie verwende und auch nicht nach Ihrem Informanten forsche. Ich bin nur neugierig.«

»Sie wollen also, dass ich Ihnen vertraue?«

»Das müssen wir wohl beide.«

»In Ordnung. Ich bin dem Morddezernat schließlich nicht zur Loyalität verpflichtet. Es gehört nicht zu meinem Arbeitsgebiet. Jemand, der den Fall bearbeitet, nannte meinem Chef Ihren Namen. Er will mir nicht sagen, wer es war, und ich würde ihn nie danach fragen.«

Sekiguchi kräuselte die Lippen, drückte seine Zigarette aus und grinste. »Diese Burschen verbringen 80 Prozent ihrer Zeit damit, sich die Presse vom Leib zu halten und die Ermittlungen zu sabotieren. Aber natürlich gibt jeder von ihnen Informationen an seinen Lieblingsreporter weiter, vor allem an hübsche Frauen. Also, was wollen Sie wissen?«

»Was können Sie mir über Endo sagen«, begann ich, »und über Gen Sekine?«

»Was wissen Sie denn schon über Endo?«

Ich sagte ihm, was ich wusste, dann bot mir Sekiguchi noch eine Zigarette an, und wir rauchten beide.

»Wie soll ich Sie eigentlich ansprechen? Ich habe keine Lust, jedes Mal Aderusutain zu sagen.«

»Jake reicht.«

»Jake-san? Jake-kun?«

»Einfach Jake.«

»Gut, ich werde Ihnen sagen, was ich weiß, aber unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«

»Ein Großteil dieser Informationen ist nur der unteren Ebene bekannt. Wenn Sie sie drucken, dann werden die hohen Tiere, die diese Informationen noch nicht hatten, unten nach der undichten Stelle suchen. Sie müssen also warten, bis eine Information die Leiter nach oben gestiegen ist, bevor Sie sie noch einmal überprüfen. Andernfalls fliegen Ihre Quellen auf. Verstanden?«

»Ja, klar.«

»Okay, ich sage Ihnen also, was ich weiß, und Ihr Umgang mit den Informationen verrät mir, wie zuverlässig Sie sind. Kapiert?«

»Kapiert.«

»Nach den bisherigen Ermittlungen hat Sekine acht Menschen ermordet. Der Mord an Endo lässt sich von allen noch am ehesten durch Indizien und Zeugenaussagen belegen. Wir haben Zeugen, die bestätigen können, dass Endo Sekine kurz vor seinem Verschwinden getroffen hat und dass Sekine ihn an diesem Tag verletzt hat. Mehr sage ich dazu nicht.«

Ich fragte Sekiguchi, wieso ein Hundezüchter wie Sekine einen so engen Kontakt zur Yakuza haben könne.

»Bevor Sekine nach Konan kam, hatte er mit der Yamaguchi-gumi einen heftigen Streit, bei dem es um Geld ging. Er gehörte einer anderen Yakuza-Gruppe an, der Kyokuto-kai. Als er hierherkam, führte ihn ein Kunde in die Takada-gumi ein, die ihn dann unter ihre Fittiche nahm.

Zum Dank dafür schenkte er Takada, dem Boss, einen unglaublich teuren Hund. Das war der Beginn seiner Beziehung zur Inagawa-kai. Er versorgte die Yakuza mit exotischen Tieren und verkaufte jedem Yakuza, der Geld hatte, scharfe Hunde und wilde Tiere. Die Kerle mögen diese Biester, weil sie ihr Image als harte Jungs stärken. Einer Gruppe verkaufte er sogar einen Löwen. Der lebt noch. Aber dieser Typ mag eigentlich gar keine Tiere, er bewundert sie in gewisser Weise und benutzt sie.

Vor ein paar Monaten zum Beispiel stritten sich Sekine und ein Kunde über den Preis für einen Hund. Die Verhandlungen waren festgefahren. Stellen Sie sich die Situation einmal vor: Der Kunde steht in Sekines Laden und zu seinen Füßen sitzt ein reinrassiger Alaska-Malamut. Der Kunde besteht darauf, dass er auf keinen Fall die anderthalb Millionen Yen zahlen wird, die der Züchter verlangt, und fordert eine halbe Million Nachlass.

›Du willst 500 000 Yen Rabatt?‹, murmelt Sekine und streichelt lächelnd den Hund. Dann nimmt er eine Schere vom Tisch, schneidet dem Hund ein Ohr ab und wirft es dem Kunden vor die Füße. ›Okay‹, sagt er, ›du hast gewonnen. Hier hast du den Rabatt.‹ Der Mann zahlt den Preis, nimmt den Hund und geht, weil er fürchtet, dass das nächste abgetrennte Ohr womöglich nicht dem Hund gehören wird.

Würde ein normaler Mensch so handeln? Sekine bewundert die Tiere, weil sie kein Gewissen haben und nur instinktiv reagieren. So würde er auch gerne sein.«

Der Abend war für mich sehr interessant gewesen. Als Sekiguchi mich zur Tür brachte, legte er mir seine kräftige Hand auf die Schulter und hielt mich auf. Ich drehte mich um. Hatte ich womöglich einen schlimmen Fauxpas begangen?

Er schaute mir in die Augen und zeigte dann auf meine Füße. »Ihre Socken passen nicht zusammen. Wussten Sie das?«

Gegen Mitternacht war ich wieder in Saitama. Yamamoto wartete auf mich.

»Und, wie ist es gelaufen?«, fragte er.

»Sehr gut«, antwortete ich. »Aber er war echt zugeknöpft, hat nur gesagt, dass er an dem Fall arbeitet. Immerhin bin ich ins Haus gekommen.«

»Ausgezeichnet«, meinte Yamamoto.

Ich hatte ihm nicht die Wahrheit gesagt, weil ich zwar ihm, nicht aber Kobra traute. Da ich Sekiguchis Warnung ernst nahm, wollte ich verhindern, dass meine Notizen zu schnell nach oben wanderten und Sekiguchi dafür bezahlen musste. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich sogar vor meinen Kollegen manchmal etwas verheimlichen musste, um meine Kontaktleute zu schützen. Später musste ich lernen, dass man bisweilen auch vor Menschen, die man liebt, etwas verheimlichen muss.