Erpressung, die beste Freundin
des Jungreporters

Nach einigen Monaten als Polizeireporter hatte ich mich mit mehreren Polizisten angefreundet, aber noch keinen einzigen Knüller gelandet. Was auch schwierig war, denn dazu musste ich von einem interessanten Fall Wind bekommen, den niederrangigen Beamten finden, der ihn bearbeitete, sein Vertrauen gewinnen, ihm seine Informationen entlocken und dann in der Hierarchie nach oben wandern, ohne dass die hohen Tiere merkten, dass ich unten bereits Informationen erhalten hatte.

Manchmal wartete ich stundenlang, bis ein Informant nach Hause kam, und konnte nur hoffen, dass er während eines kurzen Gesprächs ein paar verwertbare Krümel ausspucken würde. Wenn es sich um einen großen Fall handelte, traf ich den Informanten vielleicht tagelang nicht zu Hause an. 1993 waren solche Kontakte noch schwieriger, weil die meisten Leute kein Handy besaßen. Ich brauchte also immer auch Glück, um ihn am Arbeitsplatz, zu Hause oder irgendwo sonst anzutreffen.

Zudem musste ich mir von einer dritten Partei bestätigen lassen, dass ich über alle Fakten verfügte, und ich musste meinen Redakteur davon überzeugen, dass es kein Risiko war, einen Artikel zu veröffentlichen, ohne dass wir uns auf eine offizielle Pressemitteilung berufen konnten. Manchmal musste ich zu Verdächtigen nach Hause fahren, um zu überprüfen, ob sie verhaftet worden waren; denn in Japan werden die entsprechenden Namen nicht veröffentlicht. Wenn ich dann bereit war, den Artikel zu schreiben, und den Polizeichef darüber informierte, gab er oft eilig eine Pressemitteilung heraus und machte damit meinen Knüller – und alle meine Bemühungen – zunichte.

Trotzdem hatte ich Erfolg, und zwar auf die altmodische Weise:
Erpressung.

Jeden Abend tippte ich meist langweilige Sportberichte, Geburtsanzeigen und Todesnachrichten und nahm die Essensbestellungen meiner Vorgesetzten entgegen. Dazwischen stieg ich auf mein Fahrrad, fuhr hinüber zum Polizeirevier Omiya und hing bei den Polizisten herum. Wenn sie nicht beschäftigt waren, setzte ich mich meist zu ihnen und wir plauderten ein wenig. Wir tranken grünen Tee und unterhielten uns über Politik, frühere Fälle oder das Fernsehprogramm. Oft brachte ich ihnen auch Donuts mit, die wohl kaum zur üblichen Kost der japanischen Polizisten gehörten, ihnen aber zu schmecken schienen.

Einer meiner Informanten, ein Bahnpolizist, erzählte mir von einem Berufstaschendieb, den man vor einigen Wochen geschnappt hatte und der zahlreiche Diebstähle gestanden hatte. Ich fand es erstaunlich, dass dieser Taschendieb jeden Tag im Anzug und mit Krawatte »zur Arbeit« ging – ein echter Profi also. Dass ähnliche Geschichten immer wieder in japanischen Nachrichten auftauchen, wusste ich damals noch nicht, daher erregte der Fall mein Interesse.

Nachdem ich die Hinweise dreifach geprüft hatte, war ich bereit,
einen Artikel zu schreiben. Ich hatte alles, was ich brauchte – abgesehen von der Zahl der Straftaten, die er gestanden hatte, und die war die Grundlage für die Story. Da auch die Manager der Bahn sie nicht kannten, blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem hohen Beamten der Polizei von Omiya zu reden, die den Fall bearbeitete.

Der Polizeichef hieß Fuji. Er galt als hervorragender Polizist, vor allem bei Verhören, aber die Reporter fanden ihn durchweg unsympathisch. Er war groß und mager, hatte die übliche dicke Brille auf der Nase und trug immer zerknitterte graue Anzüge. Schon um zehn Uhr morgens hatte er dunkle Schatten unter seinen Augen.

Ich glaube nicht, dass er mich sympathisch oder unsympathisch fand, sondern einfach nur lästig. Einer jener nervtötenden kleinen Reporter, die irgendwann von einem anderen Neuling abgelöst wurden, und in diesem Fall hoffentlich von einem Japaner. Ich sagte ihm, dass ich diesen Artikel schreiben wolle, und bat ihn um seine Zustimmung. Aber er ging nicht darauf ein.

»Wenn Sie genug zu wissen glauben, dann schreiben Sie ihn. Aber ich wette, dass Sie nicht wissen, wie viele Taschen er geleert hat,
bevor wir ihn geschnappt haben. 10, 100, 200?«

»Es waren also über 100?«

»Sie wissen es nicht, oder?«

»Nein.«

»Tja, dann ist das wohl keine Story. Warum warten Sie nicht einfach eine Woche, dann bekommen Sie alle Details.«

»Nur ich?«

»Nein. Wir veröffentlichen die Ergebnisse in einer Woche, und Sie können dann alle Fragen stellen, die Sie haben.«

»Aber dann ist es keine Exklusivmeldung mehr.«

»Das ist nicht mein Problem. Ich mache nur den Papierkram, und meine Beamten ermitteln. Sobald wir alle Fakten beisammen haben, geben wir sie bekannt, und Sie schreiben darüber. Dann ist der Fall abgeschlossen.«

Dann rief er einen Polizisten zu sich und zeigte auf mich. »Würden Sie Adelstein-san bitte eine Tasse Tee bringen? Er arbeitet sehr hart und sieht durstig aus.« Er ließ mich an seinem Schreibtisch sitzen und Tee trinken, während er nach unten ging, um mit seinem Stellvertreter zu reden. Wahrscheinlich wollte er ihn warnen, dass ich herumschnüffelte.

Wenn ich ein Polizist gewesen wäre, hätte ich mich genauso verhalten. Mein Artikel würde ihm natürlich nicht das Geringste nützen. Ich hatte auch nicht den entsprechenden Namen, um ihm einen guten Artikel zu versprechen, und ich konnte ihm auch keine Informationen anbieten, die einen Handel ermöglicht hätten. Andererseits hatte er auch nichts zu verlieren. Denn der Artikel würde dem Ansehen der Polizei in der Umgebung sicher nicht schaden.

Bis zur Pressemitteilung blieb mir noch eine Woche. Also ging ich an diesem Abend wieder zu meinen Polizeifreunden, trank Tee und schaute fern. Auf einmal bemerkte ich ein Bild am Schwarzen Brett, die Phantomzeichnung eines Diebes, der große Elektronik- und Bekleidungsgeschäfte an einer wichtigen Straße der Stadt geplündert hatte. Der Text dazu beschrieb sein Aussehen, seine Vorgehensweise und jedes beraubte Geschäft in allen Einzelheiten.

»Habt ihr etwas dagegen, wenn ich ein Foto vom Revier mache?«, fragte ich wie beiläufig einen Beamten, der gerade an einem Marmeladendonut kaute. »Mein Vater ist Gerichtsmediziner in Missouri, und es würde ihn bestimmt interessieren, wie ein japanisches Polizeirevier aussieht.«

Die Männer waren gebührend beeindruckt davon und fragten mich über die Arbeit meines Vaters aus, während sie sich für die Fotos aufstellten. Ich dirigierte sie neben das Schwarze Brett und machte eine Nahaufnahme vom Phantombild.

Um 23 Uhr war ich wieder im Büro, aß ein Stück kalte Pizza, die noch im Kühlschrank lag, und entwickelte den Film – damals noch eine unangenehme Arbeit. Ich vergrößerte den Text, schnitt ihn aus, machte schlechte Kopien davon, zerknüllte sie und nahm die mieseste Version mit nach Hause. Ich wollte den Eindruck erwecken, als hätte ich eine Kopie von einem der Opfer oder einem örtlichen Händler erhalten oder sie aus einem Papierkorb gefischt. Niemand durfte wissen, dass ich das Schwarze Brett fotografiert hatte, als ich im Polizeirevier herumhing. Das hätte meinen Zugang zum
Revier gefährdet, und meine Donut kauenden Freunde hätten Ärger bekommen.

Am nächsten Tag ging ich in eines der Geschäfte, sprach mit dem Chef über das Verbrechen und fragte ihn, ob er ähnliche Fälle kenne. Er zeigte mir seine Kopie des Polizeiberichts, wollte sie mir aber nicht geben. Gegen zwei Uhr nachmittags ging ich ins Revier von Omiya und bat erneut um ein Gespräch mit Fuji.

Fuji bot mir einen Platz an, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und sah mich spöttisch an.

»Na, was macht die große Story?«, fragte er.

»Die habe ich aufgegeben.«

»Aufgegeben?«

»Ja, ich habe eine bessere. Ich werde einen Artikel über die jüngsten Ladendiebstähle in Omiya schreiben. Und wahrscheinlich werde ich auch dieses Phantombild abdrucken.«

Dabei zeigte ich ihm die Kopie, gab sie ihm aber nicht.

»Woher haben Sie das?«, fauchte er.

»Ich habe bereits mit einigen Opfer gesprochen.« Das war weder eine Antwort noch eine richtige Lüge, konnte aber so verstanden werden, wie ich wollte.

Fuji schimpfte: »Wir befinden uns mitten in den Ermittlungen. Wenn Sie das veröffentlichen, verschrecken Sie den Täter, und wir erwischen ihn nie.«

»Tja, das ist nicht mein Problem«, gab ich zurück. »Ich muss Informationen sammeln und sie so schnell wie möglich aufschreiben und veröffentlichen, zum Nutzen der Bevölkerung. Aber wenn Sie wollen, kann ich erwähnen, dass Sie noch ermitteln.«

»Schreiben Sie nichts darüber.«

»Ich bin Reporter. Ich muss schreiben, das ist mein Job. Ihre Aufgabe ist es, zu ermitteln und Verbrecher zu fangen, und ich muss auch ermitteln und meine Ergebnisse in die Zeitung bringen. Wenn ich nicht schreibe, arbeite ich nicht, und derzeit habe ich nichts Besseres für einen Artikel.«

Fujis Augen verengten sich hinter seinen dicken Brillengläsern.
»Ich könnte Ihnen etwas viel Besseres bieten.«

»Und das wäre?«

»Ich gebe Ihnen Informationen über den Taschendieb, die noch keine andere Zeitung besitzt.«

»Schön, aber ich bin nur daran interessiert, wenn das Ganze absolut exklusiv ist.« Ich fand mich unverschämt frech.

»Das geht nicht. Wenn wir Sie bevorzugen, kommen alle anderen Reporter und beschweren sich, dass sie ungerecht behandelt werden.«

»Dann lassen Sie sie eben jammern. Ich muss meinem Chef in 30 Minuten mitteilen, was ich für die Morgenausgabe liefern kann. Und bis jetzt habe ich nur diesen Serieneinbrecher.«

»Warten Sie«, sagte er. »Geben Sie mir 30 Minuten.« Er winkte einer Polizistin, die eine Tasse grünen Tee brachte und vor mir auf den Tisch stellen wollte, als Fuji sie aufhielt. »Wäre Ihnen Kaffee lieber?«, fragte er.

»Nein, nein, Tee ist wunderbar.«

»Aber Sie bevorzugen Kaffee, oder?«

»Nun ja …«

Fuji nickte der Frau zu.

»Sahne oder Zucker?«, fragte sie.

»Beides bitte.«

»Okay, warten Sie hier«, wies Fuji mich an, bevor er die Treppe hinunterstieg.

Der Pulverkaffee schmeckte schrecklich, aber immer noch besser als der grüne Tee.

Nach 20 Minuten kam Fuji zurück. »Also, kommen Sie morgen Mittag in die Dojo-Trainingshalle. Ich sage Ihnen dann alles, was Sie über den Taschendieb wissen wollen. Legen Sie sich aber Ihre Fragen vorher zurecht, denn ich mache das nur einmal.«

Das war’s.

An diesem Abend erzählte ich Yamamoto von dem Handel. Er war erfreut und stinksauer zugleich.

»Du hast wegen dieser Story den Polizeichef erpresst?«

»Ich hab ihn nicht erpresst. Ich habe eine Story gegen eine andere getauscht.«

»Du hast ihn erpresst.«

»Habe ich ihm etwa gedroht?«

»Äh ... nein.«

»Dann ist es auch keine Erpressung.«

»Adelstein, du bist wirklich unbezahlbar. Du hast Mumm. Und raffiniert bist du obendrein.«

»Habe ich etwas falsch gemacht?«

»Bei dem Aufwand hättest du ihm eine bessere Story entlocken sollen. War der lausige Taschendieb wirklich alles, was du erreichen konntest?«

»Es gab sonst nichts.« »Na schön«, sagte er. »Besorg dir die Story, schreib den Artikel und ich versuche, das Ganze beim Ressortchef
als Exklusivmeldung unterzubringen.«

Als ich am nächsten Tag in die Trainingshalle kam, wartete Fuji schon auf mich. Es saß mit gekreuzten Beinen auf der Tatamimatte und hatte ein Bündel Papiere auf dem Schoß. Nachdem ich die Schuhe ausgezogen hatte, betrat ich die Matte und setzte mich ihm in der Seiza-Stellung gegenüber: die Knie eng beieinander, die Füße unter dem Gesäß.

Fuji nahm die Brille ab, legte sie neben sich und schaute mich an. Also zog ich Notizblock und Kugelschreiber heraus.

»Adelstein.«

»Ja, Fuji-san.«

»Ihre Socken passen nicht zueinander.«

Ich schaute auf meine Füße. Es stimmte, ich trug eine graue und eine schwarze Socke. »Tut mir leid, aber heute Morgen hatte ich es etwas eilig.«

Fuji schüttelte den Kopf. »Sie sind ein komischer Typ. Zuerst habe ich Sie für etwas unbedarft gehalten, aber Sie scheinen genau zu wissen, was Sie tun. Andererseits können Sie nicht einmal die richtigen Socken anziehen.«

»Das stimmt wohl.«

»In den acht Jahren, seit ich Polizist bin, habe ich noch nie einem Reporter exklusive Informationen gegeben.«

»Es ist mir wirklich eine Ehre, der Erste zu sein.«

»Und der Letzte. Sie dürfen niemandem verraten, dass ich Sie in diesen Fall eingeweiht habe. Wenn jemand Sie fragt, woher Sie die Informationen haben, was sagen Sie dann?«

»Ich glaube nicht, dass das jemanden interessiert.«

»Oh doch. Ich kenne die Sorte.«

»Meine Sorte?«

»Die Reporter. Also, was sagen Sie dann?«

Ich dachte einen kurzen Augenblick nach. »Ich sage, dass eine undichte Stelle im Polizeihauptquartier meinen Chef informiert hat und ich den Artikel schreiben musste, weil ich dafür zuständig bin.«

»Ausgezeichnete Antwort.«

Dann schilderte Fuji die Ereignisse, die zur Festnahme des Taschendiebes geführt hatten, und die interessanten Aspekte des Falles. Er nannte das Geburtsdatum des Diebes und die Zahl der Straftaten, die der Bursche gestanden hatte. Und er beantwortete geduldig alle meine Fragen.

Er hat mir zwar nie wieder zu einem Knüller verholfen, solange ich über Verbrechen in Omiya berichtete, aber er fragte mich jedes Mal, wenn ich mit ihm plauderte, ob ich grünen Tee oder Kaffee haben wolle.

Der Artikel erschien Ende November in der Spalte »Hintergrundnachrichten« der lokalen Yomiuri, und dies sogar mit meinem Namen darunter.