Zehntausend Zigaretten

»Vergessen Sie die Story, oder wir machen Sie fertig. Vielleicht auch Ihre Familie. Aber zuerst Ihre Familie, damit Sie Ihre Lektion lernen, bevor Sie sterben.«

Der gut gekleidete Vollstrecker sprach sehr langsam, so wie man mit Idioten oder Kindern oder ahnungslosen Ausländern spricht.

Offenbar meinte er es ernst.

»Verzichten Sie auf die Story und auf Ihren Job, und alles ist vergessen. Wenn Sie den Artikel schreiben, werden wir Sie überall in diesem Land aufstöbern. Verstanden?«

Es ist keine besonders gute Idee, Yamaguchi-gumi, Japans größte Verbrecherorganisation, zu reizen. Denn etwa 40 000 wütende Mitglieder sind eine Menge.

Die japanische Mafia. Sie können sie als Yakuza bezeichnen, aber viele ihrer Mitglieder nennen sich lieber gokudo, was wörtlich »der höchste Weg« bedeutet. Yamaguchi-gumi ist die Spitze des Gokudo-Eisberges. Und unter den vielen Einzelgruppen, aus denen Yamaguchi-gumi besteht, ist Goto-gumi mit ihren über 900 Mitgliedern die schlimmste. Sie zerschlitzen Filmregisseuren das Gesicht, werfen Menschen von Hotelbalkons, jagen Planierraupen in Häuser und
vieles mehr.

Und der Mann, der mir gegenübersaß und dieses Angebot machte, gehörte zur Goto-gumi.

Seine Stimme war nicht drohend, er grinste auch nicht höhnisch oder kniff die Augen zusammen. Abgesehen von seinem dunklen Anzug sah er nicht einmal wie ein Yakuza aus. Er hatte noch alle Finger. Er rollte das R nicht wie die Ganoven in den Filmen. Eher glich er einem leicht indignierten Kellner in einem schicken Restaurant.

Er ließ die Asche seiner Zigarette auf den Teppich fallen und drückte die Kippe dann automatisch im Aschenbecher aus. Dann zündete er sich mit einem vergoldeten Feuerzeug eine neue Zigarette an. Er rauchte Hope – weiße Packung, Blockbuchstaben. Reportern fällt so etwas auf, aber es waren keine normalen Hope-Zigaretten, sondern eine halb so lange, dickere Version. Mehr Nikotin. Tödlich.

Die Yakuza hatte noch einen weiteren Vollstrecker zu diesem Treffen geschickt, doch der sagte kein einziges Wort. Der Stumme war dünn und dunkel, er hatte ein Pferdegesicht und wirres, langes, orange gefärbtes Haar – der Chahatsu-Stil. Er trug den gleichen dunklen Anzug.

Ich war mit einem rangniederen Polizisten gekommen, der früher in der Einsatzgruppe gegen das organisierte Verbrechen im Bezirk Saitama gearbeitet hatte: Chiaki Sekiguchi. Er war etwas größer als ich, fast so dunkel, untersetzt, mit tiefliegenden Augen und einer Elvis-Frisur. Er wurde oft für einen Yakuza gehalten. Wäre er den anderen Weg gegangen, hätte er es bestimmt zu einem angesehenen Gangsterboss gebracht. Er war ein großartiger Polizist, ein guter Freund, in mancher Hinsicht mein Mentor, und er hatte mich freiwillig begleitet. Ich warf ihm einen Blick zu. Er hob die Augenbrauen, warf den Kopf zurück und zuckte mit den Schultern. Er würde mir keinen weiteren Rat geben. Nicht jetzt. Ich war also auf mich allein gestellt.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich eine rauche, während ich
darüber nachdenke?«

»Nur zu«, sagte der Yakuza etwas zurückhaltender als ich.

Ich zog eine Packung Gudang Garam – indonesische Nelkenzigaretten – aus der Jacke. Sie enthielten viel Nikotin und Teer und rochen wie Weihrauch. Das erinnerte mich an die Tage, die ich als College-Student in einem Zen-Tempel verbracht hatte. Vielleicht hätte ich buddhistischer Mönch werden sollen. Doch jetzt war es ein wenig zu spät dafür.

Nachdem ich mir eine Zigarette in den Mund gesteckt hatte, tastete ich nach dem Feuerzeug, doch der Vollstrecker zückte flink seines und hielt es mir hin, bis er sicher war, dass meine Zigarette brannte. Er war sehr zuvorkommend, sehr professionell.

Ich schaute zu, wie der dicke Rauch in konzentrischen Kreisen die Zigarettenspitze verließ. Die brennenden Nelkenblätter im Tabak knisterten, als ich inhalierte. Es kam mir vor, als sei die ganze Welt still geworden und als gäbe es nur dieses Geräusch: Knacken, Knistern, Glühen. So ist das bei Nelken. Kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass die Funken hoffentlich kein Loch in meinen oder seinen Anzug brannten, doch dann fand ich, dass das momentan meine geringste Sorge sein sollte.

Ich wusste wirklich nicht, was ich tun oder sagen sollte. Keine Ahnung. Denn ich hatte nicht genug Material für den Artikel. Verdammt, es war gar kein Artikel. Trotzdem. Er wusste das nicht, aber ich wusste es. Und meine wenigen Informationen hatten mir diese unangenehme Begegnung eingebrockt.

Aber vielleicht hatte das Ganze auch sein Gutes, vielleicht war es jetzt an der Zeit, nach Hause zu gehen. Vielleicht sollte Schluss
damit sein, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, um zwei Uhr
morgens nach Hause zu kommen und um fünf wieder zu gehen.
Ich war es leid, dauernd müde zu sein.

Leid, Knüllern nachzujagen, von Kollegen ausgestochen zu werden, sechs Abgabetermine am Tag einzuhalten – drei am Morgen für die Spätausgabe und drei am Abend für die Morgenausgabe. Ich war es leid, jeden zweiten Tag verkatert aufzuwachen.

Ich war mir sicher, dass er nicht bluffte. Er schien es sehr ernst zu meinen. Seiner Meinung nach würde die Story, die ich schreiben wollte, seinen Boss umbringen. Natürlich nicht direkt, aber es wäre die Folge gewesen. Und sein Boss war sein oyabun, sein Ersatzvater. Tadamasa Goto, der berüchtigtste japanische Gangster. Deshalb fühlte er sich natürlich dazu berechtigt, mich zu töten.

Aber wenn ich meinen Teil des Handels einhalten würde, würden sie dann ihr Wort halten? Doch das größte Problem war, dass ich die Story nicht schreiben konnte, da mir noch Fakten fehlten. Aber das durfte ich ihnen natürlich nicht verraten.

Alles, was ich wusste, war: Im Sommer 2001 hatte sich Tadamasa Goto im Dumont-UCLA-Leberkrebszentrum eine Leber transplantieren lassen. Ich wusste oder glaubte zu wissen, welcher Arzt den Eingriff vorgenommen hatte. Ich wusste, wie viel Geld Goto für seine Leber bezahlt hatte: nach einigen Quellen fast eine Million, nach anderen drei Millionen Dollar. Mir war bekannt, dass die Tokioter Zweigstelle eines Kasinos in Las Vegas einen Teil des Geldes, das er für die Klinik brauchte, in die USA überwiesen hatte. Absolut unklar war mir aber, wie so ein Kerl überhaupt in die USA gelangen konnte. Er musste einen Pass gefälscht oder einen japanischen oder amerikanischen Politiker bestochen haben. Irgendetwas war hier faul. Denn er stand auf der schwarzen Liste des amerikanischen Zolls, der Einwanderungsbehörde, des FBI und der Drogenbekämpfungsbehörde DEA (Drug Enforcement Administration). Er durfte eigentlich nicht in die Vereinigten Staaten einreisen.

Ich war mir sicher, dass hinter Gotos Reise und seiner Operation eine interessante Geschichte steckte. Deshalb hatte ich monatelang daran gearbeitet. Und ich konnte nur vermuten, dass mich während dieser Zeit irgendjemand verpfiffen hatte.

Ich spürte, dass meine Hände zitterten. Die Zigarette schien sich in meinen Fingern aufgelöst zu haben, während ich nachgedacht hatte.

Ich zündete mir eine zweite an und dachte: Wie zum Teufel bin ich nur so weit gekommen?

Ich hatte nur diese eine Chance, um die richtige Entscheidung zu treffen. Denn ein zweites Treffen würde es nicht geben. Ich konnte später keine Gegendarstellung abdrucken. Langsam geriet ich in Panik, mein Magen fühlte sich an wie zugeknotet, mein linkes Auge zuckte.

Seit über zwölf Jahren machte ich diesen Job, und ich war bereit aufzuhören. Aber doch nicht so. Wie war ich da nur hineingeraten? Das war eine gute Frage. Es war eine bessere Frage als die, die ich jetzt zu beantworten hatte.

Ich dachte weiter nach und verlor das Gefühl dafür, wie viele Zigaretten ich schon geraucht hatte.

»Vergessen Sie die Story, oder wir machen Sie fertig«, hatte der Vollstrecker gesagt.

Das war das Angebot.

Ich hatte keine Trümpfe in der Hand und keine Zigaretten mehr.

Schließlich schluckte ich, atmete aus, schluckte noch einmal und murmelte dann: »In Ordnung. Ich werde die Story ... in der Yomiuri ... nicht schreiben.«

»Gut«, sagte er sehr zufrieden. »An Ihrer Stelle würde ich Japan verlassen. Der Alte ist wütend. Sie haben eine Frau und zwei Kinder, oder? Machen Sie Urlaub, einen langen Urlaub. Vielleicht sollten Sie sich einen neuen Job suchen.«

Dann standen alle auf. Wir verbeugten uns äußerst knapp – es war eher ein kurzes Nicken mit starrem Blick.

Als der Vollstrecker und sein Helfer gegangen waren, wandte ich mich an Sekiguchi. »Glaubst du, dass meine Entscheidung richtig war?«, fragte ich.

Er legte mir die Hand auf die Schulter und drückte sie ein wenig. »Du hast getan, was du tun musstest. Es war richtig. Kein Artikel ist deinen Tod wert, keine Story ist den Tod deiner Familie wert. Helden sind nur Leute, die keine Wahl mehr haben. Aber du hattest noch eine Wahl. Und deine Entscheidung war richtig.«

Ich war wie betäubt.

Sekiguchi führte mich aus dem Hotel, und wir stiegen in ein Taxi. In Shinjuku fanden wir ein Café und ließen uns dort in einer Ecke nieder. »Jake«, begann Sekiguchi, »du hast ohnehin mit dem Gedanken gespielt, die Zeitung zu verlassen. Jetzt ist die Zeit eben gekommen. Du bist kein Feigling, wenn du es tust. Du hast keine Trümpfe in der Hand. Die Inagawa-kai, die Sumiyoshi-kai – verglichen mit diesen Leuten sind die wirklich nett. Ich habe keine Ahnung, wie diese Lebertransplantation in den Staaten abgelaufen ist, aber Goto muss gute Gründe haben, wenn er die Geschichte nicht gedruckt sehen will. Was auch immer er angestellt hat, für ihn ist es eine große
Sache. Zieh dich da raus.«

Dann klopfte Sekiguchi mir auf die Schulter, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Er schaute mir fest in die Augen und wiederholte: »Zieh dich da raus. Aber gib die Story nicht auf, finde heraus, wovor dieser Bastard Angst hat. Das musst du wissen, denn dein Friedensvertrag mit diesem Mann wird nicht von Dauer sein, das garantiere ich dir. Diese Typen vergessen nichts. Du musst es rauskriegen. Andernfalls musst du den Rest deines Lebens Angst haben. Manchmal muss man erst ein Stück zurückweichen, um dann zurückschlagen zu können. Gib nicht auf. Warte ein Jahr – zwei Jahre, wenn es sein muss. Aber finde die Wahrheit heraus. Du bist Journalist, das ist dein Beruf, das ist deine Berufung. Das hat dich an diesen Punkt gebracht. Finde heraus, was er unbedingt verschweigen will. Der Mann hat Angst, darum geht er so auf dich los. Und nur wenn du den Grund dafür kennst, hast du einen Trumpf in der Hand. Nutze ihn gut. Dann hast du eine Chance, wieder das zu tun, was du tun willst. Als man mich zur Verkehrspolizei versetzt hat, weil einer meiner eigenen Leute mich reingelegt hat, damit ich degradiert werde, wollte ich kündigen. Jeden Tag wollte ich kündigen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie man sich als Kripobeamter fühlt, wenn man plötzlich gezwungen ist, Strafzettel zu verteilen, weil irgendein ehrloser Versager anders nicht weiterkommen kann. Aber ich musste an meine Familie denken. Die Entscheidung lag nicht nur bei mir. Also wartete ich ab, ich musste es schlucken, Tag für Tag. Aber die Zeit vergeht, und nach einer
Weile gab es die Gelegenheit, ich konnte meinen Standpunkt darlegen, und jetzt mache ich wieder das, was ich ziemlich gut kann. Und bei dir ist es genauso, Jake. Gib nicht auf.«

Natürlich hatte Sekiguchi recht. Das war nicht das Ende.

Aber ich greife voraus.

Es gab einmal eine Zeit, als ich noch keine Yakuza ärgerte, als ich kein kettenrauchender, ausgebrannter Exreporter mit chronischen Schlafstörungen war. Damals kannte ich weder Sekiguchi noch
Tadamasa Goto und wusste nicht einmal, wie man auf Japanisch
einen anständigen Artikel über Taschendiebe schreibt. Yakuza kannte ich nur aus dem Kino. Damals war ich sicher, dass ich zu den Guten gehörte. Das scheint sehr lange her zu sein.