Galen schüttelte den Kopf. »Erst bis heute Abend kann ich die Summe besorgen.«

»Er will es jetzt. Macht nichts.« Er nahm seinen Laptop aus der Reisetasche, öffnete das CD-Laufwerk und zog ein Beutelchen heraus. »Du wirst dein viel gerühmtes Talent anwenden und ihn überreden müssen, Ware anstatt Bargeld zu akzeptieren.« Er schüttelte die Hälfte des Beutelinhalts auf den Küchentisch.

»Heiliger Strohsack«, murmelte Galen. »Diamanten?«

Travis sortierte die Edelsteine. »Selbst die kleinsten von den Dingern bringen mehr als fünftausend.«

Galen starrte auf das glitzernde Häufchen. »Und die hast du in deinem Laptop geschmuggelt?«

»Das schien mir ein ziemlich sicheres Versteck, solange ich nicht am Flughafen gefilzt wurde.«

»Deswegen hast du also darauf bestanden, von der Air Force One abgeholt zu werden?«

Travis nickte. »Nach allem, was ich durchgemacht hatte, um diese Steinchen in meinen Besitz zu bringen, wollte ich nicht riskieren, dass sie mir am Zoll wieder abgenommen werden.«

»Andreas wird nicht begeistert sein, wenn er erfährt, dass du sein Flugzeug für deine profanen Zwecke benutzt hast.«

»So wie die Dinge im Augenblick stehen, würde er bestimmt einräumen, dass Schmuggel das Geringste meiner Verbrechen ist.« Er wählte einen Stein aus. »Ich bin kein Experte, aber ich würde sagen, der hier ist von guter Qualität.«

»Der Besten.«

»Wollen Sie damit den Kurator des Museums bezahlen?« Melissa betrat die Küche, den Blick auf die glitzernden Diamanten auf dem Tisch gerichtet. »Die sind gestohlen, stimmt’s?«

»So könnte man es nennen.«

»Und deswegen ist Ihr Freund gestorben?«

»Auch das könnte man so sagen.« Travis reichte Galen den Diamanten, den er ausgewählt hatte. »Sag Thomas, ich bin heute besonders großzügig. Jeder Schätzer in Paris wird ihm bestätigen, dass dieser Stein doppelt so viel wert ist wie die Summe, die er von mir verlangt.«

»Ich wette, der rennt schnurstracks zum nächsten Diamantenhändler, um sich davon zu überzeugen.«

»Kein Problem. Dieser Stein wird jeden Test bestehen.«

Er teilte das Häufchen Steine und gab Galen die Hälfte. »Für Guilliame. Er will die Ware sicherlich vor heute Abend überprüfen.«

»Das ist garantiert mehr wert als der Preis, den er verlangt, Travis.«

»Gib sie einfach Guilliame und lass uns die Sache hinter uns bringen.« Er schob den Rest zurück in den Beutel und verstaute ihn in seiner Reisetasche. »Aber er muss uns garantieren, dass wir diese vier Stunden kriegen, andernfalls schneide ich ihm die Kehle durch.«

»Was sind Sie doch für ein Gentleman, Travis«, sagte Melissa.

»Dabei wurde ich gar nicht auf einer feinen Plantage in den Südstaaten großgezogen. Da wo ich herkomme, lernt man, den Leuten Zucker in den Arsch zu blasen, aber immer das Messer bereitzuhaben.« Er sah sie an. »Das sollten Sie zu schätzen wissen. Sie sind sehr gut mit dem Messer, Melissa.«

»Ich werde immer besser.«

»Am besten, ich verziehe mich jetzt und tue meine

Arbeit«, sagte Galen. »Hier drin wird’s mir zu ungemütlich. Ich gebe dir Bescheid, falls irgendwelche Probleme auftauchen, Travis.«

»In Ordnung«, sagte dieser, ohne seinen Blick von Melissa abzuwenden. »Ich habe aber schon genug Probleme.«

»Allerdings.«

»Kein Wunder, dass es Ihnen so leicht fällt, uns wie Schachfiguren kreuz und quer durch Europa zu schleppen«, sagte Melissa, nachdem Galen gegangen war. »Geld öffnet alle Türen, stimmt’s?«

»Zumindest die Türen zum Museum d’Andreas.«

»Und wenn ich Jessica erzähle, dass Sie gestohlenes Geld benutzen, um Cassie zu helfen?«

»Wir wissen beide, dass ihr das egal ist. Sie würde schon eine Rechtfertigung dafür finden, wenn sich nur die Kleine damit retten lässt.« Er lächelte. »Aber es würde ihr doch nur Kummer bereiten und ihr Gewissen belasten. Also gehe ich davon aus, dass Sie es ihr nicht erzählen werden, hab ich Recht?«

Melissa antwortete nicht.

»Naja, einen Versuch war’s immerhin wert, Melissa.«

Er stand auf. »Und jetzt muss ich nach nebenan und ein bisschen arbeiten. Falls Sie irgendwas brauchen, sagen Sie mir Bescheid.«

»Wo ist Travis?«, fragte Jessica, als sie zehn Minuten später in die Küche kam.

»Nebenan.« Melissa rang sich ein Lächeln ab. »Ich habe gerade Eistee gemacht. Möchtest du welchen?«

»Ja, gern.«

»Wie geht es Cassie?«

»Unverändert.« Sie setzte sich an den Tisch und rieb sich die Schläfen. »Gott, ich hoffe bloß, dass das mit dem Pegasus klappt.«

»Falls du die geringsten Zweifel hast, solltest du dich nicht darauf einlassen.« Melissa stellte ein Glas Eistee vor ihrer Schwester auf den Tisch. »Wir machen Fortschritte. Ich weiß es. Wenn du mir erlauben würdest, sie ein bisschen härter anzupacken, könnten wir den Prozess vielleicht sogar beschleunigen.«

»Mag sein, dass du es weißt, ich weiß es nicht.« Jessica trank einen Schluck. »Ich habe mich zwar auf dich eingelassen, aber an diese parapsychologische Verschmelzungstheorie kann ich einfach nicht glauben. Es widerspricht meinem Instinkt und allem, was ich je gelernt habe.«

»Das weiß ich. Und da liegt das Problem.« Plötzlich fiel Melissa vor ihrer Schwester auf die Knie und vergrub den Kopf in ihrem Schoß. »Versuch mir zu glauben, Jessica.« Beinahe versagte ihr die Stimme. »Ich liebe dich, und ich will doch nur das Beste für uns alle. Etwas anderes habe ich mir nie gewünscht. Ich habe so viel von dir bekommen, lass mich versuchen, dir etwas zurückzugeben.« Sie schlang ihre Arme um Jessicas Taille. »Lass mich dir helfen. Hör auf mich. Bitte.«

»Mellie?« Jessica hob Melissas Kinn an, schaute sie an und streichelte ihre Wange. »Du weinst ja .«

Melissas Kinn zitterte. »Daran siehst du mal wieder, wie labil ich bin, stimmt’s?«

»Stimmt nicht.« Sie nahm Melissa in die Arme. »Und du hast nichts von mir genommen, was ich dir nicht von Herzen gern gegeben habe. Jeder muss seinem Weg folgen. Weißt du denn nicht, dass du mir geholfen hast, meinen Weg zu finden? Mir hat noch nie auch nur eine einzige Minute all der Jahre Leid getan, die ich mit dir verbracht habe.«

»Mir schon.«

»Dann ist jetzt Schluss damit.« Sie verzog das Gesicht.

»Und hör um Himmels willen auf zu weinen. Das macht mich völlig fertig.«

»Tut mir Leid.« Melissa legte ihren Kopf wieder in Jessicas Schoß. »Beantworte mir nur eine Frage. Wenn ich bei meinem Leben schwöre, dass der Pegasus Cassies Leben in Gefahr bringt, glaubst du mir dann?«

Schweigen.

»O Gott.«

»Ich bin zu sehr in der Wirklichkeit verhaftet, Mellie. Ich weiß, dass du glaubst, du hättest Recht, aber mein Verstand sucht automatisch nach einer vernünftigen Erklärung für alles, was passiert ist. Und mein Verstand sagt mir, dass es eine Tür öffnen könnte, wenn wir Cassie einem Einfluss aussetzen, den sie immer als gut erlebt hat.«

»Es ist ein Risiko, ein schreckliches Risiko.«

»Ein Risiko, das den Versuch wert ist.« Jessica sah Melissa in die Augen. »Und ich muss das Risiko eingehen, Mellie.«

»Ist das dein letztes Wort?«

»Ja. Aber wenn du nicht damit einverstanden bist, brauchst du nicht mitzukommen. Du kannst hier auf uns warten.«

»Den Teufel werd ich tun.« Melissa wischte sich die Tränen aus den Augen. »Wo du hingehst, gehe ich auch hin.« Sie stand auf. »Trink deinen Tee. Ich gehe mir das Gesicht waschen, und dann mache ich dir etwas zu essen.«

14.45 Uhr

Er kam nicht weiter.

Travis lehnte sich auf dem Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Die Archive auf dem Computer durchzugehen war ebenso ermüdend wie frustrierend. Er hatte sich von Anfang zwar nur an wenig Chancen ausgerechnet, hatte aber dennoch gehofft, auf etwas zu stoßen, das eine Erinnerung auslösen würde, irgendetwas . Manchmal klickte irgendetwas, irgendeine Kleinigkeit blitzte auf ...

Nichts.

Tja, was hatte er auch erwartet, bei dem wenigen, was er wusste?

Grüne Augen, leicht schräg stehend. Blondes Haar, das gefärbt sein konnte oder auch nicht. Ein Bart, der das Gesicht wie eine Maske verbarg.

Maske .

Ganz langsam richtete er sich auf.

Maske.

Er hatte den Mann nicht am Gesicht erkannt. Der Mann war ihm erst bekannt vorgekommen, als er aufgestanden und von dem Zuckerwattestand zu der Bank hinübergegangen war.

Maske.

»Verdammt.«

»Haben Sie es?«

»Immer mit der Ruhe. Das braucht Zeit.« Thomas starrte wie gebannt auf den Bildschirm. »Ich arbeite erst seit ein paar Stunden daran.«

»Sie sagten doch, es sei leichter, wenn ich die Suche eingrenzen könnte«, erinnerte ihn Travis. »Das habe ich getan.«

»Einsfünfundachtzig bis -siebenundachtzig, zwischen fünfunddreißig und vierzig, nordischer Typ, benutzt am liebsten eine Neunmillimeter-Pistole.« Er ging weitere Dateien durch.

»Und aus einem terroristischen Umfeld«, sagte Travis.

»Das ist der Schlüssel. Wenn Sie eher darauf gekommen wären, hätte ich -«

»Es ist mir erst jetzt eingefallen. Wie lange noch? Es kann doch nicht allzu viele geben, auf die diese Beschreibung passt.«

»Da würden Sie sich aber wundern. Wir leben in einer Welt der Gewalt.«

Eine weitere Stunde verging.

»Bingo.« Thomas beugte sich vor. »Sehen Sie sich das an. Das könnte Ihr Mann sein.«

Alter dreißig, aber das Foto war zehn Jahre alt. Glatt rasiert, hellbraunes Haar, das sich an der Stirn bereits lichtete, aber die Augen stimmten. Grün. Und leicht schräg.

Ja.

»Drucken Sie das aus.«

Thomas drückte einen Knopf. »Widerlich.« Er las die Daten ab. »Brandstiftung, Diebstahl, Mord ... IRA, Rote Brigaden, Nazi-Skinheads. Er scheint sich nicht gerade einer einzigen Sache zu verschreiben, was?«

»Das ist nichts Ungewöhnliches. Söldner arbeiten für jeden, der sie bezahlt.« Travis nahm das Polizeifoto aus dem Drucker. »Ich bin auf die Idee gekommen, dass er Verbindungen zum Terroristenmilieu haben könnte, weil zwei der Toten in Vasaro aus diesem Umfeld stammten.« »Vasaro?«

»Egal.« Travis nahm einen Bleistift und begann, einen Bart in das Gesicht zu malen. Es bestand kein Zweifel.

»Ist er das?«, fragte Thomas. »Hab ich’s geschafft?«

»Sie haben’s geschafft.« Travis stand auf. »Sie sind ein Genie, Thomas.«

»Dann habe ich mir doch wohl eine Belohnung verdient.« Thomas grinste. »Meinen Sie nicht? Vielleicht noch eines von diesen hübschen Steinchen?«

»Nun werden Sie nicht gleich so gierig«, erwiderte Travis abwesend, während er das Foto eingehend betrachtete. »Können Sie mir biografische Daten und ein psychologisches Profil beschaffen?«

»So was hat die CIA bestimmt in ihren Archiven. Geben Sie mir eine halbe Stunde.«

Eine Dreiviertelstunde später drückte Thomas einen Knopf und reichte Travis zwei bedruckte Seiten. »Bitte sehr.«

»Danke.« Travis verließ die Wohnung.

Edward James Deschamps.

Hab ich dich.

»Edward Deschamps.« Galen blickte von dem Ausdruck auf. »Bist du sicher?«

Travis nickte. »Absolut.«

»Und du glaubst, der Anschlag in Vasaro geht auf sein Konto?«

»Es passt alles zusammen. Er kannte mich, und er hat angedeutet, ich wäre ihm in der Vergangenheit schon einmal in die Quere gekommen. Er kam mir bekannt vor, aber sein Gesicht habe ich nicht erkannt. Ich muss mich an die Art erinnert haben, wie er sich bewegt.«

»Ich war damals draußen, hab ihn also nicht gesehen. Wie hat er sich denn bewegt?«

»Auf ziemlich markante Weise. Schnell, federnd, immer auf den Ballen, wie ein Tennisspieler.«

»Karlstadt hatte also mit dem Mord an Jan nichts zu tun?«

Travis schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Die Sache in Vasaro ist gelaufen, bevor ich mit Karlstadt und den Diamanten anfing. Außerdem, Deschamps war scharf auf das Geld, nicht auf die Diamanten. Die wiederum waren das Einzige, was Karlstadt interessierte.«

»Dann hast du jetzt nicht nur Karlstadt und die Russen, sondern auch noch Deschamps auf dem Hals?«

»Sie haben die CIA und den Secret Service vergessen«, sagte Melissa aus der Ecke, wo sie in einem Sessel kauerte. »Das klingt doch sehr ermutigend. Bei dem Aufgebot wird es schon irgendeinem gelingen, Sie zu erwischen.«