Mai Cambridge, Massachusetts

»Tut mir Leid, dass ich dir das während der Abschlussexamina zumuten muss, Melissa«, sagte Karen Novak zögernd. »Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe .«

»Du willst, dass ich ausziehe.« Es war keine Überraschung. Melissa hatte damit gerechnet, dass die Entscheidung früher oder später fallen würde.

»Nur so lange, bis du dieses Problem im Griff hast. Wir haben ganz in der Nähe eine Ausweichmöglichkeit für dich gefunden. Du kannst sofort einziehen.«

Melissa wandte sich an ihre andere Mitbewohnerin.

»Wendy?«

Wendy Sendle nickte bekümmert. »Wir finden, es wäre besser für dich, wenn du eine Wohnung für dich allein hättest.«

»Vor allem würde es euch ohne mich besser gehen.«

Melissa hob eine Hand, als Wendy den Mund öffnete, um ihr zu widersprechen. »Ist schon gut. Ich verstehe. Ich mache euch keinen Vorwurf. Ich packe meine Sachen und ziehe heute Abend aus.«

»So eilig ist es nun auch wieder nicht. Morgen würde -«

Wendy hielt inne, als Karen ihr einen durchdringenden Blick zuwarf. »Wir helfen dir beim Packen.«

Melissa hatte geahnt, dass sie nicht riskieren wollten, eine weitere Nacht mit ihr unter einem Dach zu verbringen. »Danke, das ist nett.« Sie rang sich ein Lächeln ab.

»Jetzt guckt mich nicht so schuldbewusst an. Wir sind seit Jahren Freundinnen. Und das wird sich auch jetzt nicht ändern.«

»Das hoffe ich«, sagte Karen. »Du weißt, dass wir dich mögen. Wir haben das so lange durchgestanden, wie wir konnten, Melissa.«

»Ich weiß. Ihr seid sehr geduldig gewesen.« Sie hätte schon vor Wochen ausziehen sollen, aber hier hatte sie sich sicher gefühlt. »Ich gehe ins Bad und sammle meinen Schminkkram ein.«

»Melissa, hast du je in Erwägung gezogen, nach Juniper zurückzugehen?« Wendy befeuchtete ihre Lippen.

»Vielleicht kann deine Schwester dir helfen.«

»Ich werde drüber nachdenken. Im Moment hat Jessica in ihrem neuen Job ziemlich viel um die Ohren.«

»Ihr steht euch doch sehr nahe. Wenn sie Bescheid wüsste, würde sie ihr Projekt bestimmt zurückstellen.«

»Das geht nicht so leicht. Keine Sorge, ich komme schon zurecht.« Sie schloss die Badezimmertür und lehnte sich mit klopfendem Herzen dagegen. Heute Nacht würde sie also allein sein. Vielleicht würde es nicht passieren. Vielleicht würde es vorübergehen.

Aber während der vergangenen Wochen war es nicht weggegangen. Anfangs war es undeutlich und weit weg gewesen, kaum auszumachen in der Dunkelheit. Doch in letzter Zeit kam es immer näher. Sie wusste, dass sie es sehr bald klar erkennen würde.

O Gott, sie durfte es nicht sehen.