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Frisches Oberhemd, die Krawatte exakt gebunden. Er duftet nach Minzseife und einem schwer vanillehaltigen Eau de Toilette. Sollte er uns je ungewollt verloren gehen, hätte der Suchhund keine Schwierigkeiten.
„Danke, dass Sie sich etwas Zeit nehmen konnten.“
Dieses wohlwollende Lächeln gefolgt von einer Handbewegung, mit der er mir den Platz zuweist.
„Wasser, Kaffee?“
„Gern.“
Er betätigt die Wechselsprechanlage und bestellt.
Nur keine Eile. Doch da steht auch schon Frau Seeligmann samt Tablett zwischen uns.
„Bitte?“, kein Wort zu viel. Er stützt die Ellbogen auf die Tischplatte und legt sein Kinn auf den verschränkten Händen ab. Ganz der aufmerksame Zuhörer, ein wenig mitleidig der Blick.
„Tja.“, leichtes Stottern, ein wenig inszenierte Unsicherheit konnte nicht schaden, „Ja, wie soll ich sagen. Es ist ein wenig pikant. Wir haben in einem Mordfall ermittelt.“
Ich senke entschuldigend und devot den Kopf.
„Sie haben vielleicht davon gehört?“
„Man hört so dies und das.“
„Auch im Wirtschaftsministerium?“, das süffisante „erstaunlich“ verschlucke ich im letzten Moment. Trotzdem, das Spiel ist aus. Ruckartig beugt er sich vor und schiebt mir seinen Kopf entgegen.
„Was wollen Sie von mir?“
„Uns liegt eine Aussage vor, dass Sie,“ ich beginne in meinen Taschen nach dem Notizzettel mit den Daten zu suchen, „ja, also, dass Sie am ersten Augustdonnerstag dieses Jahres abends … Es war genau der 4. August … da sollen Sie so ab 21:30 Uhr im Penthouse des `Four Palms` gewesen sein.“
Starnhagen verzieht keine Miene.
„Wir haben auch eine Videoaufzeichnung des Sicherheitssystems, die diese Aussage untermauert.“
Keine Reaktion.
Ein Schlückchen Kaffee. Die Lampe auf seinem Telefon blinkt, er greift nach dem Hörer: „Jetzt nicht!“ und legt auf.
„Kennen Sie einen gewissen Herrn Tarnowski?“
„Soll ich Ihren Chef gleich anrufen oder wollen Sie vorher gehen?“
„Das ist allein Ihre Entscheidung. Aber vielleicht warten Sie noch einen Moment. In der Aussage, die uns vorliegt, behauptet ein Augenzeuge, dass Sie an jenem Abend eine Minderjährige brutal missbraucht haben sollen.“
Starnhagen steht wortlos auf und geht Richtung Tür. Sein Jackett ist auf dem Rücken dunkel eingefärbt.
Er drückt die Klinke hinunter: „Frau Seeligmann, wenn Sie Herrn Gallert bitte hinausbegleiten würden. Anschließend verbinden Sie mich bitte mit, wie heißt der doch gleich, egal, das finden Sie schon raus. Also, zuerst den Polizeipräsidenten und danach den Innensenator. Oder nein, besser umgekehrt.“
Ich bleibe direkt vor ihm stehen. Da war es, dieses leichte Zucken des Augenlids, das sich unmöglich kontrollieren lässt.
„Sie sollten auch noch an Ihren Anwalt denken.“
Er dreht sich wortlos um und verschwindet hinter der sich geräuschlos schließenden Tür. Frau Seeligmann wirft mir einen halb fragenden, halb hasserfüllten Blick zu.
„Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?“
„Seit er in Berlin ist. Mehr als zehn Jahre.“ Die Hand auf der Klinke wartet sie geduldig, dass ich mich endlich davon mache.