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Nachdem Hanschke den Anrufbeantworter abgehört hatte, machte er sich sofort auf den Weg.
Mader sichtete schon seit dem frühen Morgen die Daten auf dem Stick. Die fehlenden Videosequenzen, das Dossier über Starnhagen, seine Vorlieben. Junge Mädchen, flache Brüste. „Schlägt gern … müssen was aushalten! ... Oralsex und Fesseln …“
Kontodaten und Geschäftsverbindungen. Starnhagen war stiller Teilhaber einer Firma auf den Kanalinseln, die offiziell der Intermining gehörte. Tarnowskis Imperium, säuberlich aufgeschlüsselt. Aber kein Wort über seine kongolesischen Geschäftspartner. Fotos von Eva Starnhagen mit einem unbekannten Mann.
Wo blieb Gallert, sie hatte mehrfach versucht, ihn zu erreichen, aber sein Telefon war ausgeschaltet. Stattdessen stieß Hanschke die Tür auf.
„Die Ratten verlassen das sinkende Schiff?“
Mader druckte den Report aus und der Staatsanwalt verschlang Seite für Seite: „Politisch ist er tot. Dafür reicht es allemal. Mehr nicht.“
Er vergrub seinen Schädel zwischen den Händen, als wolle er nichts mehr sehen und hören und seiner wiederkehrenden Enttäuschung entfliehen. Minutenlang saß er so da. Dann und wann bewegte er die Hände leicht, als hätte er ein Anrecht auf eine selbst verabreichte Portion Streicheln.
Mader wartete.
„Was ist auf den Videos?“
Hanschke nahm seinen Stuhl und platzierte ihn neben ihr. Sie öffnete das erste File. Der Donnerstag, an dem alles begann. Starnhagen und Tarnowski mit dem Rücken zur Kamera. Sie nehmen den Lift zum Penthouse. Anschließend kommen die beiden Frauen. Zuletzt der unbekannte Mann mit dem Mädchen. Auf dem zweiten File nur noch Tarnowski und Lily Gormann, die im Abstand von zehn Minuten den Fahrstuhl betreten. Vier Stunden später trieb sie im Kanal.
Hanschke überlegte: „Habt ihr ein Flipchart?“
„Irgendwo schon.“, Mader machte sich auf den Weg und kam wenig später zurück.
„Leider nur noch drei Blatt Papier, zentrales Bestellsystem. Nachschub gibt es erst nächste Woche. Wir sparen!“
Hanschke griff in seine Tasche und holte einen Faserschreiber hervor: „Also, wir wissen jetzt, wer genau an welchen Tagen um welche Zeit das Penthouse betreten hat. Das Kind werden wir wohl nicht mehr finden.“
Mader griff nach dem Telefonhörer. Ein kurzes Gespräch. Keiner der Kollegen hatte das Mädchen identifizieren können.
„Kein Zuhälter. Kein Kind. Keine Anzeige.“
Mader ließ die Sequenz weiterlaufen: „Tarnowski verlässt das Hotel wieder. Keine Spur von Lily Gormann. Sicher ist, er hat sie noch lebend gesehen. Laden wir ihn vor!“
„Vorausgesetzt er käme, kann ich Ihnen schon jetzt sagen, was er uns erzählen wird: Natürlich war er Stammkunde und natürlich war er an jenem Tag mit ihr zusammen und sie haben es kräftig getrieben. Dann ist sie gegangen.“
„Hm.“
Beide schwiegen. Mader trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte: „Und wenn wir mit Starnhagen ein wenig pokern. Wir schlagen ihm einen Deal vor. Wir lassen ihn laufen, wenn er uns den Mörder liefert?“
Hanschkes Kopf begann zu kreiseln: „Und wenn er ihn gar nicht kennt? Außerdem haben wir mit dem Mord nichts mehr zu tun. Für uns geht es nur noch um Kindesmissbrauch. Schon vergessen?“