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Als ich Lily zum ersten Mal begegnete, war sie 16. Sie hatte ein Veilchen, krümmte sich und würgte weißlichen Schleim heraus. Kurfürstenstraße, auf dem Parkplatz vorm Möbelhaus. Ich saß in meinem Auto, wartete auf die Kollegen. Wir sollten den Straßenstrich aufräumen.
Irgendein Politiker fuhr regelmäßig da lang und hatte Anstoß genommen an den Junkies, halben Kindern noch, die hier auf den Strich gingen. Das Konzept hieß: Junkie- oder Nutten-Jogging. Hatten wir die Kurfürstenstraße im Griff, trafen sich die Vertriebenen am Breitscheid-Platz, bis sich auch dort eine hochgestellte Persönlichkeit unangenehm belästigt fühlte. Hatten wir dort aufgeräumt, zogen alle drei Ecken weiter, bis sie wieder irgendwem irgendwo ein Dorn im Auge waren. Schlussendlich kam der Tross wieder in der Kurfürstenstraße an und alles begann von vorn. Ein Konzept für die Kinder hatte niemand, aber wenn man sie schon nicht von der Straße holen konnte, dann wollte man ihnen wenigstens nicht dauernd begegnen.
Plötzlich brach sie wenige Meter vor mir zusammen. Ich rannte über den Platz, hob sie auf und fuhr mit Blaulicht in die nächste Notaufnahme. Kein Name, keine Papiere, nichts.
Sie hatte irgendeinen Cocktail geschluckt, um die Familienväter zu ertragen, die an ihre pubertierenden Töchter dachten, wenn sie ihr den Schwanz in den Mund rammten und für „ohne Gummi“ noch was drauflegten.
Lily hatte das Gewicht einer Zwölfjährigen. Am nächsten Morgen war sie aus dem Krankenhaus verschwunden.