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Sekunden können über ein Leben entscheiden. Wer auch nur einen Augenblick unaufmerksam ist, verliert die Kontrolle.
Sie hatte es früh gelernt, lernen müssen: Nie den Rücken preisgeben, keinen toten Winkel zulassen, immer auf der Hut sein. Und das nicht nur auf der Straße, abends, nachts auf einsamen Parkplätzen oder dem aufgelassenen Glaswerk in Stralau. Ein Loft über den Dächern der Stadt kann verlassener sein als eine Nothaltebucht an der Autobahn. Die einen schlagen und würgen aus Verzweiflung und sitzen dann schluchzend vor dir. Doch gefährlicher sind die anderen, die, die auf der Suche nach dem Kick sind. Die ihre Gewaltphantasien endlich ausleben wollen, einmal nicht die ohnmächtig Gedemütigten, sondern die Herrn sein wollen. Stumm werfen sie dich aufs Bett, stellvertretend für all die anderen.
Sie kannte das Leben, war vorbereitet auf die jähen Wendungen, die sich mit einem fast unmerklichen Flattern der Hände, einer brüchig werdenden Stimme andeuteten. Es war eine kurze, harte Schule. Zum Abschluss gab es den Elektroschocker. Sie glaubte sich sicher bis zu jenem Augenblick, dem Blick zuviel, der ihr zum Verhängnis werden sollte.