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Sonnabend.
Mader hatte ihren Stuhl direkt vor meinem Schreibtisch geschoben, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und hielt den Kaffeebecher mit beiden Händen eng umschlungen. Es war kurz nach zwölf. Neben mir standen die Kartons.
„Ob ich Angst hatte? Ich dachte zum ersten Mal: Jetzt kriegen sie Dich – und zwar richtig.“
Ich suchte meine Zigaretten. „Und ich wusste ehrlich nicht wohin. Dieses Scheißdorfrevier, wo um 18 Uhr das Licht ausgeht? Was weiß ich denn, wer uns da überhaupt auf dem Kieker hat. Vielleicht die russische Mafia. Warten irgendwo mit ´ner Panzerfaust und dann: Bums, erledigt.“
Mader neigte den Kopf zur Seite: „Ach, ich weiß nicht. Könnte es nicht auch sein, dass wir, dass Du vielleicht ein bisschen überreagiert hast?“
Resigniert zuckte ich mit den Schultern: „Aber die Überwachung?!“ Ich senkte den Blick, musterte meine Schuhspitzen: „Und … ich habe mir Sorgen gemacht, um Dich.“
Ich hörte sie schlucken und kratzte etwas Dreck von meiner Schuhspitze.
„Gut. Zumindest haben wir jetzt alles hier. Der Papierkram ist für die Tonne, nichts was uns weiter hilft. Ein paar Kontoauszüge der International Finance, ist gut gelaufen der Laden.“
Plötzlich, ohne dass er auch nur irgendwie auf sich aufmerksam gemacht hätte, stand Hanschke neben uns und fingerte in den Kartons rum.
„Gute Reise gehabt?“, der Staatsanwalt sah weder mich noch Mader an.
Meine Schultern zuckten inzwischen selbständig: „Etwas Bürokram, die CDs. Viel Papier, verschlüsselte Abrechnungen.“
„Gut. Warum ist das hier und nicht bei mir? War den Kollegen wohl zu weit.“
„Die hatten Dienstschluss – schon seit vier Stunden. Wie hat eigentlich Martens reagiert?“
„Was erwarten Sie von einem Ochsen?“
Mader sah ihn erwartungsvoll an.
„Rindfleisch! Aber leider kann er lesen. Irgendein Trottel hat die Auswertung der Mobilfunkgespräche der Grohmann in seinem Stall abgelegt. Ja, dann schaffen wir das mal rüber.“ Und schon war er wieder verschwunden.
„Du hast ihm nichts von Deiner, Du weißt schon, erzählt.“, Mader drehte ihren Kaffeebecher: „Das ist Beweismaterial.“
Sie hatte recht, aber auf eine Verfehlung mehr oder weniger, kam es jetzt auch nicht mehr an. Dienstaufsicht, interne Ermittlungen, wer weiß, Suspendierung, Entlassung.
„Du musst es Hanschke erzählen – und Martens.“
Ich griff mir das Telefon und bestellte einen Mannschaftswagen mit Fahrer. In einer Stunde würde alles bei der Staatsanwaltschaft sein. Dann nahm ich die CD aus der Jackentasche, zog das Netzwerkkabel aus dem Rechner und sah mir das Dateiverzeichnis an. Es gab nur zwei Einträge: „Album“ und „Wir“.
Mader meldete sich zum Duschen ab. Sie würde mir und sich Zeit lassen.
Das „Album“ enthielt unzählige Fotos, die meisten zeigten einen Mann in den besten Jahren, der die guten deutlich hinter sich gelassen hatte. Andere waren mit dem Selbstauslöser aufgenommen und zeigten uns am Strand, in einem Park, beim Kaffee. Vier Jahre in Hunderten von Bildern. Auf dem letzten sah sie mich direkt an und warf mir eine Kusshand zu, im Hintergrund mein Bücherregal.
Ich klickte das Bild weg und starrte auf das Wappen der Berliner Polizei in der Mitte des Bildschirms.
Blieb noch die Textdatei. Ich zögerte. „Wir“, das klang so vertraulich. Vielleicht hatte es ja gar nichts mit dem Mord zu tun, eine Art Poesiealbum oder Tagebuch.
Nein, nicht jetzt, nicht hier. Die Fotos waren für heute genug. Ich ließ den Cursor über den Bildschirm gleiten und drückte die Enter-Taste.