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Am matt erleuchteten Ende der Kurfürstenstraße, kurz vor der Potsdamer fand die allabendliche Parade der Einsamen und Perversen statt. Hier kannte sie sich aus, anders als in der Suite, an die sich kaum noch erinnern konnte. Ebenso wenig wie an die Frau mit dem kurzen Namen. Alles war schon so lange her, und sie vergaß immer schneller.
Sie wusste noch, dass sie fror, als sich das kalte Wasser über sie ergoss. Die Frau pfiff leise vor sich hin. Sie kannte die Melodie, irgendwas aus den frühen 80ern, es schien ihr Spaß zu machen. Dann wurde sie plötzlich sehr ernst: Halt den Mund und zieh Dich an. Sie verstand nicht, was geschehen war, doch die Frau duldete keine Fragen, zog ihr einfach das Shirt über den Kopf wie einst ihre Mutter. Dann war da noch dieser Mann. Er greift nach ihrer Hand, will nicht, dass sie das Apartment verlassen. Plötzlich sackt er zusammen. Ein Fahrstuhl, ein großer Raum, Taxi, Schlesisches Tor.
„Lass Dich nicht auf der Straße sehen! Versteck Dich. Zwei, drei Wochen.“
In ihrer Hand hielt sie ein Bündel Geldscheine. Genug, um sich eine Aus-Zeit zu gönnen. So war sie zu einer Freundin gezogen. Es war alles so verschwommen. Zuviel Geld für einen schmutzigen Fick. Doch jetzt war es alle, der Stoff auch. Sie musste wieder raus, warum auch nicht.
Die Stadt kochte, selbst abends ging kein kühlender Wind durch die Häuserschluchten. Dann und wann hielt ein verschwitzter Freier.
„Schon was vor?“ Immer wieder lehnte sie sich in die heruntergekurbelten Seitenfenster, aber „nur mit“ war heute nicht gefragt.
Kurz nach Mitternacht machte sie sich auf den Weg. Die Kurfürstenstraße runter, über die Potsdamer, immer weiter. Vorbei am 90-Grad, hämmernde Bässe. Sie muss mal, dringend. Da vorne, der kleine Park. Noch fünfzig Meter, kurz in die Büsche.
An lauen Sommerabenden fuhr sie manchmal mit einem Freier her. Dann stützte sie sich mit den Händen auf der Rückenlehne einer der Bänke ab, spürte im Nacken die stoßweise herausgepressten Spucketröpfchen, während schwitzende Hände sich um ihre Brüste legten.
Ein leises, dumpfes Geräusch irgendwo, weit weg. Vielleicht eine Autotür.
Sie stellt ihr Täschchen unter die Bank und ging in die Hocke. Plötzlich ein Knirschen, Schuhe auf trockenem Kies, ganz nah. Und was ist das für ein sirrendes Geräusch? Sie dreht langsam den Kopf. Das Geräusch ist schneller, ein Sirren, als würde etwas direkt auf sie zu fliegen, schnell, rasend schnell, zu schnell für einen letzten Gedanken. Ihr Kopf klappt nach hinten, gehalten nur noch von einigen Muskelfasern. Ihr Körper verharrt noch einen kurzen Moment, dann löst sich die Muskelspannung und die Schwerkraft übernimmt das Kommando.