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Lloyd Spencer sei zu Tisch und natürlich sei es unmöglich, seine Mobilfunknummer weiterzugeben.
Ich legte wortlos meine Dienstmarke auf den Tresen.
Die junge Frau studierte sie und ihr Kopf schwang, wie beim ersten Mal, vorsichtig nach links und rechts. Ganz offensichtlich hatte sie das Seminar „Was tun, wenn ein Polizeibeamter in der Lobby steht?“ erfolgreich absolviert. Dann beugte sie sich vertrauensvoll zu mir. Natürlich würde sie sofort und hätte ja nicht gewusst und was ich denn davon hielte, Platz zu nehmen. Es könne nicht lange dauern.
„Kaffee oder Tee?“
„Espresso.“
Ich zog mich auf meinen vertrauten Platz zurück.
Fünf Minuten später blickte ich auf ihren Brustansatz. Sie beugte sich zu mir und flüsterte, Herr Spencer sei schon auf dem Weg und lasse mich herzlich grüßen. Sie duftete nach frischen Orangen, doch mein Wunsch, sie möge noch ein wenig verharren, blieb unerfüllt.
Die Lobby füllte sich plötzlich mit einer Gruppe rüstiger Senioren. Pagen eilten heran, griffen nach Koffern und Taschen. Nach wenigen Minuten herrschte wieder der Gleichklang vom Teppich gedämpfter Schritte. Aus der Bar drangen die ersten Töne des Pianisten, vermischten sich mit leisem Gemurmel und zurückhaltenden Telefonklängen. Ich wurde schläfrig und döste ein.
„Sie schnarchen!“, tönte es an meinem Ohr, leider ohne den leichten Duft von Orangen.
Spencer stand dicht neben mir: „Ein Problem, dass Sie mit vielen älteren Gästen teilen: Polypen. Konsultieren Sie Ihren Hausarzt. Falls Sie keinen haben, ich könnte Ihnen einen ausgewiesenen Spezialisten auf diesem Gebiet empfehlen. Als Beamter sind Sie doch privat versichert.“
Er ließ sich in den Sessel fallen, schlug die Beine übereinander und zupfte an seiner Bügelfalte.
„Womit kann ich heute meine Karriere gefährden?“
Ich schob ihm Lilys Foto über den Tisch.
„Schöne Frau. Ein bisschen bleich für die Jahreszeit.“
Ich reichte ihm die gesamte Kollektion der Künstler: Lily mit drei Perücken. Spencer tippte sofort auf das Bild mit den blonden, halblangen Haaren.
„Donnerstags, ich glaube alle vierzehn Tage. Gehört zum Penthouse.“
„War sie vielleicht mit der anderen Frau zusammen, vor zwei Wochen?“
„Yes, Sir. Sie und die andere Frau haben uns ein wenig aufgeregt, zügig geradezu, verlassen. Wir sehen es nicht gern, wenn jemand in unserem Haus rennt. Was ist mit ihrem Beschluss für die Videos?“
„In Arbeit.“
„Sie sollten sich ranhalten.“
Mader lehnte auf der gegenüberliegenden Straßenseite an ihrem Auto. Die Arme über der Brust verschränkt strahlte sie übers ganze Gesicht.
„Volltreffer!“, rief sie über die Straße, als ich aus der Tür trat.
„Was?“
„Das Handy!“
Ich tänzelte durch die hupenden Autos.
„Der Täter kannte sich nicht besonders gut aus mit unseren Gepflogenheiten. Zumindest scheint er nicht gewusst zu haben, dass der gelbe Sack kein Müllsack ist.“
Mein Repertoire an Gesten war nicht besonders umfangreich, also blieb es beim verständnislosen Schulterzucken. Mader schenkte mir ihr Siegerlächeln.
„Ganz einfach: Du und ich, wir wissen, wenn ich was loswerden will, dann schmeiß ich das in die Sperrmüllpresse. Ganz sicher nicht zu den fein säuberlich getrennten Wertstoffen. Hat er aber gemacht, und das heißt: Er war ganz sicher nicht von hier. Egal, wir haben das Handy geortet. Es liegt auf einem Lagerplatz, draußen, kurz vor der Stadtgrenze. Zwanzig Minuten. Die Kollegen sperren schon alles ab.“
Ferdinand Schneiderhannes saß im Fond und winkte ungeduldig.
„Wollte unbedingt mitkommen“, sagte Mader und hob entschuldigend die Hände.
Während der Fahrt repetierte ich wortgetreu das Gespräch mit Spencer. Dann bekam Martens die ihm zugedachte Dosis an Informationen. Er war zufrieden, bestellte uns aber trotzdem für den Nachmittag ein. Anschließend rief ich im Büro des Staatsanwalts Hanschke an, der sich bislang kaum um uns gekümmert hatte. Wir brauchten endlich die Videos. Aber Hanschke war auf Termin. Die Sekretärin versprach, ihm eine Nachricht zu hinterlassen.