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»Ich hatte eine Affäre«, sagte Claudia zu Grace und fügte dann rasch und mit dem Beiklang der Verzweiflung hinzu: »Bitte, hasse mich jetzt nicht.«

Grace blickte sie an. »Ich könnte dich niemals hassen, das weißt du doch.«

»Ja«, gab Claudia zu. »Trotzdem ...«

Es war kurz vor elf Uhr, und sie saßen in der »Höhle«, ein Raum, den Grace in der Vergangenheit oft benutzt hatte und von dem sie hoffte, ihn in näherer Zukunft wieder nutzen zu können. Hier hatte sie ihre jungen Patienten empfangen. Die Wände waren mit den bunten Bildern der Kinder und Jugendlichen bedeckt. Im Augenblick allerdings war es ein Spielzimmer. Überall lagen Plüschtiere und Kissen herum, in die Joshua sich nun kuschelte, nachdem er mit seiner Tante gespielt hatte.

»Willst du mir davon erzählen?«, fragte Grace.

Sie war ziemlich geschockt; deshalb ärgerte sie sich über sich selbst. Sie war Psychologin; da hätte sie es eigentlich besser wissen müssen. Nur dass Claudia nicht ihre Patientin war, sondern ihre Schwester, sodass sie wohl das Recht hatte, geschockt zu sein, zumal Claudia auch noch an ihre Söhne denken musste. Und was Daniel betraf, hatte sein einziger Fehler darin bestanden, Claudia zum Umzug nach Seattle zu drängen – jedenfalls soweit Grace wusste. Ansonsten war er stets ein guter Ehemann und Vater gewesen.

Aber die Dinge ändern sich nun mal, ermahnte Grace sich selbst.

»Es ist alles vorbei«, sagte Claudia. »Eigentlich war es schon so, bevor alles angefangen hat.«

So, wie sie es erzählte, klang es unglaublich einfach. Sie war fertig gewesen – so fertig, dass sie sich im Park auf der Insel die Augen ausgeweint hatte, als der Mann vorbeigekommen war und sie gefragt hatte, ob er ihr helfen könne. Er war ein Fremder gewesen, aber freundlich und attraktiv.

»Und deshalb hast du eine Affäre angefangen?« Grace konnte ihre Verwunderung nicht verbergen. »Bloß weil irgendein freundlicher Kerl dich im Park angequatscht hat?«

»Willst du, dass ich dir die Geschichte erzähle oder nicht?«, entgegnete Claudia. »Das ist nämlich ziemlich hart für mich. Und ich bezweifle, dass du es auch nur halb so sehr missbilligst wie ich selbst.«

»Ich missbillige doch gar nichts«, erwiderte Grace, obwohl Claudia ins Schwarze getroffen hatte. »Ich bin bloß überrascht. Und natürlich will ich, dass du es mir erzählst.«

»Nun ja, viel mehr gibt es eigentlich nicht zu erzählen«, sagte Claudia. »Die Affäre war kurz, aber schön. Und in mancher Hinsicht hat sie mir gutgetan.«

»Okay«, sagte Grace und wartete darauf, dass ihre Schwester fortfuhr.

»Ich habe mich irgendwie kalt gefühlt«, sagte Claudia, »als könnte mich nichts mehr richtig erwärmen, und dann war er plötzlich da, und wir hatten diese ... Verbindung. Ich weiß, das hört sich schrecklich klischeehaft an, aber ...«

»Erzähl weiter«, sagte Grace, als ihre Schwester mitten im Satz innehielt.

»Ich habe von Anfang an gewusst, dass es nur diese paar Augenblicke sein würden, und das habe ich ihm auch gesagt.« Claudia schüttelte den Kopf. »Aber er hat eine Zeitlang diese Kälte vertrieben. In gewisser Weise hat er mich wahrscheinlich nur benutzt. Trotzdem habe ich mich schuldiger gefühlt als er, und das wusste er auch, hatte aber keine Probleme damit. Er hat mir nie Vorwürfe gemacht.«

»Möchtest du mir seinen Namen sagen?« Grace’ anfänglicher Schock war inzwischen einer seltsamen Art von Faszination gewichen.

»Kevin«, antwortete Claudia. »Er ist aus Australien.« Kurz schaute sie ihrer Schwester in die blauen Augen, konnte deren Blick aber nicht ertragen und wandte sich rasch wieder ab. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dir nicht mehr über ihn erzähle.«

Es machte Grace durchaus etwas aus, denn es zeigte nur, wie groß die Distanz zwischen ihr und Grace inzwischen geworden war. »Du musst selbst entscheiden, wie viel du mir anvertrauen willst.«

Die Tür öffnete sich ein Stück, und Woody kam ins Zimmer getappt und legte sich mit einem zufriedenen Schnauben neben den Laufstall.

»Es geht vor allem darum«, sagte Claudia, »dass ich meine Schuld mit jemandem teilen muss.«

»Ich würde lieber erst einmal hören, warum du dich so kalt gefühlt hast«, erwiderte Grace.

»Einsamkeit«, antwortete Claudia. »Dumm wie ich bin, habe ich mich trotz eines guten Mannes und zweier wunderbarer Kinder einsam gefühlt. Irgendwie isoliert, weißt du.«

»Ja«, erwiderte Claudia. »Zumindest kann ich es mir vorstellen.«

Und wieder war sie sich – vielleicht zum millionsten Male – deutlich bewusst, was für ein Riesenglück sie in ihrem Leben gehabt hatte.