30. KAPITEL

Zacharel zog Annabelle an sich. Endlich kehrte sie zu ihrer menschlichen Gestalt zurück. Allerdings hatte er auch viel getan, um sie zu beruhigen. War mit ihr so nah wie möglich zu den Sternen geflogen, ohne dass die kalte Luft sie erstarren ließ. Hatte ihre Arme liebkost, ihren Bauch, ihren Hals geküsst. Als die Schönheit dieser Erfahrung sie hatte erbeben lassen, hatte er die Richtung gewechselt und war mit ihr zu einem Strand geflogen, um den Sonnenaufgang zu betrachten und die Wärme zu genießen, während er sie weiter streichelte, weiter küsste.

Die erste Stunde war sie verschlossen. In der darauffolgenden war sie steif wie ein Brett. Und die ganze Zeit über schwieg sie. Er hatte sich inzwischen so sehr daran gewöhnt, dass sie immer sagte, was sie dachte. Das fehlte ihm, und er wollte es zurückhaben.

Jetzt waren sie wieder in einem Hotelzimmer, und schließlich legte er sich zu ihr aufs Bett und tat nichts, als ihren Duft zu genießen und ihr dasselbe zu gönnen. Wenn es sein musste, würde er sein Leben in gemieteten Zimmern verbringen, um ihre Sicherheit und Zufriedenheit zu gewährleisten. Dieses war größer als die bisherigen, sauberer, schöner.

„Liebste“, setzte er an.

„Ja.“

Endlich ein Wort aus ihrem Mund.

„Du weißt, dass ich dich begehre, in welcher Gestalt auch immer.“

„Ich … ja.“

„Erinnerst du dich daran, wie ich dir gesagt habe, dass ich alles mit dir machen will?“

Wieder ein „Ja“, diesmal jedoch ein fast unhörbares Flüstern.

„Auch das hat sich nicht geändert. Und jetzt werde ich damit anfangen.“

Schock blitzte in ihren Augen auf. „Aber wir haben doch schon alles gemacht! Und du willst mich wirklich? Jetzt?“

Sie wusste es tatsächlich nicht. „Jetzt. Und immer.“

Das brachte sie ins Stocken. „Aber ich … sehe abscheulich aus.“

Ja, an ein paar Stellen waren immer noch Schuppen auf ihrer Haut. „Du bist bezaubernd, ganz egal, wie deine äußere Erscheinung ist, und manche Dinge bedürfen der Wiederholung.“ Das zu beweisen, war eigentlich Ziel ihres Ausflugs heute Nacht gewesen. Da musste er sich wohl etwas mehr anstrengen.

„Wie kannst du sagen, ich wäre bezaubernd? Du hasst Dämonen genauso sehr wie ich.“

„Du bist kein Dämon.“ Er griff sie beim Handgelenk und zog sie auf die Beine, zwang sie dann, sich umzudrehen, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand. Dann führte er sie zur Wand, drückte sie an sich. Ihr zittriges Luftholen war mehr der Hitze geschuldet, die von ihm ausstrahlte, als dem kalten Putz, vermutete er.

Zärtlich ließ er die Hände an ihren Seiten hinabgleiten, an ihren Hüften, und ergriff von Neuem ihre Handgelenke. Er hob ihre Arme und legte ihre Hände flach an die Wand über ihrem Kopf.

„Bleib so.“ Es war ein Befehl; und als er sie losließ, gehorchte sie.

Er zog sie aus. Dann liebkoste er sie, bis sie zusammenhanglos wimmerte, bis sie sich geschmeidig und warm an ihn drängte. Irgendwann fiel ihr Kopf nach hinten auf seine Schulter, sodass ihr Atem sein Gesicht streifte. Die Hitze, die von ihr ausging … weit intensiver als seine und genau das, was er brauchte. Sie trieb ihn in die Leidenschaft, wie nur sie es konnte.

Dicht an ihrem Ohr flüsterte er: „Hat es dir gefallen, mit mir zu schlafen?“

„Ja.“ Ein Stöhnen mit brechender Stimme. „Hat es.“

„Und du willst es noch mal.“

„Oh ja.“

Federleicht zeichnete er jede ihrer Rippen nach, bevor er in ihren Bauchnabel tupfte. „Ich habe dir gesagt, du müsstest mich niemals um etwas anbetteln, aber ich habe meine Meinung geändert. Bevor ich dich nehme, wirst du mich anflehen, Anna. Du wirst flehen und schreien und noch mehr flehen.“ Er brauchte die Gewissheit, dass ihr Verlangen genauso verzehrend war wie seins.

Über die Jahrhunderte hatte er jeden nur vorstellbaren sexuellen Akt beobachtet, jeder aus ganz eigenen Gründen vollzogen. Lust, Dominanz, Neugier, Demütigung, Erniedrigung, Berechnung, Rache, Hoffnung, der Wunsch nach Kindern, der Wunsch, Schmerzen zuzufügen. Liebe hatte er immer abzutun versucht.

Doch genau das wollte er mit Annabelle erleben. Liebe. Er wollte ein Geben und Nehmen, eine geteilte Erfahrung.

„Zaaachareeeel“, sang sie leise vor sich hin.

„Schon mal ein guter Anfang.“ Süß stieg ihm der Duft ihrer Erregung in die Nase, ein Geruch, der ihn von innen liebkoste, ihn aufheizte, ihn heißer brennen ließ, immer heißer.

„Was, wenn ich mich weigere, zu betteln?“

„Das wirst du nicht.“

Lange quälte er sie beide, streichelte sie, ohne je die Stellen zu berühren, wo sie ihn am meisten brauchte. Ihre Finger an der Wand krümmten sich. Bumm, bumm. Verzweifelt hämmerte sie mit ihren kleinen Fäusten an die Wand, sehnte sich nach Erlösung. Doch bettelte sie? Nein.

Sie begann zu reden, ihm all die Dinge zu erzählen, die er mit ihr machen sollte … All die Dinge, die sie mit ihm machen wollte …

… ihn anfassen …

… ihn streicheln …

… ihn leeeecken …

Als sie schließlich wieder verstummte, war auch er so überreizt, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Und definitiv nicht stillstehen konnte. Er rieb sich an ihr, immer wieder; ihre Haut auf seiner zu spüren, war die pure Ekstase … Sehnsüchtig stellte er sich ihre Hände auf seinem Leib vor, überall. Malte sich aus, wie sie ihn mit dem Mund liebkoste, von oben bis unten.

Nackte Begierde hatte ihn unerbittlich in ihrem Griff.

„Diese Dinge wirst du mit mir machen.“ Fast wären das Feuer, das Eis, die pure Entschlossenheit in ihrem Stöhnen ihm entgangen. „Nächstes Mal.“

Ihre Lippen formten sich zu einem herzallerliebsten Schmollmund. „Und jetzt?“

„Jetzt widme ich mich weiter meiner Mission, dich zum Betteln zu bringen.“ Er lachte leise, als sie einen noch größeren Schmollmund machte. „Du hast geglaubt, das hätte ich vergessen, oder?“

Dann machte er ernst, gab sich nicht länger damit zufrieden, sie nur zu necken. Er verwöhnte sie, bis jeder ihrer Atemzüge ein Keuchen oder ein Stöhnen war, spielte mit ihren Brüsten, streichelte sie, wo sie ihn am meisten brauchte, bis ihre Hände nicht länger an der Wand, sondern in seinem Haar waren, ihre Fingernägel köstlich über seine Kopfhaut fuhren. Oh, wie herrlich sie sich an ihn drängte. Sie schnurrte. Sie stöhnte. Sie wand sich. Und ohne Unterlass rieb er sich an ihr, gierte verzweifelt danach, sich in sie zu versenken.

„Bitte“, flehte sie endlich. „Ich geb auf. Bitte, bitte, bitte!“

„Zu dir werde ich niemals Nein sagen.“

Über die Schulter grinste sie ihm zu, und in ihren Augen leuchtete der Schalk um die Wette mit der Glut der Leidenschaft. „Gut, denn jetzt will ich, dass du mich anbettelst.“

Keine Sekunde lang zögerte er. „Bitte, bitte, bitte, Annabelle.“ Endlich schob er sein Gewand hoch, brachte sich in Position, glitt hinein in ihre himmlische nasse Wärme. „Bitte.“

„Zacharel“, stöhnte sie. „Schneller. Bitte.“

„Oder …“ Er verlangsamte das Tempo, bevor er ganz innehielt. Ihm zitterten die Beine, drohten jeden Augenblick unter ihm nachzugeben, doch er würde jeden Moment genießen, würde so unglaublich vorsichtig umgehen mit seiner Frau.

„Zacharel.“

Millimeterweise begann er sich wieder zu bewegen …

… ein bisschen schneller …

„Bitte.“

Und noch etwas schneller … Die Lust war qualvoll, doch er liebte es, liebte jede Sekunde … schneller … schneller …

Hart trommelte sie mit den Fäusten gegen die Wand, als ihr Orgasmus sie mit sich riss. Und er folgte ihr sofort, brüllte ihren Namen, zeichnete sie mit allem, was er war.

Einige Minuten später, als sie beide etwas zur Ruhe gekommen waren, hob er sie auf die Arme und trug Annabelle in die Dusche. Sie sprach kein Wort, während er erst sie und dann sich säuberte. Von ihrer dämonischen Gestalt war keine Spur mehr zu sehen, und darüber war er froh. Sie war gelassen, befriedigt.

Und … kein einziges Mal hatte er sie geküsst, fiel ihm plötzlich auf.

Zacharel betrachtete sie von oben bis unten. Klatschnass klebte ihr das Haar am Kopf, an den Wangen und an den Schultern. Mit eisblauen Augen beobachtete sie ihn unter feuchten Wimpern hervor, an denen noch winzige Tropfen hingen. Rosig schimmerten ihre Wangen, ihre Lippen waren geschwollen und wund. Sie musste sich gebissen haben. Ihr Körper war rot, wo er ihr Fleisch geknetet hatte, und zittrig, so köstlich zittrig vor Befriedigung.

Er legte die Hand an ihr Kinn. Einen langen Augenblick stand er einfach nur da, sah sie weiter an, erlaubte ihr, ihn zu mustern, und verbarg nichts. Er fragte sich, ob sie die Lieblichkeit erblickte, die er in ihr sah, ob sie die Verehrung und das verzehrende Begehren erkannte. Ob sie die Hoffnung auf etwas Größeres bemerkte. Auf alles. Sie musste es gesehen haben, denn das alles warf sie wie ein Spiegel zurück.

Für so lange Zeit hatte er gar nichts gehabt – und irgendwie war sie zu seinem Alles geworden.

Ohne seine Gefühle in Worte zu fassen, senkte er seine Lippen auf ihre. Er wollte den Kuss für sich sprechen lassen, sie damit auf sein nächstes Geständnis vorbereiten. Gleitend trafen ihre Zungen aufeinander, kämpften, tanzten; ein Kuss, der nicht erregen, sondern schenken sollte.

Als er schließlich den Kopf hob, blickte er zu ihr hinunter und ließ seinen Taten Worte folgen. „Ich liebe dich, Annabelle.“

Sie war mehr als seine andere Hälfte, sie war das Beste an ihm.

„Ich weiß.“

Das war alles?! „Sag mir, woher du es weißt.“ Obwohl er selbst es nicht einmal geahnt hatte bis heute, bis zu diesem Moment. Und dann sag, dass du mich auch liebst!

So sanft, so strahlend war ihr Gesichtsausdruck. „Durch die Art, wie du mit mir umgehst. So bist du bei niemandem sonst. Und nicht zu vergessen mein zwischenzeitliches Erscheinungsbild und die Tatsache, dass du mich nicht abgestochen hast.“

Er wartete, doch sie sprach nicht weiter. Nachdenklich spielte sie mit seinem Haar, verdrehte die Strähnen zu Locken. „Wie gehe ich mit dir um?“ Manche Männer konnten Liebe geben und nichts dafür erwarten. Zacharel gehörte nicht dazu. Er erwartete alles. Würde alles verlangen.

„Sanfter, liebevoller. Ein Beschützer.“ Warm lachte sie auf. „Unersättlich.“

Er vergötterte die Art, wie ihre Stimme am Ende rauer geworden war. „Wie gehe ich mit anderen um?“

„Schroff, sachlich, fordernd. Du bist ein Tyrann.“

„Gut. Meinen Männern gegenüber muss ich so sein. Ich bin alles, was zwischen ihnen und der Verbannung aus dem Himmelreich steht.“

„Wie das?“

„Mein Schicksal ist ihr Schicksal, denn als eine Strafe hat meine Gottheit mich an sie gebunden. Doch so sehe ich es nicht länger“, fügte er hinzu.

„Ich bin mir nicht sicher, wie ich das finde.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich bringe sie schon auf Trab. Aber letzten Endes stehen sie unter meinem Schutz, genau wie du. Der Verlust ihrer Flügel, ihrer Unsterblichkeit, selbst ihrer Seelen, würde mich heimsuchen. Ein solches Leben wünsche ich keinem von ihnen. Es sind gute Männer.“

„Auch sie liebst du“, sagte sie.

Zu einer solchen Sichtweise würde er sich noch lange nicht hinreißen lassen, doch er empfand großen Respekt und große Bewunderung für sie. „Was ist mit dir? Liebst du mich?“ Auf die subtile Art hatte es nicht funktioniert; würde er mit direkten Fragen mehr Erfolg haben?

Stirnrunzelnd blickte sie zu ihm auf. „Willst du, dass ich dich liebe?“

„Ja.“ Sie musste. Sonst würde er … was?

„Würdest du wissen, wenn ich lüge?“

„Ja. Aber du wirst nicht lügen!“

Langsam wich ihr Stirnrunzeln einem Lächeln. „Du bist so leicht zu ärgern.“

„Annabelle“, knurrte er.

„Ach, schon gut. Ich liebe dich“, erlöste sie ihn endlich. „Ich liebe dich von ganzem Herzen.“ Beim ersten Mal hatte es zögernd geklungen, doch beim zweiten Mal … hatte pure Anbetung in ihrer Stimme gelegen.

Wie eine Lawine strömte reinste Befriedigung durch ihn hindurch, füllte ihn aus, überwältigte ihn. „Du wirst immer bei mir bleiben.“

Doch da kehrte ihre ernste Miene zurück, und diesmal hätte er schwören können, dass sie echt war. „Natürlich. Ich werde mein Versprechen nicht brechen, aber wir müssen einen Weg finden, diesen Hohen Herrn einzusperren, der mich für sich beansprucht. Sonst werden mich für den Rest meines Lebens Dämonen jagen und du wirst ständig in Gefahr sein.“

„Manche Dinge sind jede Gefahr wert.“

„Zacharel“, ertönte eine harte Männerstimme von außerhalb der Duschkabine. „Es ist etwas passiert.“

Erschrocken schrie Annabelle auf.

Augenblicklich erlosch Zacharels Befriedigung, an ihre Stelle trat Zorn. Auf sich, auf Koldo. Wie hatte er überhören können, wie sein Soldat ins Badezimmer gekommen war? „Geh nach nebenan. Jetzt.“

Keine Antwort. Auch kein Geräusch von der Tür. Doch der Krieger war nicht mehr hier.

Er riss das Handtuch von der Haltestange an der Oberkante der Duschkabine und wickelte sie darin ein. Es war ihm egal, dass das Wasser es bald durchnässt hätte.

„Bleib hier“, befahl er ihr und stieg dann aus der Dusche, um sich um das neue Desaster zu kümmern. Und er wusste, dass es ein Desaster war. Nichts anderes hätte seinen Krieger bewegen können, hierherzukommen.