Nur mit großer Mühe gelang es Annabelle, sich äußerlich unbeeindruckt zu geben, als sie in die Stille des Büros eintauchten. Den Weg die Treppe hoch, durch den rauchverhüllten VIP-Bereich, hatte sie mit erhobenem Kopf zurückgelegt, selbst als die Leute innehielten – beim Sex, beim Koksen, beim Anlegen von Aderpressen –, um sie und Zacharel finster anzustarren. Auf ihren Schultern mussten Dämonen gesessen haben, wie Zacharel gesagt hatte, doch sie hatte keinen entdecken können.
Jetzt, in diesem scheinbaren Paradies, drohte ihr Zorn aus ihr herauszubrechen. Alles sah so normal aus, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es furchtbar falsch war. Der Raum war weitläufig, mit weißen Wänden und einem weißen Flokati, in den schwarze Quadrate eingearbeitet waren und ein hypnotisches Muster bildeten. An den Wänden hinter einem halbmondförmigen Schreibtisch waren Bücherregale aufgereiht. Von der Mitte der Decke hing ein dreistufiger Kronleuchter herab.
„Hübsch, nicht wahr?“ Hinter dem Schreibtisch saß ein wunderschöner goldblonder Mann um die dreißig. Die hohe Lehne seines Lederstuhls überragte seinen Kopf um mehrere Zentimeter. Gekonnt beiläufig saß er da, die Ellenbogen auf die Armlehnen gestützt und die Finger vor dem Mund aneinandergelegt, Dr. Evil in Person. Doch den grausamen Zug um seine Augen konnte er nicht verbergen.
Wer war das? Der letzte Sicherheitscheck, bevor sie zu dem Dämon gelassen wurden?
Das Blau seiner Augen war dunkler als bei Annabelle, matter, seine Wimpern dunkel, aber mit goldenen Spitzen. Auf seinem Kiefer lag ein Bartschatten. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug und roch nach Geld, Moschus und viel Alkohol.
Auf den Gesichtern der zwei bewaffneten Wachen hinter ihm, angetan mit Lederhosen und Muskelshirts, flackerte ein erwartungsvoller Ausdruck. Keine Frage, die gehörten zur Sorte „erst schießen, dann fragen“.
Die blonde Schönheit aus dem Club, die Annabelle durchlöchert hatte, ließ sich auf eine Couch neben der Tür fallen und grummelte irgendetwas über die besten Foltermethoden für widerspenstige Menschen vor sich hin, während sie sich wieder zusammenflickte.
„Hallo, Bürde“, ergriff Zacharel das Wort.
Bürde. Das war Bürde? Der besessene Mann, der all diesen anderen Dämonen befohlen hatte, sie in der Anstalt anzugreifen? Ich hätte meine letzten zwei Messer nicht an dieses Mädchen verschwenden sollen.
Dr. Evils Lächeln wurde noch herzlicher – und umso unheimlicher.
„Ah, Zacharel. Ich freue mich so, dass du meine Einladung erhalten hast.“
„Ich werde jetzt Jamila sehen“, erwiderte ihr Engel, offensichtlich fertig mit den Höflichkeiten.
„Also deine Manieren … Schäm dich“, gurrte der Blonde mit einer Telefonsex-Stimme. Pure Befriedigung und mächtiges Verlangen. „Erst das Geschäftliche? Wie unhöflich. Können wir dir einen Drink anbieten? Eine Nutte? Einen Schuss Heroin?“
Schweigen.
„Nein? Und was ist mit dir, meine Liebe?“ Der marineblaue Blick wanderte zu Annabelle, schlängelte sich über ihren Körper und riss ihr im Geiste die Kleider herunter. „Hast du einen Wunsch?“
Zacharel versteifte sich, als sie antwortete: „Einen Wunsch hab ich tatsächlich. Fürs Erste hätte ich gern deinen Kopf. Auf dem Boden. Ohne deinen Körper. Danach können wir über meine nächste Forderung sprechen.“ Dann hatte er ihr eben befohlen, den Mund geschlossen und die Hände bei sich zu behalten, solange sie hier waren, und bis hierher hatte sie bei beidem versagt. Na und?
Du bist sowieso schon ein Ziel. Mach dich nicht noch interessanter, hatte er zu ihr gesagt.
Das wäre ein toller Ratschlag gewesen – wenn es um irgendetwas anderes als Dämonen gegangen wäre. Aber vor denen durfte sie auf keinen Fall schwach erscheinen. Darauf würden sie sich sofort stürzen, es gnadenlos ausnutzen. Doch von jetzt an, das schwor sie sich, würde sie sich zurückhalten. Zacharel hatte einen Plan, das wusste sie. Schweigend hatten er und die anderen drei Engel zusammengestanden, über eine halbe Stunde, mit immer wieder wechselnden Gesichtsausdrücken. Irgendwie hatten sie miteinander kommuniziert. Allerdings hatten sie sich nicht bemüßigt gefühlt, sie danach über den Inhalt ihres Gesprächs aufzuklären.
Das leise Lachen des Dämons erfüllte das Büro. Kalt und schleimig hallte es durch die Luft. „Dein Blutdurst macht mich stolz, Annabelle. Aber ich frage mich … Hast du noch ein paar Waffen versteckt, hm?“ Wieder musterte er sie von oben bis unten. „Oh ja, ich glaube, das hast du.“
Hatte sie nicht, aber wie sie sich in diesem Moment wünschte, es wäre anders …
Mit zur Seite geneigtem Kopf winkte Bürde eine der Wachen vor – offensichtlich ein Befehl, sie zu durchsuchen.
In derselben Sekunde war Zacharel bei dem Dämon und hielt ihm ein Feuerschwert an die Kehle. „Niemand fasst sie an.“
Die Wachen unternahmen keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Entweder hatten sie zu viel Angst vor ihm oder sie hatten andere Befehle.
Bürde setzte sich gerade hin, doch jeglichen Anflug von Unbehagen maskierte er sofort mit einer überheblichen Miene. „Wenn du zustichst, werden meine Leute Jamila sofort töten.“
„Ich wäre kein ernstzunehmender Anführer, würde ich einen meiner Schützlinge mehr verteidigen als einen anderen. Deshalb wiederhole ich: Niemand fasst das Mädchen an. Jemals.“
Das ist mein Mann.
„Na gut. Niemand fasst sie an, solange du hier bist“, gestand Bürde ihm zu, anscheinend nicht das kleinste bisschen beunruhigt, dass seine Autorität so infrage gestellt worden war.
„Einverstanden.“
Moment mal. Was?
Zacharels Feuerschwert verschwand.
Das Grinsen des Dämons kehrte zurück. „Da ich mich gerade großzügig fühle, lasse ich deiner Frau ihre Waffen.“
„Das ist so zuvorkommend von dir“, erwiderte Annabelle und tat so, als hätte sie tatsächlich noch ein paar Überraschungen im Ärmel. Und jetzt wird’s Zeit, dass du die Klappe hältst, Miller, damit Zacharel sein Ding durchziehen kann. Klar?
Bürde ignorierte sie, erklärte jedoch an Zacharel gerichtet in etwas schärferem Ton: „Sie wird feststellen, dass ich nicht so leicht zu verletzen bin wie Driana.“ Mit einem Nicken wies er auf die Frau, die auf der Couch immer noch ihre Wunden versorgte.
„Diese Unterhaltung ist ermüdend.“ Zacharel spreizte die Hände an seiner Seite, bevor er sie zu Fäusten ballte. „Lass uns weitermachen.“
Müßig nahm Bürde einen Stift von seinem Schreibtisch und spielte damit herum. „Ungeduldig wie eh und je, wie ich sehe. Um ehrlich zu sein“, behauptete er belustigt, „bin ich ein bisschen überrascht, dass du gekommen bist. Du musstest doch wissen, dass ich mich nicht an meinen Teil der Abmachung halten und dir Jamila übergeben würde.“
Unbeeindruckt musterte Zacharel ihn. „Das versteht sich von selbst.“
Moment. Er hatte tatsächlich gewusst, dass sie geradewegs in eine Falle marschierten? Was zum Teufel machten sie dann hier?
„Warum also bist du hier, Engel?“, fragte Bürde.
„Ich werde es dir sagen. Nachdem ich einen Beweis gesehen habe, dass Jamila noch am Leben ist.“
Bei dem Klang der Wahrheit in Zacharels Stimme verzog Bürde das Gesicht. „Manche Dinge ändern sich wohl nie. Es beruhigt mich, zu wissen, dass du genauso misstrauisch wie ungeduldig bist.“
„Du dagegen bist so unzuverlässig wie abstoßend.“
Zustimmend neigte der Dämon den Kopf, als hätte er gerade ein Kompliment bekommen. „Danke. Aber warum mache ich das Ganze nicht etwas spannender und tue das Unerwartete? Ich zeige dir deinen Beweis“, sagte der Dämon, „wenn ich dein Wort habe, dass keine anderen Kriegerengel hier oder auch nur in der Nähe sind.“
Der ganze Club war voller Wachen, wahrscheinlich gab es sogar Kameras. Eigentlich müsste er die Antwort kennen.
„Warum sollte er dir diesmal glauben, wenn du schon eine Lüge eingestanden hast?“, forderte Annabelle ihn heraus.
Bürde lachte. „Kluges Mädchen. Aber er glaubt mir, weil er die Wahrheit in meinen Worten schmecken kann.“
Zacharel fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. „Das kann ich. Und ich erkläre mich mit deinen Bedingungen einverstanden. Meine Engel sind nicht hier.“
„Die von jemand anderem?“
„Nein. Ich bin der einzige Engel, mit dem du dich wirst herumschlagen müssen.“
Bürde schürzte die Lippen. Er schien die Situation einzuschätzen und nickte dann. „Das ist alles ein bisschen enttäuschend. Ich hatte erwartet, der mächtige Zacharel würde sich wenigstens ein bisschen zur Wehr setzen. Jetzt muss ich mich fragen, warum du so zuvorkommend bist. Du wusstest, dass du Jamila nicht retten kannst. Du wusstest, dass du die Menschenfrau in die Gefahrenzone bringst.“
„Und du weißt, dass ich dir diese Informationen aufgrund des Handels, den wir soeben abgeschlossen haben, nicht geben muss.“
„Stimmt, aber versuchen musste ich es. Ich bin mir sicher, dafür hast du Verständnis.“ Der Dämon beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch. „Folgendermaßen wird es ablaufen. Ich werde dir deinen ach so wichtigen Engel zeigen, wie vereinbart. Dann wirst du entweder ohne Blutvergießen aus meinem Club verschwinden oder bleiben und zusehen, wie ich und meine Männer das Menschenweib genießen.“
Annabelles verräterisches Herz setzte für einen Schlag aus. Zacharel wird nicht gehen. Er wird mich nicht zurücklassen, noch wird er diesen Männern erlauben, mir wehzutun. Ich werde diesen Männern nicht erlauben, mir wehzutun.
Zacharel lächelte, doch es war ein grausames Lächeln, der pure Frost mit einem Versprechen von Schmerz. „Du glaubst wahrhaftig, du und deine Männer, selbst eine Armee von Männern, könnte es mit mir aufnehmen?“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht, doch deine Jamila wird sterben, während wir kämpfen.“
Unbeeindruckt zuckte Zacharel mit den Schultern. „Zeig mir, was zu zeigen du versprochen hast.“
Nur Annabelles Entschlossenheit, das hier durchzustehen, hielt sie an Ort und Stelle, als Panik sie zu überwältigen drohte. Sie vertraute Zacharel. Nicht wahr? In diesem Moment war er so kalt, dass der Schnee wieder aus seinen Flügeln hätte rieseln müssen. Denk immer dran, er hat ihnen befohlen, dich in Ruhe zu lassen, das muss doch was heißen.
Bürde gab etwas auf der todschicken Tastatur auf seinem Schreibtisch ein, dann hielt er inne. Befriedigung leuchtete in seinen Augen auf. „Bist du dir sicher, dass du das sehen willst?“
Wenn der genussvolle Ton des Dämons in Zacharel irgendeine Art der Vorahnung auslöste, verbarg er es geschickt. „Ja.“
Mit einer geschmeidigen Bewegung drehte der Dämon den Bildschirm herum.
Galle fraß sich durch Annabelles Hals nach oben und sie musste würgen. Dieses Bild auf dem Monitor … Gütiger Gott, dieser Anblick. Jamila war an ein Bett gefesselt, das Gesicht in die blutgetränkte, mit Federn übersäte Matratze gepresst, und ihr Rücken war ein einziges Schlachtfeld aus zerfetztem Fleisch.
Sie war am Leben, wie Bürde versprochen hatte, doch jemand hatte ihr die Flügel ausgerissen.
„Die Kleine ist ein richtiger Schreihals“, bemerkte Bürde, und sein Genuss war fast greifbar. Dann drehte er den Bildschirm wieder zu sich und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich glaube, ich lasse sie verheilen, und wenn ihre Flügel nachgewachsen sind, reiße ich sie ihr noch mal aus. Und noch mal.“
Oh nein. Nein, nein. Nein! Die Sache mit der Unterwerfung, dem Ausgeliefertsein, hatte Annabelle schon selbst durchgemacht. Sie würde nicht zulassen, dass jemandem unter Zacharels Schutz dasselbe widerfuhr. „Dafür wirst du bezahlen“, schwor sie. „Wo ist sie? Sag schon. Sofort!“
Als hätte sie nicht gesprochen, wandte der Dämon sich an Zacharel. „Immer wieder ein Vergnügen, Geschäfte mit dir zu machen, Zacharel. Aber ich glaube, die Bedingungen unseres Deals sind jetzt erfüllt. Du hast einen Beweis gesehen, dass der Engel noch lebt, und im Tausch dafür hast du mir diese entzückende junge Menschenfrau überlassen. Natürlich werde ich mich auch in dieser Sache an unsere Vereinbarung halten und sie nicht anfassen, bis du das Gebäude verlassen hast. Und wenn du ein braver Junge bist und ohne Zwischenfälle abhaust, werde ich sie heute nehmen. Wenn nicht, werde ich sie für jeden Mann in diesem Club freigeben.“ Er wies auf Driana, die immer noch auf der Couch saß. „Bring ihn nach draußen.“
„Ich?“, fragte die besessene Frau. „Aber ich …“
„Bring. Ihn. Raus.“ Auch wenn er ruhig gesprochen hatte, blieb kein Zweifel, dass Bürde ihr wehtun würde, wenn sie ihm noch einmal widersprach.
„Ja, Sir“, kam die eingeschüchterte Antwort.
„Geht mit“, befahl er den Wachen. „Wenn er irgendwelche Tricks versucht oder mit irgendwem redet, bringt ihn um.“
Doch Zacharel verharrte an Ort und Stelle. „Warum lässt du mich laufen, ohne wenigstens zu versuchen, mir zu schaden?“
Moment mal. Darüber, dass er sie hierlassen sollte, sagte er gar nichts? Kein Protest, nicht mal das kleinste bisschen? Gehört bestimmt zu seinem Plan. Jede Sekunde wird er sich in den Schwerter schwingenden Helden verwandeln, und dann ist Bürde der Eingeschüchterte.
„Versteh mich nicht falsch. Ich würde liebend gern erst dich und dann deine süße kleine Jamila umbringen, aber dann würde es eine Gerichtsverhandlung geben. Wer hat für so was schon die Zeit? Auf diese Weise bleibt dir jedoch nichts übrig, als dich immer wieder an dein Versagen zu erinnern.“
Einen Herzschlag lang stand Zacharel stumm und steif da, dann noch einen. Annabelle wartete darauf, dass er zur Tat schritt, diesem Schleimbeutel endlich zeigte, dass ein solches Verhalten Konsequenzen hatte. Doch stattdessen wandte er sich einfach um und … ging. Gleich wirbelt er herum und greift an. Wart’s nur ab.
Driana öffnete die Tür. Zuerst gingen die Wachen hinaus und warteten im Flur auf Zacharel.
Der ihnen auf den Fersen folgte.
Annabelles Panik bäumte sich auf, hämmerte gegen die Tore in ihrem Kopf, versuchte verzweifelt, zu entkommen.
„Zacharel“, brachte sie mit zittriger, schwacher Stimme hervor.
Er straffte die Schultern, gönnte ihr jedoch keinen Blick. Er ließ sie tatsächlich hier zurück?
Unmöglich.
„Zacharel“, fauchte sie diesmal.
Er hielt inne. Leicht drehte er den Kopf, sodass sie sein Profil sah. Doch er sagte kein Wort.
Driana ging mit wiegenden Schritten hinter ihm durch die Tür. „Ich kümmere mich gut um dich, Süßer. Versprochen.“
Tu’s nicht, schrie Annabelle innerlich, doch er zeigte keine Regung. Aber … aber …
Ein letztes Mal blickte Driana sie an, grinste und winkte ihr zum Abschied. Mit einem Übelkeit erregenden Klicken fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Krachend flogen die Tore in ihrem Kopf auf, und die Panik strömte durch sie hindurch. Er hatte es getan. Unter falschem Vorwand hatte er sie hierhergelockt. Sie dem Feind übergeben. Männern, die versuchen würden, sie zu vernichten. Trotz seiner schönen Worte hatte er Jamilas Sicherheit über ihre gestellt. Er hatte sie hereingelegt. Sie benutzt.
Wieder lachte Bürde leise, und es war kein schönes Geräusch. „Da waren’s nur noch zwei. Was sagst du dazu, Kleine?“
Annabelle hob das Kinn und erwiderte den Blick des Bastards so fest, wie sie konnte. „Ich denke, es ist an der Zeit, das zu Ende zu bringen. Du und ich, hier und jetzt, der Gewinner kriegt alles.“
Mit einem zu langen Fingernagel pulte er sich zwischen den Zähnen herum, bevor er entgegnete: „So langsam verstehe ich, warum das Interesse an dir so groß ist. Tatsächlich bewundere ich sogar deinen Mut, so närrisch der auch ist … Dich zu brechen, wird mir ein Vergnügen sein. Und das werde ich, bevor ich dich zu deinem neuen Herrn und Meister bringe.“
„Uuuh, ein neuer Meister, wie unheimlich. Warum behältst du mich nicht einfach selbst?“, schlug sie vor. „Du könntest mir eine Führung durch den Club geben.“ Und dann ramme ich dir das Knie in die Eier und verschwinde. „Wir lernen uns besser kennen und … wer weiß, was geschieht.“
„Süße, du kannst mich nicht reinlegen. Ich bin …“
Die Tür zersplitterte. Flügel legten sich um sie, verbargen den Raum vor ihren Augen. „Ich bin hier“, sagte Zacharel. „Ich musste nur die Leibwächter aus dem Büro schaffen.“
Fast wäre Annabelle vor Erleichterung in die Knie gegangen. Zacharel hatte nie vorgehabt, sie allein zu lassen, begriff sie. Von Anfang an hatte er nur in ihrem Interesse gehandelt. Sie sollte sich schämen, dass sie je etwas anderes angenommen hatte, doch im Moment war sie einfach zu dankbar.
„Ich dachte …“ Schüsse zerrissen die Luft. Das furchtbare Dröhnen von Metall auf Metall – und dann von Metall, das durch Fleisch jagte und in Knochen stecken blieb. Von überall her ertönte Grunzen und Stöhnen. Schock und Verwirrung rasten durch ihren Kopf, nagelten sie fest. Um sie herum herrschte Krieg, und Annabelle konnte bloß dastehen und sich am Kragen von Zacharels Gewand festklammern.
Gewand? Tatsächlich. Die Goth-Klamotten waren verschwunden, an ihre Stelle war wieder fließender Stoff getreten. „Freunde von dir?“, fragte sie.
„Ja. Allerdings lässt ihr Timing etwas zu wünschen übrig. Sie hätten das Büro schon viel früher stürmen sollen“, fügte er lauter hinzu.
„Hey!“, beschwerte sich jemand. „Wir sind so schnell hier raufgekommen, wie wir konnten.“
„Dann braucht ihr mehr Übung“, grollte Zacharel.
Annabelle schüttelte ihn. „Wie kann ich helfen?“ Das war sie ihm schuldig. All das war ihretwegen geschehen. Sie wollte nicht, dass noch jemand durch ihre Schuld verletzt wurde. Eine kurze Pause, während Zacharel den Raum absuchte. „Schon gut, du brauchst nichts zu tun. Bürde ist schachmatt.“
„Absolut. Alles erledigt, Großer. Übrigens: gern geschehen.“, ertönte eine rauchige Stimme, die sie wiedererkannte.
Eine Stimme, die sie niemals vergessen könnte, weil sie mit einer unnatürlichen Macht durch sie hindurchrieselte. Dann stieg ihr der Duft nach Champagner und Schokolade in die Nase und sie wusste es.
Der Mann, der vom Dämon der Promiskuität besessen war – hier?
Unwillkürlich wollte Annabelle in Kampfposition gehen, doch Zacharel hielt sie zurück.
„Es ist erst alles erledigt, wenn ihr das Chaos beseitigt habt“, entgegnete er barsch.
Moment. Die arbeiteten zusammen?
Geh nicht gleich vom Schlimmsten aus. Nicht schon wieder.
Unverständliches Gegrummel. Eine Frauenstimme: „Was immer du befiehlst, Engelchen. Aber nur, wenn ich den anderen sagen darf, was sie saubermachen sollen!“
„Kaia“, stöhnte ein Mann. „Du bist so was von anstrengend.“
„Du bist bloß neidisch, dass du nicht selbst drauf gekommen bist.“
„Stimmt.“
Bald drangen seltsame Geräusche an Annabelles Ohren. Etwas wurde über den Boden geschleift. Eine Leiche? Das Rascheln eines Müllsacks. Schwere Dinge, die darin landeten. Murrende Beschwerden.
Sie blendete alles um sich herum aus. „Warum hast du mir nicht von deinem Plan erzählt?“
„Weil Dämonen Angst schmecken können.“
„Und er musste meine schmecken, damit er dir glaubt“, beantwortete sie ihre Frage selbst.
„Nicht unbedingt. Auch wenn du langsam lernst, deine Gefühle im Griff zu haben, war es nötig, dass deine Reaktionen echt sind.“ Endlich senkte Zacharel die Flügel.
Annabelle wirbelte herum. Blutspritzer zierten Wände und Boden, auch wenn sie sehen konnte, dass jemand versucht hatte, sie wegzuwischen. Ein anderes Anzeichen für einen Kampf gab es nicht. Vier blutverschmierte Krieger und drei Frauen standen im Zimmer und betrachteten sie alle höchst interessiert.
Nur zu gern hätte sie die Musterung sofort genüsslich erwidert, doch dann entdeckte sie Bürde, der immer noch an seinem Schreibtisch saß, die Wange auf die Schreibplatte gepresst und eine Klinge am Rückgrat, zwischen zwei Wirbeln.
Ein grausam vernarbter Mann hielt die Klinge in seiner ruhigen Hand. „Was soll ich mit ihm machen, Engel?“
„Meine Männer werden kommen und ihn einsammeln“, erklärte Zacharel. „Wir haben Fragen und er die Antworten.“
„Du hast behauptet, deine Männer wären nicht hier“, quetschte Bürde hervor.
Zacharel zeigte sein grausamstes Lächeln. „Und das sind sie nicht. Noch nicht. Ich habe dir gesagt, dass ich keine Engel mitgebracht habe, und anders als du bin ich ein Mann, der zu seinem Wort steht. Aber von Dämonen habe ich nichts gesagt, oder? Erlaube mir, dir die Herren der Unterwelt vorzustellen.“