9. KAPITEL

Wie geht’s meiner Kleinen?“
„Gut, gut, ich ssschwöre esss … jedenfallsss, wenn esss Euch nichtsss ausssmacht, dasss sssie bei dem Engel, äh, na ja … Zzzacharel issst.“ Ein furchtsames Schaudern folgte auf den Namen.

Grinsend lehnte der dämonische Hohe Herr der Unversöhnlichkeit sich auf seinem Thron zurück. Einem kunstvoll aus den Knochen der vielen Kriegerengel zusammengebauten Thron, die er über die Jahrhunderte getötet hatte. Bei diesem neuen Gesichtsausdruck erschauderte sein vierbeiniger Lakai ein weiteres Mal. Normalerweise lächelte er immer dann, wenn er gerade dabei war, jemanden umzubringen.

Das hier war fast genauso herrlich. Die Tatsache, dass Annabelle bei Zacharel war, erregte Unversöhnlichkeit bis in die Tiefen seiner verdorbenen schwarzen Seele. Darum hatte er sie schließlich gezeichnet. Damit sie die Aufmerksamkeit des Kriegers auf sich zog.

Langsam hatte er begonnen, sich zu fragen, ob der Krieger sie überhaupt je finden würde. Er hatte bereut, nicht dem Wunsch nachgegeben zu haben, sie zu foltern, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Jetzt war er froh über seine damalige Zurückhaltung.

Jetzt konnte er sie und Zacharel foltern.

Grinsend rieb Unversöhnlichkeit sich mit zwei stumpfen Klauen das Kinn. Jeden Tag musste er sich die Krallen abfeilen, damit er seine Beute nicht umbrachte, bevor er so weit war. Denn wenn ihn erst der Blutrausch überkam, vergaß er seine Umgebung, seine Ziele, und fraß sich einfach nur voll. Vergaß, dass seine Kost besser schmeckte, wenn sie ein paar Wochen gereift war oder gar ein paar Monate. Niemals endende Furcht war eine göttliche Marinade.

„Braucht Ihr noch etwasss von mir, Meissster?“, winselte der Lakai, der immer noch auf den Stufen vor seinem Thron kauerte.

„Ja.“

„U-und wasss?“

„Du wirst vor mir auf die Knie gehen, und ich werde dir den Kopf abhacken. Dein Gestank beleidigt meine Nase.“ Genau wie die Tatsache, dass er solche Ehrfurcht vor Zacharel gezeigt hatte.

Ein Schluchzen brach zwischen den viel zu dünnen Lippen des Lakaien hervor, doch er erhob keinen Widerspruch gegen den Befehl. Hätte er das getan, wäre ihm damit vor seinem unausweichlichen Tod noch eine anständige Runde Folter sicher gewesen.

„Esss wird mir … ein Vergnügen sssein, Meissster.“

Er kniete sich hin.

Unversöhnlichkeit ergriff sein Schwert, und der Kopf des Lakaien purzelte hinunter. Und ich musste nicht mal aufstehen. Genüsslich lehnte er die Klinge wieder an die Armlehne seines Throns und winkte einige weitere Lakaien vor. Massen von ihnen säumten die Wände seines Thronsaals, manche riesig, manche Zwerge, doch alle hässlich wie die Nacht und nur dazu da, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.

„Du, wisch das Blut auf. Du, wirf die Leiche meiner Armee zum Fraß vor. Du, bring mir einen Leckerbissen. Aber diesmal einen guten, sonst kannst du dich zu deinem kopflosen Freund gesellen.“

Hastig gehorchten sie. Fast wünschte er sich, einer von ihnen – oder gleich alle – würden sich widersetzen. Das würde mit Sicherheit etwas Leben in diesen langweiligen Tag bringen. Oder eher in dieses langweilige Jahrhundert. Wenn auch nur für kurze Zeit.

Unversöhnlichkeit war hier unten gefangen. Nur wenn es einem Menschen gelang, ihn herbeizurufen, konnte er diesen Ort verlassen. Doch selbst dann konnte er nur so lange auf der Erde bleiben, wie er brauchte, um die Aufgabe – welcher Art auch immer – zu erledigen, für die der Mensch ihn gerufen hatte. Oder bis der Mensch starb. Was immer früher eintrat.

Auch das hatte begonnen, ihn zu langweilen, bis er schließlich über Zacharels Weib gestolpert war. Oh ja. Er hatte sofort erkannt, wer sie war, für wen sie bestimmt war. Vielleicht würde er Zacharel erzählen, woran er es erkannt hatte … Vielleicht aber auch nicht. So oder so: Zacharel, der Kriegerengel, der einst nichts zu verlieren gehabt hatte, der Soldat, der sich um nichts und niemanden geschert hatte, besaß jetzt etwas, für das es sich zu kämpfen lohnte.

Jetzt würde der Spaß erst richtig beginnen.

Endlich würde er dafür bezahlen, Unversöhnlichkeit nach hier unten geschickt zu haben.

Hohe Herren waren gefallene Engel, die das Böse in ihren Herzen willkommen geheißen hatten. Ja, das hatte er getan, aber nicht absichtlich. Wie hätte er wissen sollen, dass sich, sobald man erst einmal das kleinste bisschen davon eingelassen hatte, immer mehr in einem einnistete, bis kein Funken Güte mehr übrig blieb?

Als er begriffen hatte, was mit ihm geschah, hatte er dagegen angekämpft. Doch das Böse war tückisch, eine schleichende Krankheit, die in einem wuchs – manchmal so langsam, dass man nicht die geringste Ahnung von seiner Anwesenheit hatte. Ohne eine Reinigung der Seele jedoch war es dort, bereit zum Losschlagen, und am Ende würde man nachgeben.

Beim ersten Mord weinte man vielleicht noch, aber der zweite, dritte und vierte waren einfacher, und bald vergoss man keine einzige Träne mehr. Bald war einem das Leben in jeglicher Form gleichgültig. Bald war man nur noch eine leere Hülle seines alten Selbst.

All das hatte Zacharel gewusst. Er hätte ihn retten können. Ihn retten sollen. Stattdessen hatte er ihn verraten.

„Euer Leckerbisssen, Meissster.“ Über die Stimme des Lakaien legte sich das Schluchzen der menschlichen Frauenseele, die er hinter sich herzerrte.

Unversöhnlichkeit blinzelte und kam wieder zu sich. Grob wurde die Frau die Stufen hinaufgestoßen und dann gezwungen, sich zwischen seine gespreizten Beine zu knien. Sie war Mitte zwanzig, hatte kurzes braunes Haar, ein zartes Gesicht und erinnerte ihn an Annabelle.

Jeder Hohe Herr hatte ein paar Lakaien an den Toren der Hölle stationiert. Wenn neue Seelen hereingebracht wurden, kämpften diese Lakaien darum, sie in ihren Besitz zu bringen. Hier unten galt das Recht des Stärkeren. Unversöhnlichkeit wollte nur die Härtesten und Verbittertsten unter den Frauen und Männern. Und er bekam sie. Niemand wagte es, sie seinen Lakaien streitig zu machen, denn niemand wollte sich mit ihm anlegen. Doch immer mal wieder entdeckte er auch eine brünette Schönheit wie diese hier.

Tränen rannen ihr über die Wangen. Ihre Augen waren dunkelgrün mit goldbraunen Tupfen.

Eine ihrer Tränen fing er mit der Fingerspitze auf, und das Mädchen zuckte vor ihm zurück. Diese Reaktion hatte er erwartet, ja, er genoss sie sogar. Früher war er die Schönheit in Person gewesen. Frauen hatten ihn voller Ehrfurcht betrachtet. Jetzt, mit seinen tiefroten Schuppen, den blutverschmierten Reißzähnen, den tödlich scharfen Hörnern und dem Stachelschwanz, war er ein Abbild des Grauens.

„Schon jetzt kann ich deine Angst schmecken“, raunte er.

Ihr schlanker Körper bebte unter gewaltigen Schluchzern. „Bitte. Tu mir nicht weh, ich flehe dich an.“

Ihr fehlten das Feuer und die Tapferkeit, die Annabelle besaß. Wie enttäuschend.

Aber … schon als er den bloßen Namen seiner Annabelle dachte, stieg Erregung in ihm auf. Wie sehr wollte Zacharel sie?

Was würde er tun, um sie zu retten?

Die niederen Dämonen, die Unversöhnlichkeit auf sie ansetzte, durften sie nicht vergewaltigen und nicht töten. Dieses Privileg behielt Unversöhnlichkeit sich selbst vor. Und Zacharel würde die ganze Zeit zusehen müssen, bevor er ihr schließlich in den Tod folgte. Na ja, den körperlichen zumindest – denn Unversöhnlichkeit würde Zacharel nicht den Wahrhaftigen Tod gewähren. Den Tod von Geist, Seele und Körper. Nein, er wollte den Engel hier haben, als dämonischen Hohen Herrn, dem seine Taten wie Säure auf der Haut brannten und den sein Leben lang Verlust und Versagen begleiten würden.

„Bitte“, flehte das Menschenweib weiter und holte ihn zurück in die Gegenwart.

Es würde ihn noch das Leben kosten, wenn er seine Gedanken so schweifen ließ. Unversöhnlichkeit legte die Finger um die Kehle der Frau und zog ihr Gesicht näher an seins. „Bitte was?“

„Lass mich gehen“, würgte sie hervor.

Wieder verzogen sich seine Lippen zu einem langsamen Grinsen, das diesmal so düster war wie seine Seele selbst. „Warum sollte ich das tun? Ich muss bei Kräften bleiben. Und weißt du, wie ich mich bei Kräften halte, meine Schöne?“

Bebend schüttelte sie den Kopf. „N-nein.“

Nein, aber sie hatte einen Verdacht. „Na dann wird es mir ein Vergnügen sein, es dir zu zeigen.“