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Ich ging zur amerikanischen Gesandtschaft, um mit Pyle zu sprechen. Man mußte am Eingang ein Formular ausfüllen und es einem Militärpolizisten übergeben. Der Mann sagte: »Sie haben den Zweck Ihres Besuchs nicht angeführt.«

»Er wird ihn schon wissen«, erwiderte ich.

»Sie haben also eine Verabredung mit ihm?«

»So können Sie es auch nennen, wenn Sie wollen.«

»Es kommt Ihnen wahrscheinlich blödsinnig vor, aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Hier tauchen recht sonderbare Typen auf.«

»Davon habe ich gehört.« Er schob den Kaugummi von einer Backe in die andere und stieg in den Fahrstuhl. Ich wartete. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu Pyle sagen sollte. Eine Szene wie diese hatte ich nie zuvor gespielt. Der Polizist kam zurück. Widerwillig sagte er: »Sie können hinaufgehen. Zimmer 12 A. Erster Stock.«

Als ich den Raum betrat, sah ich, daß Pyle nicht da war. Hinter dem Schreibtisch saß Joe, der Handelsattaché: Sein Familienname war mir noch immer entfallen. Phuongs Schwester beobachtete mich von einem Schreibmaschinentischchen aus. War es Triumph, was ich in ihren braunen, habgierigen Augen las?

»Nur herein, nur herein, Tom«, rief Joe mit aufdringlicher Lautstärke. »Freut mich, Sie zu sehen. Was macht das Bein? Wir bekommen nicht oft Besuch von Ihnen in unserem kleinen Laden hier. Holen Sie sich einen Stuhl heran und erzählen Sie mir, was Sie von der neuen Offensive halten. Gestern abend traf ich Granger im ›Continental‹. Er fliegt wieder nach dem Norden. Der Kerl geht scharf ran. Wo es Neuigkeiten gibt, ist auch Granger. Nehmen Sie sich eine Zigarette. Greifen Sie zu. Miss Hei kennen Sie, ja? Kann mir all diese Namen nicht merken – zuviel für einen alten Knaben wie mich. Ich rufe sie immer ›He, Sie!‹ – ihr gefällt das. Keine Spur von dem muffigen alten Kolonialismus. Was erzählt man sich auf dem Markt, Tom? Ihr Burschen hört ja das Gras wachsen. Habe mit Bedauern von der Sache mit Ihrem Bein gehört. Alden erzählte mir davon …«

»Wo ist Pyle?«

»Oh, Alden ist heute morgen nicht im Büro. Nehme an, er ist zu Hause. Er arbeitet eine Menge zu Hause.«

»Ich weiß, was er zu Hause tut.«

»Der Mann ist tüchtig. Eh, was sagten Sie eben?«

»Nun, ich kenne jedenfalls eines von den Dingen, die er zu Hause tut.«

»Ich verstehe Sie nicht, Tom. Der begriffsstutzige Joe – das bin ich. War ich schon immer. Werde ich immer sein.«

»Er schläft mit meiner Freundin – der Schwester Ihrer Schreibkraft.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Fragen Sie sie doch. Sie hat die Sache eingefädelt. Pyle hat mir mein Mädchen weggenommen.«

»Schauen Sie, Fowler, ich dachte, Sie wären dienstlich hergekommen. Wir können hier im Büro keine Szene gebrauchen, wissen Sie.«

»Ich bin hergekommen, um mit Pyle zu reden; aber wahrscheinlich versteckt er sich vor mir.«

»Also Sie sind wohl der allerletzte, der sich eine solche Bemerkung erlauben darf – nach allem, was Alden für Sie getan hat.«

»Ja, ja, natürlich. Er hat mir das Leben gerettet, nicht wahr? Aber ich habe ihn nie darum gebeten.«

»Unter großer Gefahr für sein eigenes Leben. Der Mann hat Nerven!«

»Seine Nerven sind mir verdammt schnuppe. Andere Teile seiner Anatomie stehen jetzt wohl eher zur Debatte.«

»Also, Fowler, solche Anspielungen können wir nicht dulden, noch dazu, wenn eine Dame im Zimmer ist.«

»Die Dame und ich kennen einander sehr gut. Bei mir ist es ihr nicht gelungen, sich den Kuppelpelz zu verdienen; dafür tut sie das jetzt bei Pyle. – Schon gut! Ich weiß, daß ich mich schlecht benehme, aber ich gedenke mich weiterhin schlecht zu benehmen. Das ist eine Situation, in der sich Leute schlecht benehmen.«

»Wir haben eine Menge Arbeit, einen Bericht über die Gummiproduktion …«

»Keine Angst! Ich gehe schon. Aber falls Pyle anruft, sagen Sie ihm, daß ich da war. Vielleicht hält er es für angebracht, meinen Besuch zu erwidern.« Zu Phuongs Schwester sagte ich: »Hoffentlich haben Sie die Vermögensübertragung durch den öffentlichen Notar, den amerikanischen Konsul und durch die ›Christian-Science-Kirche‹ beglaubigen lassen.«

Ich trat in den Gang hinaus. Gegenüber erblickte ich eine Tür mit der Aufschrift »Männer«. Ich ging hinein, verriegelte die Tür hinter mir, und, den Kopf gegen die kühle Wand gelehnt, weinte ich. Ich hatte bis dahin nicht geweint. Selbst ihre Klosetts waren mit einer Klimaanlage versehen, und augenblicklich trocknete die wohltemperierte und wohlgemischte Luft meine Tränen, wie sie den Speichel im Mund und den Samen im Leib vertrocknen läßt.