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Das Alltagsleben geht weiter – dies hat schon manchen davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. So wie es während eines Luftangriffs unmöglich war, die ganze Zeit über Angst zu haben, legte ich unter dem Bombardement gewohnter Arbeiten, zufälliger Begegnungen und unpersönlicher Sorgen oft für viele Stunden meine privaten Ängste ab. Die Gedanken an den nächsten April, an die Abreise von Indochina, an die nebelhafte Zukunft ohne Phuong wurden unterbrochen durch die täglichen Telegramme, die Kriegsberichte der vietnamesischen Presse und durch die Erkrankung meines Mitarbeiters, eines Inders namens Dominguez (seine Familie war über Bombay aus Goa gekommen), der mich bei weniger bedeutsamen Pressekonferenzen vertreten, allerorts mit gespitzten Ohren jeden Klatsch, jedes Gerücht aufgelesen und meine Berichte zu den Telegrafenämtern und zur Zensurstelle gebracht hatte. Mit der Hilfe indischer Händler unterhielt er besonders im Norden, in Haiphong, Nam Dinh und Hanoi, seinen eigenen Nachrichtendienst für mich, und ich bin überzeugt, daß er über die Lage der einzelnen Vietminh-Bataillone im Tonkin-Delta genauer unterrichtet war als das französische Oberkommando.»
Da wir unsere Informationen nie benützten, außer wenn sie als Zeitungsmeldung interessant wurden, und sie niemals an den französischen Geheimdienst weitergaben, genoß Dominguez das Vertrauen und die Freundschaft mehrerer Agenten der Vietminh, die sich in Saigon und Cholon versteckt hielten. Der Umstand, daß er trotz seines Namens Asiate war, kam ihm dabei ohne Zweifel zustatten.
Ich mochte Dominguez gern. Während andere Menschen ihren Stolz wie eine Hautkrankheit an der Oberfläche tragen und so empfindlich sind, daß sie auf die leiseste Berührung reagieren, war sein Stolz tief in seinem Innern verborgen und auf das kleinste Maß reduziert, das bei einem Menschen, glaube ich, überhaupt möglich ist. Im täglichen Umgang mit ihm begegnete man nichts als Sanftmut, Bescheidenheit und absolute Wahrheitsliebe: Man hätte mit ihm verheiratet sein müssen, um den Stolz zu finden. Vielleicht gehen Wahrheitsliebe und Bescheidenheit Hand in Hand; so viele Lügen entspringen unserem Stolz – in meinem Beruf dem Stolz des Reporters, dem Wunsch, eine bessere Story zu bringen als der andere, und es war Dominguez, der mir half, diesen Ehrgeiz zu überwinden – all den Telegrammen von zu Hause zu widerstehen, in denen man gefragt wurde, warum nicht auch ich die Story des Soundso oder die Meldung eines anderen gebracht hätte, von denen ich von vornherein gewußt hatte, daß sie erlogen waren.
Nun, da er krank war, erkannte ich erst, wieviel ich ihm verdankte – ja, er sorgte sogar dafür, daß mein Wagen getankt war, und drängte sich doch nicht ein einziges Mal, weder durch eine Anspielung noch durch einen Blick, in mein Privatleben. Ich glaube, er war Katholik, doch besaß ich abgesehen von seinem Namen und seinem Geburtsort keinen Beweis für diese Annahme – nach allem, was ich aus Gesprächen mit ihm wußte, hätte er ebensogut ein Anhänger Krischnas sein oder, von einem Drahtrahmen gepeinigt, auf die jährliche Pilgerfahrt zu den Batuhöhlen gehen können.
Jetzt empfand ich seine Erkrankung als wahre Wohltat, weil sie mich von der Tretmühle meiner privaten Sorgen befreite. Ich war es nun, der an den langweiligen Pressekonferenzen teilnehmen mußte und zu einem Schwatz mit den Kollegen an den Tisch der Reporter im »Continental« zu humpeln hatte; nur war ich viel weniger als Dominguez imstande, Wahrheit und Lüge voneinander zu unterscheiden, weshalb ich es mir zur Gewohnheit machte, ihn jeden Abend zu besuchen und alles, was ich während des Tages gehört hatte, mit ihm zu besprechen. Bisweilen war einer seiner indischen Freunde anwesend und saß dann in der bescheidenen Wohnung, die Dominguez in einer der ärmlichen Seitenstraßen des Boulevard Gallieni mit einem zweiten Mieter teilte, an seinem schmalen Eisenbett. Dominguez selbst saß meist kerzengerade aufgerichtet und mit untergeschlagenen Beinen im Bett, so daß man weniger den Eindruck hatte, einen Kranken zu besuchen, als von einem Radscha oder Priester empfangen zu werden. Mitunter war sein Fieber so hoch, daß ihm der Schweiß über das Gesicht rann, dennoch verlor er nie sein klares Denkvermögen. Es war, als ob seine Krankheit den Körper eines anderen befallen hätte. Seine Hauswirtin stellte ihm einen Krug mit frischem Limonensaft ans Bett, ich sah ihn aber niemals davon trinken – vielleicht, weil es ein Eingeständnis gewesen wäre, daß er es war, der Durst empfand, und daß sein eigener Körper unter der Krankheit litt.
Von all den Abenden, an denen ich ihn damals besuchte, ist mir einer besonders im Gedächtnis geblieben. Aus Angst, meine Frage könne wie ein Vorwurf klingen, hatte ich es aufgegeben, mich nach seinem Befinden zu erkundigen, und immer war er es, der mit großer Besorgnis nach meiner Gesundheit fragte und sich für die vielen Treppen entschuldigte, die ich zu ihm hinaufsteigen mußte. Dann sagte er: »Ich möchte, daß Sie mit einem meiner Freunde zusammentreffen. Er hat eine Nachricht, die Sie sich anhören sollten.«
»Ja?«
»Ich habe seinen Namen aufgeschrieben, weil ich weiß, daß Sie sich chinesische Namen nur schwer merken können. Wir dürfen ihn natürlich nicht verwenden. Der Mann hat ein Lagerhaus für Altmetall am Quai Mytho.«
»Wichtige Sache?«
»Könnte sein.«
»Können Sie mir nicht eine Andeutung machen?«
»Es wäre mir lieber, wenn Sie die Sache von ihm selbst erführen. Es ist etwas Sonderbares daran, das ich nicht verstehe.« Der Schweiß floß ihm in Strömen übers Gesicht, aber er ließ ihn einfach rinnen, als ob die Tropfen lebendig und heilig wären – es steckte genug von einem Hindu in ihm, daß er niemals auch nur das Leben einer Fliege in Gefahr gebracht hätte. Er sagte: »Wieviel wissen Sie über Ihren Freund Pyle?«
»Nicht sehr viel. Unsere Wege kreuzen sich, das ist alles. Seit Tanyin habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Was arbeitet er?«
»Er ist bei der Wirtschaftsmission, doch das umfaßt eine große Anzahl von Sünden. Ich glaube, er interessiert sich für die einheimischen Industrien – vermutlich mit amerikanischen Geschäftsverbindungen. Mir mißfällt die Art, wie sie die Franzosen Kriegführen lassen und sich unterdessen im Geschäft hier breitmachen.«
»Ich habe ihn neulich auf einer Party sprechen gehört, die die Gesandtschaft für amerikanische Kongreßmitglieder gab. Man hatte ihn dazu bestimmt, den Besuchern die hiesige Situation zu erläutern.«
»Gott sei dem Kongreß gnädig«, sagte ich. »Der Mann ist ja noch keine sechs Monate im Lande.«
»Er sprach über die alten Kolonialmächte – England und Frankreich, und daß keine dieser beiden Nationen damit rechnen könne, das Vertrauen der Asiaten zu gewinnen. Eben hier trete Amerika mit reinen Händen auf den Plan.«
»Siehe Honolulu, Puerto Rico, Neu-Mexiko«, meinte ich.
»Dann stellte einer der Gäste die übliche Frage, ob die hiesige Regierung Aussicht hätte, jemals die Vietminh zu besiegen, und er antwortete, daß eine Dritte Kraft dies schaffen könnte. Stets lasse sich eine solche Dritte Kraft finden, die frei sei vom Kommunismus und dem Makel des Kolonialsystems – eine nationale Demokratie nannte er sie, man müsse nur einen geeigneten Führer finden und ihn vor den alten Kolonialmächten schützen.«
»Das alles steht bei York Harding«, sagte ich. »Er las seine Bücher, bevor er hierherkam. Schon in der ersten Woche sprach er darüber und hat seither nichts dazugelernt.«
»Möglicherweise hat er seinen Führer inzwischen gefunden«, bemerkte Dominguez.
»Würde das etwas ausmachen?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was er treibt. Aber gehen Sie hin und sprechen Sie mit meinem Freund am Quai Mytho.«
Ich fuhr nach Hause, um für Phuong in der Rue Catinat eine kurze Nachricht zu hinterlassen, und dann zum Kai hinaus und am Hafen vorbei. Eben ging die Sonne unter. Am Quai Mytho standen Tische und Stühle im Freien, neben den Dampfern und den grauen Kriegsschiffen, und in den kleinen mobilen Küchen brannte das Feuer und brodelte es. Unter den Alleebäumen des Boulevard de la Somme gingen die Friseure geschäftig ihrer Arbeit nach, und an den Hauswänden hockten die Wahrsager mit ihren schmutzigen Spielkarten. In Cholon war man in einer anderen Stadt, wo mit dem Schwinden des Tageslichts die Arbeit eher aufzuleben als zu Ende zu gehen schien. Es war, als betrete man das Bühnenbild einer Pantomime: Die langen, senkrecht herabhängenden chinesischen Ladenschilder, die hellen Lichter und das Gewühl von Statisten führten einen tief in die Kulissen, wo alles plötzlich so viel dunkler und stiller war. Entlang einer solchen Kulisse kam ich wieder hinunter zum Kai und zu einem dichten Gedränge chinesischer Wohnboote, wo im Schatten die Lagerhäuser gähnten und kein Mensch zu sehen war.
Ich fand das Gebäude mit einiger Schwierigkeit und beinahe durch Zufall. Das Tor des Lagers stand offen, und im Schein einer alten Laterne konnte ich die bizarren, an Picasso gemahnenden Formen des Gerümpelhaufens erkennen: Bettgestelle, Badewannen, Aschenkübel, die Motorhauben von Automobilen, und wo das Licht hinfiel, leuchteten Streifen alter Farbe auf. Ich ging einen schmalen Pfad entlang, der wie in einem Steinbruch aus einem Berg von Eisen herausgehauen worden war, und rief laut nach Mr. Chou, doch es kam keine Antwort. Am Ende des Lagers führte eine Treppe nach oben, und ich nahm an, daß sich dort vielleicht Mr. Ghous Wohnung befand – anscheinend hatte man mir den Weg zur Hintertür angegeben, und ich nahm an, daß Dominguez dafür triftige Gründe hatte. Sogar im Stiegenhaus war links und rechts Gerümpel aufgestapelt, Stücke von Schrott, die in diesem Dohlennest von einem Haus eines Tages noch von Nutzen sein mochten. Vom Treppenabsatz öffnete sich eine Tür in einen einzigen weiten Raum, in dem sich eine große Familie sitzend und liegend verteilte, so daß das Ganze wie ein Feldlager wirkte, das jeden Augenblick vom Feind überfallen werden konnte. Überall standen kleine Teetassen umher, und es gab eine Unmenge von Pappschachteln voll unbestimmbarer Gegenstände und fest verschnürte Fiberkoffer; eine alte Dame saß auf einem mächtigen Bett, man sah zwei Buben und zwei Mädchen, ein Baby, das auf dem Boden umherkroch, drei ältliche Frauen in abgetragenen braunen Bauernhosen und ebensolchen Jacken. Zwei alte Männer in den blauen Seidenröcken von Mandarinen spielten in einer Ecke Mah-Jongg, ohne von meinem Erscheinen Notiz zu nehmen. Sie spielten mit flinken Bewegungen, wobei sie die Steine durch die bloße Berührung erkannten, und das Geräusch, das sie dabei machten, glich jenem von Kieseln am Meeresstrand, wenn eine zurückflutende Woge sie umwendet. Auch sonst schenkte mir niemand Beachtung; nur eine Katze sprang auf einen Karton, und ein magerer Hund beschnupperte mich, um sich gleich wieder zurückzuziehen.
»Monsieur Chou?« fragte ich, worauf zwei der Frauen den Kopf schüttelten. Noch immer sah mich niemand an; bloß eine der Frauen spülte eine Tasse aus und füllte sie mit Tee aus einer Kanne, die in einem mit Seide ausgeschlagenen Kästchen warmgehalten wurde. Ich nahm am Bettende neben der alten Dame Platz, und ein junges Mädchen reichte mir die Tasse: Es war, als ob ich in eine Gemeinschaft mit der Katze und dem Hund eingereiht worden wäre – vielleicht waren sie einmal auch so von ungefähr aufgetaucht wie ich. Das Baby kroch über den Fußboden und zerrte an meinen Schuhbändern, niemand wies es zurecht: Im Fernen Osten tadelte man Kinder nicht. An den Wänden hingen drei Geschäftskalender, von denen jeder ein Mädchen in heiterer chinesischer Tracht und mit grellen rosa Backen zeigte. Ein großer Spiegel trug mysteriöserweise die Aufschrift »Café de la Paix« –, wahrscheinlich war er durch irgendeinen Zufall unter das Gerümpel geraten: Ich selbst hatte das Gefühl, daß ich darunter geraten war.
Langsam trank ich den bitteren grünen Tee, wobei ich die henkellose Tasse immer wieder aus einer Handfläche in die andere schob, weil mir die Hitze die Finger verbrannte, und ich überlegte, wie lange ich bleiben sollte. Einmal versuchte ich die Familie auf französisch anzusprechen, ich fragte, wann sie Monsieur Chou erwarteten, aber niemand antwortete: Wahrscheinlich hatten sie mich nicht verstanden. Als meine Tasse leer war, füllten sie sie nach und setzten dann ihre eigenen Beschäftigungen fort: Eine Frau bügelte, ein Mädchen nähte, die zwei Jungen machten ihre Schulaufgaben, die alte Dame betrachtete ihre Füße, die winzigen, verkrüppelten Füße des alten China – und der Hund beäugte die Katze, die auf den Kartons sitzenblieb.
Ich begann zu begreifen, wie schwer Dominguez für seinen kargen Lohn arbeitete.
Ein äußerst abgemagerter Chinese trat in den Raum. Er schien überhaupt keinen Platz einzunehmen: Er erinnerte an das fettdichte Papier, das je zwei Lagen Keks in einer Dose trennt. Das einzige Körperhafte an ihm war sein gestreifter Flanellpyjama. »Monsieur Chou?« fragte ich.
Er sah mich mit dem abwesenden Blick des Opiumrauchers an: Die eingefallenen Wangen, die Handgelenke eines Babys, die Arme eines kleinen Mädchens – ihn auf diese Körpermaße einschrumpfen zu lassen, dazu hatte es vieler Jahre und vieler Pfeifen bedurft. »Mein Freund, Monsieur Dominguez, sagte mir, Sie hätten mir etwas zu zeigen. Sie sind doch Monsieur Chou?«
O ja, meinte er, er sei Monsieur Chou, und er lud mich mit einer höflichen Handbewegung ein, wieder Platz zu nehmen. Ich konnte ihm ansehen, daß der Zweck meines Besuchs irgendwo in den verqualmten Winkeln seines Schädels verlorengegangen war. Ob ich nicht eine Tasse Tee wollte? Er fühle sich durch mein Kommen sehr geehrt. Eine weitere Tasse wurde über dem Fußboden ausgespült und mir wie ein glühendes Kohlenstück in die Hand gedrückt – eine Feuerprobe durch Tee. Ich machte eine Bemerkung über den Umfang seiner Familie.
Er blickte sich ein wenig überrascht um, als ob er sie noch nie von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet hätte. »Meine Mutter«, sagte er, »meine Frau, meine Schwester, mein Onkel, mein Bruder, meine Kinder, die Kinder meiner Tante.« Das Baby hatte sich von meinen Füßen fortgewälzt und lag jetzt strampelnd und quietschend auf dem Rücken. Ich überlegte, wem es gehören mochte. Keiner der Anwesenden schien jung genug – oder alt genug – für seine Erzeugung.
Ich sagte: »Monsieur Dominguez meinte, es wäre wichtig.«
»Ah, Monsieur Dominguez. Hoffentlich geht es ihm gut?«
»Er hat Fieber gehabt.«
»Ja, es ist eine ungesunde Jahreszeit.« Ich war nicht davon überzeugt, daß er sich überhaupt entsinnen konnte, wer Dominguez war. Er begann zu husten, und unter seiner Pyjamajacke, an der zwei Knöpfe fehlten, vibrierte die straffe Haut über den Rippen wie das Fell einer Buschtrommel.
»Sie sollten selbst zum Arzt gehen«, sagte ich. Ein Neuankömmling trat zu uns – ich hatte ihn nicht hereinkommen hören. Es war ein junger Mann in einem sauberen europäischen Anzug. Er sagte auf englisch: »Mr. Chou hat nur eine Lunge.«
»Es tut mir leid …«
»Er raucht täglich hundertfünfzig Pfeifen.«
»Eine schöne Menge.«
»Ja. Der Arzt sagt, es tut ihm nicht gut, aber Mr. Chou ist viel glücklicher, wenn er raucht.«
Ich murmelte, daß ich ihm das nachfühlen könne.
»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Ich bin Mr. Chous Geschäftsführer.«
»Und mein Name ist Fowler. Mr. Dominguez hat mich hergeschickt. Er meinte, daß Mr. Chou mir etwas Wichtiges mitzuteilen hätte.«
»Mr. Chous Gedächtnis hat sehr nachgelassen. Möchten Sie nicht eine Tasse Tee?«
»Vielen Dank, ich habe schon drei Tassen gehabt.« Unsere Unterhaltung klang wie Frage und Antwort in einem Sprachführer.
Mr. Chous Manager nahm mir die Tasse aus der Hand und hielt sie einem der Mädchen hin, das wieder den Teesatz auf dem Boden ausschüttete und sie von neuem füllte.
»Der ist nicht stark genug«, sagte er, nahm die Tasse, kostete, spülte sie sorgfältig aus und goß aus einer anderen Teekanne nach. »Der ist besser, nicht wahr?«
»Viel besser.«
Mr. Chou räusperte sich, jedoch nur, um eine gewaltige Menge von Auswurf in einen blechernen Spucknapf, der mit rosa Blüten verziert war, zu befördern. Das Baby kugelte im verschütteten Teesatz hin und her, während die Katze von der Pappschachtel auf einen Koffer hinübersetzte.
»Vielleicht wäre es besser, wenn Sie mit mir sprechen wollten«, sagte der junge Mann. »Mein Name ist Heng.«
»Wenn Sie mir sagen …«
»Gehen wir ins Lagerhaus hinunter«, sagte Mr. Heng. »Dort ist es ruhiger.«
Ich streckte Mr. Chou die Hand hin, der sie mit einer Miene völliger Überraschung zwischen seinen Handflächen ruhen ließ, dann blickte er in dem menschenerfüllten Raum umher, als versuche er, mich irgendwo einzuordnen.
Das Geräusch rieselnder Kieselsteine verebbte, während wir die Treppe hinabstiegen. Mr. Heng sagte: »Achtung! Die unterste Stufe fehlt.« Und er ließ eine Taschenlampe aufblitzen, um mir den Weg zu zeigen.
Da waren sie wieder, die eisernen Bettgestelle und die Badewannen, und Mr. Heng führte mich einen Seitengang hinab. Als er etwa zwanzig Schritte weit gegangen war, blieb er stehen und leuchtete mit seiner Lampe auf einen kleinen, trommelförmigen Blechkanister. »Sehen Sie das?« sagte er.
»Was ist damit?«
Er wandte die Trommel um und zeigte mir die Fabrikmarke: »Diolacton«.
»Das sagt mir immer noch nichts.«
Er fuhr fort: »Ich hatte zwei dieser Kanister hier. Sie wurden mit anderem Altmetall in Mr. Phan-Van-Muois Garage aufgesammelt. Kennen Sie ihn?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Seine Frau ist mit General Thé verwandt.«
»Ich begreife noch immer nicht ganz.«.«
»Und wissen Sie, was das ist?« fragte Mr. Heng, indem er sich bückte und einen langen, hohlen Gegenstand aufhob, der wie ein großer Selleriestengel aussah und im Schein der Taschenlampe wie Chrom glitzerte.
»Das könnte ein Bestandteil aus einem Badezimmer sein.«
»Es ist eine Preßform«, erklärte Mr. Heng. Er war offensichtlich ein Mann, dem es ermüdenderweise Vergnügen bereitete, Belehrungen von sich zu geben. Er machte eine Pause, um mir nochmals Gelegenheit zu bieten, meine Unwissenheit zu beweisen. »Sie verstehen, was ich mit einer Preßform meine …«
»O ja, selbstverständlich, aber ich begreife noch immer nicht …«
»Diese Preßform wurde in den USA hergestellt. Diolacton ist eine amerikanische Marke. Beginnen Sie jetzt zu verstehen?«
»Offen gestanden, nein.«
»Diese Form war schadhaft. Deshalb wurde sie fortgeworfen. Sie hätte aber nicht beim Alteisen landen sollen – ebensowenig wie der Kanister. Das war ein Fehler. Mr. Muois Geschäftsleiter bemühte sich persönlich hierher. Die Preßform konnte ich nicht finden, aber ich gab ihm den anderen Kanister zurück. Ich erklärte ihm, das sei alles, was ich hätte, und er sagte mir, er brauche die Kanister zur Aufbewahrung von Chemikalien. Nach der Preßform erkundigte er sich natürlich nicht – damit hätte er zuviel verraten, aber er sah sich hier gründlich um. Später ging Mr. Muoi zur amerikanischen Gesandtschaft, um Mr. Pyle zu sehen.«
»Sie scheinen einen recht tüchtigen Geheimdienst zu haben«, sagte ich. Noch immer konnte ich mir nicht vorstellen, was das alles zu bedeuten hatte.
»Ich bat Mr. Chou, mit Mr. Dominguez in Verbindung zu treten.«
»Sie wollen also andeuten, daß Sie Pyle und den General in einen gewissen Zusammenhang gebracht haben. Allerdings in einen sehr schwachen«, sagte ich. »Das ist außerdem nichts Neues. Alle Leute stehen hier mit irgendeinem Geheimdienst in Verbindung.«
Mr. Heng schlug mit dem Absatz gegen die schwarze Blechtrommel, und der Ton hallte unter den Bettgestellen wider. Er sagte: »Mr. Fowler, Sie sind Engländer. Sie sind neutral. Sie sind zu uns allen fair gewesen. Sie bringen Verständnis dafür auf, wenn sich einige von uns auf der einen oder auf der anderen Seite engagieren.«
»Wenn Sie damit andeuten wollen, daß Sie Kommunist oder ein Vietminh sind – keine Sorge. Ich bin nicht schockiert. Ich habe keine politischen Ansichten.«
»Wenn hier in Saigon irgend etwas Unangenehmes passiert, wird man uns die Schuld geben. Mein Komitee möchte gern, daß Sie unparteiisch darüber urteilen. Deshalb habe ich Ihnen das hier gezeigt.«
»Was ist Diolacton?« sagte ich. »Es klingt nach Kondensmilch.«
»Es hat tatsächlich etwas mit Milch gemeinsam.« Mr.
Heng leuchtete mit der Taschenlampe in den Kanister hinein. Auf dem Boden lagen Reste eines weißen Pulvers wie Staub. »Es ist einer von den amerikanischen Kunststoffen«, sagte er.
»Ich habe ein Gerücht gehört, wonach Pyle Kunststoff zur Erzeugung von Spielwaren importiert.« Ich hob die Preßform auf und betrachtete sie. Ich versuchte, im Geiste die Gestalt zu erahnen. Der Gegenstand selbst würde nicht wie dies hier aussehen; dies war sein Negativ, das Spiegelbild.
»Nicht zur Erzeugung von Spielwaren«, sagte Mr. Heng.
»Es sieht wie der Teil eines Stabes aus.«
»Die Form ist ungewöhnlich.«
»Ich kann mir nicht denken, wozu das Ding dienen könnte.«
Mr. Heng wandte sich ab. »Ich möchte nur, daß Sie sich merken, was Sie hier gesehen haben«, sagte er, während wir im Schatten des Gerümpelhaufens zurückgingen. »Vielleicht werden Sie eines Tages einen Grund haben, über diese Dinge zu schreiben. Aber dann dürfen Sie nicht sagen, daß Sie den Kanister hier gesehen haben.«
»Auch nicht die Preßform?«
»Die Preßform erst recht nicht!«